Ihre Exzellenz Herr Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen
Eure Exzellenz,
Ich schreibe Ihnen, um Sie auf eine Petition aufmerksam zu machen, die von 599 angesehenen Wissenschaftlern und Experten aus Bereichen wie Völkerrecht, Konfliktforschung und Politikwissenschaft unterzeichnet wurde. In der Petition wird die UN-Generalversammlung aufgefordert, den Ausschluss Israels [aus der Generalversammlung der Vereinten Nationen] zu erwägen, da das Land immer wieder gegen das Völkerrecht verstösst und UN-Resolutionen missachtet, insbesondere solche, die die Rechte und die Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes betreffen.
In der Petition wird darauf hingewiesen, dass Israel seit langem gegen wichtige UN-Resolutionen verstösst, darunter 181 (1947), 194 (1948) und mehrere Resolutionen des Sicherheitsrats, und dass es sich immer wieder über Anordnungen und Gutachten des Internationalen Gerichtshofs hinwegsetzt, zuletzt über das Gutachten vom Juli 2024. Angesichts dieser Verstösse fordern die Unterzeichner die Vereinten Nationen dringend auf, sinnvolle Massnahmen zu ergreifen, um die Grundsätze ihrer Charta zu wahren und die Integrität des internationalen Rechtssystems zu erhalten.
Wir glauben, dass ein Ausschluss Israels aus der Generalversammlung – ähnlich wie bei den Massnahmen gegen die südafrikanische Apartheid-Regierung im Jahr 1974 – die Verpflichtung der Uno zu Gerechtigkeit, Menschenrechten und internationalem Recht unterstreichen würde.
Die beigefügte Petition liefert einen umfassenden rechtlichen und historischen Kontext für diese Forderung. Wir bitten Sie höflich, sie zu prüfen, sie an die Mitgliedsstaaten und die zuständigen UN-Gremien weiterzuleiten und die darin vorgeschlagenen dringenden Massnahmen zu prüfen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit in dieser wichtigen Angelegenheit.
Mit meinen besten persönlichen Grüssen
Pino Arlacchi,
UN-Untergeneralsekretär (1997–2002),
mit E-Mail vom 25. November 2024
Petition
Als Wissenschaftler und Praktiker des Völkerrechts, der internationalen Beziehungen, der Konfliktforschung, der Politik und der Völkermordforschung fordern wir die UN-Generalversammlung und ihre Mitgliedsstaaten auf, den israelischen Staat so bald wie möglich aus der Versammlung auszuschliessen, um die Glaubwürdigkeit und Legitimität der UN-Charta und der internationalen Rechtsordnung zu wahren.
Israel hat eine Politik der ständigen Missachtung und Respektlosigkeit gegenüber den Vereinten Nationen und dem internationalen Rechtssystem an den Tag gelegt. Dies begann mit der Missachtung des Rückkehrrechts der Palästinenser, das in der Resolution 194 (III) (1948) verankert ist, und der palästinensischen staatlichen Souveränität, die in der Resolution 181 (II) (1947) verankert ist. Bei der Aufnahme Israels in die Vereinten Nationen durch die Resolution 273 (III) (1949) verpflichteten sich die israelischen Vertreter, diese Resolutionen zu respektieren, die von anderen Staaten und UN-Vertretern als Aufnahmebedingungen angesehen wurden. Im Laufe der Jahrzehnte hat Israel auch die Resolutionen der Generalversammlung missachtet sowie das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) aus dem Jahr 2004, in dem Israel aufgefordert wurde, das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes zu respektieren, und die Annexion und Kolonisierung der Besetzten Palästinensischen Gebiete (OPT) verurteilt wurde. Wie in dem jüngsten Gutachten des IGH dargelegt, hat Israel das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und das Recht auf Rückkehr systematisch vereitelt und damit gegen die oben genannten Resolutionen verstossen. Israel hat auch wiederholt mehrere Resolutionen des Sicherheitsrates missachtet, was an sich schon eine Verletzung von Artikel 25 der UN-Charta darstellt. Gemäss Artikel 6 der UN-Charta kann die Generalversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrates Israel wegen seiner anhaltenden Verletzung der Grundsätze der UN-Charta ausschliessen.
Israel verletzt systematisch seine Pflichten gegenüber der Uno und verstösst wiederholt gegen den Schutz von UN-Organisationen wie UNRWA und Unifil. Dazu gehören der Tod von UN-Mitarbeitern und die Bombardierung von UN-Einrichtungen. Ausserdem weigert es sich entschieden, mit den UN-Mechanismen zusammenzuarbeiten, indem es unter anderem Besuche des UN-Generalsekretärs, der UN-Sonderberichterstatter und der unabhängigen UN-Untersuchungskommission nicht zulässt. Auch in den Hallen der Uno gibt Israel wiederholt diffamierende Erklärungen gegen die Organisation ab. Diese Handlungen spiegeln eine völlige Missachtung der UN-Systeme wider und verstossen gegen das Völkerrecht.
Israels systematische Verweigerung des Rechts des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und die unerbittliche Aneignung palästinensischen Landes haben zu einem kritischen historischen Punkt geführt, an dem der israelische Staat mit rücksichtsloser, noch nie dagewesener Gewalt und Entschlossenheit Völkermord und ethnische Säuberung an den Palästinensern betreibt. Die Existenz des palästinensischen Volkes hängt davon ab, dass die israelische Straflosigkeit beendet wird und es endlich sein Recht wahrnimmt, sein eigenes politisches, soziales und wirtschaftliches Schicksal zu bestimmen. Darüber hinaus hat die Schwere der von Israel begangenen Rechtsverletzungen ernste Fragen zur Legitimität des internationalen Rechtssystems insgesamt aufgeworfen und bedroht dessen weitere Integrität.
Die Generalversammlung und ihre Mitgliedsstaaten können und müssen an beiden Fronten – dem Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und der Integrität der internationalen Rechtsordnung – unverzüglich tätig werden, indem sie die israelische Regierung aus der Versammlung ausschliessen, und zwar im Einklang mit der Befugnis der Versammlung, die Beglaubigungsschreiben der Delegationen der Mitgliedsstaaten zu genehmigen.
Der Ausschluss der Delegation einer Landesregierung ist eine aussergewöhnliche Massnahme, aber in diesem Fall stützt sie sich auf einen Präzedenzfall, nämlich den Ausschluss der südafrikanischen Apartheid-Regierung aus der Generalversammlung im Jahr 1974, und auf das Recht. Vor fünfzig Jahren machte die Generalversammlung von ihrer Befugnis im Rahmen der Mandatsregeln Gebrauch und schloss die südafrikanische Delegation aus, weil sie zu dem Schluss kam, dass die Regierung nicht repräsentativ und daher unrechtmässig war, weil sie die einheimische schwarze Bevölkerung nicht vertreten hatte. Obwohl die Apartheid-Praktiken Südafrikas im Mittelpunkt dieser Entscheidung standen, wurde der Ausschluss der südafrikanischen Delegation auch implizit mit dem Recht auf Selbstbestimmung begründet, das der schwarzen Bevölkerung des Landes auf Grund des Charakters der Apartheid verweigert wurde.
Wie das Gutachten des IGH vom 19. Juli 2024 zu den rechtlichen Folgen der israelischen Politik und Praxis in den Besetzten Palästinensischen Gebieten zeigt, sind die Argumente für einen Ausschluss der israelischen Regierung wegen mangelnder Repräsentativität genauso stark wie im Fall Südafrikas, wenn nicht sogar stärker.
Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass sowohl die Generalversammlung als auch ihre Mitgliedsstaaten rechtlich verpflichtet sind, das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung zu verwirklichen, da es sich dabei sowohl um ein zwingendes Recht (ius cogens) als auch um ein absolutes Recht (erga omnes) handelt. Mit dieser Feststellung macht das Gutachten rechtlich gesehen den Weg frei für die Anwendung des Mandatierungsverfahrens der Generalversammlung, um diesen Verpflichtungen nachzukommen.
Wir erkennen die Schritte an, die die Generalversammlung und ihre Mitgliedsstaaten bereits unternommen haben, um ihrer Verantwortung im Rahmen des Gutachtens gerecht zu werden. Insbesondere hat die Generalversammlung am 18. September 2024 eine Resolution verabschiedet, in der Israel aufgefordert wird, dem Gutachten innerhalb von zwölf Monaten nachzukommen, indem es «seine unrechtmässige Präsenz in den Besetzten Palästinensischen Gebieten unverzüglich beendet» und aufhört, «das palästinensische Volk an der Ausübung seines Rechts auf Selbstbestimmung zu hindern». In der Resolution werden unter anderem «alle Staaten, die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen sowie regionale Organisationen aufgefordert, das palästinensische Volk bei der baldigen Verwirklichung seines Rechts auf Selbstbestimmung zu unterstützen und aktiv Schritte zu unternehmen, um die vollständige Umsetzung des Gutachtens und aller einschlägigen Resolutionen der Vereinten Nationen zu gewährleisten».
Wir fordern die Generalversammlung und ihre Mitgliedsstaaten auf, die «vollständige Umsetzung des Gutachtens» und die Verwirklichung des Rechts des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung weiter zu verfolgen, indem sie unverzüglich alle notwendigen Schritte unternehmen, um die israelische Regierung aus der Generalversammlung auszuschliessen.
Die Tatsache, dass Israel weiterhin an der Generalversammlung teilnehmen darf, obwohl es schwere Rechtsverletzungen begeht, die eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellen und gegen die Prämissen der UN-Charta verstossen, verschärft die Legitimationskrise der internationalen Rechtsordnung. Der Ausschluss des israelischen Staates hingegen signalisiert, dass die Generalversammlung wie auch die Uno im weiteren Sinne weiterhin der Verteidigung und dem Schutz der Rechte und Grundsätze verpflichtet sind, auf denen die Uno vor fast achtzig Jahren gegründet wurde.
Im zweiten Jahr des israelischen Völkermordes, im siebenundfünfzigsten Jahr der israelischen Besetzung des Gaza-Streifens und des Westjordanlandes, einschliesslich Ost-Jerusalems, und im sechsundsiebzigsten Jahr der israelischen Vertreibung und ethnischen Säuberung von Hunderttausenden von Palästinensern aus dem historischen Palästina würde der Ausschluss Israels aus der Generalversammlung nicht nur die rechtlichen Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen der Versammlung und ihrer Mitgliedsstaaten erfüllen, wie im Gutachten des IGH dargelegt, sondern auch ein gewisses Mass an Verantwortlichkeit für Israels langjährige Aushöhlung der Möglichkeiten für menschliches Wohlergehen und Freiheit für Palästinenser mit sich bringen. Diese Massnahme wäre ein bedeutender Schritt zum Schutz und zur Befreiung des palästinensischen Volkes. •
Quelle: https://law4palestine.org/petition-to-the-un-general-assembly-unseating-israel-is-the-only-way-to-preserve-the-integrity-of-the-international-legal-system/ und https://braveneweurope.com/why-more-than-500-scholars-think-israel-should-be-unseated-from-the-un;
die Namen der fast 600 Unterzeichner sind in der Quelle angegeben.
Weitere wichtige Dokumente
Gutachten des Internationalen Gerichtshofes IGH:
https://www.icj-cij.org/case/131 (2004)
https://www.icj-cij.org/case/186 (2024)
Resolution der Generalversammlung vom 18. September 2024:
https://news.un.org/en/story/2024/09/1154496
(Übersetzung Zeit-Fragen)
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