Sanktionen: Die Schweiz eifert … und vergisst dann sich selbst!

von Guy Mettan, freier Journalist*

Bei der letzten Konferenz über Sicherheit in Eurasien in Minsk hatte ich die gefürchtete Ehre, das Panel über Sanktionen zu moderieren, in Anwesenheit von Vertretern der am meisten geschmähten und daher am meisten sanktionierten Länder der Welt. Um eine Bestandsaufnahme zu machen, habe ich also ChatGPT, Google und andere gängige Suchmaschinen durchforstet, um zu sehen, wie man sich die Sache dort vorstellt.
  Das Ergebnis ist, gelinde gesagt, ziemlich aufschlussreich. Sehen Sie selbst.
  Das Land, das die meisten Sanktionen auf dem Planeten verhängt, sind, wenig überraschend, die USA. An zweiter Stelle auf dem Siegertreppchen steht die Europäische Union, gefolgt vom Vereinigten Königreich, es folgen Kanada, Australien und erst an sechster Stelle der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Das bedeutet zum einen, dass die überwiegende Mehrheit der Sanktionen von einer Handvoll angelsächsischer Länder verhängt wird – unterwürfig begleitet von ihren europäischen Pudeln – und zum anderen, dass diese Sanktionen einseitig sind, das heisst ausserhalb des Völkerrechts, da im Völkerrecht nur die vom Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen Gesetzeskraft haben. Die Schweiz, die vorgibt, das Völkerrecht zu achten, sollte hier alarmiert sein.
  Auf der anderen Seite stehen die Länder, die am meisten sanktioniert werden. Die Ranglisten setzen in der Regel den Iran an die Spitze, gefolgt von Russland, Nordkorea, Syrien, Venezuela, Kuba, Myanmar und schliesslich Weissrussland, dem Sudan und Simbabwe. Auch dies keine Überraschung. Die beiden Tabellen geben eine hervorragende Zusammenfassung des Krieges, den die angelsächsische Welt gegen ihre vermeintlichen Feinde führt, das heisst gegen das Dutzend Länder, die sich ihrem Suprematismus und ihrem Anspruch auf Weltherrschaft widersetzen.
  China steht nicht auf der Liste: Auf Grund seiner Grösse und der engen Verflechtung seiner Wirtschaft mit der angelsächsischen Globalisierung entgeht es den Sanktionen. Oder vielmehr werden diese durch die Hintertür auf es angewandt, in Form eines Zollkriegs gegen seine Produkte und eines Boykotts seiner Unternehmen unter dem Vorwand der Spionage.
  Seit der militärischen Intervention Russlands in der Ukraine im Jahr 2022 ist das Geschäft mit den Sanktionen förmlich explodiert. Die Webseite Castellum.AI stellt eine Rangliste auf. Und hier belegt die Schweiz – überraschend – den dritten Rang der Länder, welche die meisten Sanktionen verhängen: Von den 19 535 antirussischen Sanktionen, die bis dato verhängt wurden (die Seite wird täglich aktualisiert), wurden 2753 von der Schweiz verhängt (von den USA sind es 4869, von Kanada 3176). Das sind 30 % mehr als die Europäische Union (mit 2130), Frankreich (mit 2071) oder sogar das Vereinigte Königreich (1842), das westliche Land, das mit Abstand am lautesten gegen Russland schimpft. Australien und Japan beschliessen den Reigen mit jeweils weniger als 1400 Sanktionen als Schlusslicht.
  Die Spitzenposition der am meisten sanktionierten Länder gewinnt eindeutig Russland mit fast 22 000 Sanktionen auf seinem Konto, wenn man die vor 2022 verhängten Sanktionen hinzurechnet. Der Iran liegt knapp über 5000, während das bescheidene Syrien mit 2867 Sanktionen die «Bronzemedaille» gewinnt. Nordkorea verfehlt das Podest um 660 Sanktionen, während Weissrussland, Venezuela und Myanmar mit etwas über tausend Sanktionen das Feld schliessen.
  Man könnte darüber lachen – es stimmt aber vielmehr traurig – wenn man feststellt, dass die Schweiz, die immer wieder betont, dass sie sich an Europa orientiere, in Wirklichkeit viel schlimmere Dinge tut und eher die USA nachahmt, zweifellos um ihrem wahren Herrn zu gefallen und ihren Finanzplatz vor den Schikanen zu schützen, die bei der geringsten Verfehlung auf sie niederprasseln würden. Dieser Übereifer, diese Unterwürfigkeit, diese schändliche Feigheit sind für ein Land, das sich als unabhängig bezeichnet, empörend.
  Und das um so mehr, als sich unser Land selbst vergisst, wenn es darum geht, Sanktionen zu verhängen oder andere Länder zu bestrafen, die sich Verbrechen gegen die Demokratie und die Menschenrechte schuldig gemacht haben. 
  Unsere Minister nehmen Anstoss daran, wenn Putin verdächtigt wird, ukrainische Kinder nach Russland zu deportieren, haben aber nichts zu sagen, wenn ein sogenannt demokratisches Land – in diesem Fall Israel – über 18 000 Frauen und Kinder in Gaza und Libanon massakriert. Wahr ist, dass sie auch auch nichts gesagt haben, als in den 1990er Jahren eine halbe Million Kinder an den Folgen der US-Sanktionen im Irak gestorben sind. Sagten Sie Banalität des Bösen? •



Guy Mettan ist Journalist und Abgeordneter im Grossen Rat des Kantons Genf, den er 2010 präsidierte. Er arbeitete für das «Journal de Genève»,  Le Temps stratégique, Bilan, «Le Nouveau Quotidien» und später als Direktor und Chefredaktor der «Tribune de Genève». 1996 gründete er den Swiss Presseclub, dessen Präsident und späterer Direktor er von 1998 bis 2019 war.

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK