von Eliane Perret und Renate Dünki
Es gibt Texte, die vor langer Zeit verfasst wurden und plötzlich wieder an Aktualität gewinnen. Zu ihnen gehört die Schlussrede im Film von Charlie Chaplin «Der grosse Diktator» (s. Kasten). «Es tut mir leid, aber ich möchte nun mal kein Kaiser sein. Das ist nicht meine Sache. Ich möchte niemanden beherrschen und niemanden bezwingen. Es ist mein Wunsch, einem jedem Menschen zu helfen – wenn es möglich ist –, jüdischen und nichtjüdischen Menschen, Schwarzen, Weissen. Wir alle möchten einander helfen. So sind die Menschen.» Damit beginnt seine bekanntgewordene Rede. Sie verweist darauf, was jedem als Grundlage eines friedlichen, gleichwertigen Zusammenlebens auf unserer Erde ins Herz geschrieben sein müsste. Nur dann kann er in gefühlsmässiger Verbundenheit mit seinen Mitmenschen seine Aufgaben wahrnehmen.
Von drängender Aktualität
Und wer kennt ihn nicht, Charlie Chaplin, den grossen Schauspieler, bekannt vor allem durch seine Stummfilme? Lange Zeit waren seine Unterhaltungsfilme unverzichtbarer Bestandteil eines Kinderfestes oder von Schulschlussfeiern. Und vielen Kindern machte es Spass zu versuchen, mit Begeisterung und Hartnäckigkeit seinen unverkennbaren Gang nachzuahmen.
Später wurden Filme von ihm bekannt, in denen er ernste Themen ansprach: «The Kid», «Modern Times» und natürlich «Der grosse Diktator». Es war 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, als dieser Film auf den Kinoleinwänden erschien. Wer die Rede, mit welcher er endet, heute nochmals liest, erkennt ihre drängende Aktualität und fragt sich vielleicht, was Charlie Chaplin dazu bewog. Er selbst gibt Interessierten in seiner Autobiographie Einblick in sein ereignisreiches Leben, das geprägt ist von vielen unerwarteten Ereignissen und gleichzeitig auch Spiegel weltpolitischer Entwicklungen.1
«Eine Wolke der Traurigkeit»
Sein Leben begann in London, wo Charlie Chaplin am 16. April 1889 geboren wurde. Es ist für sein weiteres Leben bedeutungsvoll, dass sowohl seine Mutter wie auch sein Vater als Sänger und Schauspieler bekannt waren, die sich in den damals verbreiteten volkstümlichen Theatern einen Namen geschaffen hatten. Die Mutter ermöglichte ihm in seinen ersten Lebensjahren eine unbeschwerte Einführung ins Leben. Das fand jedoch ein jähes Ende, als sie ihre Stimme bei jeder kleinsten Erkältung verlor und danach nicht mehr auftreten konnte.
Weil er zu viel trank, hatte sich die Mutter schon ein Jahr nach der Geburt Charlies von seinem Vater getrennt. So begann für die kleine Familie – Mutter, Charlie und sein älterer Bruder Sydney – der Weg in ein von sehr grosser Armut gezeichnetes Leben (wobei auch die beiden Kinder mit verschiedensten Tätigkeiten das Ihre zum Lebensunterhalt beizutragen versuchten). Letztlich zerbrach die Mutter an den Anforderungen ihres kaum zu bewältigenden Lebensalltags, und sie lebte mit Unterbrüchen lange Jahre in psychiatrischen Kliniken. Der Vater starb schon bald an den Folgen des Alkoholismus.
Eine «Wolke der Traurigkeit» schwebte über ihrer Kindheit, wie Chaplin es bildlich formulierte. Die Mutter blieb jedoch zeitlebens wichtig für ihn. An ihrem Totenbett gedachte er in Dankbarkeit ihrer liebevollen Unterstützung: «Noch im Tode hatte sie einen sorgenvollen Ausdruck, als erwarte sie künftigen Kummer. Wie seltsam, dass ihr Leben hier enden sollte, in der Umgebung Hollywoods mit all seinen zweifelhaften Werten – siebentausend Meilen von Lambeth entfernt, der Stätte ihrer hereinbrechenden Not. Eine Flut von Erinnerungen kam über mich, ich dachte an ihr leidvolles und kampferfülltes Leben, ihren Mut und ihr tragisch vertanes Leben … und ich weinte.» (S. 291)
Innere Widerstandkraft –
ein Motor im Leben
Für schulische Bildung blieb wenig Raum, Chaplin eignete sich erst später eine umfassende Bildung an. Mit 12 Jahren verliess er die Schule, weil er seine erste Chance bekam, in einer Bühnenshow mitzuwirken und schliesslich als Komiker im Varieté aufzutreten. Damit konnte er zuerst etwas zum Lebensunterhalt der Familie beitragen, und als sein Bruder und er dann völlig auf sich allein gestellt waren, wurde es Teil ihrer Lebensbewältigung. Das führte ihn als Zwanzigjährigen auf eine Tournee in die Vereinigten Staaten, wo er schnell grosse Bekanntheit erlangte.1912, dreiundzwanzig Jahre alt, wurde ihm in den USA ein Filmvertrag angeboten.
Bis heute ist er bekannt mit seinem unverkennbaren Äusseren – als Tramp, wie er es nennt, ein Äusseres, das er sich durch einen spontanen Einfall zugelegt hatte und ein Leben lang beibehielt: «Ich wusste nicht, wie ich mich schminken sollte. […] Als ich auf dem Weg zur Requisitenkammer war, kam mir jedoch die Idee, ausgebeulte Hosen, riesige Schuhe, einen Spazierstock und eine schwarze Melone als Kostüm zu wählen. Alles sollte einander widersprechen.» (S. 147)
Im Laufe der folgenden Jahre konnte er sich als Schauspieler in den aufkommenden Stummfilmen und später als Regisseur, Komponist und Produzent unverhofft ein grosses Vermögen erarbeiten, schon bald einmal begleitet und unterstützt von seinem Bruder Sydney. Es mag erstaunen, wie Charlie Chaplin, ein Kind aus prekären Verhältnissen, einen solchen Weg machen konnte.2
Weniger Glück als bei seinem beruflichen Werdegang hatte er in der Liebe. Erst in seiner vierten Ehe, die er 1943 mit der wesentlich jüngeren Schauspielerin Oona O’Neill einging, fand er schliesslich das ersehnte langjährige Glück. Aus dieser Ehe stammen acht der elf Kinder, die Charlie Chaplin zum Vater hatten.
In der Zwangsjacke des Gehorsams
1889 geboren, erlebte der junge Chaplin die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in den USA. In seiner Biographie finden die damaligen politischen Verwerfungen wenig Raum. Er spürte vorerst in seinem Alltag (wie viele andere) kaum etwas von den Lasten des Krieges. «Es gab keinen Mangel, keine Rationierung. Man arrangierte zu Gunsten des Roten Kreuzes Gartenfeste und Bälle, die man als grosse gesellschaftliche Ereignisse genoss» (S. 215), schreibt er, der sich mittlerweile in der Bevölkerung grosser Beliebtheit erfreute. Es erstaunt deshalb nicht, dass die Propaganda-Abteilung der US-Regierung an ihn und zwei seiner Bekannten herantrat und sie dafür gewann, eine Kampagne für eine dritte Kriegsanleihe zu eröffnen, nachdem die USA 1917 in den Krieg eingetreten waren. Er ging darauf ein und half, die Propagandafloskeln zu verbreiten. Naiv? Unbedacht? Wer mag über ihn richten? Chaplin schreibt in seiner Lebensgeschichte: «Der Höhepunkt unserer Tournee war eine Veranstaltung in der Wall Street in New York vor dem Schatzamt […]. New York wirkte deprimierend. Der Geist des Militärischen brütete wie dicker Nebel über allem. Ein Entkommen gab es nicht. Amerika war in die Zwangsjacke des Gehorsams gesteckt, und jeder Gedanke wurde der Religion des Krieges untergeordnet. Der prahlerische Klang der Militärkapellen in den düsteren Strassenschluchten der Madison Avenue deprimierte mich, als er zu meinem Hotelfenster im zwölften Stock heraufschallte. Unten krochen die Soldaten zur Verladung am Hafen, um an die Front geschickt zu werden.» (S. 219f.) Und bei Kriegsende: «Immerhin hatten die Alliierten gewonnen – was immer das nun bedeuten mochte. Ob sie aber den Frieden gewonnen hatten, das wussten sie selbst nicht genau. Eines aber war sicher, die zivilisierte Gesellschaft, wie wir sie gekannt hatten, sie würde nimmermehr die gleiche sein – diese Ära war nun vorbei.» (S. 227f.)
Wieder lag Krieg in der Luft
In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg produzierte Chaplin abendfüllende Kinofilme, in denen er selbst als Schauspieler auftrat. Bekannt wurde zum Beispiel «The Kid», ein Film, in dem unverkennbar seine Lebensgeschichte zum Tragen kam, oder «Modern Times», welcher das unmenschliche Fliessbandsystem in den Fabriken thematisierte. 1940 war dann die Premiere von «Der grosse Diktator», Chaplins erstem Tonfilm, eine satirische Parodie gegen den Faschismus, aber auch gegen den Militarismus und die damit verbundene amerikanische Staatsmacht. Ein neuer Krieg für die USA braute sich zusammen, und Chaplin schreibt: «Wieder lag Krieg in der Luft. Die Nazis waren auf dem Vormarsch. Wie schnell hatten wir den Ersten Weltkrieg und seine qualvollen vier Jahre des Sterbens vergessen: die in den Körben, armlos, beinlos, dann die Blinden, die Kieferlosen, die spastischen Krüppel, zusammengekrümmt von ihren Anfällen. Auch diejenigen, die nicht gefallen waren oder Verwundungen erlitten haben, konnten nicht sagen, dass sie davongekommen seien, denn viele hatten Schaden genommen an ihrem Gemüt.» (S. 398)
Als ihn Alexander Korda, ein emigrierter ungarischer Regisseur, 1937 auf die Idee brachte, einen Personenverwechslungsfilm zu drehen, weil Hitler denselben kleinen Schnurrbart hatte wie Chaplins «Tramp», hielt er vorerst nicht viel davon. Doch dann schlug die Idee ein. Er wollte in einem Hitler-Film das Komische und die Pantomime miteinander verbinden. In seiner Lebensgeschichte reflektiert er später: «Hätte ich von den Schrecken in deutschen Konzentrationslagern gewusst, ich hätte ‹Der grosse Diktator› nicht zustandebringen können, hätte mich über den mörderischen Wahnsinn der Nazis nicht lustig machen können.» (S. 399)
Ein zu Herzen gehender Appell
Für das Drehbuch brauchte Chaplin zwei Jahre. Als der Film zur Hälfte fertig war, wurde er gewarnt, dass der Film in England kaum jemals vorgeführt würde und in den USA die Zensur der 1934 gegründete Production Code Administration (PCA) (der alle neuen Filme vorgelegt werden mussten) dessen Vorführung verhindern würde. So war bei der amerikanischen Zensurbehörde zuerst kein Durchkommen; dann aber wurde Chaplin plötzlich gedrängt, seinen Film fertigzustellen.
Ob dies Ende 1940 noch möglich gewesen wäre? Mit Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg – kurze Zeit nach der Uraufführung von Chaplins Film (im Oktober 1940) – hatten alle Studios die Aufgabe, die Kriegsführung der USA zu unterstützen. Mit der Gründung des United States Office of War Information OWI im Juni 1942 wurde die PCA der neuen Behörde unterstellt. Nun vergab das OWI die notwendigen Lizenzen, ohne die kein Film gedreht werden konnte.
Bekannt wurde der Film insbesondere wegen der Schlussrede. Sie beginnt mit den oben erwähnten, überraschenden Worten des vermeintlichen Diktators Hynkel: «Es tut mir leid, aber ich möchte nun mal kein Kaiser sein.» Doch das erstaunt nur, wenn man nicht weiss, dass sie nicht vom irrtümlicherweise gefangengenommenen Hynkel, sondern von seinem Ebenbild, einem Friseur aus dem jüdischen Ghetto gehalten wird – ein zu Herzen gehender Appell an die Welt, sich für Demokratie, Frieden und Menschlichkeit einzusetzen.
Im Visier der Überwachung
Doch auch danach blieb Chaplin im Visier amerikanischer Überwachung, speziell auch des FBI-Chefs J. Edgar Hoovers, der ein erbitterter Gegner Chaplins war. Speziell zur Last gelegt wurde ihm, dass er sich in öffentlichen Reden dafür einsetzte, dem Wunsch Stalins und Roosevelts nachzukommen und die Sowjetunion im Kampf gegen die Nazis durch eine zweite Front zu unterstützen. In einer seiner Reden hielt er, seinen Kritikern entgegentretend, fest: «Ich bin kein Kommunist, ich bin ein Mensch, und ich glaube, ich weiss, wie menschliche Wesen fühlen und denken. Kommunisten sind nicht anders als andere Menschen; wenn sie einen Arm oder ein Bein verlieren, dann gleichen ihre Schmerzen den unseren, und sie sterben ebenso, wie wir alle sterben. Die kommunistische Mutter ist eine ebensolche Mutter wie jede andere. Wenn sie die tragische Nachricht erhält, dass ihre Söhne nicht zurückkehren werden, dann weint sie ebenso wie andere Mütter. Um das zu wissen, brauche ich kein Kommunist zu sein. Ich muss nur Mensch sein, um es zu verstehen.» (S. 417) 1947 musste er jedoch wiederholt vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe (House Un-American Activities Committee) Rede und Antwort stehen, da er wie viele andere wegen seiner kritischen Äusserungen zur amerikanischen Politik verdächtigt wurde, Marxist und Kommunist zu sein.
Unamerikanische Umtriebe?
Am 17. September 1952 verliess Chaplin mit seiner Familie mit dem Schiff die Vereinigten Staaten für einen Besuch in England. Er war trotz seines mehr als zwanzigjährigen Aufenthalts in den USA stets britischer Staatsbürger geblieben. Nun wollte er bei der Weltpremiere seines Films «Rampenlicht» (Limelight) anwesend sein und seiner Familie endlich das Land seiner Kindheit zeigen. Auf dem Schiff erhielt er die Nachricht, dass ihm die bereits ausgestellte Wiedereinreisegenehmigung in die USA wieder entzogen wurde. Es war die Mc-Carthy-Ära, und das FBI bzw. J. E. Hoover verdächtigten ihn «unamerikanischer Umtriebe». Ein Paragraph, der bei verdächtiger «Moral, Gesundheit oder Geistesgestörtheit oder bei Befürwortung von Kommunismus oder der Verbindung mit Kommunisten oder prokommunistischen Organisationen» zum Einsatz kam, war elastisch genug, jeden amerikanischen Bürger einzufangen, der eine nicht genehme Meinung vertrat. Chaplins Name stand auch, wie sich später herausstellte, auf einer Liste mit Namen von Journalisten, Schriftstellern und Künstlern, die man prokommunistischer Tendenzen verdächtigte. In der folgenden Zeit erlebte Chaplin eine anstrengende Kampagne gegen seine Person. «Ich hatte das Gefühl, in eine politische Lawine geraten zu sein.» (S. 427) Sie richtete sich gegen die Aufführung seiner neuen Filme und beschäftigte ihn mit an den Haaren herbeigezogenen Gerichtsverfahren.
Abgestumpft durch Profitgier,
Macht- und Monopolstreben
Er konnte also nicht mehr in die USA zurück, ohne unangenehmste Befragungen über sich ergehen lassen zu müssen. Seine Frau Oona durfte als amerikanische Staatsbürgerin noch einmal in ihre Heimat zurückreisen, um wenigstens die wichtigsten Dokumente und den Inhalt ihres Safes zu retten. Sie entschlossen sich, in die Schweiz als damals neutrales Land zu reisen, und Charlie Chaplin verbrachte dort mit seiner Familie die verbleibende Lebenszeit. 1952 erwarb er für seine grosse Familie ein Anwesen in Corsier-sur-Vevey, hoch über dem Genfersee. Es ist heute in ein Museum umgewandelt, in dem Chaplins Wirken vielfältig und spannend dokumentiert ist.
Immer wieder reflektierte er – als mittlerweile überzeugter Kriegsgegner – die Weltsituation in einer Weise, die gerade heute nachdenklich macht, wenn er schreibt: «Unser lebendiges Gefühl ist durch Profitgier; Macht- und Monopolstreben abgestumpft worden. Wir haben diesen Kräften erlaubt, uns zu beherrschen, und missachten dabei völlig die verhängnisvollen Folgen. Die Wissenschaft hat, ohne sich von vernünftigen Erwägungen leiten zu lassen und ohne das notwendige Verantwortungsbewusstsein zu zeigen, den Politikern und Militärs so furchtbare Zerstörungswaffen zur Verfügung gestellt, dass sie mit ihnen das Schicksal jeden lebenden Wesens auf der Welt in der Hand halten.» (S. 478)
Mitmensch geblieben
Bei allem Ruhm und Vermögen, das Charlie Chaplin sich im Laufe seines Lebens aneignen konnte, vergass er nie, woher er kam, blieb schüchtern und zurückhaltend, wie er sich selber beschrieb. Er blieb Mitmensch, wie es in Frankreich Roger Ferdinand, der Präsident der Societé des Auteurs et Compositeurs Dramatique festhielt, als Chaplin zu deren Ehrenmitglied ernannt wurde: «Sie sind den Erinnerungen Ihrer Kindheit treu geblieben. Sie haben nichts von der Traurigkeit und den Entbehrungen dieser Zeit vergessen; Sie haben anderen den Schaden ersparen wollen, den Sie gelitten haben, oder Sie haben zumindest einem jeden Grund zur Hoffnung schenken wollen.». (S. 481)
Charlie Chaplin starb nach einem erfüllten Leben am Weihnachtstag 1977. •
1 Chaplin, Charles. (2023). Die Geschichte meines Lebens. Frankfurt a. M.: Fischer-Verlag. Er veröffentlichte 1964 seine gereifte Sicht über sein Leben in englischer und deutscher Sprache. Das Buch ist auch für filmgeschichtlich Interessierte eine Fundgrube für Entwicklungen und Persönlichkeiten im angloamerikanischen Raum.
2 vgl. dazu die grundlegende Langzeit-Studie der deutsch-amerikanischen Psychologin Emmy Werner zur Entstehung von Resilienz bei Kindern. Werner, E. (1997). «Gefährdete Kindheit in der Moderne. Protektive Faktoren». In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik, 66 (2), S. 192–203
Es tut mir leid, aber ich möchte nun mal kein Kaiser sein. Das ist nicht meine Sache. Ich möchte niemanden beherrschen und niemanden bezwingen. Es ist mein Wunsch, einem jedem Menschen zu helfen – wenn es möglich ist –, jüdischen und nichtjüdischen Menschen, Schwarzen, Weissen. Wir alle möchten einander helfen. So sind die Menschen.
Wir sollten am Glück des anderen teilhaben und nicht einander verabscheuen. Hass und Verachtung wollen wir nicht. Die Welt hat Platz für jeden, und die gute alte Erde ist reich und hat genug, um jeden von uns satt zu machen. Das Leben kann frei und wunderbar sein, aber wir haben den Weg verloren. Die Habgier hat die Seelen der Menschen vergiftet, und Hass hat die Seelen eingemauert und uns im Stechschritt in Elend und Blutvergiessen gestürzt. Wir haben Geschwindigkeit entwickelt, aber innerlich sind wir stehengeblieben.
Maschinen schaffen Überfluss, aber sie haben uns in Not zurückgelassen.
Unser Wissen hat uns zynisch werden lassen, und unsere Klugheit kalt und unfreundlich. Wir denken zu viel und fühlen zu wenig. Aber zuerst kommt die Menschlichkeit, und dann erst kommen die Maschinen. Vor Klugheit kommen Toleranz und Güte. Ohne Menschlichkeit und Sanftmut wird das Leben immer gewalttätiger, und alles wird verloren sein.
Flugzeuge und Radio haben uns einander nähergebracht. Das innerste Wesen dieser Dinge ruft nach dem Guten im Menschen – es ruft nach weltweiter Brüderlichkeit – es ruft uns auf, uns zu vereinen. Millionen Menschen auf der Welt können im Augenblick meine Stimme hören. – Millionen verzweifelter Männer, Frauen und kleiner Kinder, Opfer eines Systems, das Menschen dazu zwingt, Unschuldige zu quälen und einzusperren. All denen, die mich jetzt hören, rufe ich zu: «Verzweifelt nicht!» Das Elend, das über uns gekommen ist, zeigt nur das Schwinden der Gier, die Verbitterung der Menschen, die den Fortschritt der Menschheit fürchten. Der Hass wird vergehen, Diktatoren werden sterben. Die Macht, die ihnen von den Diktatoren genommen wurde, wird zu den Menschen zurückkehren. Und so lange wir sterblich sind, wird die Freiheit niemals untergehen.
Soldaten! Vertraut euch nicht Barbaren an, Unmenschen, die euch verachten und denen euer Leben nichts wert ist – ihr seid für sie nur Sklaven – die über euer Leben bestimmen und euch sagen, was ihr zu glauben und zu fühlen habt. Ihr werdet gedrillt, gefüttert, wie Vieh behandelt und als Kanonenfutter gebraucht. Unterwerft euch nicht diesen Unmenschen – diesen Maschinenmenschen mit Maschinenköpfen und Maschinenherzen. Ihr seid keine Maschinen! Ihr seid Menschen! Ihr tragt in euren Herzen die Liebe zur Menschheit! Hasst nicht! Nur wer nicht geliebt wird, hasst, der Ungeliebte, der gegen seine Natur lebt.
Soldaten! kämpft nicht für die Sklaverei! Kämpft für die Freiheit!
Im 17. Kapitel des Lukasevangeliums steht geschrieben: Das Reich Gottes wohnt in jedem von uns – also nicht in einem einzelnen oder in einer Gruppe von Menschen. In dir! Ihr, als Volk, habt allein die Macht, Maschinen herzustellen, aber auch die Macht, Glück hervorzubringen. Ihr als Volk habt es allein in der Hand, dieses Leben frei und schön zu gestalten, dieses Leben zu einem wunderbaren Erlebnis zu machen.
Daher im Namen der Demokratie: Lasst uns diese Macht nutzen und uns vereinigen! Lasst uns kämpfen für eine neue Welt, für eine gesittete Welt, die jedermann die Möglichkeit gibt zu arbeiten, die der Jugend eine Zukunft und dem Alter Sicherheit zu geben vermag. Das haben die Unterdrücker auch versprochen, als sie an die Macht kamen. Das war eine Lüge. Sie halten ihre Versprechen nicht, sie werden sie nie erfüllen. Diktatoren wollen die Freiheit nur für sich, das Volk soll versklavt bleiben. Lasst uns für dieses Versprechen kämpfen, für die Freiheit der Welt – ungehindert durch nationale Schranken – lasst uns Gier, den Hass und die Intoleranz wegwerfen.
Lasst uns kämpfen für eine Welt der Vernunft, eine Welt, in der Wissenschaft und Fortschritt zum Glück von uns allen führen.
Soldaten! Im Namen der Demokratie: Schliessen wir alle uns zusammen!
Quelle: Schlussrede des Films «Der grosse Diktator», Transkript aus dem englischsprachigen Original
(Übersetzung Zeit-Fragen)
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