Schweizer AHV-Reserven in den Klauen der US-Finanzkonzerne

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Kürzlich wurden wir durch eine Meldung aufgeschreckt, die durch die Schweizer Medien ging: Die Aufbewahrung unserer AHV-Reserven – Wertschriften im Wert von rund 40 Milliarden Franken! – soll dem US-Bankenriesen State Street überlassen werden. Ausgerechnet! Als ob wir nicht unseren «Lehrblätz» mit dem US-Finanzplatz abbekommen hätten. Ans Tageslicht gebracht haben die missliche Angelegenheit drei Nationalräte, die dem Bundesrat einige unbequeme Fragen gestellt haben. Dabei mussten wir mit Befremden zur Kenntnis nehmen, dass der Bundesrat sich ganz einfach aus der Verantwortung zu stehlen versucht.

Am 1. Juli gab der AHV-Ausgleichsfonds bekannt, dass die zuständige Compenswiss (siehe Kasten) der UBS das Mandat für die AHV-Wertschriftenverwahrung nach 26 Jahren entzieht und dem US-Finanzriesen State Street übertragen werde.

«Was systemrelevant ist,
 gibt man nicht in ausländische Hände»

Wir ersparen uns und unseren Lesern die Details des Auswahlverfahrens durch die Compenswiss und legen den Fokus auf die zentrale Aussage von Nationalrat und Banker Thomas Matter: «Die Verwaltung der Gelder in der ersten Säule ist für unser Land systemrelevant» und seine Folgerung: «Was systemrelevant ist, gibt man nicht in ausländische Hände.»1
  State Street ist nach eigenen Angaben «ein weltweit führendes Unternehmen» der Finanzindustrie: «Wir betreuen fast 10 Prozent des weltweiten Vermögens» (!) und weiter: «Erleben Sie den State-Street-Vorteil, der Ihnen hilft, die Märkte zu bewegen […].» (statestreet.com).
  Ob wir mit unseren AHV-Reserven «die Märkte bewegen» und die sagenhaften Gewinne eines US-Finanzmolochs äufnen wollen – oder nicht lieber die Sicherheit unserer Renten in den Vordergrund stellen sollten?

Bundesrat versucht,
 sich aus der Verantwortung zu stehlen

Drei Mitglieder des Nationalrates gaben bisher ihrer berechtigten Besorgnis als Volksvertreter Ausdruck.
  Daniela Schneeberger, Nationalrätin FDP (Fragestunde vom 18.9.2024): «Die AHV hat ihre Wertschriften einer Bank mit Sitz in den USA anvertraut. Dies erregt grosse Besorgnis bei den Bürgerinnen und Bürgern. Es wird ein äusserst wichtiges Volksvermögen in US-Hände gegeben. Dieser Entscheid kann vielerorts nicht nachvollzogen werden. Ist dem Bundesrat diese Besorgnis bewusst? Wie beurteilt der Bundesrat diesen Entscheid? Weshalb war dieser Schritt notwendig?»2
  Ähnliche Bedenken äussert Nationalrat Olivier Feller (FDP) in seiner Interpellation vom 25.9.2024.
  Aus der mehr als dürftigen Antwort von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider an Daniela Schneeberger: «Compenswiss ist finanziell und organisatorisch selbständig, und die Wahl der Depotbank gehört zu ihren Kompetenzen. […] Die Neuausschreibung des Mandats war von der Eidgenössischen Finanzkontrolle empfohlen worden, da Compenswiss seit zwanzig Jahren mit der UBS zusammenarbeitet. […] Eine Depotbank nimmt rein administrative Aufgaben wahr, die kein Risiko für das Vermögen darstellen. Sie ist daher nicht mit einem Vermögensverwalter zu verwechseln.»
  Dazu drei Bemerkungen:

  1. In der Bundesverwaltung sind unter der Rubrik mit dem unschweizerischen Namen «Corporate Governance» zahlreiche öffentlich-rechtliche Anstalten des Bundes zu finden, die nicht mehr von unseren Volksvertretern verantwortet werden, sondern über die Angelegenheiten des Schweizer Volks und die Verwendung unserer Steuer- oder AHV-Gelder «in eigener Kompetenz» entscheiden. Darunter sind die Post, die SBB, die Zulassungs- und Kontrollbehörde für Heilmittel «Swissmedic» oder die ETH – lauter mit unserem Land eng verbundene und unverzichtbare Schwergewichte. Und eben die Verwalterin unserer AHV/IV-Gelder, die Compenswiss. Diese verschiebt nun unsere AHV-Reserven in die USA, wo schon andere Schweizer Volksvermögen versickert sind, und die zuständige sozialdemokratische Bundesrätin weiss nichts Besseres zu sagen als: Das geht mich nichts an.
  2. Weil man schon seit zwanzig Jahren zusammenarbeitet, muss man ein Mandat neu ausschreiben? Eine merkwürdige Begründung. Eine langjährige gute Zusammenarbeit spricht eigentlich im Gegenteil dafür, diese fortzusetzen. Stecken da etwa dieselben Kreise dahinter, die die Schweiz gedrängt haben, die CS der UBS einzuverleiben? Und jetzt zwackt man der UBS Mandate der Eidgenossenschaft ab und verschiebt sie zu Banken ennet dem Atlantik.
  3. «Kein Risiko für das Vermögen»: Wie sagte doch der damalige Bundesrat Hans-Rudolf Merz den Angreifern auf das Schweizer Bankgeheimnis? «An diesem Bankgeheimnis werdet ihr euch die Zähne ausbeissen.» («10 vor 10», SRF vom 19.3.2008)

«Aus Gründen der Sicherheit unseres
Volksvermögens» eine Schweizer Bank

Nationalrat und Finanzfachmann Thomas Matter(SVP) stellt in seiner Interpellation vom 12.9.2024 einige kritische Fragen an den Bundesrat, die dieser bisher noch nicht beantwortet hat. Zusammengefasst will Matter wissen, warum die Schweiz der UBS das Verwaltungsmandat entzogen hat, und vor allem, ob es «aus Gründen der Sicherheit unseres Volksvermögens (1. Säule) für die Schweizer Sozialwerke AHV, IV und EO nicht sinnvoller [wäre]», deren Verwaltung einer Schweizer Bank anzuvertrauen.3
  Der Direktor der Compenswiss, welche für die Entziehung der AHV-Wertschriften-Verwaltung aus Schweizer Händen verantwortlich ist. Eric Breval, beteuert dagegen in der «Neuen Zürcher Zeitung»,der Wechsel der Depotbank habe «keinerlei Folgen für den Ort, an dem die Vermögenswerte lägen, und es gebe auch keinen Einfluss auf die Vermögensverwaltung».4
  Es ist hier nicht der Ort, buchhalterische Spitzfindigkeiten zu diskutieren. Der erfahrene Bankfachmann Thomas Matter denkt politisch und bezieht die Erfahrungen der Schweiz mit der Grossmacht USA in seine Überlegungen mit ein. In einem Artikel im SonntagsBlick sagt er: «‹Die [die US-Amerikaner, mw.] setzen ihre Interessen kompromisslos durch. Das haben wir bei den nachrichtenlosen Vermögen und bei der Abschaffung des Bankgeheimnisses gesehen. Und wir erleben es gerade bei den Sanktionen gegen Russland.› Ohne mit der Wimper zu zucken, haben die amerikanischen Behörden russische Vermögen eingefroren. Genau das könnte auch der Schweiz passieren. Weil die internationalen Wertschriften der AHV künftig bei einer amerikanischen Bank liegen, könnte die US-Regierung im Rahmen von Sanktionen auch diese Vermögenswerte sperren, sagt Matter. ‹Ich glaube nicht, dass es dazu kommt, aber das Risiko ist mit der Verschärfung der geopolitischen Krisen gestiegen.›»5
  Nationalrat Matter nennt eine weitere Gefahr für die Schweiz: Falls die State Street Konkurs gehen würde, kämen «ungeahnte Probleme» auf die AHV zu, es könnte «Tage oder Wochen dauern, bis der AHV-Fonds wieder vollumfänglich über die Aktien und Obligationen verfügen könnte».
  Gut, dass wir Parlamentarier haben, die dem Bundesrat und seiner Corporate Governance etwas entgegensetzen. Wer weiss, ob der US-Finanzplatz bei einer Pleite des State-Street-Kolosses auch nur einen Cent unseres Vermögens herausrücken würde. Denken wir an die von aussen aufoktroyierte Verquickung der beiden Schweizer Grossbanken zurück: Da gingen die Eigentümer bestimmter Obligationen leer aus – und dabei handelte es sich bei der CS nicht um einen Konkurs, sondern um eine Schweizer Bank mit intaktem Vermögen. Ein wenig mehr Realitätssinn und Verantwortungsbewusstsein stünden dem Bundesrat und seiner Verwaltung gut an. 



1 Schmid, Beat. «Heikles Mandat für US-Bank stösst auf Kritik», in:SonntagsBlick vom 15.9.2024 
2 https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20247704/ 
3 Interpellation 24.3877, eingereicht von Thomas Matter am 12.9.2024 im Nationalrat. «Wechsel der Wertschriftenverwaltung vom Inland (UBS) ins Ausland (State Street) für den Ausgleichfonds von AHV, IV und EO»
4 Ferber, Michael. «Schweizer Volksvermögen in Händen der USA?» Politiker kritisieren den AHV- Ausgleichsfonds für den Wechsel der Depotbank von UBS zu State Street», in: Neue Zürcher Zeitung vom 7.10.2024
5 Schmid, Beat. «Heikles Mandat für US-Bank stösst auf Kritik», in:SonntagsBlick vom 15.9.2024

Die AHV/IV – «Erste Säule» der Schweizer Alters- und Invalidenvorsorge

Die AHV/IV (Alters- und Hinterlassenversicherung und Invalidenversicherung) ist die wichtigste soziale Absicherung der Schweizer Bevölkerung und im Volk tief verankert. Alle Einwohner sind versichert und erhalten ab 65 Jahren eine Altersrente oder im Falle einer Behinderung eine Invalidenrente und/oder andere Unterstützung. Dafür bezahlen alle Erwachsenen bis zur Pensionierung Prämien, die den Erwerbstätigen jeden Monat vom Lohn abgezogen und von den Arbeitgebern mit demselben Betrag ergänzt werden; Nichterwerbstätige (zum Beispiel Studenten) zahlen einen jährlichen Mindestbeitrag. Die AHV/IV ist die obligatorische «erste Säule» unserer Alters- und Invalidenvorsorge, neben der zweiten (Berufliche Vorsorge) und der dritten (Privates Sparen), auf die sich nicht alle stützen können. Die Sicherung der ersten Säule gehört zu den zentralen Aufgaben des Bundes.
  Sicherstellung der Leistungen: Die Ausgleichsfonds der AHV, der IV und der EO (Erwerbsersatz für Militär- und Zivildienstpflichtige sowie Mutterschaftsversicherung) erhalten alle Beiträge gutgeschrieben und bezahlen damit die laufenden Renten (sogenanntes Umlageverfahren). Die Ausgleichsfonds stellen sicher, dass die Leistungen auch dann bezahlt werden können, wenn in einem Jahr die Ausgaben grösser sind als ihre Einnahmen.
  Verwaltung der AHV-Reserven: Für die Verwaltung dieser Ausgleichsfonds ist Compenswiss verantwortlich. Compenswiss ist eine unabhängige öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes. Sie hat die überschüssigen Gelder (derzeit rund 40 Milliarden Franken) so anzulegen, dass das «bestmögliche Verhältnis zwischen Sicherheit und marktkonformem Ertrag» gewährleistet ist und den Ausgleichsfonds «jederzeit genügend Liquidität zur Verfügung steht».

Quellen: https://www.ahv-iv.ch/de/Sozialversicherungen/Glossar/term/ausgleichsfonds-der-ahv. https://www.compenswiss.ch/de/portraet/ziele

USA haben immer versucht, ihre Interessen durchzusetzen, auch ausserhalb der Rechtsstaatlichkeit

Antworten von Nationalrat und Finanzfachmann Thomas Matter (SVP)

mw. Mich und viele andere Bürger hat die Meldung, dass der Bund die Verwaltung unserer AHV-Gelder an einen Finanzkonzern in den USA übergeben hat, zutiefst alarmiert. Was muss uns am meisten beunruhigen?      
Thomas Matter: Zunächst möchte ich klarstellen, dass es bei dieser Thematik nicht um die Verwaltung dieser Vermögen geht, sondern um die Verwahrung von Wertschriften. Was mich am meisten beunruhigt, ist die Tatsache, dass die USA in der Vergangenheit immer versucht haben, ihre Interessen durchzusetzen, auch ausserhalb der Rechtsstaatlichkeit.
  Wenn die Wertschriften der 1. Säule von einer Schweizer Bank verwahrt werden – selbst wenn das im Ausland ist – bestehen im Krisenfall zwischen der Schweiz und den USA eindeutig grössere Chancen, dass der Bundesrat schneller reagieren und die Wertschriften in die Schweiz zurückholen kann. Es ist verständlich, dass amerikanische Banken im Ernstfall zuerst auf ihre eigene Regierung hören würden und nicht auf die schweizerische.

Der Direktor der Compenswiss, Eric Breval, beteuert, der Wechsel der Depotbank habe «keinerlei Folgen für den Ort, an dem die Vermögenswerte lägen, und es gebe auch keinen Einfluss auf die Vermögensverwaltung». Bundesrätin Baume-Schneider sagte in der Fragestunde des Nationalrates vom 23. September: «Eine Depotbank nimmt rein administrative Aufgaben wahr, die kein Risiko für das Vermögen darstellen.» Können Sie als Finanzfachmann erklären, wo Sie das Risiko sehen?              
Auch wenn die Aufgabe eines Vermögensverwahrers vor allem administrative Aufgaben umfasst, liegt das Risiko darin, dass die Vermögenswerte (Wertschriften) bei dieser Bank hinterlegt sind und somit ausschliesslich von ihr transferiert werden können. Genau hier besteht die Gefahr. Mit anderen Worten greift die Erklärung von Bundesrätin Baume-Schneider eindeutig zu kurz.

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