von Peter Küpfer
Das Pariser Appellationsgericht hat am 9. November 2024 einen verdienten Forscher und Autor mit kamerunischen Wurzeln unter Nichtbeachtung wichtiger Sachverhalte abgestraft. Seine gut recherchierten Sachbücher dokumentieren seit Jahren, dass die ruandische Tutsi-Minderheit unter dem eisernen Regime von Paul Kagame alles tut, um die wahre Geschichte der ruandischen Katastrophe von 1994, ihre Ursachen und ihre Folgen, zu beschönigen. Die Regierung in Kigali stellt sich dabei, trotz offensichtlicher Demokratie-Defizienzen, als Retterin dar, die im letzten Moment durch ihre Machtübernahme den Massakern ein Ende gesetzt hätte. So edel, wie es in ihren Fibeln und Gedenkstätten steht, war die Wirklichkeit aber nicht.
Sowohl die Prozesstage als auch das Urteil wurden auch in Afrika mit grossem Interesse verfolgt. Der Angeklagte und nun Verurteilte Charles Onana ist dort wegen seiner minutiös recherchierten Bücher bestens bekannt. Er hat in den letzten Jahren immer wieder fundierte Darstellungen über die Dauerkrise im Ostkongo veröffentlicht. In neueren Büchern konnte er mit Zugang zu bisher nicht zugänglichen Archivdokumenten seine Zweifel an Ruandas offizieller Geschichtsklitterung noch besser dokumentieren. Nun hat ihn der lange Arm Kagames getroffen. Kagame-hörige französische Kreise aus der «woken Kultur» mit ihrem schillernden Rassismus-Begriff haben mit Erfolg gegen Onana und seinen Verleger geklagt. Er «leugne» in seinem 2019 erschienen Buch «Rwanda, la vérité sur l'Opération turquoise»1 «den ruandischen Genozid», relativiere ihn und verletze damit die Gefühle der Opferfamilien. Das Appellationsgericht hat der Anklage in allen Punkten Recht gegeben und den Autor mit beträchtlichen Bussen belegt. Jeder, der auch nur schon ein Buch von Onana gelesen hat, kann die Absurdität dieses Urteils ermessen.
Onana ist kein «Negationist»
Onana negiert nicht, dass es damals zu Massakern gekommen ist, denen Hunderttausende zum Opfer gefallen sind. Gestützt auf gründliche Forschung, besteht er aber auf drei unerschütterlichen Tatsachen. Beim «ruandischen Genozid» von 1994, in westlichen Darstellungen immer ausschliesslich als Massaker der Hutu an den Tutsi dargestellt, hat es unter den Opfern auch sehr viele Hutus gegeben, ermordet von Tutsi-Gruppierungen. Sodann haben die Truppen Kagames selbst, vor, nach und während den «100 Tagen von Ruanda», vergleichbare Massaker an den Hutus verübt. Und schliesslich, so Onana, ist es eine sträfliche Vernachlässigung der wahren Gründe der damaligen Katastrophe, wenn man sie ausschliesslich als Folge «des Rassismus» bezeichnet und dabei den Begriff so schwammig fasst, wie es die französischen Organisationen als Vertreter der Anklage zu diesem Thema stereotyp tun. Aus diesen Gründen spricht denn auch die informierte kritische afrikanische Öffentlichkeit mit Empörung von einem peinlichen Urteil. Der im Westen nun von den grossen Medien vehement angegriffene Autor hat sofort erklärt, gegen das Urteil zu rekurrieren.
Es dreht sich alles
um begehrte Bodenschätze
Wie bei allen kriegerischen Gewalt-Exzessen birgt auch hier die Vorgeschichte den Schlüssel zum Verständnis. Im Frühjahr hat die EU mit Ruanda einen Begünstigungspakt unterzeichnet, bei dem es, wenn man das Juristendeutsch etwas entschlüsselt, der EU hauptsächlich darum geht, EU-Europa die langjährige Versorgung mit «kritischen» Rohstoffen zu garantieren. In diesem Falle geht es vor allem um das seltene und auf der ganzen Welt heissbegehrte Tantalit. Ohne Tantalit ist die moderne Rüstungsindustrie nur noch Schrott. Tantalit ist wegen seiner extremen Leitfähigkeit und Hitzebeständigkeit unerlässlich für die Herstellung computertechnologischer Geräte, ausser Handys vor allem leistungsfähige Rechner (inklusive Computerspiel-Konsolen), aber auch Drohnen, Fernlenkwaffen, die Weltraumtechnologie – unentbehrlich überdies für Schutzhüllen von Atomreaktoren. Tantalit ist weltweit selten. Am häufigsten kommt es als Mineralverbindung, dem soge-nannten «Koltan» (Kolombo-Tantalit) vor und muss dann herausgelöst werden.
Ruanda ist Tantalit-Weltmarktleader
– ohne eine einzige eigene Mine
Nun besitzt Ruanda allerdings keine einzige Mine, in welcher sich der Abbau lohnte. Trotzdem ist der Zwergstaat heute weltweit Marktleader von Koltan. Hingegen ist der Ostkongo, insbesondere Nordkivu, übersät von Koltanminen, aus denen Tantalit gewonnen wird. Koltan wird oft im Tagebau gewonnen, Kinderarbeit ist fast überall Standard. Für viele noch nicht vertriebene Bewohner in diesem seit dreissig Jahren bestehenden Kriegsgebiet ist sie die einzige dürftige Einkommensquelle. Viele dieser improvisierten Abbaustellen sind seit Jahrzehnten von anonymen Söldnergruppen besetzt. Sie nennen sich selbst in bewusster Täuschung «Rebellengruppen»; in Wirklichkeit sind sie zur Hauptsache ausländische Söldner in den Diensten internationaler Rohstoff-Konsortien, davon viele unter amerikanischer Regie. Die grösste davon ist die M23. Sie wird nach übereinstimmender Auffassung aller kritischen Experten von Ruanda ausgerüstet und eingesetzt. Viele sprechen in diesem Zusammenhang vom «verlängerten Arm Ruandas im Ostkongo».
Vom Unglück, strategisch wichtige
Stoffe in seinem Urgrund zu haben
Der seit 28 Jahren ununterbrochene Krieg um «strategische Ressourcen» im Ostkongo hat inzwischen nach Angaben von Human Rights Watch an die 10 Millionen menschlicher Opfer gefordert, darunter mehrheitlich Zivilisten, in grosser Zahl Frauen und Kinder. Er ist in den Worten von Charles Onana zum Dauerkrieg zwischen der Demokratischen Republik Kongo und seinem bestens gerüsteten Zwergnachbarn Ruanda mit seiner 120 000 Mann starken Armee geworden.
Die kongolesische Armee hat gegen die Dauerbesetzung von ruandagesteuerten Phantom-Armeen kaum Chancen. Alarmierende Berichte aus dem Ostkongo kreisten in den vergangenen Monaten um Angriffe der «M23»-Söldnerbande in Richtung Goma. Die M23 löst überall, wo sie auftaucht, Panik und wilde Fluchtbewegungen aus. Unsägliches Flüchtlingsleid wurde denn auch diesen Herbst aus der Region Goma gemeldet, mit Konzentration auf die benachbarte Stadt Sake. Wozu dieser Vorstoss?
Mit ihm hat die «M23» nun auch die grösste Koltanmine des Kongo in seiner Gewalt, die Mine von Rubaya. Sie liegt in den koltanreichen Hügeln zwischen Goma und Sake, dort wo wochenweise Raketen- und Artilleriebeschuss herrschte, mit vorwiegend zivilen Zielen. Sie sind inzwischen menschenleer geschossen. Das im riesigen Abbaugebiet Rubaya geförderte Tantalit spült den Besetzern und damit neuerdings Ruanda monatlich 300 000 Dollar Gewinn in die Kassen. Ribaya alleine deckt nach Angabe von Radio France inter 15 % der Weltproduktion von Tantalit. Nach wie vor transportieren auch Frauen und Kinder die schweren Säcke auf unwegsamen, steilen und bei Regen aufgeweichten Bergpfaden auf ihrem Rücken zur nächsten Sammelstelle. Ein erwachsener Minenarbeiter erhielt unter kongolesischen Bedingungen für 14 Stunden Schwerarbeit in den Minen ein Entgelt von 1 US-Dollar, häufige Stollenbrüche blieben sein Risiko. Ob diese Bedingungen unter ruandischer Schirmherrschaft besser geworden sind? Die Schandtaten der «Rebellen»-Gruppierungen werden täglich begangen, das Flüchtlingselend bleibt eine Konstante. Über ostkongolesisches Leiden spricht man nicht. Wenn es unübersehbar wird, schaut man schnell wieder weg. Es ist das, was die Mafia-«Familien» mit dem italienischen Begriff «Omertà» kennzeichnen: Du hast nichts gehört, du hast nichts gesehen, du sagst nichts – sonst …
Das «Gesetz des Schweigens» begünstigt
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Seit Jahren decken mutige Analytiker, Historiker und Politologen das ruandisch-amerikanisch-europäische Lügenkonstrukt auf, unter ihnen todesmutige Afrikaner. Zu dieser Ehrenlegion im Wirtschaftskrieg gehört ganz eindeutig Charles Onana. Sein nun durch den Pariser Gerichtsspruch «verfemtes» Buch ist ein weiteres wichtiges Werk bei der mühseligen Wieder-Herstellung der Realitäten.
Über das Thema des ruandischen Blut-Frühlings 1994 und seine Folgen hat Zeit-Fragen schon früher ausführlich berichtet.2 Onana leugnet den Sachverhalt der 1994 begangenen Massaker in Ruanda keineswegs. Aber er zeigt und begründet mit Fakten und Dokumenten, dass bei den Massakern des Jahres 1994 in Ruanda nicht nur Angehörige der Tutsi-Bevölkerung getötet wurden, sondern auch der Hutu und der Twa. Onana kommt zum Schluss, dass die Massaker gegenseitig erfolgten und dass, wenn man alle Opfer auf der Hutu-Seite betrachtet, sie zahlenmässig denen auf Seiten der Tutsi gleich kamen oder diese sogar noch überragten. Kagames Bürgerkriegstruppen hatten in dem von ihnen geführten Krieg gegen ihre eigenen Landsleute, von 1990–1994, systematisch schreckliche Verbrechen an der Hutu-Zivilbevölkerung begangen. Die Männer der mehrheitlich von Hutus bewohnten rückeroberten Siedlungen wurden oft massen-exekutiert, Frauen und Kinder gefangengenommen. Dies bezeugt Onana in anderen seiner Analysen und wird auch von namhaften anderen Autoren bezeugt, auch im sogenannten «Mapping-Bericht» der Uno, der auf Internet jedem Interessierten Namen, Daten und Fakten zugänglich macht (Mapping Report A/HRC/25/53, englisch und französisch).
Die Schweizer Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda in Arusha, Carla de Ponte, hatte zu zehn schwerwiegenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen von hochgestellten Offizieren der Tutsi-Bürgerkriegsarmee, prozessreife Beweise in ihrer Hand. Auf allerhöchste Intervention des amerikanischen Präsidenten wurden ihr die entsprechenden Anklagen untersagt. Als sie sich dagegen wehrte, wurde ihr Mandat nicht mehr erneuert (siehe Kasten). Auch hatte der FPR durch seine Machtübernahme dem Morden in den «Hundert Tagen» vom 6. April bis 12. Juli 1994 in Ruanda keineswegs Einhalt geboten, wie Kagame bei jeder Gelegenheit beteuert. Seine Truppen hatten seit Wochen die Hauptstadt Kigali umzingelt, liessen aber dem Gemetzel lange Wochen seinen Lauf.
Dass Kagame erst jetzt gerichtlich gegen Onana vorgeht, gerade gegen dieses Buch und kein anderes, liegt nicht im Anliegen, den Tutsi-Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sondern es ist der Versuch, eine Stimme zum Schweigen zu bringen, welche die schreckliche Vorgeschichte und die genauen Umstände der Katastrophe von 1994 benennt und dokumentiert. Onana hat die Verantwortung der ruandischen Regierung in zahlreichen Studien aufgedeckt. Dass Ruanda nun gerade das Buch von 2019 zum Vorwand nimmt, seinen Ruf zu schmälern, hat rein taktische Gründe. In Onanas neuestem Buch Holocauste au Congo (2023, ISBN 9782810011452) stellt er auf 480 Seiten dar, dass es in unserer Jetztzeit einen Holocaust an der ostkongolesischen Zivilbevölkerung gibt, an dem von Ruanda gesteuerte Söldner und ihre anonymen Ausrüster im Westen ihre schwere Verantwotung tragen, aber auch die auch hier blinde EU-Kommission, die mit dieser Regierung Blut-Abkommen trifft und alles nicht Gesagte zwar weiss, aber ausblendet. •
1 Onana, Charles. La Vérité sur l'Opération Turquoise. Quand les archives parlent, L'Artilleur, 2019, ISBN 2810009171 (Die Wahrheit über die Operation Turquoise. Wenn die Archive sprechen), frz. Ausgabe erhältlich über Fnac Schweiz
2 «Die USA setzen auf die ruandische Karte; Kongo – Kleptokratie ohne Ende? Teil IV», in: Zeit-Fragen Nr. 3 vom 30.1.2018; «Der Dauerkrieg im Ostkongo beruht auf einem Lügenkonstrukt», in: Zeit-Fragen Nr. 9 vom 30.4.2024
«Um es ganz deutlich auszudrücken – wir konnten nicht gegen die Tutsi ermitteln, weil uns die von Tutsi dominierte Regierung mit ihrem Präsidenten Kagame, einem General des FPR zu seinen schlimmsten Zeiten, systematisch daran hinderte – aber vor allem, weil die USA und Grossbritannien die Ruander in ihrer Verweigerung unterstützten. Kagame hatte bei der Verfolgung der Morde durch die Hutu kooperiert, stellte aber jegliche Zusammenarbeit ein, sobald es um die von den Tutsi begangenen Massaker ging. Und mit dieser Haltung kam er dank seiner amerikanischen und britischen Freunde durch, obwohl er gemäss Statut zur Kooperation verpflichtet war. […] Ich bedaure, dass das Ruanda-Tribunal wegen ihnen nie wirklich unabhängig arbeiten und seine Pflicht gegenüber den Opfern der anderen Seite erfüllen konnte.» (Carla del Ponte: Ich bin keine Heldin. Mein langer Kampf für Gerechtigkeit. Frankfurt/Main 2021, S. 84f.)
Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.