Der neutrale Kleinstaat als «Schmiermittel» in der geopolitischen Maschine

Pascal Lottaz und Jean-Daniel Ruch zur Schweizer Neutralität

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Es ist ein hochkarätiges Gespräch, an dem Pascal Lottaz, Professor für Neutralitätsstudien an der Universität Kyoto, seine Zuhörer bei «Neutrality Studies» am 14. Januar 2025 teilhaben lässt. Unter dem Titel «Ex-Diplomat enthüllt: Nato zerstört Frieden» lotet er mit dem langjährigen Schweizer Botschafter Jean-Daniel Ruch brennende Fragen der Zeit aus.1

Ausgehend von Jean-Daniel Ruchs vor kurzem im Weltwoche-Verlag erschienenen Buch «Frieden und Gerechtigkeit»2, erörtern Lottaz und Ruch die verheerende Rolle der Nato in der Welt und die damit verknüpfte Ausschaltung der OSZE als erprobtes Instrument eines friedensfördernden Dialogs zwischen Ost und West. Ein Schwerpunkt des Gesprächs ist die Schweizer Neutralität, von der kritischen Analyse ihres heutigen bedenklichen Zustands bis hin zu ermutigenden Gedanken und Plänen für eine erfolgreiche Volksabstimmung über die Neutralitätsinitiative in naher Zukunft sowie für ein positives Wirken der neutralen/blockfreien Staaten im Weltgeschehen.
  Hier sollen Auszüge zum Thema Schweizer Neutralität wiedergegeben werden.
  Jean-Daniel Ruch studierte in Genf und Lausanne Internationale Beziehungen und Internationale Sicherheit. Er war ab 1988 im Schweizerischen Verteidigungsdepartement und im Aussendepartement tätig. Seit 1994 wirkte er bei der OSZE in zahlreichen Staaten als Menschenrechtsbeauftragter und Wahlbeobachter. Er war Stellvertretender Missionschef in der Schweizer Botschaft in Belgrad (2000–2003), Abgeordneter beim Internationalen Strafgerichtshof der Uno für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag (2003–2007) und Sonderbeauftragter des EDA für den Nahen Osten (2008–2012), Botschafter der Schweiz in Serbien und Montenegro (2012–2016), in Israel (2016) und in der Türkei (2020–2023). 2023 wurde er vom Bundesrat als Leiter des neu errichteten Staatssekretariats für Sicherheitspolitik ernannt (siehe Kasten «Nato-Skeptiker im VBS stört die Pläne der USA»).
  Dr. Pascal Lottaz ist Associate Professor an der Rechtsfakultät der Universität Kyoto (Japan). Er doktorierte am National Graduate Institute for Policy Studies (GRIPS) und leitet das Forschungsnetzwerk NeutralityStudies.com.

Glaubwürdige Neutralität
 wiederherstellen – ein steiniger Weg

Pascal Lottaz: «Die Schweiz ist zweifellos neutral und hat auch gesagt, dass sie sich gemäss den Regeln von Den Haag neutral verhalten wird und keine Waffen an die Ukraine sendet. Aber andererseits ist sie klar im Lager des Westens. […] Wohin geht die Schweiz, und gibt es noch einen Weg für die Europäer, neutral zu bleiben? Gibt es Ihrer Meinung nach noch neutrale Europäer?»
  Jean-Daniel Ruch: «Vielleicht Irland. Ich denke, dass Neutralität wie ein Gebäude mit drei Etagen betrachtet werden muss. Die untere Etage ist das Neutralitätsrecht, im wesentlichen die Haager Konvention von 1907, die besagt, dass man keiner der Konfliktparteien einen militärischen Vorteil bieten sollte. Aus dieser rechtlichen Sicht sind wir neutral. Die zweite Stufe ist die Neutralitätspolitik, und diese wird sehr stark vom Bundesrat definiert, mit wenig Konsultation des Parlaments oder anderer Gremien. Durch die Verhängung der Sanktionen, die ein politischer Akt mit Auswirkungen auf die Neutralität war, beeinflussen wir dann, und das ist die dritte Stufe, die Wahrnehmung der Neutralität. Um glaubwürdig zu sein, müssen wir als neutral wahrgenommen werden. Leider ist auf Grund dieser Entscheidung und anderer, auch eines sich abzeichnenden Nato-Beitritts, die Wahrnehmung der Neutralität bei bestimmten grossen Weltmächten nicht mehr vorhanden. Ich sage nicht, dass sie für immer verloren ist, aber es wird ein steiniger Weg sein, die Glaubwürdigkeit unserer Neutralität wiederherzustellen.»

«Interoperabilität»: Die Führung der
Schweizer Armee den USA übergeben?

Alt Botschafter Ruch weist darauf hin, dass die Armeen Finnlands und Schwedens bereits vor deren Nato-Beitritt durch verschiedene Massnahmen auf den Beitritt vorbereitet waren. Ähnliche Massnahmen würden wir jetzt auch in der Schweiz ergreifen, man nenne das «Interoperabilität – was eigentlich bedeutet, das Management unserer Armee der Nato oder den Amerikanern zu übergeben, um es klar zu sagen».
  Lottaz: «Warum machen wir das? Ihre ehemalige Chefin, Viola Amherd, denke ich, ist eine der politischen Schlüsselfiguren, die darauf drängen, die Verteidigungsstruktur der Schweiz an die Nato abzugeben. Und dabei gibt es keine Bedrohung für die Schweiz.»
  Ruch: «Nun, ich denke, es liegt an der tiefen Durchdringung all unserer militärischen Systeme durch amerikanische, aber auch israelische Einflüsse. Es ist nicht nur die Armee in Uniform; es ist auch das Beschaffungssystem. Ich meine, die Art und Weise, wie der F-35 ausgewählt wurde, ist ein Skandal. Ein Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei hat ein Buch darüber geschrieben [siehe Kasten]. Und es ist entweder Inkompetenz oder Korruption. […] Alle unsere Sicherheitssysteme, alle Bereiche, sind tief von diesen Einflüssen durchdrungen.» – «Das Neueste ist das völlige Scheitern des Kaufs von Drohnen für 300 Millionen aus Israel. Diese Woche gab es eine Pressekonferenz, auf der es hiess, dass die Drohnen, die 2019 in Betrieb genommen werden sollten, nicht vor 2029 einsatzbereit sein werden.» Ruch fährt fort: «Und diese Inkompetenz ist das Ergebnis eines blinden Vertrauens in die Amerikaner und ihre israelischen Freunde. In diesem Fall geht es um Beschaffung, aber das gilt auch für die allgemeine Einschätzung der Lage. Wenn man den neuesten Bericht unserer Geheimdienste über die Bedrohung für die Schweiz liest, könnte man glauben, dass dieses Dokument entweder in Tel Aviv oder in Washington verfasst wurde. Danach sind die Feinde der Schweiz Nordkorea, China, Iran und natürlich Russland.3 […] So ein Quatsch! Das ist eine Sichtweise aus Washington, aber es sollte sicherlich nicht die Sichtweise der Schweiz sein.»

Bundesräte ohne klare Vision
 von der Schweizer Identität

Viele Schweizer sind sehr besorgt, weil derzeit in der Politik, vor allem im Bundesrat, Persönlichkeiten mit einer echten Schweizer Sicht in bezug auf die wesentlichen Fragen der Aussenpolitik dünn gesät sind. Auch die beiden Interviewpartner beschäftigt dieses für unser Land existentielle Problem. Lottaz: «Wie ist das passiert? Wir hatten einmal eine unabhängige Aussenpolitik. Wir haben es geschafft, zwei Weltkriege zu vermeiden. Wir haben es geschafft, unser Land durch den Kalten Krieg zu navigieren. Wir hatten eine sehr starke Grundlage dafür, was wir mit bestimmten Seiten tun und nicht tun würden, obwohl die Schweiz im Kalten Krieg auf einer Seite des Lagers war. Aber es gab Unabhängigkeit.»
  Ruch: «Ja, ich denke, der Grund sind die Menschen, die Menschen, die verantwortlich sind […].» In der Schweiz «gibt es sehr wenig demokratische oder zivile Kontrolle darüber, was die Streitkräfte tun. Und die Menschen, die verantwortlich sind, haben sich eingeordnet, sie wurden in Nato-Ländern ausgebildet. Also haben sie ganz natürlich diese Denkweise übernommen. Und was im Verteidigungsdepartement passiert, wird auch nicht mehr vom Aussendepartement ausgeglichen, das traditionell viel, viel näher an einem wirklich neutralen Standpunkt war. Aber unser Aussendepartement wurde weitgehend vom derzeitigen Amtsinhaber […] zerstört. Auf der Ebene des Bundesrates […] gibt es niemanden mehr, der eine klare Vision von der Schweizer Identität und der Rolle der Schweiz in der Welt hat.»
  Als langjähriger Schweizer Botschafter erinnert Jean-Daniel Ruch zum Beispiel an die frühere Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, die zur Zeit des Irak-Kriegs die USA kritisierte. «Wir haben keine solchen Menschen mehr in Führungspositionen», wiederholt er, ausser vielleicht Alain Berset, der «prinzipientreuer» zu sein scheine, aber als Generalsekretär des Europarats keinen wirklichen Einfluss in der Aussenpolitik habe. 

Sanktionen 2022 gegen Russland:
Bundesrat hat seinen Spielraum nicht genutzt

Ganz besonders kritisiert Botschafter Ruch das rasche Umkippen des Bundesrats im Februar 2022, als es um die Übernahme der westlichen Sanktionen gegen Russland ging. Er räumt zwar ein, dass die Lage der Schweiz mitten in Westeuropa nicht einfach ist, fügt jedoch hinzu: «Aber ich glaube nicht, dass wir den Spielraum, den wir hatten, ausreichend genutzt haben, denn letztendlich konnten wir zwischen 2014, als die ersten Sanktionen gegen Russland vom Westen beschlossen wurden, und 2022 ausserhalb der Sanktionen bleiben, indem wir ein System schufen, bei dem die Sanktionen nicht über die Schweiz umgangen werden konnten. Niemand hat uns jemals erklärt, warum diese gleiche Politik nach 2022 nicht möglich war. Und ich denke, wir waren etwas schnell dabei, diesen Sanktionen beizutreten. Tatsächlich änderte der Bundesrat an einem Wochenende seine Meinung, ohne uns jemals zu erklären, warum er das tat. Und ich denke, dass dies zu einem vertieften Misstrauen zwischen einem grossen Teil der Bevölkerung und der Schweizer Regierung beigetragen hat.» Und zu einem schweren Verlust der Glaubwürdigkeit der Schweizer Neutralität in einem grossen Teil der Welt, ist zu ergänzen.

OSZE-Vorsitz 2026 –
eine neue Chance für die Schweiz?

Pascal Lottaz und Jean-Daniel Ruch thematisieren auch die Bedeutung der OSZE und die Frage, ob die Schweiz dort wieder einen sinnvollen Platz einnehmen könnte. Die OSZE, so Ruch, hätte nach dem Ende des Kalten Krieges «das richtige Forum geboten, um eine permanente Struktur für die europäische Sicherheit zu schaffen». Er erinnert daran, dass die Schweiz und andere neutrale Staaten damals eine Schlüsselrolle bei der Schaffung dieses Systems spielten, «das leider embryonal blieb, weil der Westen seinen Vorteil so weit wie möglich ausnutzen wollte, während Russland schwach war».
  Auf die Frage von Pascal Lottaz: «Haben Sie noch Hoffnung für die OSZE und für die Wiederbelebung dieser Entspannung im neuen Kalten Krieg?» weist der Diplomat auf die vielen Unwägbarkeiten der heutigen Welt hin, betont aber, dass die OSZE «die einzige Institution» ist, «in der alle Staaten auf gleicher Augenhöhe vertreten sind». Die Schweiz werde 2026 den Vorsitz der OSZE übernehmen, deshalb sollte sie frühzeitig mit den Regierungen der USA und Russlands in Kontakt treten, «um zu schauen, wie wir eine sinnvolle Rolle spielen können, um die Parteien zusammenzubringen. Gleichzeitig sollten wir versuchen, ein wenig von der Glaubwürdigkeit unserer Neutralität wiederherzustellen, die seit 2022 stark beschädigt wurde.»

Neutralitätsinitiative –
 «eines der wichtigsten Referenden,
 die wir in der Schweiz haben werden»

Jean-Daniel Ruch fasst die anstehende Aufgabe für die Schweiz in die Worte: «Es geht um die Menschen und den Verlust des Bewusstseins dafür, was es bedeutet, Schweizer zu sein, was es bedeutet, neutral zu sein, und wie wichtig es für die Schweiz, aber auch für die Welt ist, glaube ich, eine neutrale Schweiz zu haben.»
  Pascal Lottaz: «Sie und ich, wir versuchen, das rückgängig zu machen, richtig? Es steht ein Referendum an, das bereits beschlossene Sache ist. […] Das Referendum wird fragen, ob die Schweiz zu einer integralen Neutralität zurückkehren soll, einschliesslich Neutralität in bezug auf Sanktionen, das heisst keine Sanktionen, ausser einigen kleinen Ausnahmen.» Er fügt hinzu: «Was tut die Zivilgesellschaft im Moment noch, um dagegenzuhalten? Denn ich habe das Gefühl, dass es auch in der Schweiz einen Widerstand gegen diese Art von Grössenwahn bestimmter Kreise gibt, einschliesslich der Medien. Die Medien sind fast ausschliesslich, nicht vollständig, aber zu einem grossen Teil, im selben Lager von pro-Nato, pro-USA.» Ruch: «Wie Sie sagen, sind die Menschen heute sehr skeptisch. Die Macht der traditionellen Medien ist überhaupt nicht mehr das, was sie einmal war. Die Menschen informieren sich über YouTube-Kanäle wie Ihren oder andere, über Soziale Netzwerke. […] Und wie Sie, glaube ich, anderswo erwähnt haben, wird diese Debatte wirklich heftig sein und ist vielleicht eines der wichtigsten Referenden, die wir in der Schweiz haben werden.»
  Da Jean-Daniel Ruch das Konzept der Neutralität nicht einer politischen Partei überlassen will, deren Glaubwürdigkeit in bezug auf eine neutrale Haltung zudem in Frage steht, ist er bereits aktiv geworden: «Aus diesem Grund versuche ich, zusammen mit einer Reihe von Freunden, eine Bewegung im französischen Teil der Schweiz zu schaffen, die neutraler ist, die im schweizerischen Sinne neutral ist, also unpolitisch, sondern einfach auf unserem Patriotismus und auf dem basiert, was wir glauben, unsere Identität und unsere Rolle sein sollte. Zu diesem Zweck haben wir im Dezember das Genfer Zentrum für Neutralität gegründet.» Eine erfreuliche Nachricht!

Netzwerk neutraler Staaten
als dringend benötigte Brückenbauer

Ruch skizziert den Weg einer neutralen Schweiz zusammen mit anderen Staaten für eine friedlichere Welt. Es gilt, der amerikanischen/westlichen Ideologie des Gut und Böse, die kaum Raum lässt für Neutralität, etwas entgegenzusetzen. «Ich bin absolut überzeugt, dass für die Zukunft der Welt ein Netzwerk von Staaten notwendig ist, die weder zur einen noch zur anderen Seite gehören, die wirklich die Verbindung herstellen, Brücken bauen und Räume für Verhandlungen über wichtige Themen wie Abrüstung, Rüstungskontrolle und Künstliche Intelligenz schaffen können. […] Das Risiko eines von Künstlicher Intelligenz ausgelösten Atomkriegs ist in absehbarer Zukunft nicht mehr ausgeschlossen. Dafür braucht man Verhandlungen, Gespräche und Abkommen. […] Es scheint mir, dass neutrale Staaten eine entscheidende Rolle bei der Schaffung dieses Rahmens für die Abrüstung spielen können.» Ruch fährt fort: «Es könnte mit Denkfabriken wie Ihrer und meiner beginnen, um dieses Netzwerk von Menschen zu schaffen, die anders denken und eine weiterreichende Vision der Zukunft haben und nicht nur Mitglieder eines Lagers sein wollen. Aber es ist viel einfacher, es ist viel bequemer, Teil eines Lagers zu sein. Wenn Sie ein Think tank sind, der mit der amerikanischen Rüstungsindustrie verbunden ist, werden Sie die Millionen sehen, Sie werden viel Geld sehen, Sie werden überall positive Berichterstattung kriegen. Wenn Sie aber anders denken wollen, was nicht dem Mainstream entspricht, dann ist natürlich alles ein bisschen schwieriger und erfordert mehr Mut.»
  Lottaz spinnt den Faden weiter: «So wie ich es sehe, können kleinere neutrale Staaten als Schmiermittel in der Maschine fungieren, die Friedensabkommen oder deeskalierende Massnahmen in Gang bringen, aber sie können nicht der Anstoss sein, der die Trägheit überwindet. Sehen Sie das genauso?» Botschafter Ruch bejaht: «Schmiermittel ist eine sehr gute Metapher. Normalerweise verwende ich das Wort für die Flüssigkeit, die wir in den Gelenken haben, um ohne Schmerzen funktionieren zu können. Ich denke, das ist genau die Rolle, die wir haben sollten. Offensichtlich werden die Supermächte ihre Entscheidungsautonomie behalten, und es gibt keine Möglichkeit, dass wir den Entscheidungsprozess wirklich beeinflussen können. Aber was wir versuchen können, ist, die Kommunikation und die Verbindung zwischen den verschiedenen Grossmächten zu beeinflussen.» •



1 https://www.youtube.com/watch?v=ZFtnNXZA-6c 
2 Ruch, Jean-Daniel. «Frieden und Gerechtigkeit. Erfahrungen eines Schweizer Diplomaten zwischen Balkan, Russland und Nahost», 2024, ISBN 978-3-9526042-0-5
3 siehe Sicherheit Schweiz. Lagebericht des Nachrichtendienstes des Bundes 2024, S. 12 

«Wenn die Schweiz den F-35A erwirbt, tritt sie faktisch der Nato bei»

mw. Nationalrat Pierre-Alain Fridez* widmet der haarsträubenden Fehlanschaffung des US-Tarnkappenbombers F-35A für die Schweizer Armee ein ganzes Buch. Hier einige seiner Kritikpunkte in bezug auf die Neutralität der Schweiz.
  «In allen parlamentarischen Debatten und während der Kampagne zur Volksabstimmung über die Vorlage Air2030 vom 27. September 2020 war stets die Rede von der Beschaffung eines Mehrzweck-Kampfflugzeugs, das die Aufgaben erfüllen soll, die ihm anvertraut werden sollen: Luftpolizei und Schutz unseres Luftraums. Der F-35 ist jedoch in erster Linie ein Flugzeug für den Luft-Boden-Angriff, ein Tarnkappenbomber, der ideal ist, um den Krieg in die Tiefe des feindlichen Territoriums zu tragen, möglichst als Teil eines integrierten militärischen Verbundes wie der Nato – und nach Ansicht vieler Experten sicher nicht die erste Wahl für die Aufgabe der Luftpolizei und der Luftverteidigung.» (S. 12)
  «Wenn die Schweiz den F-35A erwirbt, tritt sie faktisch der Nato bei. Wenn sie nicht Mitglied der Nato ist, hat sie keinen Zugang zu den Informationen, die den F-35A zu dem machen, was er ist: ein fliegender Riesencomputer. Die optimale Nutzung der Sensoren und der Fähigkeiten zur Integration der empfangenen Daten ist nur im Rahmen eines breiten Bündnisses wie der Nato sinnvoll. Und diese Fähigkeiten können nur genutzt werden, falls die Schweiz in die Kommandostruktur der Nato eingebunden ist.» (S. 29)
  Vollständige Datenkontrolle der USA: Der Autor beschreibt den Datenfluss von den einzelnen Flugzeugen zur US-Kommandostruktur und ergänzt: «Dieser Vorgang zeugt von der ausgeprägten Abhängigkeit jedes einzelnen F-35-Betreibers vom Hersteller und den USA. Und man muss wissen, dass ein Flugzeug, das länger als 30 Tage ohne Verbindung zum Mutterkonzern bleibt, nicht mehr abhebt […]. Wir werden gut daran tun, immer ein perfektes Verhältnis zu Uncle Sam zu unterhalten.» (S. 63)
  Abhängigkeit von den USA bei der Wartung: Der Bundesrat in der Armeebotschaft 2022: «Die Flugzeuge werden vollständig in der Schweiz und ausschliesslich durch Schweizer Personal instand gehalten.» Fridez stellt richtig: «(Denn) nach unseren Informationen werden die F-35A für die grossen Überholungen (Depot Level Maintenance) in die zentralisierten europäischen Wartungszentren gebracht werden. Für die ganz grossen Reparaturen müssten die Jets in die USA übergeführt werden.» (S. 65)

Quellen: Fridez, Pierre-Alain. «Der Entscheid für den F-35. Ein gewaltiger Fehler oder ein staatspolitischer Skandal?» (2022) ISBN 978-3-7557-9835-4
Pierre-Alain Fridez ist Nationalrat (SP JU) und Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission SiK-N

Nato-Skeptiker im VBS stört die Pläne der USA

mw. Der Bericht von Jean-Daniel Ruch über seine persönliche Schock-Erfahrung mit den USA geht unter die Haut. Im September 2023 wurde der hochangesehene Spitzendiplomat vom Bundesrat als Staatssekretär für Verteidigung gewählt und auf der Homepage des Bundesrates in höchsten Tönen gewürdigt: «Mit seinem Leistungsausweis im nationalen und internationalen Umfeld, mit seiner langjährigen Erfahrung in der Verwaltung sowie im diplomatischen Dienst und mit seiner Aus- und Weiterbildung erfüllt er das Anforderungsprofil für die Funktion als Staatssekretär vollumfänglich.»1 Nur wenige Wochen später war Ruch weg vom Fenster, abgeschossen durch eine üble Schmutzkampagne. Im Gespräch mit Pascal Lottaz nennt er Ross und Reiter: Die Durchdringung unseres Sicherheitssystems durch die Amerikaner «ist auch der Grund, warum sie eine Verleumdungskampagne gegen mich gestartet haben, als ich zum Staatssekretär für Verteidigung ernannt wurde, weil ich in internen Gesprächen keinen Hehl aus meinem Skeptizismus gegenüber einer Nato-Annäherung gemacht hatte.» – «Also, wissen Sie,» fährt Ruch fort, «sie sind wirklich bereit, Mittel einzusetzen, um die Schweiz auf Linie zu bringen. Ehrlich gesagt, war ich naiv. Ich hätte nie gedacht, dass sie solche Mittel einsetzen würden, um sicherzustellen, dass die Schweiz dem US-Lager eingegliedert wird.»
  Der Übergriff von ennet dem Atlantik ist das eine. Zu unserer Schande ist jedoch beizufügen, dass weder vom Bundesrat noch aus der Mannschaft des VBS Proteste zu hören waren.
  Jean-Daniel Ruch: «Meine Position war immer, dass das, was unsere Stärke ausmacht, was unsere Rolle oder unseren Nutzen in der Welt ausmacht, darin besteht, dass wir eine glaubwürdige Neutralität bewahren, und dafür müssen wir Abstand zu den Grossmächten halten.» Welcher Schweizer kann etwas dagegen haben?



1«Jean-Daniel Ruch wird Staatssekretär  für Sicherheitspolitik». Medienmitteilung des Bundesrates vom 15.9.2023

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