Wer heute in die Zeitungen schaut, Berichte in Radio und Fernsehen zur Kenntnis nimmt oder Reden von Politikern zuhört, fragt sich oft, was er davon glauben soll. Denn so viel ist heute Allgemeingut geworden: Die veröffentlichte Meinung stimmt immer seltener mit der öffentlichen Meinung überein, und man weiss um die Versuche, mit Propagandamethoden – euphemistisch in Public Relations PR umbenannt – die Meinungsbildung zu steuern. Es ist deshalb immer wichtiger geworden, sich breit zu informieren und oft auf Medienportale zurückzugreifen, die nicht zu den «Qualitätsmedien» gehören. Interessant sind nicht nur die dabei verwendeten Methoden, sondern auch ein Blick in die Geschichte lohnt sich.
Glitzerndes, das nicht glitzert
Es gibt zeitlose und kulturübergreifende Begriffe, die wir gefühlsmässig spontan mit positiven Inhalten verbinden. Beispiele dafür sind Freiheit, Demokratie, Sicherheit, Rechtsstaat, Neutralität, wenn es um Regierungsangelegenheiten geht, aber auch Toleranz, Buntheit, Wandel, Wissenschaft, Solidarität, Vielfalt und Nachhaltigkeit. Sie werden gerne in Reden und Medienerzeugnisse eingefügt, die auf die Akzeptanz von Ideologien und Zeitgeistphänomenen abzielen.
Oder dann werden Machtstrategien, die hinter Kriegen stecken, legitimiert durch schönfärberische Begriffe wie Befreiungskrieg, Demokratisierung, humanitäre Interventionen mit Helden, Rettern oder Freiheitskämpfern, die unhinterfragt als vertrauenswürdig gelten. Die Begriffe strahlen gute, von menschlichem Engagement und Ethik getragene Absichten, intelligente Überlegungen, Zuversicht und Aufopferung aus und sollen beim Gegenüber Zustimmung, ja, sogar Dankbarkeit auslösen. Damit «spielen» heute politische Machtapparate bzw. deren Beraterstab, wenn sie die Meinung ihres Zielpublikums beeinflussen und auf ihre Seite ziehen wollen. In der Fachsprache der Propaganda spricht man von Glittering Generality, einem glitzernden Allgemeinplatz. Man könnte auch sagen: Es geht um ein Wort oder eine vage Phrase, die je nachdem mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden. Es sind jedoch zeitlose und kulturübergreifende Wörter, die so vage sind, dass sich alle über ihre Richtigkeit und ihren Wert einig sind, auch wenn sich später klärt, dass die eigene Interpretation des Begriffes nicht mit der beabsichtigten übereinstimmte. Sie sind nicht richtig oder falsch, weil sie eigentlich gar keine Informationen vermitteln und dem Empfänger die Interpretation überlassen. Jedenfalls ist es ein rhetorisches Mittel mit stark positiver emotionaler Strahlkraft. Es wird benutzt, um uns dazu zu bringen, eine Sache zu akzeptieren und zu billigen, ohne die Beweise dafür zu prüfen. Diese Wörter oder Sätze werden deshalb oft in Reden oder Medienberichte eingebaut.
Schmutziges, was nicht schmutzig ist
Im Gegenzug wird durch NameCalling die Macht von Schimpfwörtern genutzt, um durch ständiges Wiederholen in Pressemitteilungen, Reden, Social-Media-Beiträgen usw. eine Wertung bestimmter Vorgänge und Menschen aufzuzwingen und Schlussfolgerungen zu akzeptieren, ohne die Fakten wirklich zu kennen. Auch dazu dienen bekannte Begriffe, die umgedeutet werden, oder Wortneuschöpfungen wie Gutmenschen, Klimaleugner, Putinversteher, Ewiggestrige oder gar dem Tierreich entnommene Begriffe wie Kanalratte, Schosshündchen u.a. Mit ihnen soll der Gegner als naiv, verlogen oder unfähig hingestellt und die eigene Position untermauert werden.
Frühe Wurzeln
Glittering Generality und Name Calling: Die Wurzeln dieser Begriffe zur Bezeichnung von Propagandatechniken liegen in den 1930er Jahren, also schon bald 100 Jahre zurück. Eine Gruppe von amerikanischen Journalisten, Pädagogen und Wirtschaftsführern wollte das Bewusstsein der Bevölkerung für Propagandastrategien stärken, mit denen sie manipuliert wurden. Man war sich der Macht des damals auch unter Jugendlichen sehr weit verbreiteten Radios bewusst, einer zu jener Zeit aufstrebenden neuen Technologie, die für alle kostenlos war. Die über den Äther vermittelten Inhalte waren oft Quelle von Träumen, Idealen und Illusionen und der Umformung kultureller Werte. Sie führten die jungen Menschen weg von der Realität des Lebens – und das in Zeiten wirtschaftlicher Krise! In der Bildung sah man ein wirksames Mittel gegen Propaganda.
1937 wurde deshalb in New York das Institute for Propaganda-Analysis IPA gegründet, dessen Vermächtnis eine 1936 veröffentlichte Liste der sieben üblichen Propagandatechniken ist (siehe Kasten). Glittering Generality und Name Calling sind zwei davon. Deren Kenntnis sollte es den Menschen ermöglichen, Propaganda zu erkennen und zu analysieren. Sie orientierten sich an der klassischen Rhetorik – der Lehre davon, wie Sprache eingesetzt wird, um ein Publikum anzusprechen – und präsentierte das Wissen, mit dem man verhindern kann, Opfer von Manipulation zu werden. Die Erkenntnisse aus den Propagandamethoden im Ersten Weltkrieg sensibilisierten die Wissenschaftler im IPA für entsprechende Bildungsprogramme an Schulen und Universitäten und für die Notwendigkeit einer Aufklärungsarbeit für die amerikanische Bevölkerung, um sie vor dem Zugriff durch manipulative Methoden zu schützen. Ihnen sollten Flyer und Buchpublikationen zur Verfügung gestellt werden.
Engagierte Gründer
Gegründet wurde das IPA von Edward Filene (1860–1937), einem Wirtschaftsführer und Philanthropen, der das Filene’s Department Store in Boston besass. 1937 arbeitete Filene1 mit dem Journalisten und Pädagogen Clyde Miller zusammen. Er wollte das IPA finanziell unterstützen, um die Erstellung und Verteilung von Unterrichtsmaterialien möglich zu machen, mit denen Lehrer ihre Schüler bei der kritischen Analyse von Propaganda anleiten konnten.
Clyde Miller, der die redaktionelle Arbeit der IPA leitete und an der Veröffentlichung der ersten fünf Ausgaben von Propaganda Analysis mitwirkte, war ein Journalist und Professor am Teachers College der Columbia University, wo er einen Kurs mit dem Titel «Public Opinion and Education» (Öffentliche Meinung und Bildung) erteilte und als Publizist für die Universität tätig war.
Propaganda-Analyse im Unterricht
Um den Lehrern zu helfen, entwickelte das IPA kurze Informationsartikel im Magazinformat mit Titeln wie «How to Detect Propaganda», «How to Analyze Newspapers» und «The Public Relations Counsel and Propaganda», um nur einige zu nennen. Dank der grosszügigen finanziellen Unterstützung durch Edward Filene konnten diese Publikationen an Tausende von High Schools, Colleges und öffentlichen Bibliotheken in den gesamten Vereinigten Staaten verschickt werden. Das Material wurde später durch das «ABC der Propaganda-Analyse» ergänzt, welches Hinweise zur Unterrichtspraxis gibt, wie die Untersuchung aktueller Beispiele von Propaganda getätigt werden kann. Es nimmt vieles vorweg, was heute als moderne Form von Medienkompetenz konzipiert wird.2 Im Oktober 1937 verteilte die IPA 3000 Exemplare einer Ankündigungsausgabe des Propaganda-Analyse-Bulletins und warb um Abonnements. Im ersten Jahr konnten 2500 Abonnenten gewonnen werden. Die Schriften fanden bei vielen Pädagogen positives Echo und wurden im Unterricht verwendet.
Propaganda durchschauen –
Mitmensch werden
Während die Liste der Propagandatechniken bis heute bekannt ist, ist das ABC der Propagandatechniken in Vergessenheit geraten. Vielleicht passte es nicht in den Zeitgeist; denn wie Clyde Miller 1942 schrieb, war eines seiner Ziele, die ideologischen Theorien des Rassismus zu bekämpfen, «die Hitler und Goebbels so wirkungsvoll eingesetzt haben, um Massenhass zu erzeugen», und er hielt in dem damals üblichen Wortgebrauch fest: «Kein Student, der einmal das empfohlene Bildungsprogramm des Instituts durchlaufen hat, wird wahrscheinlich der Propaganda erliegen, die ihn dazu bringt, Juden als Juden und Neger als Neger zu hassen. Dieser Ansatz immunisiert die Schüler gegen Propaganda, die zu Hass auf Grund von rassischen und religiösen Unterschieden aufruft.»3 Ein Aufruf zu gleichwertiger, mitmenschlicher Verbundenheit!
Die Arbeit des IPA wurde von der amerikanischen Regierung durchaus kritisch beobachtet. Dem Institut wurde die notwendig gewordene finanzielle Unterstützung entzogen und es musste 1942, kurz nach Kriegseintritt der USA in den Weltkrieg, seine Tore schliessen. •
1 Filenes Beweggründe, sich gegen Propaganda zu engagieren, mögen auch persönlicher Natur gewesen sein. Sein Vater, der ursprünglich Wilhelm Katz hiess, wanderte in den 1840er Jahren zusammen mit anderen jüdischen Mitbürgern auf Grund von Verfolgung aus Preussen nach Amerika aus. Sein Sohn Edward übernahm 1908 das Unternehmen seines Vaters und war auch ein aktiver Sozialreformer, der beispielsweise die erste Angestelltengewerkschaft in Amerika gründete.
2 Das «ABC der Propaganda-Analyse» ist nicht durch eine Autorenschaft gekennzeichnet. Es wird aber auf Grund der Arbeitsweise des IPA angenommen, dass es unter aktiver Beteiligung und redaktioneller Aufsicht von Clyde Miller verfasst wurde
3 Renée Hobbs/Sandra Mc Gee. «Teaching about Propaganda: An Examination of the Historical Roots of Media Literacy». In: Journal of Media Literacy Education 6(2). 56–67, Seite 64. https://files.eric.ed.gov/fulltext/EJ1046525.pdf (Übersetzung EP)
Weitere Quellen:
Hardinghaus, Christian. Kriegspropaganda und Medienmanipulation. Was Sie wissen sollten, um sich nicht täuschen zu lassen. Europaverlag 2023
Menath, Johannes. Moderne Propagandatechniken. 80 Methoden der Meinungslenkung. Verlag Zeitgeist. 2022
Morelli, Anne. Die Prinzipien der Kriegspropaganda. ZuKlampen-Verlag 2004
Ponsonby, Arthur. Falsehood in Wartime. E.P. Dutton & Co, 1929. (Auszüge in: https://archive.org/details/16FalsehoodInWartime)
Name Calling – Beschimpfungen verwenden
Die Quelle einer Information – eine Person oder Institution – wird durch abwertende Bezeichnungen diskreditiert, damit deren Aussagen nicht mehr zur Kenntnis genommen werden.
Bandwagon effect – Mitläufereffekt
Durch Schüren von Emotionen sollen Mitläufer für eine bestimmte Meinung gewonnen werden.
Glittering Generalities – glitzernde Allgemeinplätze
Mit der Verwendung glänzender Ideale oder Tugenden wird eine bestimmte Meinung als besonders edel und glaubwürdig glorifiziert.
Flag Waving – Flaggen schwenken
Bestimmte äusserlich sichtbare Symbole werden zum Zeichen der Zusammengehörigkeit.
Plain Folks – wie das gewöhnliche Volk
Durch Sprache und Verhaltensweise wird der Eindruck erweckt, der Meinungsmacher sei ein echter Volksvertreter, der dessen Standpunkt vertritt.
Testimonial – Zeugnis ablegen
Es werden prominente Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft oder Showbusiness präsentiert, welche bereits die gewünschte Meinung vertreten.
Stacking the Cards – die Karten mischen
Ein Sachverhalt wird nach den eigenen Zielsetzungen (falsch) dargestellt, um ein bestimmtes Ziel, eine bestimmte Meinung zu erreichen.
QUELLE: Clyde Miller & Violet Edwards (1936, Oktober).
The intelligent teacher's guide through campaign propaganda.
The Clearing House,11(2), 69-77
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