zf. Am 29. Oktober hat die Knesset mit 92:10 Stimmen ein Gesetz gutgeheissen, das dem UN-Hilfswerk UNRWA jegliche Präsenz innerhalb Israels verbietet. Ab 2025 soll das Palästinenserhilfswerk seine Arbeit einstellen – mit gravierenden Folgen.
Ihre Königliche Hoheit, Prinz Faisal Ben Farhan, Exzellenzen,
die Abstimmung der Knesset gegen die UNRWA in dieser Woche ist empörend und stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar. Es ist das jüngste Beispiel einer laufenden Kam-pagne, die darauf abzielt, die UNRWA zu diskreditieren und ihre Rolle bei der mensch-lichen Entwicklung und der Unterstützung der Palästina-Flüchtlinge zu delegitimieren.
Israelische Regierungsvertreter haben offen zur Zerschlagung der UNRWA aufgerufen. Sie haben es unter Missachtung der Resolutionen der Generalversammlung und des Sicherheitsrats sowie des Internationalen Gerichtshofs zu einem Ziel des Krieges in Gaza gemacht, auch mit dem Plan, die UNRWA in Ostjerusalem durch Siedlungen zu ersetzen.
Diese Gesetzesentwürfe werden das Leiden der Palästinenser nur noch verschlimmern. Diese Gesetzesentwürfe richten sich nicht nur gegen die UNRWA, sondern auch gegen die Palästinenser und ihre Ziele. Wir sind Zeugen eines absichtlichen Versuchs, die seit langem bestehenden Parameter für eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts einseitig zu verändern. Die Folgen für die regionale Stabilität und den internationalen Frieden und die Sicherheit sind immens.
Seit Jahrzehnten müssen die Palästinenser in den besetzten Gebieten die systematische Verweigerung grundlegender Rechte, die Abspaltung, die lähmende Blockade des Gaza-Streifens, den aggressiven Siedlungsausbau im Westjordanland und die wiederkehrenden Kriegsphasen ertragen.
Im vergangenen Jahr haben die Bestrebungen Israels, eine palästinensische Eigenstaatlichkeit zu verunmöglichen, schreckliche Ausmasse angenommen.
Und damit sind die Aussichten auf eine Zwei-Staaten-Lösung allmählich geschwunden.
Der Gaza-Streifen ist dezimiert worden. Über dreiundvierzigtausend Menschen wurden getötet, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Fast die gesamte Bevölkerung wurde bereits mehrfach vertrieben. Zwei Millionen Menschen sind seit mehr als 12 Monaten in einer Hölle auf Erden gefangen. Die meisten von ihnen sind jetzt auf 10 % des Gaza-Streifens unter unerträglichen Lebensbedingungen zusammengepfercht. Im Norden des Gaza-Streifens sind Hunderttausende Menschen in einer vollständigen Belagerung gefangen und warten auf den Tod durch einen Luftangriff oder durch Verhungern. Im gesamten Gaza-Streifen sind 660 000 Kinder nicht in der Schule und leben in den Trümmern. Viele von ihnen sind allein und haben keine überlebenden Familienangehörigen. Sie sind traumatisiert und sehr anfällig für Ausbeutung, einschliesslich der Rekrutierung durch kriminelle Banden und bewaffnete Gruppen.
In der Zwischenzeit eskaliert der Konflikt im besetzten Westjordanland. Die Gewalt der Siedler und die militärischen Übergriffe der israelischen Sicherheitskräfte sind eine tägliche Realität. Bei Militäroperationen wird die öffentliche Infrastruktur systematisch zerstört, was eine kollektive Bestrafung der Palästinenser darstellt. Die Wirtschaft steht am Rande des Zusammenbruchs, und die Verzweiflung wächst. Die illegale Siedlungstätigkeit wird unter Missachtung der Urteile des Internationalen Gerichtshofs fortgesetzt.
Was im Gaza-Streifen und im Westjordanland geschieht, entfernt uns immer weiter von der Aussicht auf Frieden, Koexistenz und Selbstbestimmung. Statt dessen führt es uns auf einen Weg, der Israeli und Palästinensern über Generationen hinweg endlosen Krieg und Elend bringen wird.
Exzellenzen,
seit 75 Jahren ist die UNRWA ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die palästinensischen Flüchtlinge. In Erwartung einer gerechten und dauerhaften politischen Lösung hat sich die UNRWA dafür eingesetzt, den palästinensischen Flüchtlingen ein Leben in Würde zu ermöglichen, das auf dem Zugang zu grundlegenden Rechten wie Bildung und Gesundheitsversorgung beruht.
Wir haben Generationen von Studenten ausgebildet, von denen viele in der Region und in der ganzen Welt bemerkenswerte Erfolge erzielt haben. Unzählige Ehemalige haben mir von der entscheidenden Rolle erzählt, die die UNRWA-Ausbildung in ihrem Leben gespielt hat. Eine Bildung, die sich für die Menschenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter einsetzt und Toleranz und Respekt für kulturelle Vielfalt fördert. Sie wissen, wie sehr die Palästinenser Bildung schätzen – das einzige Gut, das ihnen nicht weggenommen wurde.
Wir gehen jetzt das Risiko ein, das Leben einer ganzen Generation von Kindern im Gaza-Streifen und im Westjordanland zu zerstören. Wenn wir es zum Beispiel nicht schaffen, 600 000 Kinder in ein relativ sicheres Lernumfeld zurückzubringen, opfern wir eine ganze Generation und säen die Saat für künftigen Hass und Extremismus.
Exzellenzen,
in Kriegszeiten hat sich die UNRWA schnell in eine Organisation zur Verwaltung des menschlichen Elends verwandelt. Das haben wir im vergangenen Jahr in Gaza gesehen. Unsere Lehrer wurden über Nacht zu Verwaltern von Unterkünften. Unsere Kliniken wurden in Notaufnahmen umgewandelt, während die Krankenhäuser fast völlig zusammenbrachen. Vor kurzem spielten wir eine entscheidende Rolle bei der erfolgreichen ersten Phase einer Polio-Notimpfungskampagne.
Im vergangenen Jahr war die UNRWA die letzte verbliebene Rettungsleine für die Bevölkerung des Gaza-Streifens. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, haben wir einen hohen Preis gezahlt. Mindestens 237 unserer Mitarbeiter wurden getötet, viele mit ihren Familien. Fast 200 unserer Gebäude wurden beschädigt oder zerstört, wobei Hunderte von Vertriebenen, die den Schutz der Uno suchten, ums Leben kamen. Unsere klar gekennzeichneten Hilfskonvois wurden von bewaffneten Akteuren überfallen und geplündert. Die Beschränkungen für die Einfuhr lebensrettender Güter in den Gaza-Streifen führen dazu, dass Hilfsgütertransporte an der Grenze stehen bleiben, während wenige Kilometer entfernt Menschen verhungern.
Exzellenzen,
die jüngsten in der Knesset verabschiedeten Gesetzesentwürfe zielen darauf ab, den Kontakt mit den israelischen Behörden abzubrechen, was unsere Arbeit in den Besetzten Palästinensischen Gebieten lähmt. Die gesamte humanitäre Hilfe im Gaza-Streifen, die auf die Infrastruktur der UNRWA angewiesen ist, steht auf dem Spiel.
Dass man versäumt hat, sich gegen die Einschüchterungsversuche und die Unterminierung der Vereinten Nationen zu wehren, hat einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen. Man denke nur an Libanon und die verabscheuungswürdigen Angriffe auf die Unifil.
Lassen Sie uns deutlich werden:
Erstens: Die Angriffe auf die UNRWA sind Angriffe auf das allgemeine, auf Regeln basierende System, das aus dem Zweiten Weltkrieg stammt, und werden unser globales multilaterales System schwächen.
Zweitens sind die Angriffe politisch motiviert mit dem Ziel, den Status der «Palästina-Flüchtlinge» abzuschaffen. Der Flüchtlingsstatus der Palästina-Flüchtlinge besteht jedoch unabhängig von den Leistungen der UNRWA. Die Flüchtlinge werden diesen Status beibehalten, bis eine politische Lösung gefunden ist.
Drittens kann über die Zukunft der Palästina-Flüchtlinge nicht ausserhalb eines politischen Rahmens entschieden werden. Wenn eine UN-Agentur mit einem Mandat der Generalversammlung zusammenbrechen kann, weil ein UN-Mitgliedsstaat sich über die auf Regeln basierende internationale Ordnung hinwegsetzt, was bleibt dann noch bestehen?
Exzellenzen,
ich bin ermutigt durch das internationale Engagement für eine politische Lösung, das auf dieser Konferenz zum Ausdruck kommt. Ich danke Seiner Hoheit, dem Aussenminister, aufrichtig für die Einberufung der Konferenz und dafür, dass er der UNRWA eine prominente Plattform gegeben hat.
Die Zwei-Staaten-Lösung ist der international vereinbarte Rahmen. Die UNRWA ist ein untrennbarer Bestandteil eines erfolgreichen und fairen Übergangs. Der grösste Vorteil des Hilfswerks liegt in den Bereichen Bildung und medizinische Grundversorgung. In Ermangelung eines vollwertigen Staates kann nur die UNRWA die Bildungs- und Gesundheitsbedürfnisse der palästinensischen Flüchtlinge erfüllen.
Ich möchte mit drei Bitten schliessen:
Erstens fordere ich Sie auf, alle Ihnen zur Verfügung stehenden politischen, diplomatischen und rechtlichen Mittel zu nutzen, um Israels Versuche zurückzuweisen, die UNRWA zu zerschlagen, die Vereinten Nationen ins Abseits zu stellen und den Multilateralismus zu untergraben. Das bedeutet, dass die Gesetzesentwürfe zurückgenommen oder ihre Anwendung ausgesetzt werden muss.
Zweitens bitte ich Sie, die Rolle der UNRWA heute und während des unweigerlich langen und schmerzhaften Übergangs zwischen einem Waffenstillstand und dem «Tag danach» zu sichern. Und dafür brauchen wir Ihre politische und finanzielle Unterstützung.
Schliesslich fordere ich Sie auf, über die Plattform dieser Globalen Allianz einen gangbaren politischen Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu finden, die endlich eine Lösung für die Notlage der palästinensischen Flüchtlinge bringt.
Bis dahin bitte ich Sie dringend, dafür zu sorgen, dass die UNRWA ihre unverzichtbare Rolle für die palästinensischen Flüchtlinge beibehält.
Ich danke Ihnen. •
Quelle: https://www.unrwa.org/newsroom/official-statements/statement-philippe-lazzarini-commissioner-general-unrwa-high-level-meeting vom 30.10.2024
(Übersetzung Zeit-Fragen)
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