Nach den Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo

Eine Auslegeordnung

von Peter Küpfer

Die Welt staunte, einige schäumten, für viele ist es ein Hoffnungsschimmer: Drei afrikanische Länder in der Sahelzone, Mali, Burkina Faso und Niger, haben erfolgreich nicht nur einen Aufstand gegen Regimes durchgeführt, die zuvor auf den «entfesselten Welthandel» nach westlichem Muster ausgerichtet waren. Sie haben diese Aufkündigung des Konsenses auch gegen militärische Drohungen und wirtschaftliche Sanktionen erfolgreich behauptet. Kürzlich ging die Meldung um die Welt, dass sich diese drei untereinander solidarisch auftretenden Sahelländer (Association des Etats du Sahel, AES) auch aus der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) verabschieden. Es handelt sich dabei im wesentlichen um eine Aufkündigung der für sie nicht entwicklungsfähigen Strukturen (sie sind der EU nachgebildet). Sie entsprechen jenen des modernen Neo-Kolonialismus.1

Die aktuellen Wahlen in der
 Demokratischen Republik Kongo (DRK) –
Hochburg der USA in Zentralafrika

Kurz vor Weihnachten (20. Dezember 2023) bestellte die Demokratische Republik Kongo durch allgemeine Wahlen ihre politischen Mandate und Gremien neu: den Präsidenten, die Nationalversammlung (Parlament) und die Behörden der Provinzen sowie der Gemeinden. Am meisten beschäftigte die Wähler und westliche Medien die Frage, ob Felix Tshisekedi eine zweite Amtszeit schaffen würde. Seine Leistungsbilanz wird allgemein als mager bezeichnet. Oppositionelle Kreise, aber auch die in diesem Land zu Recht besonders respektierte und mutige Bischofskonferenz (CENCO), machten auch diesmal auf schwerwiegende Mängel im Wahlverfahren aufmerksam. Die Bischöfe bezeichneten die Ergebnisse der Wiederwahl Tshisekedis mit offiziell 73 % der Stimmen als «katastrophal» verfälscht. Dabei erwähnten sie nicht nur die geringe Stimm-beteiligung von lediglich 40 % (die Mehrheit der Stimmberechtigten blieb dieser Wahl also fern), sondern auch schwerwiegende Pannen und Manipulationen der Ergebnisse.2 Davon unberührt hat inzwischen die staatliche Wahlbehörde das Wahlergebnis geprüft und bestätigt.

Fälschungen prägen auch diese Wahlen

Felix Tshisekedi ist der Sohn des 2017 verstorbenen Etienne Tshisekedi, des Gründers der UDPS (Partei für Demokratie und sozialen Fortschritt). Etienne Tshisekedi war schon zu Mobutus späteren Zeiten (ab 1979) eine Identifikationsfigur der Opposition. Sein Sohn Felix Tshisekedi schaffte nun für sein zweites Mandat seine Bestätigung mit dem für viele überraschend hohen offiziellen Resultat von 73 %, dies gegen eine stattliche Zahl von valablen Gegenkandidaten. Darunter ragte Martin Fayulu heraus, immer noch Hoffnungsträger der Opposition seit den Wahlen vor fünf Jahren. Schon bei Felix Tshisekedis Erstwahl von 2018 hatte sich die Bischofskonferenz  äusserst kritisch vernehmen lassen. Ihren eigenen Ergebnissen nach (sie hatte schon damals über das ganze Gebiet des Kongo ihre eigenen, verlässlichen Wahlbeobachter im Einsatz) habe «ein anderer Kandidat die Wahlen gewonnen, nicht Tshisekedi». Es fiel der damaligen Wählerschaft nicht schwer, diesen anderen als Martin Fayulu zu erkennen. Bei den jetzigen Wahlen sollen Fayulu indes nur ganz wenige Stimmen zugefallen sein. Es ist dabei zu erinnern: Vor fünf Jahren war es Felix Tshisekedi (damals Präsident der UDPS wie sein Vater), der vor der Wahl 2018 die getroffene Absprache der wichtigsten oppositionellen Kräfte zugunsten Fayulus am Tag nach seiner Unterschrift gebrochen hatte, um dann selbst zu kandidieren.
  Ein ähnlich schwer glaubhaftes Minimalresultat erreichte auch Gegenkandidat Moïse Katumbi sowie, immer den offiziellen Zahlen zufolge, der Aussenseiterkandidat und Nobel-preisträger Denis Mukwege. Der Arzt und Klinikleiter hatte im unsicheren Ostkongo (in Bukavu) sein inzwischen berühmtes Spital Panzi aufgebaut, das sich mit grösster Sorgfalt besonders der physisch und psychisch schwer verletzten Frauen annimmt, die meisten von ihnen Opfer von Vergewaltigungen bewaffneter Gruppen. Sie sind neben den Kindern die hauptsächlichen Leidtragenden der Situation, dass im Ostkongo bewaffnete Banden weiterhin systematisch und ungestört wehrlose Dörfer überfallen. Sie lassen sich dort seit Jahren sadistische Greueltaten auch gegen die Zivilbevölkerung zuschulden kommen. Über diese humanitäre Katastrophe ist in unseren Medien wenig zu lesen, entsprechende Uno-Rapporte mit dokumentierten unfassbar sadistischen Exzessen schlummern seit 30 Jahren folgenlos in den Archiven.
  Die meisten dieser kriminellen Gruppen sind mit der illegalen Gewinnung von heute besonders begehrten Rohstoffen wie Lithium (für Autobatterien) und Koltan (für Handys) verbandelt. Die kongolesischen «Sicherheitskräfte» betreiben aktives Wegsehen. In offiziellen Uno-Berichten wurde der Vorwurf erhärtet, dass an solchen illegalen Transaktionen sowohl Offiziere der kongolesischen Truppen als auch Uno-Überwachungskontingente (MONUC) beteiligt waren, auch an Massenvergewaltigungen. Der anhaltende Terror gegen die Zivilbevölkerung kann dabei nach Meinung seriöser Experten nur den einen «Sinn» haben: Der Ostkongo soll entvölkert werden. Inzwischen sind wieder Tausende von Vertriebenen unterwegs in eine völlig unsichere Zukunft, ein Bild wie zu Beginn der Kongo-Kriege in den späten neunziger Jahren.

Der ewige Krieg im Ostkongo –
 «Wir haben ihn bis hier oben satt!»

Unter diesen Umständen fragt man sich, wie Tshisekedi sein Haupt-Wahlversprechen einlösen will. Er hatte es schon vor fünf Jahren abgegeben, unter «heiligen» Schwüren: Er werde sich mit ganzer Kraft, ja, «mit seinem eigenen Leben» dafür einsetzen, dass im Ostkongo endlich Frieden einkehre. Dessen ungeachtet ist dieser mörderische Krieg im Ostkongo fünf Jahre lang ungehindert weitergegangen, hat sogar an Zerstörungskraft zugenommen.
  Dieses düstere Szenario ist untrennbar mit der Schlüsselperson Joseph Kabila verbunden. Er gilt als Sohn des von Amerika aufgebauten ersten Nachfolgers von Mobutu, Laurent Désiré Kabila. Dieser wurde 1996 mit seiner AFDL von USA-Spezialisten durch den Dschungel bis nach Kinshasa gelotst, praktisch ohne Gegenwehr der ausgetricksten kongolesischen Armee. Ihr klangvoller Name lautete «Alliance des forces démocratiques pour la libération du Congo» (AFDL). Sie war eine von Ruanda ausgerüstete und von westlicher Hightech-Technologie effizient unterstützte Interventionsarmee, die in einem Blitzkrieg die labil gewordene Macht in Kinshasa (Mobutu war schwerkrank) eroberte. Schon damals galt die von den westlichen Medien übernommene Sprachregelung, bei der AFDL handle es sich um eine bürgerkriegsähnliche «Rebellion» von einer unterdrückten ostkongolesischen Ethnie (der sogenannten «Banyamulenge») gegen Mobutus diktatorisches Regime, als erstunken und erlogen.
  Inzwischen, nach dreissig Jahren Krieg im Ostkongo, sprechen unsere Medien immer noch von «Rebellengruppen». In Wirklichkeit handelt es sich heute wie damals um professionelle, bestens ausgerüstete Söldnertruppen. Sie standen und stehen unter dem Schutz der beiden Diktatoren zweier unmittelbarer Nachbarländer, Museveni (Uganda) und Paul Kagame (Ruanda). Beide wurden militärisch in den USA ausgebildet und sind fest in die Strategie eingebettet, wie die Vereinigten Staaten ihren Einfluss in der Region und dann in ganz Zentralafrika verstärken können. Die anhaltende Kriegslüge von den Rebellen verdeckt dabei die schreckliche Wahrheit: Ihr systematisches Wüten gegen wehrlose Dörfer, heute vor allem wieder in der Region Goma, dient der Entvölkerung der Region. Und diese den offen landräuberischen Absichten Ruandas. Inzwischen hat die kongolesische Bevölkerung im ganzen Land diesen von aussen geschürten Krieg «bis obenhin satt». Am meisten verletzt sie dabei die Tatsache, dass die dreissigjährige Säuberungsaktion in westlichen «Freiheits»-Medien kein Thema ist – in Onanas Worten ein durch mafiösen Terror erzwungener Mantel des Schweigens – l’Omertá.

Das dreissigjährige
 Lügenkonstrukt soll die «ethnische
 Säuberung» weiter rechtfertigen

Wie bei vergleichbaren Situationen in anderen Weltgegenden ist auch für diesen schmutzigen Krieg die systematisch eingesetzte «ethnologische Karte» entscheidend.
  Zur Legitimierung des ruandischen Anspruchs auf Territorien des Ostkongo bezeichnen sich auch in dieser Region die Täter als Opfer, und dies systematisch und konsequent, unter eisernem Einhämmern der Verdrehungen durch westliche Medien. Dabei schrecken sie nicht davor zurück, die tragischen Ereignisse im Zusammenhang mit dem Genozid in Ruanda von 1994 komplett zu verdrehen.
  Einen guten Überblick über die wirklichen Hintergründe der humanitären Dauerkatastrophe gibt Charles Onana mit seinem leider erst auf Französisch verfügbaren Buch «Holocauste au Congo. L’omertà de la communauté internationale (Der Holocaust im Kongo. Die Omertà der internationalen Gemeinschaft)3.
  Die offizielle ruandische Sicht geht davon aus, erst die Kagame-Guerillatruppen des FPR (Front patriotique rwandais) hätten im Sommer 1994 dem Genozid der Hutu-Milizen an der traditionellen Tutsi-Elite Einhalt gebieten können. Bei ihrer Verfolgung durch extremistische Hutu-Milizen seien viele «Massenmörder» («génocidaires») in die Grenzregionen geflüchtet, am meisten in den Ostkongo. Von den dortigen Flüchtlingslagern aus hätten sie schon bald gezielte Terroranschläge auf die Tutsi-Minderheit unternommen, die seit dem Sommer 1994 die Herrschaft in Kigali wieder übernommen hatte. Da davon «eine konstante Gefährdung» des neuen Ruanda ausgegangen sei und angesichts der Passivität der Uno, habe die seither fest im Sattel sitzende Tutsi-Regierung unter Kagame selbst nach dem Rechten sehen und das Problem an der Wurzel packen müssen. Das sah dann so aus, dass AFDL-Truppen gleich nach dem Einmarsch in den Ostkongo im November 1996 die Flüchtlingslager, wo Zehntausende ruandische Hutu-Flüchtlinge unter prekären Zuständen dahinvegetierten, systematisch unter Einsatz schwerer Waffen angriffen, viele töteten und den Rest zur Flucht zwangen. Der grosse Teil der Flüchtenden wurde durch sie verfolgende Milizen ebenfalls getötet oder verhungerte schlicht, nach offiziellen Zahlen Hunderttausende.
  An der offiziellen Version, die den Angriffskrieg Ruandas auf den Kongo Mobutus legitimieren sollte, ist so gut wie alles unwahr, wie das Buch Onanas mit solider Klärung der Faktenlage zeigt. Die Kriegslüge deckt seit dreissig Jahren Unrecht und eine gezielte «Säuberungspolitik» der von Ruanda (und Uganda) ins Zielgebiet geschickten Söldnertruppen.

Doppelt geforderter Tshisekedi

Tshisekedi kann bisher keine substantiellen Fortschritte vorweisen. Im Gegenteil, die Intensität der Kampfhandlungen nahm unter seiner ersten Amtszeit zu. Goma ist seit zwei Jahren im Belagerungszustand. Dort und in den umliegenden Regionen konnte gar nicht abgestimmt werden. Die M23, die stärkste der heute dort auftretenden etwa 100 Söldnergruppen (niemand zweifelt mehr daran, dass ihr Hauptteil der verlängerte Arm von Ruanda im Ostkongo ist), belagert Goma. Jederzeit kann der Guerillakampf in offenen Krieg ausarten, wie vor 30 Jahren. Aber der unsichtbare Feind ist möglicherweise noch gefährlicher. Er arbeitet verdeckt und leise, hauptsächlich mit den Mitteln verdeckter Seilschaften und Korruption. Ein Schlüsselrolle darin spielt Joseph Kabila: der Mann, der nach der Ermordung «seines Vaters» (er hat ihn kaum gekannt) die lange Übergangsregierung anführte und sich dann mit Ausnahmeregelungen lange über die Amtszeit hinaus an die Macht klammerte. Dies tat er als treuer Soldat jener Kreise, in denen er aufgewachsen ist, der militanten ruandischen Tutsi-Minderheit, die heute unbestritten in Kigali an der Macht ist und die jeden Kritiker ihrer Alleinherrschaft mit dem Argument abtut, er sei ein «génocidaire» (Völkermörder). Kongolesen mit Kenntnis dessen, was sich in ihrem Land immer noch hinter den Kulissen tut, bezweifeln, ob Tshisekedi die Statur besitzt, es mit diesem vielköpfigen Drachen ernsthaft aufzunehmen. Laurent Désiré Kabila machte nach seiner Thronbesteigung in Kinshasa etwas Mutiges, aber unter den damaligen Bedingungen Selbstmörderisches: Er leistete als ein von Ruanda eingesetzter Nachfolgepräsident von Mobutu bald einmal Widerstand gegen die Wünsche grosser westlicher Rohstoffkonsortien, betreffend Garantien für ihren Raubbau zu Dumpingpreisen. Das wird nach Auffassung vieler Kenner des Landes der Hauptgrund für seine Ermordung (16. Januar 2001) durch einen eigenen Sicherheitsmann gewesen sein – ein politischer Mord mehr, der bis zum heutigen Tag keine Aufklärung fand. Kabila der Jüngere hat daraus Schlüsse gezogen. Er liess sich nach seinem Abgang zum «Senator auf Lebenszeit» wählen und ist so von Amtes wegen geschützt vor jeder Strafverfolgung im Kongo. Zudem besitzen seine Schwester und sein Halbbruder die Hauptanteile der Bank, welche die internationalen Kapitalströme in Verbindung mit der Ausbeutung der kongolesischen Minen kontrolliert. Es wäre unter diesen Gegebenheiten naiv anzunehmen, Kabila habe mit Tshisekedi vor seinem Ausscheiden als Präsident keine diskreten Vereinbarungen getroffen. Alles mögliche Gründe dafür, dass Tshisekedi sich 2018 in letzter Minute als Sprengkandidat gegen Fayulu aufstellen liess.
  Was tun? Vielleicht muss der Mann, der nun am Steuer eines weiter arg schlingernden Riesenkahns steht, eine geeignetere Mannschaft an Bord holen, sich nicht mehr von den Admiralitäten selbsternannter Weltherrscher beraten lassen, sondern gute, sturmerprobte, praktisch und an das Ganze denkende Seeleute in die Equipe nehmen, eventuell auch den Kurs wechseln. Andere Mannschaften, wie zum Beispiel die eingangs genannten im Sahel, aber auch Südafrika mit seiner Klage gegen die ethnische Säuberung in Gaza, sind bereits in eine ganz andere Richtung unterwegs.  •



1 z. B. umfassend Chossudovsky, Michel. Global-brutal. Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg, 1997
2 Vatican News vom 19.1.2024 
3 Onana, Charles. Holcauste au Congo. L'Omertà de la communauté internationale. Paris (Edition de l'Artilleur) 2023: ISBN 978-2-81001-145-2

Zur Geschichte und Vorgeschichte sei auch auf den Artikel «Der ‹post-mobutistische› Kongo: Die USA setzen auf die ruandische Karte», in: Zeit-Fragen vom 30.12.2018 verwiesen.

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