von Dr. Matin Baraki
Die grosse Sünde Julian Assanges bestehe darin, dass er die Wahrheit gesagt hatte, so Ken Loach in einem Vorwort zu einem Buch, das der Geschichte von WikiLeaks nachgeht und damit zugleich eine Aussenpolitik der USA dokumentiert, die auf militärischer Stärke und Kriegseinsätzen basiert. Rund fünfzehn Jahre lang recherchierte die italienische Journalistin Stefania Maurizi zu den Hintergründen. Sie arbeitete ab 2009 für ihre jeweiligen Zeitungen mit WikiLeaks und Julian Assange zusammen und ist im internationalen Journalismus die einzige, die an den gesamten WikiLeaks-Dokumenten arbeitete. Mit dem Buch «Secret Power» ist damit die Geschichte eines mutigen, lange Zeit inhaftierten Journalisten entstanden, der gnadenlos verfolgt wurde, weil er sich getraut hatte, die Verbrechen einer Weltmacht publik zu machen.
Die Autorin beschreibt detailliert die Arbeitsweise und den Kampf von Julian Assange, die eigentlich Vorbild und Lehre für einen investigativen Journalismus sein sollten. Doch genau dafür musste Assange fünf Jahre und zwei Monate in Haft im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh verbringen, das auch als «britisches Guantánamo» gilt. Seine Zeit unter anderem im Botschaftsasyl mitgerechnet, kam er erst «nach 14 Jahren willkürlicher Festsetzung» endlich frei. Diese Haftanstalt wird von der Autorin mit dem US-Gefängnis Guantánamo Bay verglichen. Zum Vergleich: Während der britische Innenminister Jack Straw von der Labour Party einst die Auslieferung des chilenischen Diktators und Massenmörders Augusto Pinochet aus angeblichen medizinischen Gründen abgelehnt hatte, gab ihm später die Premierministerin Margaret Thatcher freies Geleit. Pinochet verliess London in einem Rollstuhl, aus dem er sich jedoch am Flughafen in Santiago de Chile erhob. Dagegen wurde Julian Assange durch die britische Polizei (Scotland Yard) am 11. April 2019 aus der Botschaft von Ecuador gezerrt und unter widrigen Bedingungen eingebuchtet. Ihm drohte die Auslieferung an die USA mit dort bis zu 175 Jahren hinter Gittern.
Obamas Vizepräsident Joseph Biden nannte Assange einen «hightech terrorist». In den USA waren einige Politiker sogar der Meinung, wie «Huffington Post» berichtete (7. Dezember 2010), man sollte «den Hurensohn widerrechtlich […] erschiessen». Die ehemalige Gouverneurin von Alaska, die ultrakonservative Republikanerin Sarah Palin, hatte vorgeschlagen, Assange «wie einen al-Kaida-Führer zur Strecke zu bringen», und ihr Parteikollege Newt Gingrich hatte ebenfalls darauf gedrängt, ihn so «wie bin Laden zu behandeln». Diese Aufforderungen waren ernst gemeint. Die CIA spielte ernsthaft den Plan durch, Assange «zu entführen oder sogar zu töten». Auch der Whistleblower Edward J. Snowden, dessen Enthüllungen im Sommer 2013 einen Einblick in das Ausmass der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten der USA, Grossbritanniens und Deutschlands gaben und der dafür mehrfach von nichtstaatlichen Organisationen ausgezeichnet wurde – etwa mit dem Alternativen Nobelpreis – wurde gnadenlos verfolgt. Der ehemalige CIA-Chef James Woolsey wollte Snowden «aufhängen lassen, bis er tot ist». Stefania Maurizi resümiert, dass die Pläne, diese Journalisten umbringen zu lassen, «keine hohle Phrase» gewesen, sondern «todernst gemeint» waren.
Für Bradley Manning, Angehöriger der US-Armee und Nachrichtendienstanalytiker, waren die brutalen Verhörmethoden der US-Soldaten mit den irakischen Gefangenen so unerträglich, dass er beschloss, WikiLeaks Kopien von streng geheimen Videos und Dokumenten der Webseite zuzuspielen. Die Dokumente, worauf zu der Zeit grosse Medien weltweit erpicht waren, enthüllten die Einsatzregeln im Irak und in Afghanistan, die Lageranweisungen von Guantánamo, die CIA-Videos von Verhören. Was die Medien indes kaum registrierten, war das «Afghanistan First»: Vorangegangen waren die Kriege gegen Afghanistan und den Irak und damit die Errichtung vergleichbarer Lager, so auf dem nördlich von Kabul gelegenen Flughafen in Bagram. Die dortigen Haftbedingungen samt den angewandten Verhör- und Foltermethoden hatten Modellcharakter für Guantánamo. Dass die Foltermethoden hier wie dort eindeutig gegen grundlegende Menschenrechte verstiessen und international zu scharfer Kritik führten, tangierte die USA nicht. «Wir haben die Wahrheit über Zehntausende von verheimlichten Kriegsopfern und andere ungesehene Schrecken, über Programme zur Ermordung, Überstellung, Folter und Massenüberwachung herausgefunden und veröffentlicht. Wir haben nicht nur aufgedeckt, wann und wo diese Dinge geschehen sind, sondern häufig auch die Politik, die Vereinbarungen und die Strukturen dahinter», sagte Julian Assange in einer Rede am 1. Oktober 2024 vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Strassburg. Im Prinzip hätten sich die USA wie ein Schurkenstaat verhalten, womit sie eigentlich vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gehörten.
Für die deutsche Ausgabe des in mehrere Sprachen übersetzten Buches verfasste Maurizi längere Ergänzungen, die den Weg zu Assanges Freilassung nachzeichnen – gewürdigt als Erfolg einer internationalen Solidaritätskampagne.
Das umfangreiche Werk lässt sich kaum angemessen rezensieren, denn kein Satz darin erscheint überflüssig. Man wäre geneigt, den ganzen Text wiederzugeben. Um das ganze Ausmass der US-Verbrechen im afghanischen Gefängnis Bagram und im irakischen Gefängnis Abu Ghraib sowie in Guantánamo zu erfahren, empfiehlt es sich als Pflichtlektüre vor allem für alle Freunde und Kritiker eines sich als «demokratisch» definierenden Staates, dessen Geschichte von Kriegen, Überfällen und Regime changes durchzogen ist. •
Maurizi, Stefania. Secret Power. Der Angriff auf WikiLeaks und Julian Assange, PapyRossa Verlag, 2024, 463 Seiten, 28,– Euro
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