EFAS oder warum die Politik am Status quo nichts ändern will

Solange die Schweiz in der WTO ist, ist jeder Gesundheitsreform zu misstrauen

von Prof. Dr. med. David Holzmann*

Jahrelang sollen Parlamentarier in den Kommissionen um die Finanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens gestritten und gekämpft haben, um angeblich die Belastung durch die laufend steigenden Krankenkassenprämien zu bremsen. Wenn jedoch am Grundsatz nichts geändert werden soll, werden alle Veränderungen zur Makulatur. Das haben einige Gruppierungen im Zusammenhang mit der EFAS (Einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen) realisiert und das Referendum ergriffen. Der Kompromiss, auf den sich die Politik geeinigt hat, enthält nach wie vor einige Pferdefüsse, denn die Beteiligung der öffentlichen Hand an der Finanzierung des Gesundheitswesens soll nicht gesteigert, sondern weiter reduziert werden. Das entspricht dem Willen der Politik. Zum Glück hat das Volk, der Souverän, das letzte Wort und kann die politisch Verantwortlichen zurück auf Feld 1 schicken, damit diese sich besinnen, was der Wille des Volkes ist.

Die Hintergründe der zur Abstimmung vorliegenden Vorlage EFAS, gegen welche unter anderem die Gewerkschaften das Referendum ergriffen haben, gehen auf das Jahr 1995 zurück. Damals hat der Bundesrat, vertreten durch J.P. Delamuraz (FDP), die WTO-Verträge für die Schweiz unterschrieben, ohne sie dem obligatorischen Referendum zu unterstellen, was mindestens verfassungsrechtliche Diskussionen hätte hervorrufen müssen. Die WTO-Mitglieder, und damit fortan auch die Schweiz, verpflichten sich, immer weniger öffentliche Gelder (zum Beispiel Steuereinnahmen) dem Service public, so auch dem öffentlichen Gesundheitswesen, zukommen zu lassen. Vor diesem Hintergrund entstand unter anderem die eidgenössische Vorlage zur KVG-Reform, die vom Volk angenommen wurde und 1996 in Kraft getreten ist (KVG: Bundesgesetz über die Krankenversicherung).

Die KVG-Reform 1996

Kurz zusammengefasst fand ein Systemwechsel in der Finanzierung des Gesundheitswesens statt, der sehr tiefgreifend war und im Abstimmungsbüchlein nur sehr nebulös, dafür aber nicht minder frohlockend erklärt war. Während vor 1996 die Krankenkassen in einem Konkordat organisiert waren und am Ende des Jahres eine Null-Bilanz ausweisen mussten – das heisst keinen Gewinn machen durften – wurden sie mit der KVG-Reform «in den freien Markt» entlassen. Damit würden dank der Konkurrenz unter den Versicherern die Prämien sinken, verkündete Bundesrätin Ruth Dreifuss (SP) an zahlreichen Abstimmungsveranstaltungen.
  Bis zu dieser Reform wurden stationäre Behandlungen zu 45% von den Krankenkassen und zu 55% von den Kantonen finanziert. Ambulante Leistungen zahlten wohl die Krankenkassen, diese hatten jedoch durch die Kantone (und indirekt auch durch den Bund) eine Art Defizitgarantie, was hier nicht näher erläutert werden soll. Nach der KVG-Reform wurden sämtliche ambulanten Behandlungen, sei es beim Hausarzt, in der Praxis eines Spezialarztes oder in einem Spital, fortan nur noch von der Krankenkasse übernommen. Die Kassen jedoch waren nun auf sich alleine gestellt und hatten nur noch eine Einnahmequelle: die Prämien der Versicherten. Stationäre Behandlungen teilten sich die Kassen und die Kantone weiterhin nahezu zur Hälfte.
  Dank dem medizinischen Fortschritt wurde es zunehmend möglich, Operationen und zahlreiche weitere Behandlungen ambulant, d.h. nicht stationär in einem Spital durchzuführen. Mit der zunehmenden Verlagerung von Behandlungen in den ambulanten Bereich wurden die Krankenversicherer mehr belastet. Zwar fand eine gewisse Entlastung der stationären Behandlungen statt, dies dürfte sich aber auf Grund des Bevölkerungszuwachses vermutlich ausgeglichen haben. Im Jahre 2000 zählte man in der Schweiz rund 7 Millionen Einwohner, heute sind wir bei über 9 Millionen angekommen. Dass nach WTO-Vorgabe immer weniger Steuergelder ins Gesundheitswesen fliessen sollen, kommt offenbar vielen Kantonsregierungen entgegen. Weil auch nach der KVG-Abstimmung 1996 die öffentliche Hand weiterhin an den stationären Behandlungen beteiligt ist, wird es auch klar, warum die Politik, angeführt von den kantonalen Gesundheitsdirektoren, bis heute nicht aufhört, stationäre Einheiten, sprich Spitäler, zu schliessen. Der Vorwand ist immer der gleiche: Die Spitäler würden nicht rentieren.

Ein kleiner Exkurs:
Müssen Spitäler rentieren?

Von politischer Seite werden seit der KVG-Reform laufend Spitäler geschlossen. Die Hintergründe werden aus dem oben Gesagten klar. Die Argumentation ist, dass die Spitäler nicht rentieren. Da aber auch die Polizei und die Feuerwehr nicht rentieren, weil sie einen Versorgungsauftrag im Bevölkerungsschutz erfüllen, sei die Frage erlaubt, warum ein öffentliches Spital rentieren muss, wo dieses doch eine sehr ähnliche Aufgabe zu erfüllen hat wie die Polizei und die Feuerwehr. Der Auftrag der öffentlichen Spitäler ist ja, dass sie die Gesundheitsversorgung sicherstellen müssen. Somit können sie unmöglich «rentabel» im Sinne eines marktwirtschaftlichen Betriebes funktionieren. Und sie müssen dies auch nicht, denn die öffentlichen Spitäler sind wie die Polizei und die Feuerwehr oder beim Bund die SBB Teil des Service public. «Ein guter Service public – das Markenzeichen der Schweiz», schreibt der Bundesrat und definiert: «Service public umfasst die Grundversorgung mit Infrastrukturgütern und -dienstleistungen, welche für alle Bevölkerungsschichten und Regionen des Landes zu gleichen Bedingungen in guter Qualität und zu angemessenen Preisen zur Verfügung stehen sollen.» (https://www.uvek.admin.ch/uvek/de/home/uvek/bundesnahe-betriebe/guter-service-public.html)

Kostenexplosion im Gesundheitswesen
 oder Prämienexplosion?

Wie erwähnt, werden mit der zunehmenden Verlagerung der Abklärungen und Behandlungen von Patienten in den ambulanten Bereich die Kosten auf die Krankenkassen überwälzt, während die öffentliche Hand entlastet wird und wurde. Letzteres freut die Gesundheits- und Finanzdirektoren, da die Kantonsbudgets von einem der bedeutendsten Posten, dem des Gesundheitswesens, entlastet werden. So liess sich zum Beispiel Regierungsrat und Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) 2019 zitieren, dass der Kanton Zürich 117 Mio. Franken gespart habe, dank dieser Verlagerung von stationären in ambulante Behandlungen. Die steigenden Prämien werden von der Politik mit den Kostensteigerungen im Gesundheitswesen erklärt und präsentiert, womit noch weiter auf die Spitäler und deren stationäre Behandlungen eingedroschen werden kann. Ohne es jeweils konkret genauer auszuformulieren, nehmen solche Politiker immer gerne die Keule der «Fehlanreize im Gesundheitswesen» hervor. Tatsächlich sind die Gesundheitskosten linear, d.h. moderat gestiegen, während der Anteil, welchen die Versicherten selber übernehmen, rascher steigt. Mit dem Vorwurf von Fehlanreizen, Überbehandlungen und fehlender Rentabilität usw. werden weitere Spitalschliessungen gerechtfertigt, womit dem Personal das Korsett immer noch enger geschnallt wird.

Die EFAS-Vorlage ist keine
 Rettung in der Not – im Gegenteil

Mittlerweile sickerte in den Mainstream-Medien durch, dass das gezielte Vorenthalten von Steuermitteln in der ambulanten Behandlung unfair ist. In diesem Zuge haben sich Bundesparlamentarier in ihren Kommissionen an das Thema herangemacht und nach Jahren einen Vorschlag formuliert. Glücklicherweise haben einige aufmerksame Bürgerinnen und Bürger vor allem aus den Reihen der Gewerkschaften realisiert, dass mit diesen Gesundheitsexperten nicht gut Kirschen essen ist. Gesundes Misstrauen ist angesagt.
  Gemäss der Reform beteiligt sich nach der Grafik im Abstimmungsbüchlein (S. 47) die öffentliche Hand an allen Behandlungen.
  Bei den stationären Patienten wird die Beteiligung der Kantone aus zwei Gründen geringer sein. Zuerst schrumpfen ja die Beiträge der Kantone gemäss Grafik von 55% auf 26,9%. Dann wissen wir, dass die Politik am eingeschlagenen Kurs, Spitäler zu schliessen, festhalten wird. Damit ist die Sparquote der Gesundheitsbudgets der Kantone gesichert, da im stationären Bereich im erwähnten Sinne gespart werden wird.
  Wenn man weiss, dass die Kosten für die Pflege (v.a. Langzeitpflege) bisher mit jährlich 13 Mia. Franken zu Buche schlagen, dann ist die Reduktion der kantonalen Beteiligung von aktuell 46% auf neu 26,9% gewaltig. Deshalb ist ein grosses Fragezeichen zu EFAS zu setzen, weil die Kantone sich damit weiter aus der Finanzierungsverantwortung stehlen könnten.

Fazit

Solange die Politik sich nicht klar dafür ausspricht, das Gesundheitswesen in unserem Land mit Steuergeldern zu unterstützen, ohne einer Hidden Agenda (versteckte Pläne wie die der WTO-Vorgaben) zu folgen, kann aus Bern und den Kantonen nichts Gutes erwartet werden. Solange wird die Politik unaufhörlich versuchen, Steuergelder dem Gesundheitswesen vorzuenthalten. Mittlerweile setzt sich beim Volk die Erkenntnis durch, dass die steigenden Krankenkassenprämien nicht wegen «zu teuren Spitälern», «geldgieriger Ärzteschaft» und «extravaganten Wünschen der Bevölkerung» («jedem Täli siis Spitäli») erklärt werden können. Wenn die EFAS-Vorlage etwas deutlicher gemacht hat, dann die Tatsache, dass es (wieder) höhere Beiträge der öffentlichen Hand zur Finanzierung des Gesundheitswesens braucht.
  Doch diese Vorlage ist auf Sand gebaut, da der Untergrund, der neoliberale Kurs mit geplanter Verknappung öffentlicher Gelder im Gesundheitswesen, unbrauchbar ist; und dieser Kurs wird durch die EFAS-Vorlage nicht gestoppt. Die medizinische Versorgung kann und darf nicht nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionieren, nur schon weil der Patient nicht ein Kunde ist, der etwas kaufen will. Ein Patient fühlt sich durch seine Krankheit oder Verletzung primär einmal bedroht und will gesund werden, will leben. Warum will das die Politik nicht verstehen?

Zusammenfassung

Die EFAS-Vorlage brüstet sich, eine einheitliche Finanzierung im Gesundheitswesen zu sichern. Einheitlich wird sie bei Annahme der Vorlage wirklich, da nun ambulante und stationäre Behandlungen so wie die Langzeitpflege prozentual, alle drei gemeinsam, gleich viel von den Kantonen erhalten. Wenn aber gerade bei den stationären Behandlungen wie auch bei der Langzeitpflege drastische Kürzungen der Kantone vorgenommen werden, dann sind die Beiträge der öffentlichen Hand zwar einheitlich, aber einheitlich schlecht. Hier folgen Bund und Kantone der Agenda der WTO und werden mit jeder Reform immer mehr Steuermittel dem Gesundheitswesen vorenthalten, womit die nächsten Prämienschocks vorprogrammiert sind.  



David Holzmann ist Leitender Arzt und Stellvertretender Klinikdirektor, Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie am Universitätsspital Zürich, USZ

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