Russlands überwältigender Sieg in der Schlacht von Awdijiwka und die Zerschlagung des ukrainischen Militärs stärkt die Glaubwürdigkeit Russlands als Garant für die Sicherheit in der zentralasiatischen Region. Dem scharfsinnigen zentralasiatischen Verstand ist nicht entgangen, dass Russland die Nato im Alleingang in die Schranken gewiesen hat.
Dies ist ein entscheidender Moment, denn er ergänzt den neuen Normalitätszustand in Afghanistan, der dank des erfolgreichen diplomatischen Engagements Russlands gegenüber den Taliban eingetreten ist.
Ein weiterer Teufelskreis westlicher Propaganda geht zu Ende – basierend auf den falschen Annahmen, dass Russlands Einfluss in Zentralasien «im Niedergang begriffen» sei (Wilson Centre)1; dass die zentralasiatischen Staaten «aus Russlands Schatten heraustreten und ihre Unabhängigkeit in einer Weise behaupten, wie es seit dem Zusammenbruch des Kommunismus 1991 nicht mehr der Fall war» («Financial Times»)2; dass die zentralasiatischen Führer nach dem Krieg in der Ukraine «nun überlegen, wie lange Putin in Russland an der Macht bleiben kann» (Radio Free Europe/Radio Liberty)3.
Beeindruckendes
Wirtschaftswachstum in Zentralasien
In der Tat verzeichnete die Wirtschaftsleistung der Region im Jahr 2023 ein beeindruckendes BIP-Wachstum von 4,8 %. Und Russland hat zu dieser Erfolgsgeschichte beigetragen. Der Ukraine-Krieg führte dazu, dass westliche Unternehmen den russischen Markt verliessen, was neue Möglichkeiten für die regionalen Staaten schuf. Gleichzeitig veranlassten die Sanktionsbedingungen russische Unternehmen und Kapital sowie russische Bürger, ihre Geschäfte in die zentralasiatische Region zu verlagern.
Zentralasiatische Unternehmer haben sich die lukrativen Möglichkeiten, westliche Waren und Technologien für den russischen Markt zu beschaffen, nicht entgehen lassen – ein Drahtseilakt, denn sie müssen die westlichen Sanktionen einhalten und gleichzeitig ihre gegenseitige Abhängigkeit und Integration in die russischen Märkte fördern. Die Erholung der russischen Wirtschaft und ihr Wachstum von 3,6 % im vergangenen Jahr haben den zentralasiatischen Ländern neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnet.
Renaissance der
Beziehungen mit Russland
Die Politik Moskaus zielt auf eine «Renaissance» der Beziehungen zwischen der Region und Russland ab. Das neue Denken in Moskau bedeutete, dass Putin die Kontakte mit den zentralasiatischen Führern auf persönlicher Ebene intensivierte und dabei alle verfügbaren Formen der Interaktion nutzte, sowohl auf bilateraler als auch auf regionaler Ebene. Der russische Ansatz liess den regionalen Staaten Raum für eine «neutrale» Haltung gegenüber dem Krieg.
Ein Verständnisproblem für Aussenstehende besteht oft darin, dass die zentralasiatischen Haltungen selten offen zu Tage treten und unter bestimmten Umständen (wie dem Ukraine-Krieg) in Form von Präferenzen wahrgenommen werden müssen. So war die politische Botschaft der Parade am 9. Mai letzten Jahres in Moskau, als alle zentralasiatischen Präsidenten gemeinsam mit Putin an den Feierlichkeiten auf dem Roten Platz teilnahmen, eine massive Geste der Unterstützung für Russland4 – und für Putin persönlich.
Im Laufe des Jahres 2023 gerieten die zentralasiatischen Staaten ins Visier einer beispiellosen diplomatischen Anstrengung des Westens, die Sanktionen gegen Russland aufrecht zu erhalten. US-Aussenminister Antony Blinken und der französische Präsident Emmanuel Macron besuchten die Region. Zwei historische Gipfeltreffen im «C5+1»-Format wurden von US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz in Washington bzw. Berlin abgehalten.
Doch die westlichen Gesprächspartner weigerten sich, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Blinkens kasachischer Amtskollege teilte ihm mit, dass Astana «keine Bedrohungen oder Risiken seitens der Russischen Föderation empfindet». In den gemeinsamen Erklärungen, die nach den beiden «C5+1»-Gipfeln abgegeben wurden, wurde die Ukraine nicht einmal erwähnt!
Vertiefung der Beziehungen im
wirtschaftlichen und humanitären Bereich
Putins neues Denken schiebt das grosse Spiel auf die lange Bank und setzt statt dessen auf eine inhaltliche Vertiefung der Beziehungen Russlands zu den zentralasiatischen Staaten, insbesondere im wirtschaftlichen und humanitären Bereich. Dieser Ansatz hat das «Big-Brother»-Syndrom spürbar abgebaut. Die Treffen Putins mit seinen Amtskollegen aus Tadschikistan, Usbekistan und Kasachstan am Mittwoch [21. Februar] in Kasan fanden in einer spürbar entspannten Atmosphäre statt.5
Interessanterweise wünschte Emomali Rahmon, der tadschikische Präsident, Putin nicht nur Erfolg «bei allem, was Sie tun», sondern auch «Nerven aus Stahl». Kassym-Jomart Tokajew, der kasachische Präsident, betonte vielsagend, dass «Russland unter Ihrer [Putins] hervorragenden Führung bemerkenswerte, beeindruckende Erfolge erzielt hat. In der Tat prägen Ihre Erklärungen und Handlungen die globale Agenda.» Diese Bemerkung Tokajews ist besonders bemerkenswert, da westliche Analysten ihn als potentiellen Meuterer gegen Putin in der Steppe ausgemacht hatten!
Aufbau kooperativer
Beziehungen zu den Taliban
Wenn sich die Sicherheitsbeziehungen zwischen Russland und der zentralasiatischen Region in den letzten Jahren gewandelt haben, dann deshalb, weil Moskaus koordinierte Bemühungen, Beziehungen zu den Taliban zu knüpfen, in letzter Zeit an Zugkraft gewonnen haben. Sie haben dazu beigetragen, dass die Bedrohungswahrnehmung in bezug auf Afghanistan in der zentralasiatischen Region abgenommen hat.
Während das traditionelle Muster zur Bewältigung der Bedrohungswahrnehmung darin bestand, auf militärische Mittel zurückzugreifen und die Region von Afghanistan abzuschotten, verfolgte die russische Diplomatie einen radikal anderen Ansatz, indem sie sich konstruktiv mit den Taliban auseinandersetzte (obwohl die Taliban nach russischem Recht nach wie vor eine verbotene Organisation sind) und sich bemühte, letztere zu einem Akteur beim Aufbau kooperativer Beziehungen innerhalb einer Matrix gegenseitiger Interessen zu machen. Das hat sich ausgezahlt.
Nach Einschätzung Moskaus hat die Taliban-Herrschaft die Lage in Afghanistan erheblich stabilisiert, und es liegt im russischen Interesse, die Regierung in Kabul dabei zu unterstützen, die extremistischen Elemente im Land wirksam zu bekämpfen (insbesondere den Islamischen Staat, der bekanntlich ein Erbe der US-Besetzung Afghanistans ist). Russland hat seinen Einfluss auf die zentralasiatischen Staaten geltend gemacht, um sicherzustellen, dass die vom Westen unterstützten Anti-Taliban-«Widerstandskräfte» keine Zuflucht erhalten.
Das strategische Ziel besteht natürlich darin, dass die westlichen Geheimdienste nicht in der Lage sein werden, freischwebende afghanische Kräfte zu manipulieren, um die zentralasiatische Region oder den Kaukasus erneut zu destabilisieren.
«Innerafghanischer Dialog»
als Vorwand, um westliches
Geheimdienstnetz wiederaufzubauen
Die Taliban waren sehr empfänglich für die russischen Angebote zur Stärkung der afghanischen Staatlichkeit. Kürzlich gingen die Taliban sogar so weit, eine am 19. Februar von den Vereinten Nationen gehaltene Afghanistan-Konferenz zu boykottieren6, die in Wirklichkeit ein heimtückischer Versuch der USA war, die Taliban unter dem Vorwand der Förderung des «innerafghanischen Dialogs» wieder einzubinden (womit im wesentlichen die Rückkehr der im europäischen und amerikanischen Exil lebenden afghanischen Vertreter des Westens gemeint war).
Allerdings durchschauten die Taliban den westlichen Plan zum Wiederaufbau ihres Geheimdienstnetzes in Afghanistan und stellten Bedingungen für ihre Teilnahme an der Doha-Konferenz, u.a. dass sie der einzige Vertreter Afghanistans auf dem Treffen sein sollten. Die Taliban lehnten auch die Ernennung eines UN-Sondergesandten für Afghanistan ab, dessen Hauptaufgabe darin bestehen sollte, den «innerafghanischen Dialog» zu fördern.
Das Aussenministerium der Taliban warf der internationalen Gemeinschaft in einer Erklärung vor dem Treffen in Doha «einseitige Auferlegungen, Anschuldigungen und Druckausübung» vor. Der interessanteste Teil der Inszenierung, die sich in Doha abspielte, bestand darin, dass sich die russische Delegation, die an dem Treffen in Doha teilnahm, auf Wunsch der Taliban weigerte, die sogenannten «Vertreter der Zivilgesellschaft» aus Afghanistan zu treffen. Dies signalisierte, dass Russland begonnen hat, mit den Taliban als den De-facto-Herrschern Afghanistans zusammenzuarbeiten.
In der Tat begrüssen die zentralasiatischen Staaten diese brillante diplomatische Initiative Russlands zur Stärkung der regionalen Sicherheit und Stabilität von ganzem Herzen. Das Vertrauen der Region gegenüber den Taliban-Herrschern ist bereits so gross, dass der usbekische Präsident Mirziyoyev bei seinem Treffen mit Putin am Mittwoch in Kasan die «wichtige Frage» ansprach, ob Usbekistan und Russland den Bau einer neuen Eisenbahnlinie über Afghanistan vorantreiben sollten, die Zentralasien mit den angrenzenden Regionen und dem Weltmarkt verbindet. •
Quelle: https://www.indianpunchline.com/ vom 25.2.2024
1 https://www.wilsoncenter.org/event/russias-influence-central-asia-decline
2 https://www.ft.com/content/b31925cd-2cc1-46cd-ab96-1e5200d68994
3 https://pressroom.rferl.org/a/32478325.html
4 https://thediplomat.com/2023/05/central-asian-presidents-join-putin-for-may-9-victory-day-parade/
5 http://en.kremlin.ru/events/president/news/73519; http://en.kremlin.ru/events/president/news/73518; http://en.kremlin.ru/events/president/news/73517
6 https://www.rt.com/news/592716-taliban-ditches-un-event/
(Übersetzung Zeit-Fragen)
* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, im Iran und in Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst Indian Punchline.
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