Offener Brief – Empörung über Ausschluss des russischen Botschafters vom Gedenken in Sachsenhausen

zf. Die Gedenkstätte Sachsenhausen will zu Gedenkfeiern anlässlich des Sieges über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg keine Vertreter aus Russland und Belarus zulassen. In einem offenen Brief übte der ostdeutsche Autor und bekannte Liedermacher Hans-Eckard Wenzel scharfe Kritik daran. 

Wie die «Berliner Zeitung» am 23. April schrieb, hatte das deutsche Auswärtige Amt Brandenburger Landkreisen und Kommunen empfohlen, «keine Einladungen an russische oder belarussische Diplomaten auszusprechen – und notfalls sogar ungebetene Gäste wieder wegzuschicken». Während es für den russischen Botschafter Sergej Netschajew sowie den belarussischen Gesandten Andrei Shuplyak auf der Gedenkfeier in Seelow (Schlacht um die Seelower Höhen in der Nähe Berlins) zu keinen Zwischenfällen kam, will die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, zu der die ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück gehören, notfalls sogar von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und den russischen Botschafter «mit Sicherheitskräften» vom Gelände entfernen lassen. Das Hauptgedenken in Sachsenhausen soll am 4. Mai stattfinden.
  Hans-Eckardt Wenzel hat sich nun mit einem offenen Brief an Axel Drecoll gewandt, den Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen:

Sehr geehrter Prof. Dr. Drecoll,

mit Entsetzen entnahm ich der Presse, dass Sie die russischen Vertreter für die Feierlichkeiten zur Befreiung des KZ Sachsenhausen ausgeladen haben bzw. ihnen den Zutritt zum Festakt verweigern. Die allgemeine Ideologie einer «wertebasierten Aussenpolitik» treibt wahrhaft kriegstüchtige Blüten. Mein Freund und langjähriger Wegbegleiter, der Komponist Eberhard Schmidt, war Insasse in Ihrem Lager. Seine Erfahrungen haben mich tief geprägt. Der Regisseur Konrad Wolf, damals Soldat der Sowjetarmee, war an der Befreiung des Konzentrationslagers beteiligt und hat diesem Moment in seinem Film «Ich war neunzehn» ein eindrükkliches Denkmal gesetzt. Schauen Sie sich diesen Film doch einmal an! Er wird von einer grossen Menschlichkeit getragen und beschreibt genau in diesen Augenblicken, da das ganze Grauen der Nazizeit sichtbar wird, dass nicht Rache oder Rechthaberei die dunklen Stellen der Zeit zu entmachten vermögen, sondern Grösse und Menschlichkeit. Die Schrecken, die Unmenschlichkeit, ja der Zynismus der deutschen Faschisten waren beispiellos und sind durch nichts anderes beendet worden als durch den Einsatz der sowjetischen Soldaten und Offiziere. Wollen Sie diese Geschichte umschreiben und uns selbst zu den Befreiern umdeuten? Wollen Sie Grundlagen des Humanismus politischen Winkelzügen und Selbstermächtigungen opfern? An was wollen Sie erinnern, wenn Sie diesen Ort des Schreckens seiner Geschichte berauben? Auch wenn Sie mit dem Verlauf der deutschen Geschichte nicht einverstanden sind, ändert das nichts an den Tatsachen. Sie wurden als Direktor für die Erinnerungskultur berufen. Folgen Sie dieser Berufung!

Hans-Eckardt Wenzel

Quelle: Berliner Zeitung vom 23.4.2025

«Unsere Aufgabe ist es, den anstehenden Jahrestag des Grossen Sieges in Würde zu begehen»

Stellungnahme des russischen Botschafters in Deutschland, Sergej Netschajew, hinsichtlich der Teilnahme russischer Vertreter an Gedenkveranstaltungen in Deutschland

Vor dem Hintergrund der in den deutschen Medien breit geführten Diskussion hinsichtlich der Teilnahme offizieller russischer Vertreter an Gedenkveranstaltungen auf den sowjetischen Kriegsgräberstätten in Deutschland und mit Hinblick auf die zahlreichen Spekulationen hierzu möchte ich folgende Akzente setzen: 
  Der Tag des Sieges ist ein Feiertag, der jedem Menschen in Russland heilig ist. Der Vernichtungskrieg, den die Nazis gegen die Sowjetunion vom Zaun gebrochen hatten, forderte das Leben von 27 Millionen Sowjetbürgern. Die Verbrechen des Dritten Reiches und seiner Schergen müssen als Genozid an den Völkern der UdSSR anerkannt werden. Wir rufen dazu den neuen deutschen Bundestag und die neue deutsche Bundesregierung auf, sobald diese gebildet werden. 
 ​​​​​​​ Als Fortsetzer-Staat der Sowjetunion hält Russland das Andenken der Gefallenen in Ehren. Dabei hat unser Land die heldenhaften Leistungen der sowjetischen Soldaten und die immensen Opfer, die von dem Sowjetvolk für den Sieg gebracht worden waren, nie nach Nationalität unterschieden. Der Sieg ist unser gemeinsames Gut und die Erinnerung an die Opfer des Krieges unser gemeinsamer Schmerz. Russen, Belarussen, Ukrainer, Kasachen und Angehörige von mehr als hundert Völkern der UdSSR standen im Schulterschluss zusammen und konnten nur zusammen siegen. 
 ​​​​​​​ Auf dem Territorium Deutschlands befinden sich mehr als viertausend Grabstätten, in denen über 700 000 Sowjetsoldaten ruhen. Von Herzen danken wir den deutschen Gemeinden und Kommunen, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und den Menschen in Deutschland für den fürsorglichen Umgang mit den sowjetischen Kriegsgräbern und Gedenkstätten. 
 ​​​​​​​ ​​​​​​​Im Vorfeld des 80. Jahrestages der Befreiung Deutschlands und Europas vom Nazismus planen die russischen diplomatischen Vertretungen zusammen mit Kollegen aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten eine Vielzahl von Gedenkveranstaltungen, bei denen wir Kränze und Blumen niederlegen, uns tief an den Gräbern der Sowjetsoldaten verneigen und auf ihre unsterblichen Heldentaten besinnen wollen. Dazu laden wir Veteranen, russische Landsleute, deutsche Bürger und alle ein, die das Andenken der Befreier in Ehren halten. Gern nehmen wir auch an uns gerichtete Einladungen an. 
    Entschieden weisen wir die Versuche zurück, uns eine «propagandistische Instrumentalisierung» der  Gedenkveranstaltungen vorzuwerfen. Wir haben immer deutlich gemacht und wollen auch heute deutlich machen, dass  die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, den entscheidenden Anteil der Roten Armee an der Zerschlagung des  Nazismus und die kolossalen Opfer des Sowjetvolkes nicht von der jeweils aktuellen politischen Agenda abhängen, nicht verdreht oder verschwiegen werden darf. Das ist unsere feste Überzeugung. 
    Die Versuche einer Instrumentalisierung sehen wir hingegen in den Verboten, die Symbole des Sieges sowie die  Staatsflaggen der UdSSR und Russlands in der Öffentlichkeit zu zeigen, im Ausschluss russischer und belarussischer  Vertreter vom gemeinsamen Erinnern und in den Anspielungen auf einen womöglich mit Gewalt einhergehenden Verweis offizieller Vertreter unserer Länder vom Gelände der Gedenkstätten. Den Ideengebern für derlei Massnahmen gereicht  das nicht zur Ehre. 

 ​​​​​​​ Unsere Aufgabe ist es, den anstehenden Jahrestag des Grossen Sieges in Würde zu begehen, der Befreier Deutschlands und Europas vom Nazismus zu gedenken, an ihren Denkmälern Blumen und Kränze niederzulegen und uns an ihren Gräbern zu verneigen. Genau das werden wir tun. Alle, die dabeisein wollen, sind herzlich eingeladen, sich uns in diesem Gedenken anzuschliessen. 

Quelle: https://germany.mid.ru/de/aktuelles/pressemitteilungen/stellungnahme_des_russischen_botschafters_in_deutschland_sergej_netschajew_hinsichtlich_der_teilnahm/ vom 24.4.2025 

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK