Der Dauerkrieg im Ostkongo beruht auf einem Lügenkonstrukt

Ostkongo – die humanitäre Langzeit-Katastrophe hält an (Teil 2)

von Peter Küpfer

Im ersten Teil dieser Darstellung wurde zum Thema gemacht, wie der Endloskrieg im Ostkongo entstanden ist, wer seine Hauptdrahtzieher sind und welche Interessen sie verfolgen.1 Auch im Ostkongo verbirgt sich hinter den Ausdrücken der Kriegspropagandisten wie «Bürgerkrieg», «Rebellionskrieg», «Verteidigungskrieg» brutale Machtpolitik. Sie wird nicht primär von ethnischen Konflikten genährt, sondern von der Gier nach wirtschaftlicher Überlegenheit und dem Wahn, sich Sicherheit durch Krieg schaffen zu können. Die in diesem Zusammenhang verbreiteten Propaganda-Systeme, welche die wahren Absichten verbergen, werden in diesem Text als das bezeichnet, was sie sind – Kriegslügen. Lügen bedeutet bekanntlich nicht nur, nicht die Wahrheit zu sagen, sondern auch, wesentliche Teile der Wahrheit zu unterdrücken und anderen ein Gewicht zu geben, das ihnen nicht zukommt. Beide Manipulationsstrategien sehen wir auch bei der humanitären Langzeitkatastrophe im Ostkongo am Werk. Die Länge des Leidens unterstützt die endlose Gier nach Macht und illegalen Einkünften.

Systematische Kriegslügen auch hier

Paul Kagame, der ehemalige Buschkommandant der in den sechziger Jahren nach Uganda exilierten ruandischen Tutsi-Elite (siehe Ka-sten), behauptet weiterhin öffentlich, sein Land müsse sich immer noch vor den damals, 1994, panisch in den Ostkongo geflüchteten Angehörigen der ruandischen Hutu-Ethnie schützen. Denn das waren in seiner Rhetorik ja alle ausnahmslos «Völkermörder». Nach ähnlicher Logik werden heute täglich wahllos Angehörige der palästinensischen Bevölkerung von der israelischen Armee niedergemacht. Denn in den Worten ihrer politischen Führung ist jeder Palästinenser ein potentieller Antisemit und damit Völkermörder.
  Nach diesem Rezept funktionierte auch die völlig realitätsfremd gezogene ethnische Karte im Machtspiel um den Ostkongo. Wie an anderen Brennpunkten dieser Welt wird auch hier eisern eine ganze Ethnie (die ruandischen Hutu) kollektiv als «génocidaires», als Völkermörder, bezeichnet und in eigener zurechtgelogener Notwehrtheorie als Freiwild behandelt. Diese seit Jahrzehnten gezinkte Version der wirklichen Umstände ist der Konfrontation mit den Fakten in keiner Weise gewachsen. Für die RPa (Rwandian Patriotic Army, die Guerillatruppe, die unter der Regie der USA Kagame zur Wiedereroberung der Macht der Tutsi-Elite in Ruanda verhalf) galten nach ihrer gewaltsamen Machtübernahme im Juli 1994 alle Hutu als Völkermörder, «génocidaires». Das war der Hauptgrund, dass die ruandischen Hutu beim Herannahen der Tutsi-Armee unter dem Kommando Kagames zu Hunderttausenden flohen. Dabei wurde eine grosse Anzahl von ihnen, meist Zivilisten, von den sie verfolgenden Angehörigen der Tutsi-Guerilla durch gezielten Beschuss niedergestreckt. Denn es genügte damals zu fliehen, damit für die Einmarschierenden der Beweis erbracht war, sie seien eben «génocidaires», sonst würden sie doch «vor den Befreiern» nicht fliehen.

Nicht jeder 1994 fliehende ruandische Hutu
 war ein «Völkermörder»

Es gab für die ruandische Hutu-Bevölkerung 1994, kurz vor der drohenden Einnahme Kigalis durch die Tutsi-Armee Kagames, allerdings schwerwiegende andere Gründe dafür, dass sie in diesem Moment panikartig und zu Hunderttausenden Zuflucht in den Nachbarländern suchte. Es zirkulierten damals nämlich ernstzunehmende und (wie sich später herausstellte) auf schrecklicher Wahrheit begründete Gerüchte, die Soldateska der RPA, die Guerilla-Armee Paul Kagames, betreibe beim Vormarsch auf die Hauptstadt Kigali in den Siedlungen der von ihr «befreiten» Gebiete einen systematischen Massenmord an der dort sesshaften Hutu-Bevölkerung. Inzwischen gibt es eine sorgfältig wissenschaftlich dokumentierte Literatur, welche diesen ruandischen Völkermord der Tutsi-«Befreier» an ihren Hutu-Landsleuten ausführlich dokumentiert.2 Es ging also dem Genozid der Hutu-Milizen an den Tutsi vom Frühsommer 1994 (nur von dem spricht unsere Welt!) ein anderer Völkermord zeitlich voraus, derjenige der RPA-Guerilla unter Kagame an der Hutu-Bevölkerung in den von ihr «befreiten» Gebieten Ruandas. Dieser erste und absolut verschwiegene Genozid fand den verfügbaren Dokumenten entsprechend ab 1990 statt und kulminierte vor der Einnahme Kigalis, d.h. seit dem Beginn des Interventionskrieges der RPA unter Kagame zur Bekämpfung der demokratisch legitimierten Ausgleichsregierung unter Juvénal Habyarimana in Kigali, also während der ganzen vier Jahre, welche der Guerillakrieg der RPA bis zu ihrer Machtübernahme im Sommer 1994 dauerte. Gehäufte Zeugenaussagen, Uno-Berichte und aufgefunden Massengräber in den von der RPA «befreiten» Zonen haben die schreckliche Tatsache mehrfach belegt.
  Leider sind vom eigens für den Genozid (nur den vom Frühsommer 1994!) in Ruanda geschaffenen Strafgerichtshof mit Sitz in Arusha, Tansania, (unter Druck der USA eingerichtet) die Beweismittel für dieses systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht gerichtlich erfasst worden. In ihrer Autobiographie erklärt die am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda als Chefanklägerin amtierende Schweizer Juristin Carla del Ponte, ehemals Bundesanwältin der Schweizerischen Eidgenossenschaft, diesen Sachverhalt so: Sie sei auf höchste Intervention Kofi Annans angewiesen worden, nur Fälle zu bearbeiten, bei denen Hutus als Täter figurierten. Die genozidartigen Massenhinrichtungen, begangen von der RPA auf ihrem Feldzug in den Kriegsjahren zuvor, fielen damit vollständig aus dem von der Uno festgelegten zeitlichen Mandat. Als die beherzte Schweizer Juristin protestierte, wurde sie kurze Zeit später, offensichtlich auf Betreiben der USA, durch einen den amerikanischen Interessen an Vertuschung besser angepassten Chefankläger ersetzt. Es handelte sich dabei um den gambischen Rechtsanwalt Boubakar Hassan Jallow, ein enger Freund von einem hochgestellten ruandischen Mitgründer der RPA. Damit war das aktive Wegsehen des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda gegenüber schweren Verbrechen der Klägerpartei in die Wege geleitet. Es gab also in Ruanda nicht nur den einen Genozid vom April bis Ende Juni 1994, von dem die ganze Welt spricht, zu beklagen, sondern schon vorher einen ebenso grausamen Vorläufer, begangen von der Seite, die sich heute als Opfer darstellt.

Und noch ein ethnisch «begründeter» Massenmord,
 auch der vertuscht

Ein zweites von der offiziellen Geschichtsschreibung weggebanntes schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit, verübt von Truppen unter ruandischem Befehl, fand zwei Jahre später statt. Bekanntlich kam es anfangs November 1996 zum 1. Interventionskrieg im Kongo, der den ehemaligen Chef einer früheren ostkongolesischen Guerillaformation in den Anfängen Mobutus, Laurent-Désiré Kabila, an die Macht in Kinshasa brachte.
  Dieser vom Pentagon von langer Hand vorbereitete und von US-Präsident Clinton abgesegnete Stellvertreterkrieg wird von westlichen Dokumentationsstellen, auch Wikipedia, fast ausschliesslich als «Rebellionskrieg» einer ostkongolesischen Tutsi-Minderheit (der so genannten Banyamulenge im Ostkongo) zur Durchsetzung ihr vermeintlich vorenthaltener Rechte durch die kongolesischen Regierung (damals noch Mobutu) dargestellt. Eine solche vermeintliche kongolesische Tutsi-Ethnie im Ostkongo hat nie existiert (vgl. dazu Stanislas Bucyalimwe Mararo, «Manoeuvring for ethnic hegemony», 2 Bände, Editions Scribe 2014, sowie Carles Onana, «Holocauste au Congo. L’omertà de la communauté internationale», Editions de l'Artilleur, Paris 2023). In Tat und Wahrheit handelte es sich bei diesen ostkongolesischen Tutsi um eine vor allem im Süd-Kivu (Region Uvira) angesiedelte Schicht von ehemaligen ruandischen Tutsi-Einwanderern der jüngeren Zeit. Sie lebten mit ihrer Gastumgebung, mehrheitlich kongolesische Bantu-Ethnien, lange im Frieden. Spannungen ergaben sich erst, als kriegstreibende Kreise in Ruanda sie gegen vermeintlich einengende Gesetze ihres Gastlandes aufhetzten.
  In den Jahren der Vorbereitung des ersten Kongo-Krieges nahm ihre Siedlung sprunghaft zu und wurde mit militärischen Elementen aus Ruanda und Burundi aufgestockt. Von Ruanda wurde beharrlich die rassistisch unterlegte Version verbreitet, die Banyamulenge würden von den Kongolesen in ihrer Existenz bedroht und müssten deshalb von der ruandischen Armee geschützt werden. Nach den Ereignissen vom Frühsommer 1994 nahmen diese Vorwürfe an Heftigkeit zu. Dies war der von den westlichen Medien sofort aufgenommene und verbreitete offizielle Grund zum ersten Kongo-Krieg von 1997/98.
  In Wahrheit handelte sich bei diesem Blitzkrieg um einen weiteren getarnten Stellvertreterkrieg, von den USA geplant, hauptsächlich finanziert und militärisch ausgerüstet. Er wurde bekanntlich, allen Tarnungen zum Trotz, im wesentlichen von ruandischen Armeeangehörigen durchgeführt. Von Anfang an stand dabei als nicht deklariertes Kriegsziel fest: die Sicherung der ostkongolesischen strategisch wichtigen Rohstoffe und des ostkongolesischen Territoriums oder von Teilen davon für die westliche Allianz.
  Was dabei mehrheitlich verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass gleichzeitig mit dem Vormarsch der Tarn-Armee mit dem wohlklingenden Namen AFDL (Alliance des Forces démocratiques pour la Libération du Congo – Allianz der Demokratischen Kräfte zur Befreiung des Kongo) die auf ostkongolesischem Gebiet damals bestehenden riesigen Lager von ruandischen Hutu-Flüchtlingen im Ostkongo, zum Teil mit Artilleriebeschuss und Bombenabwürfen, buchstäblich in den Boden gerammt wurden. So geschehen am 2. November 1996 mit dem in der Nähe von Goma gelegenen riesigen Lager Mugunga, dem «grössten Flüchtlingslager der Welt», dem weitere ähnliche Verbrechen folgten.
  Dieser dritte Genozid von Ruandern (und der zweite, den die Tutsi-Armee an ihrer eigenen Hutu-Bevölkerung begangen hat), diesmal auf dem Boden des Ostkongo, war von unglaublichen Ausmassen. Es kamen dabei nach verlässlichen Schätzungen Hunderttausende von wehrlosen Menschen um, mehrheitlich ruandische Hutu-Zivilisten, direkt durch Beschuss der Lager oder dann anlässlich ihrer gnadenlosen Verfolgungen durch ruandisch kommandierte Verbände auf ihrer neuerlichen Flucht durch die Dschungel-Wildnis in Richtung Westen, zum Teil Hunderte von Kilometern bis nach Kisangani am Kongofluss.
  Der ausgewiesene Ostafrikaspezialist Helmut Strizek fasst dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen das noch kein einziges Gerichtsverfahren eingeleitet worden ist, in folgende Worte: «Kaum jemand hätte um die Jahreswende von 1996/97 geglaubt, dass es der Rebellen-Allianz AFDL gelingen könnte, bis zum 17. Mai 1997 ganz Zaïre zu erobern und während dieses Krieges den grössten Teil der ruandischen Hutu-Flüchtlinge zu vernichten.» (Strizek, Helmut, Kongo-Zaïre, Ruanda, Burundi, Weltforum-Verlag 1998, S. 179)

Die Täter gerieren sich als Opfer

Dieses beispiellos brutale Vorgehen gegen Wehrlose wurde vorher und nachher von der ruandischen Kamarilla als Notwehr gerechtfertigt. Von den Flüchtlingslagern aus, so die Kriegslüge, seien immer wieder die Sicherheit Ruandas gefährdende Einfälle auf ruandisches Territorium ausgegangen. Schon damals wurde die entsprechend gefälschte ethnische Karte gezogen, mit der sich Täter von Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinter dem Menschenrecht auf Notwehr verstecken – mit dem Argument, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe wolle sie vernichten. Das ist, wenn man die realen Bedingungen der Flüchtlinge in den riesigen, völlig verwahrlosten Flüchtlingslagern im Nord- und Süd-Kivu von 1994–1996 einbezieht, eine kühne Behauptung. Die mehr als eine Million notdürftig in improvisierten Zelten zusammengepferchten ruandischen Hutu rangen dort im November 1996, zu der Zeit, als die AFDL-Armee in den Ostkongo einmarschierte, um ihr Überleben.
  Wie aus den Flüchtlingen unter solchen Umständen eine schlagkräftige Guerillatruppe entstehen konnte, wie diese für die Existenz des neuen Tutsi-Ruanda unter Kagame eine ernsthafte militärische Bedrohung sein könnten oder einen erneuten «Völkermord» begehen, ist eines der vielen ruandischen Rätsel. Charles Onana bestätigt, dass 1994 an den von Frankreichs Armee garantierten Flüchtlingsübergängen (opération Turquoise) eine strenge Waffenkontrolle stattgefunden hat. Die Menschen, die dort durchkamen, rannten um ihr Leben, das ihrer Frauen und das ihrer Kinder. Sie hatten andere Sorgen, als in den Lagern eine revanchistische Guerilla gegen die neue Regierung zu organisieren. Wo befanden sich in diesen verwahrlosten Ansammlungen verzweifelter und hungernder Menschen Waffen? Und woher kam denn da die Munition? Woher Nachschub? Der amerikahörige Teil des Westens, allen voran die korrumpierten Qualitätsmedien, inklusive Wikipedia, kriecht aber dieser ruandischen General-Kriegslüge bis zum heutigen Tag mit Inbrunst auf den Leim.3 Kagames zynischer Ausspruch vor dem Gemetzel in den Flüchtlingslagern wurde viel zitiert, aber es wurde ihm nichts entgegengesetzt. Kagame sagte: «Wenn die internationale Gemeinschaft nicht interveniert, um der Gefahr ein Ende zu setzen, welche von den in den Ostkongo geflohenen Völkermördern ausgeht, dann werde eben ich den Job im Kongo machen.» Was er dann auch prompt tat (Onana, S. 112ff.). Gestützt auf diese grob verfälschende Sicht, dass jeder sich im Ostkongo befindliche ruandische Hutu-Flüchtling ein Völkermörder sei, zauberte er die AFDL-Armee aus dem Hut, mit deren Anführer Laurent Désiré Kabila und seinen im Guerillakrieg erfahrenen Offizieren er in einem Blitzkrieg den halben Kongo durchmarschierte und den kränkelnden Mobutu vertrieb. Alles mit der Begründung, sie müssten der unterdrückten Tutsi-Gruppe der Banyamulenge zu ihrem Recht verhelfen. Der so legitimierte Blitzkrieg zur Eroberung des Kongo mit all seinen Zerstörungen und Toten wäre ohne Planung und Unterstützung der USA niemals möglich gewesen und gehörte offensichtlich zur langfristigen Afrika-Strategie der westlichen Grossmacht.

Die organisierte «impunité» –
 die Krankheit Straflosigkeit

Die Spitzengruppe der Verantwortlichen dieses Feldzugs, in dessen Verlauf weitere schwere Vergehen gegen die Menschlichkeit verübt wurden, gelangten sofort nach dem Sieg der ruandischen AFDL-Koalition im Sommer 1997 in hohe Ämter des sich neu wieder – nun aber zu Unrecht – «Demokratische Republik Kongo» (wie zu Patrice Lumumbas Zeiten) nennenden Staates und seiner Armee(!). Sie sind damit vor jedem gerichtlichen Verfahren gegen sie geschützt. Der engste Waffenbruder Kagames im Guerillakrieg 1990–1994 und Oberbefehlshaber der ruandisch geführten Seite im ersten Kongo-Krieg (1996/97), James Kabarebe, wurde sofort Oberkommandierender der kongolesischen Armee und durchsetzte sie mit ruandischen Offizieren und Armeeteilen. Dies stellt einen Akt seltener Perfidie und Demütigung dar.
  Wundert man sich da noch, dass eine derartige «nationale» kongolesische Armee bisher die von Ruanda ausgerüsteten und unterstützten «Rebellengruppen» im Ostkongo wenig effizient bekämpft hat? Die Tatsache zum Beispiel, dass Laurent Désiré Kabila, der von der AFDL (und der CIA) zum neuen Präsidenten des kongolesischen Riesenreichs auf den Schild gehoben worden war, von einem eigenen Sicherheitsmann kurze Zeit später erschossen wurde (am 16.  Januar 2001), nachdem er die bestehenden Schürf-Verträge mit den grossen westlichen Bergbaugesellschaften zugunsten der mausarmen kongolesischen Bevölkerung (ein Grossteil lebt immer noch mit zwei Dollars am Tag) verbessern wollte, spricht Bände. Sein Nachfolger, Joseph Kabila, ist kein Kongolese, sondern Ruander. Er spricht nur mühsam Französisch, was kein Wunder ist. Er wuchs in Ruanda im Umkreis von Kabarebe auf, dem treuesten Waffengefährten Kagames und «Hirn» des Blitzkrieges, und gehörte schon früh zum innersten Kreis der RPA-Offiziere. Seitdem Kabarebe und Joseph Kabila an der Macht sind, wird der Riese Kongo und der Zwerg Ruanda, inzwischen in westlichen Medien zum Musterknaben afrikanischer Entwicklung geworden, von der gleichen Kamarilla beherrscht. Das geplagte Land wird damit von innen zersetzt, nicht nur durch Korruption, auch durch Gesinnung.
  Hier aus der verfahrenen Situation herauszufinden ist schwierig. Es muss ein steiniger Weg beschritten werden. Dass er im Prinzip möglich ist, zeigt Südafrika. Es hat bei seiner inneren Befriedung allerdings die Unterwürfigkeit gegenüber dem westlichen Machtkartell abwerfen müssen. Anders als dort ist es im Kongo aber nicht so, dass hier unlösbare Spannungen zwischen Teilen der Bevölkerung bestünden. Der Kongo hat kein Rassismus-Problem. Und die Bevölkerung ist in der Frage Ostkongo einig: Die fremden Truppen sollen endlich das Land verlassen. Das Hauptproblem liegt darin, dass die geduldige Bevölkerung eine Regierung toleriert, die das eigene Volk plündert.
  Wirkliche Abhilfe kann hier nur schaffen, was die Bischofskonferenz Ostafrikanischer Staaten kürzlich wieder eindringlich bestätigte: Es müssen die ehrlich konstruktiven Kräfte aller Seiten sich endlich zusammensetzen und zu einer Lösung kommen, welche dauerhaften Frieden bringt. Das wird nicht ohne aufrichtig gemeinte Hilfe von aussen gehen. Bisher hat das westliche Wegschauen bei Tatsachen, die Akzeptanz der gängigen Kriegslügen in Medien und Politik und die Verweigerung wirksamer humanitärer Hilfe für die wehrlose Zivilbevölkerung nur das befördert, was der globale Westen einschliesslich EU dort offensichtlich will: den Dauerkrieg. Dieser Dauerkrieg schützt und fördert den illegalen Raub von Werten, der rechtmässig der kongolesischen Bevölkerung gehört, von der ein unhaltbar grosser Teil mit 2 Dollar pro Tag (Statistik Médecins sans frontières) immer noch dramatisch unter der Armutsgrenze lebt. Wie lange sieht die übrige Welt dem wohl noch zu?  •



1 Frühere Veröffentlichungen in Zeit-Fragen zum Thema Dauerkrieg im Kongo/Ostkongo: Der post-mobutistische Kongo. Die USA setzen auf die ruandische Karte, Zeit-Fragen Nr. 3 vom 30.1.2018; Fragwürdige Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo, Zeit-Fragen Nr. 5 vom 26.2.2019; Den Schlägen standgehalten – Die Autobiographie des kongolesischen Historikers Stanislas Bucyalimwe Mararo ist ein Vermächtnis. Sonderbeilage Kongo, Zeit-Fragen Nr. 19 vom 8.9.2020; Nach den Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo. Eine Auslegeordnung, Zeit-Fragen  Nr. 4 vom 20.2.2024; Ostkongo – die humanitäre Langzeitkatastrophe hält an (Teil1). Der Dauerkrieg richtet sich vor allem gegen die Zivilbevölkerung, Zeit-Fragen Nr. 7 vom 3.4.2024.
2 Historisch korrigierende Studien zum Thema: Ruzibiza, Abdul Joshua (von anonymer Täterschaft nach Veröffentlichung ermordet). Rwanda. L'histoire secrète, Paris (Editions du Panama) 2005; «Report Mapping», Uno-Bericht über die Kriegsverbrechen, begangen im Ostkongo, abrufbar (engl. u. frz. Version) auf UN- Office of the High Commissioner for Human Rights. Democratic Republic of the Congo, Mapping Exercise 2010;  Bucyalimwe Mararo, Stanislas. Nord-Kivu (RDC). Vingt-quatre ans des tueries programmées (mars 1993 – mars 2017), Saint-Denis (Edilivre) 2018; Rever, Judi: In praise of blood. The crimes of the Rwandian Patrotic Front, (Vintage Canada) 2020 (reprint), ISBN ‎ 978-0345812100; Onana, Charles. Holocauste au Congo. L'omertà de la communauté internationale, Paris (Editions de l'Artilleur) 2023, ISBN 978-2-81001-145-2
3  Im Winter 2001/2002 besuchte der Verfasser mit engen Mitarbeitern von Selbsthilfeorganisationen aus dem Ostkongo, die auf Einladung des Vereins Pour la Paix et l'Entente en Afrique in der Schweiz weilten, sowohl die Ausland-Redaktion der «Neuen Zürcher Zeitung» als auch das Departement für Äussere Angelegenheit der Schweizerischen Eidgenossenschaft sowie eine hochgestellte Funktionärin im Bereich Afrika im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland in Berlin. In der Redaktion der «Neuen Zürcher Zeitung» herrschte beklemmendes Unwissen über die wahre Situation im Ostkongo, in Bern verwies man auf die Zuständigkeit des Roten Kreuzes und international bindende Vereinbarungen. In Berlin aber sagte man uns wörtlich und mit der naiven Unverblümtheit derer, die sich im Recht wähnen: «Wissen Sie, Herr Kagame gehört zu den engeren Freunden Deutschlands in Afrika, wir tun alles, um ihn zu unterstützen.»

In Ruanda herrschten seit Jahrhunderten interne Unterdrückung und Demütigung

pk. Ruanda war vor der Unabhängigkeit (1962) ein Kleinst-Königreich (unter der Herrschaft der «Mwami»-Dynastien, ähnlich wie in Burundi). Vor dem Ersten Weltkrieg deutsches Mandatsgebiet, gelangte es 1908 unter belgische Verwaltung wie der Kongo. Die ruandische Tutsi-Ethnie (bei der Unabhängigkeit etwa 17% der ruandischen Bevölkerung) behandelte die Mehrheit des Bantu-Stammes der Hutu (80%) als ihre geborenen «Stallknechte». Die Minderheits-Kaste der Tutsi, der jahrhundertelange ruandische Hochadel, stellte sämtliche hohen Hofbeamten sowie die Offiziere der Armee. In den Missionarsschulen (den damals einzig funktionierenden Schulen und damit Voraussetzung zur Karriere) waren sie unverhältnismässig zahlreich vertreten, die damals von ihnen für beschränkt bildungsfähig gehaltenen Hutu dagegen untervertreten. Das alles bezeugen unabhängig von einander vertrauenswürdige Zeitzeugen und Forscher, insbesondere auch das Buch mit dem Titel «Un évêque au Rwanda» (Ein Bischof in Ruanda) des Schweizer Missionars und nachmaligen Erzbischofs von Kabgayi (Ruanda), André Perraudin. Diese Literatur mit wissenschaftlichem Anspruch wird seit dem Völkermord der Hutu an den Tutsi in Frühjahr und Frühsommer 1994 als «revisionistisch» (Völkermord leugnend) oder in offener Umkehrung der Wirklichkeit sogar als «rassistisch» verunglimpft. Der erwähnte Schweizer Erzbischof Perraudin sagte in seinen letzten Lebensjahren, mit Blick auf die Lage in Ruanda beim Übergang zur Unabhängigkeit in den frühen sechziger Jahren: «Ich stellte schliesslich fest, dass die Gruppe der Hutu im Lande verachtet wurde. Die Hutu wurden von den anderen, die sich zum Herrschen berufen fühlten, als Menschen zweiter Klasse angesehen, mit einer Mentalität des ‹Übermenschen›, die Sie in Deutschland gut gekannt haben. Entschuldigen Sie diesen Vergleich, aber er ist treffend.» Wie bei vielen vergleichbaren Themen ist eine bestimmte Denkrichtung jedoch daran interessiert, auch hier den Mantel des Schweigens über das Gewesene zu breiten und nur auf der «richtigen Seite» zu stehen. Auch hier war es so, dass die Sieger (die ruandische durch Kagame im Sommer 1994 wieder hergestellte Alleinherrschaft der früheren Tutsi-Elite) die ruandische Geschichte neu geschrieben haben. Leider folgt ihnen die Mehrheit des modernen Schrifttums, der Medien und der Kulturschaffenden über die ruandischen Tragödien fast blind.

Der «wertebasierte» Westen hat den Ostkongo absichtlich destabilisiert

«Kagame hat offenbar schon zu diesem Zeitpunkt (Sommer 1997, Vorbereitung des ersten ‹Rebellionskrieges› gegen Kongo/Zaïre) mit amerikanischen Kreisen seine Aggressionsabsichten erörtert. Man weiss, dass diese Politik auch in Militär- und Geheimdienstkreisen nicht unumstritten war. Sie gewann schliesslich die Oberhand. Mobutu wurde zum Abschuss freigegeben. […] Die ungelöste ruandische Flüchtlingsfrage und die Rücksicht auf den neuen Minderheitsmachthaber Kagame in Ruanda haben die beim herannahenden Tod von Mobutu [er war damals von seiner Krebserkrankung gezeichnet] in greifbare Nähe gerückte Demokratie in Zaïre verhindert. Denn spätestens seit dem Herbst 1996 wussten die Geheimdienste, dass Mobutus Krebserkrankung nicht mehr beherrschbar war und mit seinem baldigen Tod gerechnet werden konnte. Niemand hätte dann demokratische Präsidentschaftswahlen in Zaïre verhindern können.» (Strizek, Helmut. Kongo/Zaïre-Ruanda-Burundi. Stabilität durch erneute Militärherrschaft? Studie zur ‹neuen Ordnung in Afrika, S. 142)
  «Eines stellt sich ganz klar heraus. Wenn die kongolesische Regierung und die Zivilgesellschaft der Demokratischen Republik Kongo sich nicht entschiedener und offensiver zur Frage der praktizierten Straflosigkeit für schwere Verbrechen verhalten, werden die dort aktiven ruandischen, ugandischen und burundischen Kriminellen weiter Tod und Verderben säen […] mit dem Ziel, die Kongolesen definitiv aus ihrem Land zu vertreiben. Die Kongolesen sollten die Worte von Papst Franziskus nicht vergessen, die er ihnen bei seinem Aufenthalt in Kinshasa zum vergessenen Genozid in der Demokratischen Republik Kongo ans Herz gelegt hat: ‹Die Zukunft der Kongolesen liegt in ihrer Hand. Sie sollten sich nicht länger manipulieren lassen, und sich noch viel weniger kaufen lassen von denen, die das Land weiter der Gewalt anheimgeben wollen, damit sie es weiter ausbeuten und ihre schändlichen Geschäfte betreiben können.›» (Onana, Charles. Holocauste au Congo, S. 442; Übersetzung Zeit-Fragen)

Die Täter stellen sich als Befreier dar

pk. Es ist, gestützt auf die reale Geschichte Ruandas, kein Wunder, dass die ehemaligen Herrscherfamilien und ihre Klientel, die Tutsi-Elite, in der Zeit der Umwandlung der «Zwergmonarchie Ruanda» in eine Demokratie (um die sechziger Jahre) in grosser Zahl auswanderten; denn sie sahen keine Chancen, wie sie ihre privilegierte Stellung bei den gegebenen Mehrheitsverhältnissen hätten weiter behaupten können. Die mei-sten dieser Exil-Tutsi wandten sich nach Uganda; so auch die zu den einflussreichsten Kreisen Ruandas gehörende Familie von Paul Kagame. Kagame baute mit Unterstützung Musevenis und den USA dort seine Interventionsarmee RPA auf und eroberte Ende Juli 1994 mit ihr die verlorene Vorherrschaft über Ruanda wieder zurück, dies nach einem blutigen vierjährigen Interventionskrieg, schon damals getarnt und im Westen verbreitet unter der fälschlichen Bezeichnung «Bürgerkrieg». In Tat und Wahrheit war es ein nach dem Drehbuch der CIA unternommener und von der Regierung Clinton gegen die demokratische Regierung des gewählten Präsidenten Juvénal Habyarimana (Hutu) vom Zaun gebrochener Interventionskrieg.
  Der unerschrockene kamerunisch-kanadische Forscher Charles Onana wies schon vor mehreren Jahren in seiner Studie «Ces tueurs tutsi» mit vielen schwerwiegenden Indizien darauf hin, dass es mit grosser Wahrscheinlichkeit die RPA unter dem Kommando von Kagame war, die den Völkermord der Hutu an den Tutsi von April bis zum Frühsommer 1994 ausgelöst hat. In der Nacht des 6. April 1994 wurde nämlich das Flugzeug des auf Ausgleich bedachten und demokratisch gewählten ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana beim Anflug zur Landung auf dem Flugplatz von Kigali durch eine in der Nähe abgefeuerte Boden-Luft-Rakete getroffen. Präsident Juvénal Habyarimana, sein burundischer Amtskollege Ntaryamira, hohe Offiziere beider Staaten sowie die vierköpfige französische Crew kamen bei dem feigen Anschlag ums Leben. Das Attentat, das die Hutu der RPA ankreideten, löste den Beginn des genozidalen Massenmords der ruandischen Hutu-Extremisten an den Tutsi von 1994 aus. Onana und weitere kritische Beobachter und Kenner des Geschehens gehen davon aus, dass es auch tatsächlich die RPA war, welche das Attentat verübte. Demzufolge hätte der Kommandostab der RPA (Tutsi) seine eigene Ethnie (Tutsi) absichtlich ans Messer der Hutu-Extremisten geliefert, um sich der Nachwelt als hehrer «Befreier vor dem Völkermord» der Hutu an den Tutsi präsentieren zu können. Dass die RPA vorher und nachher selbst genozidähnliche Massenmorde an der ruandischen Hutubevölkerung durchführte, soll durch eine ähnliche Propagandastrategie vertuscht werden, die auch die wahren Ursprünge des Palästinaproblems vernebelt: Die Täter verwenden zynisch die Tragödie ihres Volkes dazu, ihre eigenen Verbrechen zu decken. Die Täter gerieren sich als Opfer. Was den Kongo angeht, so sprechen seriöse Untersuchungen eine klare Sprache (siehe Literaturangaben in Fussnote 2).

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK