13. Das Gericht erinnert zunächst an den unmittelbaren Kontext, in dem es mit der vorliegenden Rechtssache befasst wurde. Am 7. Oktober 2023 verübten die Hamas und andere bewaffnete Gruppen im Gaza-Streifen einen Angriff auf Israel, bei dem mehr als 1200 Menschen getötet, Tausende verletzt und etwa 240 Personen entführt wurden, von denen viele weiterhin als Geiseln festgehalten werden. Im Anschluss an diesen Angriff leitete Israel eine gross angelegte Militäroperation im Gaza-Streifen zu Lande, zu Wasser und in der Luft ein, die zu massiven Opfern unter der Zivilbevölkerung, zur weitgehenden Zerstörung der zivilen Infrastruktur und zur Vertreibung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung im Gaza-Streifen führt. Das Gericht ist sich des Ausmasses der menschlichen Tragödie, die sich in der Region abspielt, voll bewusst und ist zutiefst besorgt über den anhaltenden Verlust von Menschenleben und das menschliche Leid.
30. Im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens ist das Gericht nicht verpflichtet, festzustellen, ob es zu Verletzungen der Verpflichtungen Israels aus der Völkermordkonvention gekommen ist. Eine solche Feststellung könnte das Gericht erst im Stadium der Prüfung der Begründetheit des vorliegenden Falles treffen. Wie bereits festgestellt, hat das Gericht im Stadium des Erlasses eines Beschlusses über einen Antrag auf Erlass vorsorglicher Massnahmen festzustellen, ob die vom Antragsteller beanstandeten Handlungen und Unterlassungen unter die Bestimmungen der Völkermordkonvention zu fallen scheinen. Nach Ansicht des Gerichts scheinen zumindest einige der Handlungen und Unterlassungen, die Südafrika Israel in Gaza vorwirft, unter die Bestimmungen der Konvention zu fallen.
46. Das Gericht stellt fest, dass die von Israel nach dem Angriff vom 7. Oktober 2023 durchgeführte Militäroperation zu einer grossen Zahl von Toten und Verletzten sowie zur massiven Zerstörung von Häusern, zur gewaltsamen Vertreibung des grössten Teils der Bevölkerung und zu umfangreichen Schäden an der zivilen Infrastruktur geführt hat. Zwar können die Zahlen für den Gaza-Streifen nicht unabhängig überprüft werden, doch nach jüngsten Informationen wurden 25 700 Palästinenser getötet, über 63 000 verletzt, mehr als 360 000 Wohneinheiten zerstört oder teilweise beschädigt und etwa 1,7 Millionen Menschen vertrieben.
47. Das Gericht nimmt in diesem Zusammenhang die Erklärung des Untergeneralsekretärs der Vereinten Nationen für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinator, Herrn Martin Griffiths, vom 5. Januar 2024 zur Kenntnis:
«Gaza ist zu einem Ort des Todes und der Verzweiflung geworden.
Familien schlafen im Freien, während die Temperaturen sinken. Gebiete, in welche die Zivilbevölkerung zu ihrer Sicherheit umgesiedelt werden sollte, werden bombardiert. Medizinische Einrichtungen werden unerbittlich angegriffen. Die wenigen Krankenhäuser, die teilweise noch funktionsfähig sind, sind mit Traumafällen überlastet, haben kaum noch Vorräte und werden von verzweifelten Menschen überschwemmt, die Sicherheit suchen.
Eine Katastrophe für die öffentliche Gesundheit bahnt sich an. Infektionskrankheiten breiten sich in den überfüllten Unterkünften aus, da die Kanalisation überläuft. Inmitten dieses Chaos werden jeden Tag etwa 180 Kinder von palästinensischen Frauen geboren. Die Menschen sind mit der grössten Ernährungsunsicherheit konfrontiert, die je verzeichnet wurde. Eine Hungersnot steht vor der Tür.
Vor allem für Kinder waren die letzten 12 Wochen traumatisch: Kein Essen. Kein Wasser. Keine Schule. Nichts als die schrecklichen Geräusche des Krieges, tagein, tagaus.
Der Gaza-Streifen ist einfach unbewohnbar geworden. Die Menschen dort sind täglich mit der Bedrohung ihrer Existenz konfrontiert – und die Welt schaut zu.»
48. Nach einer Mission im nördlichen Gaza-Streifen berichtete die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass am 21. Dezember 2023 «eine beispiellose Zahl, 93 % der Bevölkerung, im Gaza-Streifen krisenhaft unter Hunger leidet, unzureichender Ernährung und einem hohen Mass an Unterernährung. Mindestens einer von vier Haushalten befindet sich in einer ‹katastrophalen Situation›, d.h. er leidet unter extremem Nahrungsmittelmangel und Hunger und ist gezwungen, seine Besitztümer zu verkaufen und andere extreme Massnahmen zu ergreifen, um sich eine einfache Mahlzeit leisten zu können. Hunger, Elend und Tod sind offensichtlich.»
49. Das Gericht nimmt ferner Kenntnis von der Erklärung des Generalkommissars des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), Philippe Lazzarini, vom 13. Januar 2024:
«Es sind 100 Tage vergangen, seit der verheerende Krieg begann, in dem Menschen in Gaza getötet und vertrieben wurden, nachdem die Hamas und andere Gruppen schreckliche Angriffe auf Menschen in Israel verübt hatten. Es waren 100 Tage voller Qualen und Angst für die Geiseln und ihre Familien.
In den letzten 100 Tagen haben die anhaltenden Bombardierungen im Gaza-Streifen zur Massenvertreibung einer Bevölkerung geführt, die sich ständig auf der Flucht befindet und ständig entwurzelt und gezwungen wird, sich über Nacht auf den Weg zu machen, nur um dann an ebenso unsichere Orte zu ziehen. Dies ist die grösste Vertreibung des palästinensischen Volkes seit 1948.
Das alles wurde mehr als 2 Millionen Menschen zugefügt, der gesamten Bevölkerung des Gaza-Streifens. Viele werden ein Leben lang Narben tragen, sowohl physisch als auch psychisch. Die grosse Mehrheit, die Kinder miteingeschlossen, ist zutiefst traumatisiert.
Überfüllte und unhygienische UNRWA-Unterkünfte sind inzwischen für mehr als 1,4 Millionen Menschen ein ‹Zuhause› geworden. Es mangelt ihnen an allem, von Nahrung über Hygiene bis hin zur Privatsphäre. Die Menschen leben unter unmenschlichen Bedingungen, wo sich Krankheiten ausbreiten, auch unter Kindern. Sie leben unter unzumutbaren Verhältnissen, und die Uhr tickt schnell in Richtung Hungersnot.
Die Notlage der Kinder in Gaza ist besonders herzzerreissend. Eine ganze Generation von Kindern ist traumatisiert und wird Jahre brauchen, um genesen zu können. Tausende wurden getötet, verstümmelt und zu Waisen gemacht. Hunderttausende haben keine Chance auf Bildung. Ihre Zukunft ist in Gefahr, mit weitreichenden und lang anhaltenden Folgen.»
50. Der Generalkommissar des UNRWA erklärte ausserdem, dass die Krise in Gaza «durch eine entmenschlichende Sprache verschärft wird».
51. In diesem Zusammenhang hat das Gericht eine Reihe von Erklärungen hoher israelischer Beamter zur Kenntnis genommen. Es weist insbesondere auf die folgenden Beispiele hin:
52. Am 9. Oktober 2023 gab der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant bekannt, dass er eine «vollständige Belagerung» von Gaza-Stadt angeordnet habe und dass es «keinen Strom, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff» geben werde und dass «alles geschlossen [sei]». Am folgenden Tag erklärte Minister Gallant vor den israelischen Truppen an der Grenze zum Gaza-Streifen:
«Ich habe alle Einschränkungen aufgehoben. Sie haben gesehen, wogegen wir kämpfen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere. Das ist die ISIS von Gaza. Das ist es, was wir bekämpfen […]. Gaza wird nicht mehr so sein wie vorher. Es wird keine Hamas mehr geben. Wir werden alles vernichten. Wenn es nicht einen Tag dauert, wird es eine Woche dauern, es wird Wochen oder sogar Monate dauern, wir werden alle Orte erreichen.»
Am 12. Oktober 2023 erklärte Isaac Herzog, Präsident Israels, in bezug auf den Gaza-Streifen:
«Wir arbeiten und operieren militärisch nach den Regeln des internationalen Rechts. Unzweideutig. Es ist eine ganze Nation da draussen, die verantwortlich ist. Es ist nicht wahr, dass die Zivilbevölkerung nichts weiss und nicht beteiligt ist. Das ist absolut nicht wahr. Sie hätten sich erheben können. Sie hätten gegen das böse Regime kämpfen können, das den Gaza-Streifen durch einen Staatsstreich übernommen hat. Aber wir sind im Krieg. Wir sind im Krieg. Wir sind im Krieg. Wir verteidigen unsere Häuser. Wir schützen unsere Häuser. Das ist die Wahrheit. Und wenn eine Nation ihre Heimat schützt, dann kämpft sie. Und wir werden kämpfen, bis wir ihnen das Rückgrat brechen.»
Am 13. Oktober 2023 erklärte der damalige israelische Minister für Energie und Infrastruktur, Israel Katz, auf X (früher Twitter):
«Wir werden die Terrororganisation Hamas bekämpfen und sie zerstören. Die gesamte Zivilbevölkerung in Gaza wird aufgefordert, die Stadt sofort zu verlassen. Wir werden siegen. Sie werden keinen Tropfen Wasser oder keine einzige Batterie erhalten, bis sie die Welt verlassen.»
53. Das Gericht nimmt auch eine Pressemitteilung vom 16. November 2023 zur Kenntnis, die von 37 Sonderberichterstattern, unabhängigen Sachverständigen und Mitgliedern von Arbeitsgruppen der Sonderverfahren des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen herausgegeben wurde, in der sie ihre Besorgnis über die «erkennbar völkermörderische und entmenschlichende Rhetorik von hochrangigen israelischen Regierungsvertretern» zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus stellte der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Rassendiskriminierung am 27. Oktober 2023 fest, dass er «sehr besorgt über die starke Zunahme rassistischer Hassreden und der Entmenschlichung von Palästinensern seit dem 7. Oktober» sei.
59. Das Gericht ist der Auffassung, dass zumindest einige der von Südafrika beantragten vorsorglichen Massnahmen ihrem Wesen nach darauf abzielen, die plausiblen Rechte zu wahren, die es im vorliegenden Fall auf der Grundlage der Völkermordkonvention geltend macht, nämlich das Recht der Palästinenser in Gaza, vor Völkermord und damit zusammenhängenden verbotenen Handlungen, die in Artikel III genannt werden, geschützt zu werden, und das Recht Südafrikas, die Einhaltung der Verpflichtungen Israels aus der Konvention zu verlangen. Daher besteht eine Verbindung zwischen den von Südafrika geltend gemachten Rechten, die das Gericht für plausibel hält, und zumindest einigen der beantragten vorsorglichen Massnahmen.
66. In Anbetracht der grundlegenden Werte, die durch die Völkermordkonvention geschützt werden sollen, ist das Gericht der Auffassung, dass die plausiblen Rechte, um die es in diesem Verfahren geht, nämlich das Recht der Palästinenser im Gaza-Streifen, vor Völkermord und damit zusammenhängenden verbotenen Handlungen, die in Artikel III der Völkermordkonvention genannt werden, geschützt zu werden, und das Recht Südafrikas, die Einhaltung der Verpflichtungen Israels aus der Konvention zu verlangen, so beschaffen sind, dass ihre Beeinträchtigung einen nicht wieder gutzumachenden Schaden verursachen kann.
67. Während des laufenden Konflikts haben hochrangige Vertreter der Vereinten Nationen wiederholt auf die Gefahr einer weiteren Verschlechterung der Bedingungen im Gaza-Streifen hingewiesen. Das Gericht nimmt beispielsweise das Schreiben vom 6. Dezember 2023 zur Kenntnis, mit dem der Generalsekretär der Vereinten Nationen dem Sicherheitsrat die folgenden Informationen zur Kenntnis brachte:
«Das Gesundheitssystem in Gaza bricht zusammen.
In Gaza ist man nirgendwo sicher.
Angesichts des ständigen Bombardements durch die israelischen Streitkräfte und der Tatsache, dass es weder Unterkünfte noch das Nötigste zum Überleben gibt, rechne ich damit, dass die öffentliche Ordnung auf Grund der verzweifelten Lage bald völlig zusammenbrechen wird, so dass selbst begrenzte humanitäre Hilfe unmöglich ist. Die Situation könnte sich sogar noch verschlimmern, einschliesslich epidemischer Krankheiten und eines verstärkten Drucks zur Massenvertreibung in die Nachbarländer.
Es besteht die ernste Gefahr eines Zusammenbruchs des humanitären Systems. Die Situation entwickelt sich schnell zu einer Katastrophe mit möglicherweise irreversiblen Folgen für die Palästinenser insgesamt und für Frieden und Sicherheit in der Region. Ein solches Ergebnis muss unter allen Umständen vermieden werden.»
68. Am 5. Januar 2024 richtete der Generalsekretär erneut ein Schreiben an den Sicherheitsrat, in dem er über die aktuelle Lage im Gaza-Streifen berichtete und feststellte, dass «das verheerende Ausmass an Tod und Zerstörung anhält».
69. Das Gericht nimmt auch die Erklärung des UNRWA-Generalkommissars vom 17. Januar 2024 zur Kenntnis, die er nach seiner Rückkehr von seinem vierten Besuch im Gaza-Streifen seit Beginn des derzeitigen Konflikts in Gaza abgegeben hat: «Jedes Mal, wenn ich den Gaza-Streifen besuche, erlebe ich, wie die Menschen immer mehr in Verzweiflung versinken und der Kampf ums Überleben jede Stunde in Anspruch nimmt.»
70. Das Gericht ist der Auffassung, dass die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen weiterhin extrem gefährdet ist. Es erinnert daran, dass die von Israel nach dem 7. Oktober 2023 durchgeführte Militäroperation unter anderem zu Zehntausenden von Toten und Verletzten und zur Zerstörung von Häusern, Schulen, medizinischen Einrichtungen und anderer lebenswichtiger Infrastruktur sowie zu massiven Vertreibungen geführt hat. Das Gericht stellt fest, dass die Operation andauert und dass der israelische Premierminister am 18. Januar 2024 ankündigte, dass der Krieg «noch viele lange Monate dauern wird». Derzeit haben viele Palästinenser im Gaza-Streifen keinen Zugang zu den grundlegendsten Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Strom, lebenswichtigen Medikamenten oder Heizung.
71. Die WHO schätzt, dass bei 15 Prozent der Frauen, die im Gaza-Streifen entbinden, Komplikationen auftreten werden, und weist darauf hin, dass die Sterblichkeitsrate von Müttern und Neugeborenen auf Grund des fehlenden Zugangs zu medizinischer Versorgung voraussichtlich steigen wird.
72. Unter diesen Umständen ist das Gericht der Auffassung, dass die katastrophale humanitäre Lage im Gaza-Streifen ernsthaft Gefahr läuft, sich weiter zu verschlechtern, bevor das Gericht sein endgültiges Urteil fällt.
75. Das Gericht kommt auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen zu dem Schluss, dass die in seiner Satzung vorgesehenen Voraussetzungen für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen erfüllt sind. Es ist daher erforderlich, dass das Gericht bis zu seiner endgültigen Entscheidung bestimmte Massnahmen anordnet, um die von Südafrika geltend gemachten Rechte zu schützen, die das Gericht für plausibel hält.
78. Das Gericht ist der Auffassung, dass Israel angesichts der oben beschriebenen Situation in Übereinstimmung mit seinen Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention in bezug auf die Palästinenser in Gaza alle in seiner Macht stehenden Massnahmen ergreifen muss, um die Begehung aller Handlungen zu verhindern, die in den Anwendungsbereich von Artikel II dieser Konvention fallen, insbesondere: (a) die Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (b) die Verursachung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden bei Mitgliedern der Gruppe; (c) die vorsätzliche Zufügung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die darauf abzielen, ihre physische Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; und (d) die Auferlegung von Massnahmen zur Verhinderung von Geburten innerhalb der Gruppe. Das Gericht erinnert daran, dass diese Handlungen in den Anwendungsbereich von Artikel II der Konvention fallen, wenn sie in der Absicht begangen werden, eine Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Das Gericht ist ferner der Ansicht, dass Israel mit sofortiger Wirkung sicherstellen muss, dass seine Streitkräfte keine der oben beschriebenen Handlungen begehen.
79. Das Gericht ist auch der Auffassung, dass Israel alle in seiner Macht stehenden Massnahmen ergreifen muss, um die direkte und öffentliche Aufforderung zum Völkermord an Mitgliedern der palästinensischen Gruppe im Gaza-Streifen zu verhindern und zu bestrafen.
80. Das Gericht ist ferner der Auffassung, dass Israel sofortige und wirksame Massnahmen ergreifen muss, um die dringend benötigte Grundversorgung und humanitäre Hilfe zu ermöglichen, um die schlechten Lebensbedingungen der Palästinenser im Gaza-Streifen zu verbessern.
81. Israel muss auch wirksame Massnahmen ergreifen, um die Zerstörung von Beweismaterial zu verhindern und die Sicherung von Beweisen zu gewährleisten, die im Zusammenhang mit den Anschuldigungen stehen, Handlungen gegen Mitglieder der palästinensischen Gruppe im Gaza-Streifen begangen zu haben, die in den Anwendungsbereich von Artikel II und Artikel III der Völkermordkonvention fallen.
82. In bezug auf die von Südafrika beantragte vorsorgliche Massnahme, dass Israel dem Gericht einen Bericht über alle Massnahmen vorlegen muss, die zur Umsetzung seines Beschlusses ergriffen wurden, erinnert das Gericht daran, dass es gemäss Artikel 78 der Verfahrensordnung befugt ist, die Parteien aufzufordern, Informationen zu allen Fragen im Zusammenhang mit der Durchführung der von ihm angegebenen vorsorglichen Massnahmen vorzulegen. In Anbetracht der von ihm beschlossenen besonderen vorsorglichen Massnahmen ist das Gericht der Auffassung, dass Israel dem Gericht innerhalb eines Monats nach Erlass dieses Beschlusses einen Bericht über alle Massnahmen vorlegen muss, die zur Umsetzung dieses Beschlusses getroffen wurden. Dieser Bericht wird anschliessend Südafrika übermittelt, das Gelegenheit erhält, dem Gericht seine diesbezüglichen Stellungnahmen zu unterbreiten.
83. Das Gericht erinnert daran, dass seine Anordnungen über vorsorgliche Massnahmen nach Artikel 41 der Satzung verbindliche Wirkung haben und somit völkerrechtliche Verpflichtungen für jede Partei schaffen, an die die vorsorglichen Massnahmen gerichtet sind.
85. Das Gericht hält es für notwendig zu betonen, dass alle am Konflikt im Gaza-Streifen beteiligten Parteien an das Humanitäre Völkerrecht gebunden sind. Es ist zutiefst besorgt über das Schicksal der Geiseln, die während des Angriffs in Israel am 7. Oktober 2023 entführt wurden und seitdem von der Hamas und anderen bewaffneten Gruppen festgehalten werden, und fordert ihre sofortige und bedingungslose Freilassung.
86. Aus diesen Gründen ordnet das Gericht die folgenden vorsorglichen Massnahmen an:
(1) Mit fünfzehn gegen zwei Stimmen:
Der Staat Israel hat in Übereinstimmung mit seinen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes in bezug auf die Palästinenser im Gaza-Streifen alle in seiner Macht stehenden Massnahmen zu ergreifen, um die Begehung aller in den Anwendungsbereich von Artikel II dieses Übereinkommens fallenden Handlungen zu verhindern, insbesondere:
(a) die Tötung von Mitgliedern der Gruppe;
(b) die Verursachung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden bei Mitgliedern der Gruppe;
(c) die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre vollständige oder teilweise physische Zerstörung herbeizuführen, und
(d) die Auferlegung von Massnahmen zur Verhinderung von Geburten innerhalb der Gruppe;
(2) Mit fünfzehn gegen zwei Stimmen:
Der Staat Israel hat mit sofortiger Wirkung sicherzustellen, dass seine Streitkräfte keine der unter Punkt 1 beschriebenen Handlungen begehen;
(3) Mit sechzehn Stimmen bei einer Gegenstimme:
Der Staat Israel hat alle in seiner Macht stehenden Massnahmen zu ergreifen, um die direkte und öffentliche Anstiftung zum Völkermord an Mitgliedern der palästinensischen Gruppe im Gaza-Streifen zu verhindern und zu bestrafen;
(4) Mit sechzehn Stimmen bei einer Gegenstimme:
Der Staat Israel hat sofortige und wirksame Massnahmen zu ergreifen, um die Bereitstellung dringend benötigter grundlegender Dienstleistungen und humanitärer Hilfe zu ermöglichen, um die widrigen Lebensbedingungen der Palästinenser im Gaza-Streifen zu verbessern;
(5) Mit fünfzehn gegen zwei Stimmen:
Der Staat Israel hat wirksame Massnahmen zu ergreifen, um die Zerstörung von Beweismaterial zu verhindern und die Sicherung von Beweismaterial zu gewährleisten, das im Zusammenhang mit den Anschuldigungen steht, Handlungen gegen Mitglieder der palästinensischen Gruppe im Gaza-Streifen begangen zu haben, die in den Anwendungsbereich von Artikel II und Artikel III des Übereinkommens über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes an Mitgliedern der palästinensischen Gruppe im Gaza-Streifen fallen;
(6) Mit fünfzehn gegen zwei Stimmen:
Der Staat Israel hat dem Gericht innerhalb eines Monats ab dem Datum dieses Beschlusses einen Bericht über alle Massnahmen vorzulegen, die zur Umsetzung dieses Beschlusses getroffen wurden. •
Quelle: https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20240126-ord-01-00-en.pdf
(Übersetzung Zeit-Fragen)
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