von Karl-Jürgen Müller
Das Zusammenleben in einem Staat stellt die Menschen vor höchst anspruchsvolle Fragen. Über allen steht die Frage nach den Bedingungen des Gemeinwohls. Worauf kommt es an? Ist die Verfassungsordnung das Wichtigste? Welche Rolle spielen Wirtschafts- und Finanzordnung? Welche Entwicklungsspielräume lassen Geschichte und Kultur? Wie gross ist die Bedeutung der Persönlichkeiten in politischer Verantwortung? Nicht zuletzt: Welches Gewicht haben die Bürger?
Der Satz, dass das Zusammenleben der Menschen – neben den Abhängigkeiten von der natürlichen Umwelt und den Naturgesetzen – von Menschen gemacht ist und es deshalb auf die Menschen ankommt, ist richtig – aber auch recht allgemein gehalten. Wenn zum Beispiel die Souveränität eines Volkes bzw. eines Staates eingeschränkt ist, wenn Macht und Einfluss unterschiedlich verteilt sind, wenn es materielle Ungleichheiten gibt und Einkommen und Vermögen mit Macht und Einfluss zusammenhängen usw. – dann gibt es unterschiedliche Grade an Verantwortung für das Gemeinwohl.
Hier soll der Frage nachgegangen werden, wie die politisch Verantwortlichen ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl gerecht werden können; denn das ist der Hauptzweck des Staates: das Gemeinwohl zu fördern. Deshalb ist es wichtig, diese politisch Verantwortlichen auf den Prüfstand zu stellen.
Was ist zu wünschen, damit deren Beitrag für das Gemeinwohl besser wird? Denn der Ansehensverlust der politisch Verantwortlichen in unseren Ländern ist enorm. Das Vertrauen in die Befähigung der politisch Verantwortlichen hat stark abgenommen. Bei vielen politischen Entscheidungen sehen sich Mehrheiten der Bürger nicht mehr vertreten. Dass der «Westen im Niedergang» ist (so der französische Anthropologe und Historiker Emmanuel Todd), hat viel mit dem Versagen unserer politisch Verantwortlichen zu tun.
Max Weber
Die Frage nach den wünschenswerten Qualitäten unserer Politiker beschäftigt sehr viele Menschen und selbstverständlich auch die Wissenschaften. Hier soll jedoch nicht auf die aktuellen Forschungsbeiträge eingegangen werden, sondern auf einen Klassiker für diese Frage: auf Max Weber und eine seiner in Fachkreisen bekanntesten Schriften: «Politik als Beruf». Diese Schrift hat weniger als 70 Druckseiten und ist bis heute eine sehr gehaltvolle Veröffentlichung zur Frage nach den Anforderungen an politisch Verantwortliche. Es ist eine sehr dichte und sehr kenntnisreiche Abhandlung – in ihrer Zeit geboren – über die Kulturgeschichte und den Kulturvergleich verschiedener Formen der Staatsgewalt, des politischen Lebens, der Formen von Herrschaftsausübung, der Rekrutierung von Staatsdienern auf allen Ebenen und der daraus resultierenden Forderungen an politisch Verantwortliche.
Max Weber (1864–1920) war ein deutscher Soziologe und Nationalökonom mit einem guten Überblick über die damaligen Kultur-, Sozial- und Geschichtswissenschaften. «Politik als Beruf» wurde 1919 veröffentlicht. Dessen Grundlage war ein Vortrag, den Max Weber im Januar 1919 vor Studenten in München gehalten hatte. Aus München war, wenige Wochen nach der katastrophalen deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem Waffenstillstand im November 1918 sowie landesweiten links-revolutionäreren Aufständen, eine Räterepublik geworden. Max Weber war ein Gegner dieser Revolution. Er war ein Parteigänger der in Deutschland parallel zu den revolutionären Bestrebungen entstehenden parlamentarischen Demokratie. Die Revolutionäre in München waren aus der Sicht Webers vor allem «Gesinnungsethiker», er selbst bevorzugte «Verantwortungsethiker» in der Politik.
Gesinnungsethik
und Verantwortungsethik
Webers Unterscheidung von «Gesinnungsethik» und «Verantwortungsethik» ist ein Kerngedanke in «Politik als Beruf». Die Unterscheidung zwischen «Gesinnungsethik» und «Verantwortungsethik» trifft er aber erst am Ende seiner Schrift, eingeleitet mit den Fragen: «Wie steht es aber mit der wirklichen Beziehung zwischen Ethik und Politik? Haben sie, wie man gelegentlich gesagt hat, gar nichts miteinander zu tun? Oder ist es umgekehrt richtig, dass ‹dieselbe› Ethik für das politische Handeln wie für jedes andre gelte?» Seine Antwort: «Da liegt der entscheidende Punkt. Wir müssen uns klarmachen, dass alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann ‹gesinnungsethisch› oder ‹verantwortungsethisch› orientiert sein. Nicht dass Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede. Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt – religiös geredet: ‹der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim› – oder unter der verantwortungsethischen: dass man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.»
Staatsmacht und das
«Dämonische» der Machtausübung
Reine Gesinnungsethik in der Politik verkenne, so Weber, dass das Hauptinstrument politisch Verantwortlicher immer die Staatsgewalt in all ihren Ausprägungen ist, also Macht- beziehungsweise Gewaltausübung. Politik bedeutet für ihn: «Streben nach Machtanteil [innerhalb des Staates] oder nach Beeinflussung der Machtverteilung [in den Beziehungen der Staaten]. […] Wer Politik treibt, erstrebt Macht, – Macht entweder als Mittel im Dienste anderer Ziele – idealer oder egoistischer – oder Macht ‹um ihrer selbst willen›: um das Prestigegefühl, das sie gibt, zu geniessen.»
Wenn Weber das Wort «Gewalt» benutzt, meint er damit die Staatsgewalt und das dazugehörige staatliche Gewaltmonopol als legitime Form staatlicher Machtausübung: «Der Staat ist […] ein auf das Mittel der legitimen (das heisst: als legitim angesehenen) Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen.»
Aus heutiger Sicht müssen wir ergänzen: Staatsgewalt ist nur dann legitim, wenn sie dem Recht dient und die Staatsgewalt selbst dem Recht unterworfen ist. Auf die Frage, ob es auch herrschaftsfreie Staatsgewalt geben kann (so zum Beispiel für Deutschland Karl Albrecht Schachtschneider mit «Res publica, res populi», 1994, oder für die Schweiz, aber auch darüber hinausgehend, Adolf Gasser mit «Gemeindefreiheit als Rettung Europas», in zweiter Auflage 1947), kann hier nicht eingegangen werden.
Macht, auch Staatsmacht, trage aber, so Weber immer wieder, etwas «Dämonisches», zum Missbrauch Einladendes in sich. Wer das Dämonische der Machtausübung unberücksichtigt lasse, der gehe fehl. Auch die Revolutionäre seiner Zeit.
Reine «Gesinnungsethik»
kann fatale Folgen haben
So führt er aus: «Sehen wir nicht, dass die bolschewistischen und spartakistischen Ideologen, eben weil sie dieses Mittel der Politik [Gewalt/Macht] anwenden, genau die gleichen Resultate herbeiführen wie irgendein militaristischer Diktator? Wodurch als eben durch die Person der Gewalthaber und ihren Dilettantismus unterscheidet sich die Herrschaft der Arbeiter- und Soldatenräte von der eines beliebigen Machthabers des alten Regimes? Wodurch die Polemik der meisten Vertreter der vermeintlich neuen Ethik selbst gegen die von ihnen kritisierten Gegner von der irgendwelcher anderer Demagogen?»
Weber meinte damit: Die «gesinnungsethisch» handelnden Revolutionäre hätten hohe Ideale (Gesinnungen), seien aber auch bereit, alle Mittel, auch die gewalttätigsten, für die Erreichung dieser Ideale einzusetzen – ohne die Folgen zu berücksichtigen. Sie wollten keine Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.
Weiter unten in seinem Text fügt er nämlich hinzu: «Wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fliessenden Handlung üble sind, so gilt ihm nicht der Handelnde, sondern die Welt dafür verantwortlich, die Dummheit der anderen Menschen oder – der Wille des Gottes, der sie so schuf.»
Dem stehe «verantwortungsethisch» begründetes Handeln gegenüber: «Der Verantwortungsethiker dagegen rechnet mit eben jenen durchschnittlichen Defekten der Menschen, […] er fühlt sich nicht in der Lage, die Folgen eigenen Tuns, soweit er sie voraussehen konnte, auf andere abzuwälzen. Er wird sagen: diese Folgen werden meinem Tun zugerechnet.»
Verantwortungsethik
bedenkt die Folgen des Handelns
Warum kann verantwortungsethisch fundiertes Politikerverhalten nicht auch zu 100 Prozent gesinnungsethisch sein? «Keine Ethik der Welt kommt um die Tatsache herum, dass die Erreichung ‹guter› Zwecke in zahlreichen Fällen daran gebunden ist, dass man sittlich bedenkliche oder mindestens gefährliche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrscheinlichkeit übler Nebenerfolge mit in den Kauf nimmt, und keine Ethik der Welt kann ergeben: wann und in welchem Umfang der ethisch gute Zweck die ethisch gefährlichen Mittel und Nebenerfolge ‹heiligt›.» Das extremste Beispiel dafür: der Krieg zur Verteidigung des eigenen Landes und Volkes – trotz des damit immer auch verbundenen Leids und der Unwägbarkeiten des Kriegsverlaufs.
Um so mehr gelte: «Wer Politik überhaupt und wer vollends Politik als Beruf betreiben will, hat sich jener ethischen Paradoxien und seiner Verantwortung für das, was aus ihm selbst unter ihrem Druck werden kann, bewusst zu sein. Er lässt sich, ich wiederhole es, mit den diabolischen Mächten ein, die in jeder Gewaltsamkeit lauern. Die grossen Virtuosen der akosmistischen1 Menschenliebe und Güte, mochten sie aus Nazareth oder aus Assisi oder aus indischen Königsschlössern stammen, haben nicht mit dem politischen Mittel: der Gewalt, gearbeitet, ihr Reich war ‹nicht von dieser Welt›, und doch wirkten und wirken sie in dieser Welt […]. Wer das Heil seiner Seele und die Rettung anderer Seelen sucht, der sucht das nicht auf dem Wege der Politik, die ganz andere Aufgaben hat: solche, die nur mit Gewalt zu lösen sind.»
Gesinnungs- und Verantwortungsethik
müssen sich ergänzen
Trotz allem sagt er am Ende seiner Überlegungen aber auch: «Wahrlich: Politik wird zwar mit dem Kopf, aber ganz gewiss nicht nur mit dem Kopf gemacht. Darin haben die Gesinnungsethiker durchaus recht. Ob man aber als Gesinnungsethiker oder als Verantwortungsethiker handeln soll, und wann das eine und das andere, darüber kann man niemandem Vorschriften machen. Nur eins kann man sagen: […] wenn da plötzlich die Gesinnungspolitiker massenhaft in das Kraut schiessen mit der Parole: ‹die Welt ist dumm und gemein, nicht ich, die Verantwortung für die Folgen trifft nicht mich, sondern die anderen, in deren Dienst ich arbeite, und deren Dummheit oder Gemeinheit ich ausrotten werde›, so sage ich offen: dass ich zunächst einmal nach dem Masse des inneren Schwergewichts frage, was hinter dieser Gesinnungsethik steht, und den Eindruck habe: dass ich es in neun von zehn Fällen mit Windbeuteln zu tun habe, die nicht real fühlen, was sie auf sich nehmen, sondern sich an romantischen Sensationen berauschen. Das interessiert mich menschlich nicht sehr und erschüttert mich ganz und gar nicht. Während es unermesslich erschütternd ist, wenn ein reifer Mensch – einerlei ob alt oder jung an Jahren –, der diese Verantwortung für die Folgen real und mit voller Seele empfindet und verantwortungsethisch handelt, an irgendeinem Punkte sagt: ‹ich kann nicht anders, hier stehe ich›. Das ist etwas, was menschlich echt ist und ergreift. Denn diese Lage muss freilich für jeden von uns, der nicht innerlich tot ist, irgendwann eintreten können. Insofern sind Gesinnungsethik und Verantwortungsethik nicht absolute Gegensätze, sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen, den, der den ‹Beruf zur Politik› haben kann.»
Es geht in jeder Hinsicht um die Sache
Schon einige Seiten vorher hatte Weber die Frage gestellt: «Was für ein Mensch [muss] man sein […], um seine Hand in die Speichen des Rades der Geschichte legen zu dürfen?» Und er antwortete: «Man kann sagen, dass drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für den Politiker: Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmass. Leidenschaft im Sinn von Sachlichkeit: leidenschaftliche Hingabe an eine ‹Sache› […]. Nicht im Sinne jenes inneren Gebarens, welches mein verstorbener Freund Georg Simmel als ‹sterile Aufgeregtheit› zu bezeichnen pflegte […]. Denn mit der blossen, als noch so echt empfundenen, Leidenschaft ist es freilich nicht getan. Sie macht nicht zum Politiker, wenn sie nicht, als Dienst in einer ‹Sache›, auch die Verantwortlichkeit gegenüber ebendieser Sache zum entscheidenden Leitstern des Handelns macht. Und dazu bedarf es – und das ist die entscheidende psychologische Qualität des Politikers – des Augenmasses, der Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen, also: der Distanz zu den Dingen und Menschen. ‹Distanzlosigkeit›, rein als solche, ist eine der Todsünden jedes Politikers […]. Denn das Problem ist eben: wie heisse Leidenschaft und kühles Augenmass miteinander in derselben Seele zusammengezwungen werden können? Politik wird mit dem Kopfe gemacht, nicht mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele. Und doch kann die Hingabe an sie, wenn sie nicht ein frivoles intellektuelles Spiel, sondern menschlich echtes Handeln sein soll, nur aus Leidenschaft geboren und gespeist werden. Jene starke Bändigung der Seele aber, die den leidenschaftlichen Politiker auszeichnet und ihn von den blossen ‹steril aufgeregten› politischen Dilettanten unterscheidet, ist nur durch die Gewöhnung an Distanz – in jedem Sinn des Wortes – möglich. Die ‹Stärke› einer politischen ‹Persönlichkeit› bedeutet in allererster Linie den Besitz dieser Qualitäten.»
Das Problem der Eitelkeit
Gefährdet werde dies vor allem durch die Eitelkeit:
«Einen ganz trivialen, allzu menschlichen Feind hat daher der Politiker täglich und stündlich in sich zu überwinden: die ganz gemeine Eitelkeit, die Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller Distanz, in diesem Fall: der Distanz sich selbst gegenüber.»
Eitelkeit, so Weber, sei «eine sehr verbreitete Eigenschaft, und vielleicht ist niemand ganz frei davon. Und in akademischen und Gelehrtenkreisen ist sie eine Art von Berufskrankheit. Aber gerade beim Gelehrten ist sie, so antipathisch sie sich äussern mag, relativ harmlos in dem Sinn: dass sie in aller Regel den wissenschaftlichen Betrieb nicht stört. Ganz anders beim Politiker. Er arbeitet mit dem Streben nach Macht als unvermeidlichem Mittel. ‹Machtinstinkt› – wie man sich auszudrücken pflegt – gehört daher in der Tat zu seinen normalen Qualitäten. – Die Sünde gegen den heiligen Geist seines Berufs aber beginnt da, wo dieses Machtstreben unsachlich und ein Gegenstand rein persönlicher Selbstberauschung wird, anstatt ausschliesslich in den Dienst der ‹Sache› zu treten. Denn es gibt letztlich nur zwei Arten von Todsünden auf dem Gebiet der Politik: Unsachlichkeit und – oft, aber nicht immer, damit identisch – Verantwortungslosigkeit. Die Eitelkeit: das Bedürfnis, selbst möglichst sichtbar in den Vordergrund zu treten, führt den Politiker am stärksten in Versuchung, eine von beiden, oder beide zu begehen. Um so mehr, als der Demagoge auf ‹Wirkung› zu rechnen gezwungen ist, – er ist eben deshalb stets in Gefahr, sowohl zum Schauspieler zu werden wie die Verantwortung für die Folgen seines Tuns leicht zu nehmen und nur nach dem ‹Eindruck› zu fragen, den er macht. Seine Unsachlichkeit legt ihm nahe, den glänzenden Schein der Macht statt der wirklichen Macht zu erstreben, seine Verantwortungslosigkeit aber: die Macht lediglich um ihrer selbst willen, ohne inhaltlichen Zweck, zu geniessen. Denn obwohl, oder vielmehr: gerade weil Macht das unvermeidliche Mittel, und Machtstreben daher eine der treibenden Kräfte aller Politik ist, gibt es keine verderblichere Verzerrung der politischen Kraft, als das parvenumässige Bramarbasieren mit Macht und die eitle Selbstbespiegelung in dem Gefühl der Macht, überhaupt jede Anbetung der Macht rein als solcher.»
Und weiter: «Der blosse ‹Machtpolitiker›, wie ihn ein auch bei uns eifrig betriebener Kult zu verklären sucht, mag stark wirken, aber er wirkt in der Tat ins Leere und Sinnlose. Darin haben die Kritiker der ‹Machtpolitik› vollkommen recht. An dem plötzlichen inneren Zusammenbruche typischer Träger dieser Gesinnung [Weber meint damit die Mächtigen in Deutschland bis zum Ende des Ersten Weltkriegs] haben wir erleben können, welche innere Schwäche und Ohnmacht sich hinter dieser protzigen, aber gänzlich leeren Geste verbirgt. Sie ist Produkt einer höchst dürftigen und oberflächlichen Blasiertheit gegenüber dem Sinn menschlichen Handelns, welche keinerlei Verwandtschaft hat mit dem Wissen um die Tragik, in die alles Tun, zumal aber das politische Tun, in Wahrheit verflochten ist.»
Was wollen wir weiterdenken?
Nun mag der Leser überlegen, wie aktuell die vor mehr als 100 Jahren formulierten Ausführungen von Max Weber heute noch sind. Vielleicht lohnt es sich, vertieft darüber nachzudenken und die von ihm dargelegten Zusammenhänge des politischen Lebens und des Staates mit zu berücksichtigen.
Im Vorfeld der US-Präsidentenwahlen fragten zwei Politikwissenschaftler der Universität Bern: «Was macht erfolgreiche politische Leader aus?»2 Der letzte Absatz des Textes zeigte das Niveau der heutigen Debatten: «Verfügen nun Harris oder Trump über die Charakterzüge für eine erfolgreiche Amtsführung im Weissen Haus? Urteilen Sie selbst, welche Wesenszüge besser zur nächsten US-Präsidentschaft passen: Während Kamala Harris gemäss der Persönlichkeitsanalyse von Experten als besonders durchsetzungsstark, charismatisch, ehrgeizig und kontaktfreudig gilt, ist Donald Trump ausserordentlich extrovertiert, bemerkenswert unverträglich, impulsiv und sehr aggressiv. Zudem entsprechen sein starkes Streben, von anderen bewundert zu werden (Narzissmus), seine Tendenz, keine Reue zu zeigen und gefühllos zu sein (Psychopathie), ebenso wie sein manipulatives Wesen (Machiavellismus) nahezu idealtypisch den charakterlichen Eigenschaften, die eine sogenannte dunkle Persönlichkeit ausmachen.»
Vielleicht dann doch lieber Max Weber studieren – und seriös weiterdenken und weiterentwickeln. Dazu könnte es zum Beispiel gehören, zentrale Begriffe wie Leidenschaft in der Politik, Verantwortungsgefühl und Augenmass genauer auszuleuchten. Welche Bedeutung hat Einfühlungsvermögen in die von politischen Entscheidungen Betroffenen? Gehört es nicht unverzichtbar zum Verantwortungsgefühl? Und was bedeuten Verantwortungsethik und Gesinnungsethik in der heutigen Zeit? Max Weber hat seine Begriffe in den Umständen seiner Zeit formuliert. Wer nachschlägt, wie die beiden Begriffe heute definiert werden, trifft auf ein buntes Gemisch und auch die Instrumentalisierung für ganz eigene politische Ziele. Nicht zuletzt: Wäre politische Verantwortung für alle Bürger – als mehr direkte Demokratie – nicht das beste Mittel gegen die Dämonie der Macht? •
1 Akosmismus ist eine Lehre, die der Welt eine eigenständige Wirklichkeit abspricht.
2 https://www.uniaktuell.unibe.ch/2024/politkolumne_9_vatter_freiburghaus/index_ger.html vom 19.8.2024
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