Als politisch unabhängige Zeitung sind wir von der grossen Last befreit, unmittelbar Politik machen zu müssen oder zu wollen. Wir konzentrieren uns statt dessen auf Fragen, die sich aus einer an der Sozialnatur des Menschen und am personalen Menschenbild orientierenden politischen Ethik1 ergeben und wirkliche Menschheitsfragen – im Kleinen wie im Grossen – aufgreifen.
Derzeit sind viele Menschen ganz auf ein Thema fokussiert: Was hat der neue US-Präsident geplant … und was wird er tun? Diese Blickrichtung ist gut zu verstehen. Die USA sind eine militärische und wirtschaftliche Grossmacht, und deren Politik hat zu oft gar nichts mehr mit politischer Ethik zu tun gehabt. Aber auch der neue US-Präsident ist kein Weltenherrscher … und hoffentlich vergisst die Menschheit nicht, dass auch andere ein Wort mitzureden haben.
Vieles, was derzeit geschrieben und gesendet wird, ist zudem Teil eines grossen Informationskrieges: und zwar nicht nur zwischen den USA, Russland und China zum Beispiel, sondern auch zwischen dem Anliegen, die künftige Weltordnung tatsächlich anders zu gestalten als bisher, und dem gewalttätigen Beharrungsvermögen der alten Mächte, insbesondere denen in unseren westlichen Staaten. Öffentliche Äusserungen von Politikern und deren medialen Sprachrohren sind deshalb oft interpretationsbedürftig – und vieles ist nicht wörtlich zu nehmen.
Manchmal findet man allerdings sogar in einer Zeitung wie der «Neuen Zürcher Zeitung» zutreffende Aussagen. So zum Beispiel in einem ansonsten wenig einladenden Interview vom 22. Januar 2025 mit dem Direktor des European Council on Foreign Relations. Auch dieser Direktor ist auf den neuen US-Präsidenten ausgerichtet, sagt aber immerhin: «Viele Menschen in der Welt lehnen die bisherige Art der amerikanischen Aussenpolitik ab. Ihnen ist die Vorstellung zuwider, dass sich Amerika als selbsternannter Führer der freien Welt moralisch legitimiert sieht, zu bestimmen, was sie tun sollen – und was nicht.»
Das ist in der Tat so. Und deshalb ist es so wichtig, vor den Worten und Taten des neuen US-Präsidenten nicht wie ein Kaninchen vor der Schlange zu erstarren, sondern mehr darüber nachzudenken, was die eigentlichen Menschheitsfragen sind.
Botschaft zum Weltfriedenstag
Einer, der versucht, Menschheitsfragen öffentlich zum Thema zu machen, ist der Papst in Rom. So auch dieses Jahr wieder in seiner – wie jedes Jahr – zum 1. Januar abgegebenen Botschaft zur Feier des 58. Weltfriedenstages. Da sagt der Papst Dinge, die selbstverständlich sein sollten, die aber drohen, in unseren Ländern vergessen zu gehen .
Zum Beispiel sagte der Papst, «dass kein Mensch auf die Welt kommt, um unterdrückt zu werden: Wir sind Brüder und Schwestern, Kinder desselben Vaters, geboren, um nach dem Willen des Herrn frei zu sein.»
Als Papst fühle er sich «berufen, uns zum Sprachrohr so vieler Situationen der Ausbeutung der Erde und der Unterdrückung unserer Nächsten zu machen». Jeder von uns, so der Papst, «muss sich in gewisser Weise für die Zerstörung verantwortlich fühlen, der unser gemeinsames Haus ausgesetzt ist, angefangen bei den Handlungen, die, wenn auch nur indirekt, die Konflikte anheizen, die die Menschheit gerade geisseln. So entstehen und verflechten sich unterschiedliche, aber miteinander verbundene systemische Herausforderungen, die unseren Planeten heimsuchen. Ich beziehe mich insbesondere auf Ungleichheiten jeglicher Art, die unmenschliche Behandlung von Migranten, die Umweltverschmutzung, die durch Desinformation schuldhaft erzeugte Verwirrung, die Ablehnung jeglicher Art von Dialog und die beträchtliche Finanzierung der Militärindustrie. Dies alles sind Faktoren, die eine reale Bedrohung für die Existenz der gesamten Menschheit darstellen.»
Den Schrei der Menschheit hören
So fährt er fort: «Zu Beginn dieses Jahres wollen wir daher auf diesen Schrei der Menschheit hören, um uns alle gemeinsam und persönlich aufgerufen zu fühlen, die Ketten der Ungerechtigkeit zu sprengen […]. Ein paar punktuelle Akte der Philanthropie werden nicht genügen. Vielmehr bedarf es kultureller und struktureller Veränderungen, damit auch ein dauerhafter Wandel stattfinden kann.»
Denn: «Das Ereignis des Heiligen Jahres [das die römisch-katholische Kirche alle 25 Jahre begeht] fordert uns auf, verschiedene Veränderungen vorzunehmen, um den gegenwärtigen Zustand von Ungerechtigkeit und Ungleichheit anzugehen und uns daran zu erinnern, dass die Güter der Erde nicht nur für einige wenige Privilegierte bestimmt sind, sondern für alle.» Das heutige internationale System erzeuge «Ungerechtigkeiten, die durch Korruption noch verschärft werden und die armen Länder in eine Sackgasse führen, wenn es nicht von einer Logik der Solidarität und Interdependenz [gegenseitigen Abhängigkeit] genährt wird.»
Logik der Ausbeutung
Konkret: «Ich werde nicht müde zu wiederholen, dass die Auslandsverschuldung zu einem Kontrollinstrument geworden ist, mit dem einige Regierungen und private Finanzinstitute der reichsten Länder ohne Skrupel die menschlichen und natürlichen Ressourcen der ärmsten Länder wahllos ausbeuten, um die Nachfrage ihrer eigenen Märkte zu befriedigen. Hinzu kommt, dass verschiedene Völker, die bereits durch internationale Schulden belastet sind, sich gezwungen sehen, auch die Last der ökologischen Schulden der weiter entwickelten Länder zu tragen. Ökologische Schulden und Auslandsschulden sind zwei Seiten derselben Medaille – dieser Logik der Ausbeutung, die in der Schuldenkrise gipfelt.»
Aufeinander angewiesen
Auf welche Grundlagen kann eine Veränderung aufbauen?
«Der kulturelle und strukturelle Wandel zur Überwindung dieser Krise wird eintreten, wenn wir uns endlich alle als Kinder des himmlischen Vaters anerkennen und vor ihm bekennen, dass wir alle Schuldner, aber auch alle aufeinander angewiesen sind, gemäss einer geteilten und breit gefächerten Verantwortung. Wir werden dann [hier zitiert der Papst seine Enzyklika Fratelli tutti vom 3. Oktober 2020] ‹ein für alle Mal entdecken, dass wir einander brauchen und in gegenseitiger Schuld stehen›.»
Konkret schlägt der Papst drei Massnahmen zur Überwindung der Schuldenkrise vor: erstens, «einen gänzlichen Erlass der internationalen Schulden», zweitens «gleichzeitig eine neue Finanzarchitektur zur Schaffung einer globalen Finanzcharta […], die auf Solidarität und Harmonie zwischen den Völkern beruht» und drittens «eine feste Verpflichtung zur Forderung der Achtung der Würde des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod, damit jeder Mensch sein Leben lieben und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken kann, mit der Sehnsucht nach Entwicklung und Glück für sich und seine Kinder».
In Anbetracht der katastrophalen Situation von Millionen Kindern und Jugendlichen in der Welt fordert er zudem «einen festen Prozentsatz des Rüstungsetats für die Einrichtung eines Weltfonds […], der den Hunger endgültig beseitigen und in den ärmsten Ländern Bildungsmassnahmen zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ermöglichen soll […].»
Es gehe auch darum, «jedes Motiv zu beseitigen, das junge Menschen dazu bringen könnte, hoffnungslos in die Zukunft zu blikken, in Erwartung, das Blut ihrer Angehörigen zu rächen.»
«Das Ziel des Friedens» ist die Überschrift des letzten Abschnitts in der Botschaft des Papstes. Dort können wir lesen: «Wenn ich die Waffe des Kredits niederlege und einer Schwester oder einem Bruder wieder den Weg der Hoffnung eröffne, trage ich zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit Gottes auf dieser Erde bei und gehe mit diesem Menschen dem Ziel des Friedens entgegen.»
Für eine Welt, in der wir uns anders,
geeinter und geschwisterlicher erleben
«Möge», so der Papst, «2025 ein Jahr sein, in dem der Frieden wächst! Jener wahre und dauerhafte Friede, der nicht bei den Spitzfindigkeiten von Verträgen oder menschlichen Kompromissen stehenbleibt.» Denn «der Friede kommt nicht bloss mit dem Ende des Krieges, sondern mit dem Beginn einer neuen Welt, einer Welt, in der wir uns anders, geeinter und geschwisterlicher erleben, als wir es uns vorgestellt hatten».
Wahrlich, das ist ein anderes Programm!
PS: In deutschsprachigen Medien ausserhalb derjenigen der Katholischen Kirche wurde die Friedensbotschaft des Papstes nahezu nirgendwo erwähnt. In anderen Gegenden der Welt sieht dies allerdings anders aus. •
1 siehe zum Beispiel: Sutor, Bernhard. Politische Ethik. Gesamtdarstellung auf der Basis der Christlichen Gesellschaftslehre, 1992 (2. Auflage)
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