von Karl-Jürgen Müller
Christoph Zwickler wird den meisten Menschen in Deutschland nicht bekannt sein. Aus der «Berliner Zeitung» erfährt man: Er hat Politikwissenschaften, Philosophie, Geschichte und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist seit 2016 Vorsitzender einer lokalen Wählergemeinschaft in Südhessen. Die Ausgabe der Zeitung vom 21. September hat ihm im Rahmen ihrer «Open-Source-Initiative» – hier können Beiträge veröffentlicht werden, die nicht aus der Redaktion stammen – zwei ganze Zeitungseiten Platz gegeben, um seine Gedanken darzulegen. Schon Titel und Vorspann wecken Interesse: «Weil der Westen seine Versprechen gebrochen hat. Aus den hohen Zustimmungswerten für die AfD wird oft abgeleitet, der Osten sei demokratiefeindlich und undankbar. Unser Autor meint hingegen: Das Aufzeigen von Täuschungen ist absolut angemessen.»
Seine Argumentation: In der ehemaligen DDR haben viele mit der alten Bundesrepublik «Wohlstand für alle» durch eine soziale Marktwirtschaft, Freiheit und Meinungsvielfalt, Wertschätzung auch für Minderheitsmeinungen, Gleichberechtigung unterschiedlicher Meinungen und Kompromisssuche bei politischen Entscheidungen verbunden. All dies hat sich nach 1990 Schritt für Schritt im grösser und mächtiger gewordenen Deutschland geändert. Vor allem seit der Kanzlerschaft Angela Merkels. Von der Kanzlerin postulierte «Alternativlosigkeit» ist an die Stelle gleichberechtigter Meinungsvielfalt getreten, aus zuvor wohlgelittenen «Querdenkern» wurden Querulanten, und die Mainstream-Medien verstehen sich nicht mehr als aufmerksame Kritiker der herrschenden Politik, sondern als Pranger für deren Kritiker. Nicht zuletzt: Die Marktwirtschaft wird immer weniger «sozial».
Das Fazit des Artikels: «Im Osten wird all das auch heute schneller registriert als im Westen. Man reagiert sensibler, man befasste sich bewusst mit zwei Systemen und vergleicht. Die Bundesrepublik war hier keine Selbstverständlichkeit. Sie beschreibt ein System, mit dem sich der Osten auseinandergesetzt hat und für das sich viele gern entschieden haben. Es sind diese feineren Antennen für die gelebte Ordnung und ihre Widersprüche, welche die mit den Wahlen dokumentierten Stimmungspegel im Osten weiter ausschlagen lassen. Die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen sind Ausdruck gebrochener Versprechen.»
Nun hat auch Brandenburg gewählt. Manch einer wird sagen: Ist doch noch einmal gut gegangen. Die SPD hat die relative Mehrheit der Stimmen erhalten und kann weiter regieren – mit wem auch immer. Vergessen wird dabei: Auch die Wähler in Brandenburg haben – wie schon drei Wochen zuvor in Sachsen und Thüringen – den politischen Parias des westlichen Mainstreams, der AfD und dem BSW, sehr viele Stimmen gegeben – 43 % – und der AfD, die vom Mainstream am meisten ausgegrenzt wird, fast 30 %. 77 % der in Brandenburg am Wahltag Befragten sind unzufrieden mit der Bundesregierung. Aber verbreitete verfassungswidrige Gesinnungen der Wähler waren auch dieses Mal nicht zu erheben. Im Gegenteil, 85 % finden, dass die Demokratie eine gute Regierungsform ist. Allerdings: 54 % sind mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland unzufrieden – deutlich mehr als im Bundesgebiet insgesamt –, und 63 % machen sich «grosse Sorgen», dass «Demokratie und Rechtsstaat in Gefahr sind». Hinzu kommt: 67 % – 8 % mehr als vor 5 Jahren – finden: «Ostdeutsche sind an vielen Stellen immer noch Bürger zweiter Klasse.»
Am Ende seines Artikels schreibt Christoph Zwickler: «Das Aufzeigen von Täuschungen ist kein Undank. Vielleicht gelingt es spätestens nach der Wahl in Brandenburg, das endlich anzuerkennen.»
Allerdings sagte Bundeskanzler und SPD-Politiker Olaf Scholz nach den Wahlen in Brandenburg: «Ist doch super, dass wir gewonnen haben.» Von einer Korrektur der bisherigen Politik sprach er nicht. •
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