Am Donnerstag, dem 11. April 2024, hat das überparteiliche Initiativkomitee «Zur Wahrung der schweizerischen Neutralität» seine Initiative eingereicht. Über 130 000 Unterschriften zeugen von einem beachtlichen ersten Erfolg. Nun wird es in nächster Zeit möglich sein, über die Initiative, welche die Neutralität präziser in der Bundesverfassung verankern will, abzustimmen. Bereits die Unterschriftensammlung und nun das Zustandekommen der Initiative haben eine breite Debatte ausgelöst, die unabhängig vom Resultat politisch bereits einiges zu verändern vermag. Bei einer Abstimmung geht es eben nicht nur um das schlichte Ja oder Nein. Wer das betont und in Wehklagen verfällt, verkennt völlig den Wert der direkten Demokratie. Es geht schlicht darum, dass ein solches Vorhaben die zentrale Vorwirkung besitzt, die Macht etablierter politischer Zirkel wie Parteien und Verbände zu brechen. Ebenso wird der Mainstream der medialen Macht mit der Zeit in Frage gestellt. Dieser Vorgang öffnet Freiräume für kreative Denk- und konkrete Veränderungsprozesse.
Die Schweiz verspielt den
Rest ihrer Glaubwürdigkeit
Auf der Gegenseite, bei den Abschaffern der Schweizer Neutralität, sprich dem Bundesrat und der Mehrheit des Parlamentes, führt das zu Nervosität und peinlichen Vorstössen. Grossspurig verkündeten Bundesrat Cassis und Bundesrätin Amherd im Januar am Wirtschaftsforum in Davos, inmitten von Wirtschaftseliten und Politprominenz, man organisiere nun eine «Friedenskonferenz» in der Schweiz. Wenig später wurde bekannt, dass die Konferenz auf dem Bürgenstock stattfinden soll. Dieses grösste Luxusresort der Schweiz ist seit geraumer Zeit in Besitz des Staatsfonds des Feudalstaates Katar, der nicht gerade bekannt ist für die Einhaltung der Menschenrechte. Auf dem schmalen Felsgrat hoch über dem Vierwaldstättersee werden nun wohl im Rahmen der Konferenz Luftschlösser gebaut, die auf Macht und Gewalt und nicht auf Frieden und Gerechtigkeit gründen. Als Grundlage für die Konferenz, falls sie denn überhaupt stattfindet, will sich die Schweiz nämlich auf das einseitige und von den USA verfasste 10-Punkte-Programm der Ukraine stützen. Russland ist gar nicht eingeladen und wäre sowieso nicht gekommen, andere Länder wie China und weitere nichtwestliche Staaten werden wohl auch nicht auf den Berg reisen. Ein Riesenflopp also, die Schweiz macht sich so fortgesetzt unglaubwürdig, die Schweizer Diplomatie ist an einem Tiefpunkt angelangt. Wer so dilettantisch einen Stellvertreterkrieg der Nato beenden will, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, im Schlepptau der USA den humanitären Gehalt der Schweiz preiszugeben. Die Neutralitätsinitiative kommt im richtigen Moment, um ein solches Treiben zukünftig zu verhindern. Die direkte Demokratie zeigt so ihre unglaubliche Widerstandskraft, das macht eben das Spezifische der politischen Kultur der Schweiz aus.
Die lateinische Schweiz und Linke
unterstützen die Initiative entscheidend
Gerade die letzten paar Monate der Unterschriftensammlung zeigten diese veritable Widerstandskraft der Schweizer Bevölkerung auf. Mit einem eminenten Schlussspurt gelang es, gegen das Sperrfeuer der Medien und aller Parteien, das nötige Unterschriften-Quorum zu erreichen und gar weit zu übertreffen. Zwei Gründe waren dafür vor allem entscheidend:
Erstens gilt es den Patriotismus und Pazifismus der lateinischen Schweiz zu würdigen. Besonders die Kantone Tessin, Waadt und Genf steuerten anteilsmässig zur Bevölkerung und im Vergleich mit anderen Kantonen ein Vielfaches an Unterschriften bei. Im Kanton Tessin waren es die bürgerliche Lega dei Ticinesi und sozialistische Gruppierungen links der heutigen Sozialdemokraten (SPS) und Grünen, die konzentriert und kontinuierlich sammelten. Das hat sicher auch mit der Geschichte des Kantons Tessin zu tun, der zwar lange eine sogenannte «Gemeine Herrschaft» der Alten Eidgenossenschaft war, dann aber nach der Helvetik mit wehenden Fahnen – «Liberi e svizzeri!» – unbedingt den Anschluss an die Schweiz wollte. Das hat mit der relativ milden Herrschaft der eidgenössischen Vögte, dem Vorbild der eidgenössischen Landsgemeinden und mit den genossenschaftlichen Wurzeln des Südkantons zu tun. Der Kanton Waadt seinerseits weiss nur allzu gut, was es heisst, Untertanengebiet von Bern zu sein. Lieber schreiben sie heute den ehemaligen «Herren» in Bern, sprich der Regierung, mit der Initiative ins Stammbuch, dass sie gefälligst die integrale Neutralität der Schweiz wieder ernstnehmen sollen. Der Kanton Genf schliesslich als Sitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) spürt unmittelbar die Minderung des Respekts der humanitären Hilfe der Schweiz. Die Schweizer Regierung wirft im Sog des «wertebasierten Westens» ihre humanitäre Tradition willfährig über Bord. Sie will zu den «Guten» gehören und verkennt völlig die Bedeutung, als neutrales Land effektiv für den Frieden wirken zu können. Mittlerweile tritt bereits eklatant zu Tage, in welchem Ausmass die nicht mehr neutrale Schweiz den eigenen humanitären Hilfswerken, allen voran dem IKRK, den Boden entzieht. In der Ukraine und im Gaza-Streifen werden die Hilfswerke immer weniger respektiert und das Humanitäre Völkerrecht mit Füssen getreten. Der Sitz im UN-Sicherheitsrat nützt der Schweiz nichts, wenn sie dabei die Vorstösse der USA brav abnickt oder feige sich der Stimme enthält. Das alles realisiert das humanitäre Genf und weiss zudem als Grenzkanton, ebenso wie die Kantone Tessin und Waadt, was auf dem Spiel steht.
Zweitens muss auch erwähnt werden, dass schweizweit ein «Aufruf von Linken und Grünen zur Unterstützung der Neutralitätsinitiative» lanciert wurde. Dieser Aufruf verschaffte der Initiative einen ungeahnten Schub. Der Aufruf hielt besonders den etablierten Parteien der SP und der Grünen, vor allem den Damen und Herren, die ein politisches Mandat besitzen, den Spiegel vor. Sie wurden allesamt in ihrem unerklärlichen «Kriegsrausch» blossgestellt. Deren Pazifismus ist entschwunden.
Die politische Basis, die dank dem «Aufruf» breiter wurde, muss nun kontinuierlich ausgebaut werden. Da gibt es noch viel zu tun, aber so wird es möglich, die Initiative bei vielen Menschen nachhaltig zu verankern. Noch immer unterstützen rund 90% der Schweizer Bevölkerung die Neutralität. Nun wird der Mehrheit einleuchten, dass die Konkretisierung der Neutralität mittels des Initiativtextes dringend nötig ist. Immerhin geht es um einen zentralen Staatspfeiler der Schweiz und mit der Abstimmung um eine der wichtigsten Entscheidungen in der über 175jährigen Geschichte des Bundesstaates.
Der Bundesrat, das Parlament und allen voran die Bevölkerung der Schweiz als Souverän müssen sich nun klar bekennen: entweder zu einer glaubwürdigen Neutralität, wie sie die Initiative in die Bundesverfassung schreiben will, oder zu einem Beitritt zur Nato. Ein Lavieren dazwischen darf und kann es nicht geben. •
* René Roca ist promovierter Historiker, Gymnasiallehrer und Leiter des Forschungsinstituts direkte Demokratie (www.fidd.ch). Er ist parteiloses Mitglied des Komitees «Zur Wahrung der schweizerischen Neutralität» (Neutralitätsinitiative).
Zur Frage, wie er zur Neutralitätsinitiative stehe, führt Ralph Bosshard, ehemaliger hochrangiger OSZE-Mitarbeiter und versierter Kenner der Ukraine, aus: «Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist diese Initiative Gold wert, zeigt sie doch dem Ausland auf, dass die Schweiz nicht alles mit sich machen lässt. Bundesräte wechseln das Departement und gehen wieder in den Ruhestand, aber es gibt Konstanten in der schweizerischen Aussen- und Sicherheitspolitik. Sie führt hoffentlich auch dazu, dass die Damen und Herren Botschafter etwas weniger im Bundeshaus West antichambrieren. Wirtschaftssanktionen sind das Mittel des wirtschaftlich Stärkeren gegen den Schwächeren und damit letzten Endes auch ein Ausdruck des Faustrechts in den internationalen Beziehungen. Das möchten wir ja genau nicht mehr haben.» (Ralph Bosshard im Gespräch mit der Weltwoche, Nr. 15/24, S. 24)
«Die von der VBS-Vorsteherin, Bundesrätin Viola Amherd, mit Hochdruck vorangetriebene Nato-Annäherung weckte die Öffentlichkeit endgültig auf. Statt endlich die grobfahrlässig verursachten Mängel und Ausrüstungslücken in der militärischen Landesverteidigung anzugehen, verstieg sich die VBS-Chefin in einen neutralitätswidrigen Nato-Annäherungskurs. Die Bürgerinnen und Bürger merkten, dass die Schweiz in das militärische Kesseltreiben der Nato geführt werden soll. Die Unterschriftensammlung zugunsten der Neutralitätsinitiative erfuhr einen regelrechten Schub. Für das Komitee ist klar: Die Schweizerinnen und Schweizer wollen keinen schleichenden Nato-Beitritt.
Der Präsident der Initiativkomitees, alt Nationalrat Walter Wobmann, stellte bei der Einreichung der Unterschriften fest, dass das erfolgreiche Zustandekommen der Neutralitätsinitiative die Diskussion über die Ausrichtung der schweizerischen Aussenpolitik und über die falsche Nato-Annäherung erzwinge. Der Souverän erhalte nun die Möglichkeit, die Abkehr von der bewährten immerwährenden, bewaffneten Neutralität zu stoppen. […]
Nationalrat Pierre-André Page hob die starken Unterschriftenzahlen in den Westschweizer Kantonen hervor. Gerade Genf zeige, dass die Bevölkerung an den traditionellen Werten wie Friedensdiplomatie und humanitäre Hilfe festhalten wolle. Genf als Sitz des IKRK und vieler Uno-Organisationen biete auf neutralem Boden eine Plattform für die humanitäre Tradition der Schweiz.»
Quelle: Pressemitteilung Pro Schweiz vom 11.4.2024
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