Die Olivenerntezeit

Aktuelles aus dem besetzten Palästina

von Cara Marianna*

Ich veröffentliche das folgende Update aus der Stadt al-Khalil (auch bekannt als Hebron) im besetzten Palästina, wo ich seit dem 23. Oktober unterwegs bin und mit Menschen gesprochen habe. Die Reise wurde durch die verbleibenden Spenden aus einer GoFundMe-Kampagne Anfang dieses Jahres finanziert. Vielen Dank an alle, die diesen zweiten Besuch in Palästina möglich gemacht haben.
  20. November – es ist Olivenerntezeit im Westjordanland. Die jährliche Ernte dauert zwei Monate, von Mitte Oktober bis Mitte Dezember. Oliven gehören zu den wichtigsten Feldfrüchten für palästinensische Familien, die auf Oliven und Olivenöl als Grundnahrungsmittel angewiesen sind. Die Produktion von Olivenöl ist auch entscheidend für das wirtschaftliche Wohlergehen von Gemeinden und Familien, die auf den Verkauf von überschüssigem Öl angewiesen sind, um ein Einkommen zu erzielen. Ohne diese jährliche Finanzspritze geraten Familien in die Armut, und ganze Gemeinschaften leiden.

Von Gewalt überschattet

Mit der Ausdehnung der illegalen Siedlungen im Westjordanland wird die Erntesaison zunehmend von Gewalt überschattet. Dorfbewohner werden schikaniert, von ihrem Land vertrieben und von Siedlern beschossen, oft während Soldaten der israelischen Besatzungstruppen zusehen. Am 23. Oktober war ich in dem Dorf al-Mughayyir im Gouvernement Ramallah. Seit dem 7. Oktober letzten Jahres können die Dorfbewohner die Olivenhaine, die ihre Gemeinde umgeben, nicht mehr erreichen. Wer sich dem Land nähert, riskiert, beschossen zu werden.
  An diesem Nachmittag nutzten wir die Gelegenheit und fuhren auf einer schmalen, staubigen Strasse in das Ackerland und die Wälder hinein. Von dort aus konnten wir die gepflasterte Hauptstrasse sehen, die das fruchtbare Tal durchschneidet. Diese Strasse ist jetzt für Palästinenser gesperrt und mit israelischen Fahnen beflaggt. Auf einem nahe gelegenen Hügel konnte ich einen illegalen Aussenposten und einen Wachturm mit einer weiteren Flagge auf der Spitze sehen. Von dort aus überwachen Siedler ständig die Felder. Von der Anhöhe aus können sie schnell ins Tal hinabsteigen, um Palästinenser zu verjagen, die versuchen, Oliven zu ernten.

Al-Mughayyir

Al-Mughayyir ist eine abgelegene und gefährdete Gemeinde, die häufig von Siedlern, die tagsüber plündern, und von der I.O.F. (International Occupying Forces), welche die Menschen lieber nachts terrorisiert, angegriffen wird. 70 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen von al-Mughayyir – Olivenhaine, Weinberge, Weizenfelder, Mandelbäume, Gemüsefelder und Gewächshäuser – sind seit Oktober letzten Jahres unzugänglich. Bereits das zweite Jahr in Folge konnten die Dorfbewohner ihre Oliven nicht ernten. 
  Als wir durch das vernachlässigte Ackerland fuhren, hielt unser Dorfführer, ein Mann namens Kathem, das Auto an und bat mich, ein Foto von ihm vor seinem Land zu machen – einem Land, auf dem Trauben, Oliven und Weizen verdorrt oder verrottet sind. Ich machte drei Fotos von Kathem, der stolz vor seinen verdorrten Weizenfeldern stand, mit einem stoischen Gesichtsausdruck. Während ich die Fotos knipste, schauten die anderen Fahrgäste nervös aus dem Auto und blickten zurück zum Aussenposten. Es war nicht sicher für uns, dort zu verweilen. Wir eilten zurück zum Auto und fuhren in die relative Sicherheit des Dorfes.
  Im Moment ist ein Bild alles, was Kathem von seinem Land hat.
  Das ist die Realität für die Palästinenser auf dem Land, deren Land von illegalen Siedlungen wie von einer immer enger werdenden Schlinge umschlossen wird. Im Westjordanland hat sich nach dem Hamas-Angriff im vergangenen Jahr alles zum Schlechten gewendet. Im Dorf Battir – einer Region, die für ihre historischen landwirtschaftlichen Terrassen berühmt ist und 2014 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde – errichtete die I.O.F. einen Kontrollpunkt an der Einfahrt zur Landstrasse, die den einzigen Zugang zu den Feldern und Olivenhainen darstellt. Ein Jahr später, in dieser Erntesaison, war der Kontrollpunkt immer noch in Betrieb. Wie im letzten Jahr hatte die I.O.F. den Landwirten nur drei Tage Zeit gegeben, um ihre Felder zu betreten und Oliven zu ernten. Normalerweise brauchen ganze Familien zwei Wochen für diese Aufgabe. Mehr als einmal erschienen die Dorfbewohner am vorgesehenen Tag und zur vorgesehenen Stunde, nur um zu erfahren, dass das Tor nicht geöffnet werden würde.

«Sie wollen töten und stehlen»

Am vergangenen Freitag haben Siedler in dem Dorf Tarqumiyah im Gouvernement Hebron palästinensische Familien aus ihren Olivenhainen vertrieben und alle geernteten Oliven gestohlen. Anschliessend zerstörten sie die Oliven. Wie Kathem mir bei unserem ersten Treffen im Mai sagte: «Sie sind dazu gemacht zu zerstören», sagte er. «Sie sind eine Zerstörungsmaschine. Sie töten, sie stehlen, sie nehmen alles. Alle Menschen auf der Welt wollen Frieden und Stabilität. Sie tun es nicht.» Er schloss: «Sie wollen töten und stehlen.»
  In den vergangenen Jahren halfen Hunderte von internationalen Freiwilligen bei der Olivenernte und sorgten für eine «schützende Präsenz». Doch angesichts des nach wie vor andauernden US-israelischen Völkermords im Gaza-Streifen, der Bombardierungen in Libanon und der ständigen Drohungen mit einem grösseren regionalen Krieg zwischen Iran und Israel bleiben die meisten Aktivisten und internationalen Helfer der Region fern. Dadurch sind die Palästinenser noch anfälliger für Angriffe geworden. •

Quelle: https://westbankalerts.substack.com/p/the-olive-unharvest-season?utm_campaign=post&utm_medium=web
vom 20.11.2024

(Übersetzung Zeit-Fragen)



* Cara Marianna ist Autorin und Mitherausgeberin von The Floutist, einem Online-Newsletter, den sie zusammen mit ihrem Mann Patrick Lawrence herausgibt (thefloutist.substack.com). Cara Marianna gibt auch ihren eigenen Newsletter namens Winter Wheat (winterwheat.substack.com) heraus. Sie ist Künstlerin und hat in Amerikanistik promoviert. Im Frühjahr und Herbst 2024 bereiste sie Palästina und begann ihre Serie «Stimmen aus Palästina». Unterstützen Sie ihre Arbeit mit einem Abonnement von Winter Wheat oder mit einer Spende (paypal). Kontakt: winterwheat7@gmail.com.

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