In deutschsprachigen Ländern weitgehend unbekannt, jedoch in viele Sprachen übersetzt und im arabischen Raum hochgeschätzt, gelten die Gedichte des palästinensischen Dichters Mahmud Darwisch (1941–2008) als die «poetische Stimme seines Volkes». Seine Dichtung wird als Ausdruck der palästinensischen Identität, als Band zwischen den Menschen verstanden. Sie ist vom Ethos getragen, die Würde als Mitmensch zu wahren und die eigene Sprache und Kultur zum Klingen zu bringen. In dem unten wiedergegebenen Gedicht reicht Darwisch über die leidvolle Geschichte Palästinas hinweg die Hand zu Verständnis und menschlicher Verbindung.
Darwischs Leben umfasste einen grossen Teil der Geschichte seines Landes nach der Gründung des Staates Israel. Er erlebte als Kind die Vertreibung («Nakba» 1948), seine Familie kehrte 1949 «illegal» wieder zurück. In der Schule fand er Zugang zu den Klassikern der Weltliteratur. Er arbeitete zunächst als Kulturredakteur bei verschiedenen Zeitungen. Bereits seine frühen Gedichte («Ölbaumblätter») machten ihn in der arabischen Welt bekannt. 1970 verliess der junge Dichter nach mehreren Inhaftierungen Israel. Darwisch lebte jahrelang im Exil. Von 1987–1993 war er Mitglied des palästinensischen Nationalrats. Er trat wegen des Oslo-Abkommens (Besatzungsfrage) aus der PLO aus. Von 1996 an lebte er in Amman (Jordanien) und Ramallah (Palästina).
Seine Dichtung findet eine bildhafte Sprache, sie greift erlebte Unterdrückung und Exil auf und lässt Gegenbilder eines gleichwertigen Zusammenlebens entstehen. «Ein grosses metaphorisches Leitbild eint diese Gedichte – die Beziehung zum ‹anderen›. In ihnen beschwört Darwisch wie kaum ein anderer die Vision eines grossen gerechten Friedens, der den Dialog zwischen zwei Stimmen und zwei Sichtweisen fördert, ohne dass sich die eine der anderen gewaltsam aufzwingt.» (schreibt Übersetzer Adel Karasholi)
Mahmud Darwisch hielt Lesungen vor überfüllten Sälen, oft begleitet von Musik. Viele seiner Gedichte wurden vertont. Es ist ein Erlebnis, auch für den des Arabischen unkundigen Hörer, die Musikalität dieser Sprache mitzuempfinden (verschiedene Beispiele finden sich auf YouTube). Vielleicht vergleichbar mit der Verbreitung der Gedichte und Lieder von Mikis Theodorakis in Griechenland ist ihre Kenntnis nicht auf intellektuelle Kreise beschränkt, sondern sie lebt in der gesamten Bevölkerung.
(Quelle: Belagerungszustand, Beirut 2002)
An einen dritten Wächter [im Gefängnis]
Ich werde dich lehren zu warten
Auf einer steinernen Gartenbank. Vielleicht
Tauschen wir da unsere Namen aus. Vielleicht
Bemerkst du plötzlich zwischen uns
Eine unerwartete Ähnlichkeit:
Du hast eine Mutter
Und ich habe eine Mutter
Und wir haben einen gemeinsamen Regen
Und einen einzigen Mond
Und eine kurze Abwesenheit vom Bankett
Aus: Mahmud Darwisch. Wo du warst und wo du bist.
Aus dem Arabischen von Adel Karasholi. München:
A1 Verlag, ISBN 3-927743-71-2 (vergriffen)
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