Die Landwirtschaftskammer (Parlament) des Schweizer Bauernverbands hat im Hinblick auf die laufende Vernehmlassung zum Vertragspaket Schweiz-EU eine vorläufige Stellungnahme abgegeben. Nach der parlamentarischen Debatte 2026 will sich der SBV noch einmal dazu äussern. Obwohl er seine berechtigten Vorbehalte gegen die Übernahme von EU-Recht beibehält, hält er den «bilateralen Weg» für «alternativlos» (SDA vom 22.10.2025). Damit übernimmt der SBV die faktenwidrige Vermischung der bilateralen Verträge mit einem institutionellen Rahmenabkommen aus der Propagandakampagne des Bundesrates. Positiv zu vermerken ist, dass der Bauernverband sich «aus verfassungsrechtlichen und demokratischen Gründen» klar für eine obligatorische Volksabstimmung mit Volks- und Ständemehr ausspricht.1
Einige Unklarheiten sollen hier präzisiert werden.
Echter bilateraler Weg nach einem
Nein zum institutionellen Überbau
Das EU-Vertragspaket ist weder für die Schweizer Landwirtschaft noch für uns übrige Schweizer «alternativlos». Denn es ist nicht zu erwarten, dass die Bilateralen nach einem Nein zu den neuen Verträgen erodieren würden. Tatsächlich kann die Schweiz mit der EU und insbesondere mit unseren Nachbarländern nur ohne das institutionelle Paket einen bilateralen Weg weiterbeschreiten, der diesen Namen verdient.
Dass die bilateralen Verträge weiter bestehen würden, bestätigen zum Beispiel folgende Persönlichkeiten:
Landwirtschafts- und
Lebensmittelsicherheitsabkommen
«bilden eine kohärente Einheit»
Der Bauernverband wiegt sich in der Sicherheit, das bestehende Landwirtschaftsabkommen bleibe praktisch gleich wie heute, denn es sei der dynamischen Rechtsübernahme nicht unterstellt. In seiner Medienmitteilung vom 22. Oktober fügt er hinzu: «Die Absicherung der vollständigen Souveränität in der Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik ist eine rote Linie des SBV.» Die Folgen des neuen Lebensmittelsicherheitsabkommens seien dagegen «schwierig abzuschätzen und dürften nicht zuletzt von der inländischen Umsetzung abhängen». Andererseits beurteilt der SBV mit Recht «die dynamische Rechtsübernahme im Lebensmittelsicherheitsabkommen und den Mechanismus bezüglich Ausgleichsmassnahmen» kritisch. Die Branchen müssten halt in den gemischten Ausschüssen besser einbezogen werden – damit sie bei der Einführung neuen EU-Rechts «mitreden» können?
Diese Aussagen zeigen eine erstaunliche Unterschätzung, welche verheerenden Folgen die Unterordnung der Schweiz unter das EU-Recht und die Rechtsprechung des EuGH für unser einzigartiges Staatsverständnis hätten. Weder könnten wir unsere «Souveränität in der Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik» bewahren, noch könnten der Bundesrat, geschweige denn die Branchenvertreter, gegen die Macht der EU-Kommission neues EU-Recht verhindern. Deshalb täte der SBV besser daran, seinem Unbehagen gegen die Rechtsübernahme und die Ausgleichsmassnahmen mehr Gewicht zu geben.
Zu den beiden Abkommen:
Die institutionelle Rechtsübernahme ist
die eigentliche Crux des Vertragspakets
Johann Schneider-Ammann, früherer Bundesrat FDP: «Für die Schweiz stellt die dynamische Rechtsübernahme – also neue, zukünftige Erlasse übernehmen zu müssen – ein Problem dar. Keine eigenständige Demokratie und schon gar nicht unser direktdemokratischer, stark föderalistisch und subsidiär aufgebauter Staat kann einer solchen institutionalisierten Regel zustimmen. Man könnte nur zustimmen, wenn es eben gerade die Absicht wäre, den Bundesstaat in das übergeordnete Konstrukt – also in die EU – zu zwingen.»5
Die Skepsis des Bauernverbands gegenüber der Rechtsübernahme und dem Mechanismus der Ausgleichsmassnahmen ist deshalb sehr ratsam. Zu empfehlen wäre auch, sich nicht nur auf die Landwirtschaftsabkommen zu beschränken. Tatsächlich verleitet die Aufteilung des ursprünglichen institutionellen Rahmenvertrags in sogenannte einzelne Pakete dazu, dass jede Interessengruppe sich vor allem auf die Teile konzentriert, die sie vermeintlich direkt betreffen. Das ist verständlich. Es ist aber wichtig, das Ganze im Auge zu behalten.
Denn die Verpflichtung der Schweiz zur Übernahme von künftigem EU-Recht und der Rechtsprechung des EuGH ist die eigentliche Crux des Pakets Schweiz-EU und überzieht das gesamte Vertragspaket. Dazu zwei von vielen kritischen Stimmen aus dem staatsrechtlichen Bereich:
Landwirtschaftsgerechte
Umsetzung der Verträge?
Es ist verständlich, dass der Schweizer Bauernverband gerne eine landwirtschaftsgerechte Umsetzung der Verträge möchte: «Die Umsetzung muss so erfolgen, dass die Schweizer Agrarstruktur, die bäuerliche Vielfalt, die hohen Standards und die drängenden Probleme beim Schutz der Kulturen nicht ausgehöhlt oder ausgehebelt, sondern gestärkt werden.»8
Ehrlich gesagt, halte ich die Vorstellung, diese Pfeiler der Schweizer Landwirtschaft könnten mit den neuen EU-Verträgen erhalten bleiben oder sogar gestärkt werden, für eine Illusion. Denn die – auch für mich als Städterin und langjährige Staatsangestellte unverzichtbare – Art, wie unsere Landwirtschaft organisiert ist und von unseren Bäuerinnen und Bauern gelebt wird, ist Teil des dezentralen, direktdemokratischen, föderalistischen und subsidiären Schweizer Staatsmodells. Mit einer Unterstellung der Schweiz unter das zentralistische, bürokratische EU-Rechtssystem würde alles in Mitleidenschaft gezogen, auch unsere Landwirtschaft. Es gibt keine «Nachbesserungen», die diesen systemimmanenten Mangel beseitigen oder mildern könnten.
Bürokratie vom Acker bis zum Teller
Seit Jahren fordert der SBV – und übrigens auch andere Wirtschaftsverbände wie economiesuisse – mit Recht weniger administrative Belastung für die Betriebe, damit für die produktive Arbeit mehr Zeit zur Verfügung steht. Wer weniger Bürokratie und weniger Kosten für seinen Betrieb anstrebt, kann logischerweise nicht einem Vertragspaket zustimmen, das unsere Wirtschaft mit Bürokratie überschwemmen würde. Das Lebensmittelsicherheitsabkommen wäre ein warnendes Beispiel dafür.
Im Faktenblatt Lebensmittelsicherheit vom 15.12.2023 erklärte der Bundesrat den Zweck des Abkommens ungeschönter als im aktuellen: «Über die gesamte Lebensmittelkette soll ein umfassender, gemeinsamer Lebensmittelsicherheitsraum geschaffen werden. Der Begriff der Lebensmittelkette umfasst dabei alle lebensmittelrechtlichen Aspekte vom Acker bis zum Teller. Das Lebensmittelsicherheitsabkommen würde den überwiegenden Teil des Handels mit Agrargütern mit der EU abdecken.»9
Es versteht sich von selbst, dass damit unendliche Kontrollen verbunden sind – vom Acker bis zum Teller. Ob es sich lohnt, einem derartigen Eingriff zuzustimmen, nur damit die Schweizer Bauern am Schnellwarnsystem der EU teilnehmen könnten? Wenn der Bundesrat dies wollte, könnte er sich auch ohne Vertragspaket dafür einsetzen. •
1 «Sicherung der landwirtschaftlichen Souveränität ist wichtig». Medienmitteilung des Schweizer Bauernverbands vom 22.10.2025
2 Imwinkelried, Daniel. «Die Schweiz und die EU streben einen raschen Etappensieg an». In: Neue Zürcher Zeitung vom 24.6.2025
3 Fontana, Katharina und Schäfer, Fabian. «Boris Zürcher: ‹Wir betreiben eine Wohlfühlpolitik, damit die Leute die Zuwanderung akzeptieren – und heizen damit die Zuwanderung weiter an›». In: Neue Zürcher Zeitung vom 19.8.2025
4 Neuhaus, Christina. «Jean-Pierre Bonny: ‹Die EU ist nicht so stark, dass sie einfach auf die Schweiz verzichten könnte. Sie ist ein Koloss auf tönernen Füssen›». In: Neue Zürcher Zeitung vom 24.9.2025
5 Schneider-Ammann, Johann Niklaus. «Die Schweiz darf gegenüber der EU nicht den Weg des geringsten Widerstands gehen». Gastkommentar. In: Neue Zürcher Zeitung vom 13.10.2025
6 Kälin, Kari. «Stimmrecht des Volks wird beschränkt.» Interview mit Paul Richli. In: CH Media vom 24.4.2025
7 Fontana, Katharina. «Staatsrechtler Andreas Glaser: ‹In der Schweiz ist man sich über die Tragweite des EU-Abkommens nicht im klaren›». In: Neue Zürcher Zeitung vom 23.1.2024
8 Wanner, Christine. «Nachbesserungen gefordert. Bauernverband wägt Chancen und Risiken der EU-Verträge ab». In: SRF News vom 26.8.2025
9 https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/85455.pdf
mw. Erinnern Sie sich an die Meldung aus dem norddeutschen Städtchen Bordesholm, das in der Adventszeit 2024 durch die Medien ging? Dort backten die Landfrauen seit 48 Jahren unentgeltlich Kuchen und Torten für den Weihnachtsmarkt und unterstützten mit dem Erlös gemeinnützige Institutionen in der Region. Letztes Jahr gab es keine selbstgebackenen Kuchen zu kaufen: Die Landfrauen waren in den Fleischwolf der EU-Bürokraten geraten. Auf die Frage eines Journalisten, welche EU-Auflagen sie nicht erfüllen, antwortete die Vorsitzende des Vereins der Bordesholmer Landfrauen, Claudia Jargstorf: «Ach, viele. […] Zu Spitzenzeiten haben wir 75 verschiedene Torten verkauft, die in 75 verschiedenen Küchen hergestellt wurden. Und da liegt das Problem. Die Torten müssen in einer zertifizierten Küche hergestellt werden. Die Bäckerinnen müssen ein Gesundheitszeugnis haben, die Verkäuferinnen eine Hygieneschulung. Zu jedem Rezept muss es eine Mappe mit allen Zusatzstoffen oder Allergenen geben.» Man wundert sich, wie wir die Kuchen unserer Mütter und Grossmütter überlebt haben …
Quelle: Maksan, Oliver.
«Interview. Auf einem Weihnachtsmarkt in Norddeutschland setzt EU-Recht dem Tortenverkauf ein Ende.»
Neue Zürcher Zeitung vom 3.12.2024
«Die Schweiz ist kein beliebiger Binnenmarktakteur, sondern eine hochspezialisierte und kleinstrukturierte Agrarnation mit gesellschaftlichem Rückhalt. Auch künftig muss die Schweizer Bevölkerung die fundamentalen Entscheide für eine Agrarpolitik steuern und entscheiden. Die Ernährungssouveränität verstehen wir als demokratisch legitimierte Steuerung der Produktions- und Importbedingungen. Förderinstrumente wie Direktzahlungen, Marktstützung oder Investitionshilfen sind keine staatlichen Wettbewerbsverzerrungen, sondern als Instrumente zur Absicherung von öffentlichen und verfassungsmässig eingeforderten Gütern zu verstehen.
Der aktuell vorliegende Vertragsentwurf zwischen der EU und der Schweiz vermag diese drei hauptsächlichen Forderungen nicht zu erfüllen. Zu grosse Unsicherheiten und Eventualitäten bleiben bestehen, welche die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft gefährden. Ebenso werden die sehr hohen Regulierungsfolgekosten nicht beziffert. Es darf davon ausgegangen werden, dass diese immensen Kosten einem relativ kleinen volkswirtschaftlichen Nutzen gegenüberstehen.»
Quelle: «Der ZBV lehnt den Entwurf des Pakets Schweiz–EU ab».
Stellungnahme des ZBV zum Paket Schweiz–EU vom 10.10.2025. Auszug
(IG Bauern Unternehmen)
«Mit vorliegendem Vertragspaket werden unsere Schweizer Agrarstruktur, unsere bäuerliche Vielfalt, die hohen Standards und die drängenden Probleme beim Schutz der Kulturen ausgehöhlt und sogar ausgehebelt. Wir setzen uns gegen eine zunehmende Zentralisierung, zusätzliche Regulierungen und Kontrollen ein. Aus Sicht der produzierenden Landwirtschaft ist dieses Verwaltungsmonster abzulehnen. […]
Die Folgen einer Annahme dieses Vertragswerks wären für die Schweizer Landwirtschaft gravierend. Nämlich: Aushebelung unserer Mitwirkungsverfahren, dro-hende Ausgleichsmassnahmen, EU-Kontrolleure auf unseren Betrieben, Qualitätsverluste, erstickende Bürokratie für Bauernmärkte, Direktvermarkter, Vereine, Volksfeste, Schulanlässe und schliesslich zusätzliche Kontrollen und Kosten für Gastronomie, Hotellerie und Kantinen von Unternehmen.»
Quelle: IG Bauern Unternehmen, Medienmitteilung vom 20.10.2025;
https://www.bauern-unternehmen.ch/aktuell-details-de/das-vorliegende-vertragspaket-schweiz-eu-ist-klar-abzulehnen-denn-es-gefährdet-die-schweizer-landwirtschaft-massiv.html
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