Im Ostkongo spitzt sich die Lage abermals dramatisch zu. Nach langen Monaten des planmässigen Vorrückens der M23-Söldner, verstärkt von anderen Allianzen sogenannter Rebellen und Einheiten der ruandischen Armee, alles unter ruandischer Steuerung, ist nun die Hauptstadt Goma der Provinz Nordkivu vollständig von dieser Guerilla-Armada eingenommen, zum dritten Mal in diesem endlosen Krieg. Dem vorangegangen waren heftige Kämpfe im ganzen nördlichen Teil der Provinz Nord-Kivu. Neben der gewaltsamen Besetzung der weltweit grössten Koltanmine von Rubaya nahe Sake («‹Im Krieg ist das erste Opfer die Wahrheit›. Dreissigjähriger Wirtschaftskrieg um Rohstoffe im Ostkongo», in: Zeit-Fragen Nr. 27 vom 24.12.2024) ist nun auch die Eroberung der nahen Millionenstadt im Gange. Die kongolesische nationale Armee hat ihre Positionen ohne wirksame Gegenwehr geräumt.
Goma stand in den der Besetzung vorangehenden Tagen unter Artilleriebeschuss, Tausende verzweifelte Menschen waren vor den Invasoren geflohen. Wohin? Die Frontstadt, wenige Kilometer von der Grenze zu Ruanda entfernt gelegen, hat mehrere Besetzungen überlebt und war seit längerem im Belagerungszustand. In den vergangenen Monaten und Wochen haben sich durch die zahlreichen Flüchtlinge aus den nördlichen Bezirken immense improvisierte Flüchtlingslager in und um die Stadt angesammelt. Sie haben in den letzten Tagen noch einmal Zuwachs erhalten. Die auf nacktem Boden improvisiert aufgeschlagenen Zeltlager, vorwiegend aus Plastikplanen, erstrecken sich im Umfeld der Stadt soweit das Auge reicht. Die Zahl der Flüchtlinge, die in diesem Krieg – verlassen von der ganzen «Werte-Westen»-Welt – ums Überleben kämpft, geht in die Millionen.
Verheerendes Ausmass
der humanitären Katastrophe in Goma
Die internationalen Hilfsorganisationen bedürfen selbst der Hilfe. Immer wieder schlagen auch in die Lager der Geflüchteten Artilleriegeschosse ein und richten grauenhafte Verletzungen an. Unter dem Titel «Das IKRK verurteilt Angriffe in Nord-Kivu mit zahlreichen verwundeten und getöteten Zivilisten» schreibt das Internationale Komitee vom Roten Kreuz mit Sitz in Genf:
«Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zeigt sich alarmiert über die verheerenden Auswirkungen der anhaltenden bewaffneten Zusammenstösse auf die Zivilbevölkerung in und rund um die Stadt Goma in der Demokratischen Republik Kongo (DRK). Besonders besorgniserregend ist der massive Zustrom von durch Feuer- und Sprengwaffen verwundeter Menschen in die vom IKRK unterstützten Einrichtungen, vor allem in das CBCA Ndosho Hospital in Goma.»
Das Ausmass der humanitären Katastrophe zeigen die nüchternen Schilderungen der zuständigen IKRK-Subdelegierten in Goma, Myriam Favier:
«Einige der Verwundeten werden mit dem Motorrad hergebracht, andere mit dem Bus oder mit Unterstützung von freiwilligen Helfern des Roten Kreuzes der Demokratischen Republik Kongo. Die Zivilisten kommen mit schweren Schuss- und Splitterverletzungen hier an. Das gesamte Spital ist mobilisiert, und die drei OP-Teams behandeln rund um die Uhr Patienten, von denen einige sogar gezwungen sind, auf dem Boden liegend zu warten, weil es an Platz fehlt. […] Diese Situation ist das Ergebnis des Einsatzes von Artillerie in dicht besiedelten Gebieten – vor allem in grossen urbanen Gegenden wie Goma oder in Vertriebenenlagern – sowie der verheerenden Folgen der intensiven Zusammenstösse auf die Zivilbevölkerung, die sich mitten im Kreuzfeuer befindet […].» (IKRK, Medienmitteilung vom 28. Januar 2025)
Der Chefchirurg der Notfallklinik
Panzi bringt die Lage auf den Punkt
Welches Elend dieser Krieg seit 30 Jahren über die ostkongolesische Zivilbevölkerung bringt, bezeichnet ganz klar der Chefarzt und Klinikleiter des in Bukavu (Süd-Kivu) von ihm aufgebauten chirurgischen Spitals Panzi, Dr. Denis Mukwege. Der Arzt und Friedenskämpfer hat 2018 den Friedensnobelpreis erhalten. 2022 hat er bei den gefälschten Wahlen zum kongolesischen Staatspräsidenten mitkandidiert. Es ging ihm dabei nicht um das Resultat der Wahl, sondern um die Gelegenheit, die abstimmenden Kongolesen auf die verworrene Lage ihres riesigen und bedrohten Landes aufmerksam zu machen. Er war der einzige Kandidat, der entschieden und mutig die wahren Gründe und Urheber dieses Krieges gegen ein ganzes Volk beim Namen nannte und nennt. Die folgenden Ausschnitte sind aktuelle Positionsbezüge eines Menschen, der in seiner von ihm aufgebauten Klinik seit Beginn der Kriege in Ostkongo 1996 als Spezialist für die grässlichen Verletzungen systematisch vergewaltigter Frauen tut, was er kann.
«Setzt diesem
Wirtschaftskrieg endlich ein Ende!»
Auf seinen Homepage-Informationen (Panzi News) nimmt Denis Mukwege am 10. Januar 2025 Stellung. Zuvor hatte Kagame, autokratischer Staatschef von Ruanda, ein Gipfeltreffen mit Tshisekedi, Präsident der Demokratischen Republik Kongo, zur Lösung der Dauerkrise unter für Tshisekedi entwürdigenden Begleitgesten platzen lassen. Am nächsten Tag folgte der Erstschlag des aktuellen Feldzugs Richtung Goma. Denis Mukwege: «Ich bin sehr besorgt, nachdem ich den jüngsten Bericht der Expertengruppe der Vereinten Nationen für die Demokratische Republik Kongo gelesen habe.1 Trotz der Vereinbarung einer humanitären Waffenruhe und eines Waffenstillstands missachtet das Regime in Kigali weiterhin das Völkerrecht und verfolgt seine Politik der territorialen Ausdehnung mit seinen Hilfstruppen der AFC/M23-Koalition2, die von 3000 bis 4000 Soldaten der ruandischen Armee unterstützt und kontrolliert werden.
In flagranter Verletzung der territorialen Integrität und der kongolesischen Souveränität setzen diese Truppen […] hochentwickelte militärische Ausrüstung und High-Tech-Waffen ein. […] Sie kontrollieren die eroberten Gebiete, insbesondere das Rubaya-Gebiet, dessen Minen eine der grössten Koltan-Quellen der Welt darstellen. Die vom Sicherheitsrat beauftragten Experten haben mit Beweisen belegt, dass die AFC/M23-Koalition ein Monopol auf den betrügerischen Abbau, den Handel und die illegale Ausfuhr von Mineralien aus Rubaya nach Ruanda ausübt. Dies führt zu der grössten absichtlichen Verwischung der Lieferketten von strategischen Mineralien wie Tantal und Wolfram, [beide unentbehrlich für die moderne Waffenherstellung] in der Region der Grossen Seen in den letzten zehn Jahren.
Experten schätzen, dass die AFC/M23-Koalition den Handel und Transport von rund 120 Tonnen Koltan pro Monat kontrolliert und dass die Steuern auf die Produktion und den Handel mit Rubaya-Koltan den Besatzungstruppen monatlich mindestens 800000 US-Dollar einbringen.
Angesichts der kritischen Lage im Osten der Demokratischen Republik Kongo fordern wir die Staatengemeinschaft erneut auf, sich nicht länger mit oberflächlichen Verurteilungen und leeren Worten zufriedenzugeben. Es müssen strenge Sanktionen gegen die Akteure der Destabilisierung verhängt werden. Es müssen sofortige und entschiedene Massnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass Ruanda seine Unterstützung für die M23 einstellt und seine Truppen unverzüglich von kongolesischem Boden abzieht.
Es ist an der Zeit, diesem Wirtschaftskrieg und dem illegalen Abbau und Handel mit strategischen Mineralien im Herzen Afrikas ein Ende zu setzen […].» (Panzi News vom 10. Januar 2025, übersetzt aus dem Englischen)
Die kongolesische Zivilgesellschaft
ist auch von innen bedroht
In einer Stellungnahme auf dem kongolesischen Nachrichtensender «congoflash infos» vom 28. Januar führte Patrick Mbeko, Politologe mit kongolesischen Wurzeln und Autor von zwei grundlegenden Studien zum endlosen Krieg im Ostkongo seit seinen Anfängen3, unter anderem folgende Punkte aus: Was sich aktuell in und um Goma vollziehe, sei keine Naturkatastrophe, sondern ein von langer Hand geplanter strategischer Schritt, dem weitere militärische Aggressionshandlungen folgen werden. Ein Problem der Region sei, dass auch die Regierung Tshisekedi weder über genügende Informationen noch über die notwendigen Kräfte verfüge, dem Treiben der internationalen Annexion eines Teils der Demokratischen Republik Kongo wirksam Einhalt zu gebieten. Es sei eine bisher so noch nie da gewesene Kluft festzustellen zwischen den Erwartungen der Kongolesen und der Passivität oder auch Unfähigkeit der Regierung in Kinshasa. Unter der führenden politischen Schicht in Kinshasa dominiere das Lobbyieren, zum Teil von ethnischen Spannungen und Klientelismus genährt. Es ist Zeit, so Mbeko, mit den Kongolesen deutlich zu sprechen. Alle Kongolesen müssten ganz klar sehen, was geplant sei: die Balkanisierung des Kongo, die Aufteilung seiner begehrten strategisch wichtigen Bodenschätze unter die Haie des modernen Finanzwesens, mit Ruanda als militärisch gesicherter internationaler Anlaufstelle.
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Was sich aktuell in und um Goma abspielt, verbunden mit unerträglichem menschlichen Leid, ist von langer Hand geplant, hat starke internationale Lobbys im Hintergrund und wird strategisch und taktisch hauptsächlich von Ruandas Armee unter dem Befehl seines autokratischen Staatschefs geführt. Dies mit Duldung und Unterstützung der massgeblichen Staaten und Organisationen des sich selbst so nennenden «Werte-Westens», der angeblich für Freiheit, Demokratie und Wohlstand für alle eintritt. Kagames autokratische Alleinherrschaft sowie seine Rolle im seit 30 Jahren bestehenden Krieg im Ostkongo wird trotz des vorliegenden erdrückenden Beweismaterials von der westlichen Welt gestützt. Dies gerade auch von der EU mit Deutschland an der Spitze, das jährlich hunderte Millionen Euro ins Land pumpt. Als Entgelt winkte für die EU, damit auch für Deutschland, ein günstiger Vertrag, abgeschlossen im vergangenen Frühjahr mit der ruandischen Führung. In ihm garantiert Ruanda der EU die für die Auto- und Waffenindustrie sowie Computer-Technologie unentbehrlichen Rohstoffe, in erster Linie Kobalt, Lithium und Tantal, zu vorteilhaften Konditionen zu liefern. Darum geht es in Wirklichkeit, und nicht um den herbeigeredeten «Bürgerkrieg» oder «Rebellionskrieg». Dass heute die ganze westliche Welt wie aus einem Munde von den bezahlten Söldnern im Ostkongo immer nur als «Rebellen» spricht, ist eine weitere geheimdienstlich durchgesetzte Sprachregelung im internationalen Medienkrieg um Meinungen. Sie ist eine historische Lüge in Kurzform. Die sogenannten Rebellen stehen als gut bezahlte Söldner unter dem Kommando gewissenloser Geschäftemacher, inländischer und ausländischer. In Hunderten von Uno-Berichten, gut geordnet in ihren Archiven, sind diese Geschäftemacher namentlich genannt, was sie nicht weiter kümmern muss. So lange Lügen und verdeckte Agenden das Schicksal unserer Welt bestimmen, sind sie sicher. Anders, wenn der Wind dreht. •
1 Denis Mukwege bezieht sich auf das Uno-Dokument «Letter dated 27 December 2024 from the Group of Experts on the Democratic Republic of the Congo addressed to the President of the Security Council», Uno-Dokument S/2024/969. Es protokolliert das Scheitern der Bemühungen Ugandas und der Demokratischen Republik Kongo, militärisch Herr der Lage über die verschiedenen sogenannten «Rebellen»-Gruppierungen zu werden.
2 M23 ist Kürzel für die «Bewegung des 23. März», neuer Name für die besonders sadistische Terrorgruppe CNDP, die am 22. März 2009 aufgelöst wurde. AFC, Alliance Fleuve Congo (Allianz Kongo-Fluss), ist der Sammelname für weitere Phantomrebellen-Formationen im Dienste diskret vorgehender internationaler Geldgeber.
3 «Stratégie du chaos et du mensonge», mit Co-Autor Honoré Ngbanda-Nzambo, 2014; sowie aktuell «Malheur au vaincus», 2024.
«Die Konfliktparteien müssen sich an das Humanitäre Völkerrecht halten und die Zivilbevölkerung sowie ihr Eigentum jederzeit verschonen. Sie müssen zudem alle erdenklichen Massnahmen ergreifen, die humanitären Folgen ihrer militärischen Einsätze zu minimieren», sagt François Moreillon, Leiter der IKRK-Delegation in der Demokratischen Republik Kongo, angesichts der neuerlichen humanitären Katastrophe im Ostkongo. (IKRK, Medienmitteilung vom 28. Januar 2025)
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