Die Ideologie der Entwicklung ist endgültig tot

Das Modell des Westens hat ausgedient

von Guy Mettan*, freier Journalist

Die Auflösung von USAID (U.S. Agency for International Development) durch Donald Trump im Februar dieses Jahres versetzte der Ideologie der Entwicklung den Todesstoss. Als sich die Vereinigten Staaten im März als einziges Land gegen alle anderen Staaten der Welt weigerten, einen Welt-Tag der Hoffnung und einen Welt-Tag des friedlichen Zusammenlebens zu akzeptieren und sie alle Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung ablehnten, wurde sie endgültig begraben: Die Idee der Entwicklung, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzt hatte und nach der die Länder des Südens denen des Nordens nacheifern sollten, um aufzuholen, hat ausgedient und wird nicht wiederbelebt werden.

Der Westen und sein
 «Entwicklungs»modell – kein Ideal mehr

Diese Feststellung ist nicht ganz neu. Seit etwa zehn Jahren finden bei der Uno und beim WEF Studien und Kolloquien statt, um die Grenzen der Entwicklung zu analysieren. Im Jahr 2017 hatte ein Buch von Andrew Brooks («The End of Development: A Global History of Poverty and Prosperity») bereits Alarm geschlagen. Kürzlich haben zwei interessante Betrachtungen – eine aus den Reihen der amerikanischen Globalisten (Adam Tooze, «The End of Development in Foreign Policy» vom September 2025) und die andere vom chinesischen Professor Zhang Weiwei («Les leçons de l'Asie pour l'Europe: le point de vue chinois», CIRSD, Sommer 2025) – das Thema jedoch wieder aufgegriffen und damit die Sterbeurkunde der westlichen Entwicklungspolitik unterzeichnet.
  Sicherlich wird sich die Leiche noch eine Weile bewegen. Die internationale Bürokratie, die Uno und die NGOs, die Weltbank, die Regierungen und die Fachleute für Entwicklungshilfe werden noch jahrelang so weitermachen wie bisher. Aber das Herz ist nicht mehr dabei, das Scheitern ist offensichtlich geworden, und alternative Lösungen zeichnen sich ab.
  Während des Kalten Krieges diente die Ideologie der Entwicklung als wirksamer Gegenpol zum Kommunismus: Mit ein wenig Hilfe, viel teurer Finanzierung durch die Weltbank und einer gehörigen Portion liberalem Kapitalismus würden die Länder der «Dritten Welt», wie man damals sagte, das liberale Modell erfolgreich nachahmen können. Der Fortschritt orientierte sich am Westen. Dann bremste die Schuldenkrise der 1980er Jahre diesen Schwung, der dank der Aktualisierung durch den Brundtland-Bericht von 1987, der das Konzept der «nachhaltigen Entwicklung» in Mode brachte, wiederbelebt wurde. Die von Kofi Annan am Ende des letzten Jahrhunderts ins Leben gerufenen Millenniums-Entwicklungsziele und die 2010 verabschiedeten Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) sollten die Lokomotive der Entwicklung wieder auf die Gleise bringen, während sich jedes reiche Land Hilfsquoten setzte, die es zu erreichen galt – mindestens 0,7% des BIP.

Entwicklungsalmosen –
Heuchelei im Dienste von
Ausplünderung und Herrschaft

Das Ergebnis: Diese Bemühungen erwiesen sich als vergeblich oder fast vergeblich. Armut, Kindersterblichkeit, Epidemien, Bildungsdefizite, Umweltzerstörung und globale Erwärmung sind trotz der grosszügigen Absichten nur mässig zurückgegangen. Wie Adam Tooze erinnert, war man überrascht, dass der Westen, insbesondere Frankreich, «die Sahelzone verloren» hat, aber wer weiss schon, dass Niger im Jahr 2021 1,8 Milliarden Dollar Hilfe pro Jahr für 25 Millionen Einwohner erhielt? Das sind 1,37 Dollar pro Woche und Einwohner, davon 7 Cent pro Woche für Bildung, 15 Cent für Gesundheit, 30 Cent für Infrastruktur und Produktion und 26 Cent für Lebensmittel. Wie sollte Niger sich mit solchen Almosen entwickeln, industrialisieren, bilden und zu Frankreich auf-schliessen?
  Aus dieser Perspektive betrachtet, liess die Entwicklung sowohl in materieller als auch in philosophischer Hinsicht zu wünschen übrig. Denn parallel zu diesen Investitionen plünderte der Westen weiterhin die Länder des Südens, indem er ihre Rohstoffe zu niedrigen Preisen ausbeutete und sie durch die Zahlung exorbitanter Zinsen für Schulden, die sie nicht gewollt hatten, erpresste. Der Verdacht, dass die Entwicklung nur eine Heuchelei war, um den Herrschaftswillen des Westens zu verschleiern, verstärkte sich daher im Laufe der Generationen immer mehr, bis es nach der Covid-Krise und dem Ausbruch der Kriege in der Ukraine und in Palästina zu einer Rebellion der Länder der Sahelzone und des gesamten Globalen Südens kam.

Wer Erfolg hat,
wird von den USA bekämpft

Die einzigen Länder, die Erfolge verzeichnen konnten, waren die engen Verbündeten der Vereinigten Staaten in Asien: Japan, Südkorea, Taiwan, Hongkong (damals britische Kolonie) und Singapur. Aber ihr Aufschwung beunruhigte bald die Metropole [Washington]. Bereits in den 1980er Jahren waren die Vereinigten Staaten alarmiert über diese neue Konkurrenz und versuchten, sie entweder einzuschränken oder zu untergraben. Siehe die Plaza-Abkommen, die Japan 1985 auferlegt wurden.
  Das chinesische Festland verfolgte zwanzig Jahre später denselben Weg, nachdem Nixon und Kissinger 1972 einen Bündniswechsel vollzogen hatten und dank der grossen Reformen von Deng Xiaoping. Es explodierte Anfang der 2000er Jahre auf der Weltwirtschaftsbühne und übertraf 2014 das BIP der Vereinigten Staaten in Kaufkraftparität. Dabei löste es denselben Widerstand aus: Ab 2010 vollzog Obama eine «Hinwendung zu Asien», um der Entwicklung Chinas entgegenzuwirken. Trump machte dies zu seiner Obsession während seiner ersten Amtszeit im Jahr 2017. Nur dass China keine besiegte, unterworfene Macht und auch kein Vasall der Vereinigten Staaten wie Europa oder Japan war.

Chinas Entwicklung widerlegt
die westliche Entwicklungsideologie

Der Erfolg Chinas hatte noch einen weiteren Effekt: Ohne dass dies sofort wahrgenommen wurde, bedeutet er eine scharfe Widerlegung der Theorie der westlichen Entwicklung und des Aufholprozesses der Dritten Welt gegenüber dem Westen. Denn einerseits repräsentierte China nicht den Westen und übertraf ihn, und andererseits verdankte es seine Entwicklung nur sich selbst, seinem eigenen Willen, seiner Fähigkeit, sein Volk für seine eigenen Ziele zu mobilisieren und seine Investitionen unter der Führung des Staates auf strategische Industrie- und Infrastrukturprojekte zu konzentrieren.
  Mit anderen Worten: Die asiatischen Länder wurden von nationalen Eliten geführt, die weniger korrupt waren, weniger dem Druck und den Krediten des Westens unterworfen waren und sich mehr um ihre nationalen Interessen kümmerten. Seit 2013 hat sich China mit der Seidenstrassen-Initiative nach aussen geöffnet, jedoch ohne anderen dabei seine «Werte», seine Regeln, seinen Kurs, eine kulturelle Nivellierung und einschränkende Entscheidungen aufzuzwingen (das heisst ohne «Ihr seid entweder für uns oder gegen uns», «Ihr seid wie wir oder ihr seid nichts»).

Die asiatische Alternative:
Konsens statt Konfrontation

Anstatt sich für ein Entwicklungsmodell zu entscheiden, das nur eine Kopie des westlichen Modells gewesen wäre und China gezwungen hätte, sich daran anzupassen, hat China, wie Zhang Weiwei zu erklären versucht, einen ganz anderen Ansatz gewählt, nämlich den des «gemeinsamen Wohlstands», jeder bleibt Herr im eigenen Haus und setzt sich seine eigenen Ziele, die eines geduldig mit den Nachbarn, selbst den feindlichen, angestrebten Konsenses statt einer bewaffneten Konfrontation (der Feind von heute kann der Freund von morgen sein). Er verweist auf den Beitrag Indonesiens, der grössten Volkswirtschaft der Asean, das diesen pragmatischen Ansatz durch seine einheimischen Konzepte von Musyawarah (der beratenden Konsultation) und Mufakat (der Konsensfindung) besonders bereichert hat.
  Die chinesische Vision basiert auf drei Säulen: gemeinsame wirtschaftliche Entwicklung als Voraussetzung für friedliche Beziehungen zwischen den Ländern, Achtung der Souveränität und Sicherheit als Garanten für innere und äussere Stabilität sowie eine ausgewogene und umsichtige kulturelle und zivilisatorische Ausrichtung, welche die philosophische Grundlage einer frei geteilten Schicksalsgemeinschaft bildet.

Man sollte die Realität
zur Kenntnis nehmen

Der Erfolg des chinesischen Modells, das es in weniger als drei Jahrzehnten geschafft hat, Hunderte Millionen Chinesen aus der Armut zu befreien, die grösste Mittelschicht der Welt zu schaffen und gleichzeitig ein weltweites Handelsnetzwerk aufzubauen, spricht natürlich für sich.
  Als Beispiel nennt Zhang Weiwei Europa und Russland. Ein europäischer Sicherheitsrahmen, der Russland – eine ständige eurasische Macht – ausschliesst, ist für die meisten Asiaten oder für alle undenkbar, die über ein wenig mehr historisches Gedächtnis und langfristige geopolitische und diplomatische Visionen verfügen. Aus Sicht der Asiaten sollte Europa direkt mit Moskau sprechen, da Russland sein ständiger Nachbar ist und eine unveränderliche geografische und geopolitische Realität darstellt, die durch den Ukraine-Konflikt nur bestätigt wird.
  Gegner Chinas werden einwenden, es handle sich hierbei um eine neue Form der Propaganda, und Peking ahme lediglich mit anderen Formulierungen nach, was die Vereinigten Staaten nach 1945 durchgesetzt haben. Das mag sein. Die Zukunft wird zeigen, ob diese Absichten uneigennützig und realisierbar waren. In der Zwischenzeit sollte der Westen jedoch seine Software anpassen oder sogar komplett ändern, wenn er im Rennen bleiben will. •

(Übersetzung Zeit-Fragen)



* Guy Mettan ist Journalist und Abgeordneter im Grossen Rat des Kantons Genf, den er 2010 präsidierte. Er arbeitete für das «Journal de Genève», Le Temps stratégique, Bilan, «Le Nouveau Quotidien» und später als Direktor und Chefredaktor der «Tribune de Genève». 1996 gründete er den Geneva Press Club, dessen Präsident und späterer Direktor er von 1998 bis 2019 war.

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