Ostkongo: Der Krieg geht weiter, das Leiden der Zivilbevölkerung auch

Inzwischen befürchten Nachbarstaaten regionale Ausweitungen

von Peter Küpfer

zf. Der aus Singapur stammende Wissenschaftler und Diplomat Kishore Mahbubani hat erneut darauf hingewiesen, dass die Probleme Afrikas auch die Probleme Europas sind (foreignpolicy.com vom 18.2.2025). Der europäische Kolonialismus und Neokolonialismus sind ganz wesentlich mitverantwortlich für das Morden und die Plünderung Afrikas – bis heute. Dass Millionen von Afrikanern südlich der Sahara seit Jahren nach Europa drängen, gehört zu den bitteren Früchten europäischer Afrika-Politik. Europa ist gut beraten, sich für die tatsächlichen Verhältnisse in Afrika zu interessieren und die afrikanischen Staaten und Völker dabei zu unterstützen, ihre Probleme zu lösen. Dies gilt auch für die Demokratische Republik Kongo.

Laut offiziellen und Medienberichten, auch der Uno, des IKRK und von Sprechern der Zivilbevölkerung, rückt die Interventionsarmee, bestehend aus der Terrorgruppe M23, den ihr angegliederten regulären ruandischen Truppen und weiteren assoziierten Söldnerformationen (ADF-Alliance du Fleuve) planmässig weiter vor. Wie der Sprecher dieser Truppen, ein ehemals der Joseph-Kabila-Regierung nahestehender hoher kongolesischer Politiker, wiederholt öffentlich erklärte, ist das Kriegsziel der gut gerüsteten und planmässig vorrückenden Allianz viel weiter gesteckt als nur zum Ostkongo. Seine Truppen sollen bis nach Kinshasa vorrücken (mehr als tausend Kilometer weiter westlich) und den Kongo einmal mehr «befreien». Der amtierende Präsident Felix Tshisekedi verfolge nicht die Interessen der Kongolesen, sondern diejenigen einzelner internationaler Interessengruppen. Welche Interessengruppen seine eigene, bestens ausgerüstete Söldnerarmee finanzieren, hat der die Publizität liebende Kommandant nicht verraten. Nach der Einnahme der nördlichen Provinzhauptstadt Goma ist nun auch Bukavu, Provinzhauptstadt des Süd-Kivu, den Aggressoren praktisch widerstandslos in die Hände gefallen. Hier waren offenbar weniger Opfer unter der Zivilbevölkerung zu beklagen, während die Attacke auf Goma nach Angaben des IKRK an die 800 Tote unter der Zivilbevölkerung und gegen 1400 Schwerverletzte gefordert hat. Es wurden bei dem Angriff auf Goma Artilleriegeschosse eingesetzt und damit Schulen, Krankenhäuser und die Heerlager improvisierter Zelt-Biwake in der Umgebung der Stadt beschossen. Dort hatten in den Tagen vor dem Angriff auf Goma Zehntausende von Flüchtlingen (das IKRK bezifferte sie seit Beginn der neuerlichen Kämpfe um und in Goma auf über 100 000!) aus den nördlich der Stadt liegenden beschossenen Siedlungen vergeblich auf Schutz gehofft. Sie haben bei und nach diesen Angriffen einmal mehr die Flucht angetreten. Wohin? Inzwischen sind die Söldnerformationen Herr der Lage, die Zivilbevölkerung ist schutzlos ihrem Treiben ausgeliefert. Die regulären Truppen der kongolesischen Armee haben sich zurückgezogen, teilweise panikartig. Einmal mehr herrscht für die seit dreissig Jahren kriegsgeplagte Zivilbevölkerung, nun auch wieder im Süd-Kivu, der Zustand der Gesetzlosigkeit. Aus beiden «eroberten» Städten werden gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung gemeldet, massive Plünderungen der Geschäfte sowie Massen-Vergewaltigungen (siehe Kasten).

Es herrschen unsagbare Zustände

Ziel des Beschusses waren in beiden Städten insbesondere ihre Flugplätze, sie sind nun für keinerlei Flugzeuge mehr benutzbar. Damit sind die Bevölkerungen beider Kivu von jeder Hilfsversorgung abgeschnitten. Aus Bukavu werden Massenplünderungen von Lebensmittelläden und Lagern gemeldet, begangen durch die Besetzer, aber auch von eigenen Truppen sowie verzweifelten Zivilisten. Wie ein Sprecher laut einer westlichen aktuellen Medienreportage aus Bukavu bekannt gibt, leiden grosse Teile der Bevölkerung schon seit längerer Zeit Hunger. Unter der Dauerbelagerung ist das normale Leben im Ostkongo schon lange zusammengebrochen, die Lebensmittelpreise sind massiv angestiegen.
  In Goma konnten Freiwillige die Leichen der zivilen Opfer nicht bergen. Es waren nicht genügend Leichensäcke vorhanden, so dass viele zivile Opfer des Angriffs auf die Stadt liegen geblieben sind. Inzwischen befürchten das IKRK und Uno-Experten vor Ort die Ausbreitung von Cholera und anderen Seuchen.
  Sprecher der Zivilbevölkerung, aber auch der Präsident Kenias, der sich vor den jüngsten Attacken für Verhandlungen zwischen der kongolesischen und der ruandischen Regierung eingesetzt hat, sowie der Präsident des benachbarten Kleinstaats Burundi befürchten eine regionale Ausweitung des Krieges. 

Westliche und europäische
 Mitschuld am dreissigjährigen Drama

Wie Uno-Berichte seit mehr als dreissig Jahren bezeugen, bisher folgenlos, ist ein Hauptmotiv des Leidens der ostkongolesischen Bevölkerung die Tatsache, dass hier «Seltene Erden» massiert vorkommen. Sie gelten als «strategische» Rohstoffe, sprich unentbehrlich für Hightech-Produkte, vor allem auch Waffen. Ihnen gilt das erbarmungslose Raubtierverhalten bestimmter Regierungen und deren Lobbys. Tantalit, Kobalt, Lithium u. ä. – ohne diese seltenen Rohstoffe funktionieren kein Handy, keine Autobatterie, kein elektronischer Rechner – aber auch keine Drohne und keine Fernlenkwaffe. Inzwischen mehren sich kritische Stimmen im Europa-Parlament, die auf einen ungelösten Konflikt des passiven Westens verweisen. Während die EU-Kommission und ihre Präsidentin bei jeder Gelegenheit darauf hinweisen, dass die EU sich auf Grundlage der «regelbasierten Ordnung» bewege, hat sie vor einem Jahr einen sie begünstigenden Liefervertrag von Tantalit mit Ruandas Staatschef Kagame unterzeichnet. Wie inzwischen alle wissen, die es wissen wollen, besitzt Ruanda keine einzige entsprechende Mine auf seinem Territorium. Der begehrte Hochleiter wird unter den oben genannten Bedingungen seit nunmehr dreissig Jahren den Kongolesen aus ihrem Boden gerissen. Die EU leistet durch ihren Vertrag mit einem der Hauptverantwortlichen für das Leiden im Ostkongo aktive Beihilfe zu massiven Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wie bei den Diamanten klebt an diesem begehrten Rohstoff, an ihren Lieferanten in Ruanda und den Händen ihrer Verwerter in unserem scheinheiligen Westen das Blut von jenen Menschen, die das Unglück hatten und haben, in der Nähe solcher Vorkommen zu wohnen.  •

Rafft der globale Westen sich endlich dazu auf, dem Morden im Ostkongo wirksam Einhalt zu gebieten?

pk. Laut dem ostkongolesischen unabhängigen Radiosender Radio Okapi (er wurde mit Hilfe der Schweizer Entwicklungshilfe schon zu Beginn der Kongo-Krise in den neunziger Jahren aufgebaut) haben in den letzten Tagen westliche Regierungen das Verhalten Ruandas klar verurteilt und teilweise auch entsprechende Massnahmen ergriffen.
  So hat die britische Regierung ihre regelmässige finanzielle Unterstützung für die wirtschaftliche Entwicklung Ruandas ausgesetzt.
  Belgien und Frankreich haben den Mitgliedsländern der EU ein gemeinsames Paket «mit konsequenteren Sanktionen als die bisherigen» an die Adresse Ruandas vorgeschlagen. Diese schliessen auch die potentielle Aufhebung des mit Ruanda geschlossenen EU-Vertrags über strategische Rohstoffe ein. 
  Die Vereinigten Staaten haben die amerikanischen Vermögenswerte von zwei Schlüsselfiguren in diesem Krieg blockiert. Davon betroffen sind der zweite Mann in der ruandischen Hierarchie, James Kabarebe, der Hauptstratege und langjährige De-fakto-Oberkommandeur der ruandischen Truppen auf dem Gebiet der Demokratischen Republik Kongo, sowie Lawrence Kanyuka, der zivile Sprecher der ruandischen Söldnerformation M23, welche den neuerlichen Feldzug anführt. Er wird als Hirn des ruandischen Raubbaus an wertvollen Rohstoffen und dessen Vermarktung angesehen.
  Die für die Aussenpolitik zuständige EU-Kommissarin, Kaja Kallas, hat am Montag, 24. Februar 2025, bei der Eröffnung der 58.
 Session des Uno-Menschenrechtsrates in Genf erklärt, die EU habe ihre Konsultationen zu Ruandas «Verteidigungskonzept» mit Kigali ausgesetzt.
  Alle diese Massnahmen sind an die Forderung des Schlussdokuments des Sicherheitsrates vom 21. Februar geknüpft, Ruanda müsse seine Truppen sowie die mit ihnen verbündeten Allianzen aus dem Territorium der Demokratischen Republik Kongo zurückziehen.
  Bei der Eröffnung der Sitzung hat die kongolesische Ministerpräsidentin, Judith Suminwa Tuluka, auf die unerträgliche Situation der Zivilbevölkerung insbesondere in den beiden eroberten Städten Goma und Bukavu hingewiesen. Goma sei ohne Trinkwasser und Elektrizität. Es würden von den Truppen eigentliche Blutbäder angerichtet. Sie nannte sowohl bei den neuerlichen obdachlosen Flüchtlingen als auch den Todesopfern alarmierend viel höhere Zahlen als die bisher genannten. Auch sie trat vehement für Sanktionen ein. Deklarationen genügten schon lange nicht mehr.
  Ob in diesem langjährigen Krieg (mit Implikation, Duldung und sogar Unterstützung Ruandas durch alle hier genannten Staaten) nun plötzlich Sanktionen den Frieden bringen können, ist allerdings mehr als fraglich. Entscheidend ist der ehrliche Wille, das internationale Recht durchzusetzen.

Demokratische Republik Kongo: «Gefahr einer Eskalation in der gesamten Subregion war noch nie so gross»

Intervention von Volker Türk, Hochkommissar für Menschenrechte, an der Sondertagung der Vereinten Nationen des Menschenrechtsrates zum Thema «Menschenrechtslage im Osten der Demokratischen Republik Kongo» am 7. Februar in Genf (Auszüge)

«Herr Präsident, Minister Muyaya, Exzellenzen, 

Ich verfolge die Menschenrechtslage in der Demokratischen Republik Kongo seit vielen Jahren mit grosser Aufmerksamkeit und mache mir grosse Sorgen. […] Bei meinem Besuch in dem Land im April 2024 habe ich Opfer dieses schrecklichen Konflikts getroffen. Unter ihnen waren auch Frauen, die sexuelle Gewalt erlitten hatten. Mein Büro schlägt seit langem Alarm wegen dieser Krise, und ich bin zutiefst beunruhigt über die erneute Eskalation der Gewalt.
  Seit Anfang des Jahres hat die bewaffnete Gruppe M23, die von den ruandischen Verteidigungskräften unterstützt wird, ihre Offensive in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu intensiviert. Derzeit nehmen die Spannungen in Süd-Kivu zu. Wenn nichts unternommen wird, könnte das Schlimmste noch bevorstehen, nicht nur für die Menschen im Osten der Demokratischen Republik Kongo [DRK], sondern auch über die Grenzen des Landes hinaus.
  Es gab Angriffe der M23 und ihrer Verbündeten, bei denen schwere Waffen in bewohnten Gebieten eingesetzt wurden, sowie intensive Kämpfe gegen die Streitkräfte der DRK und ihre Verbündeten. […] Wieder einmal ist die Zivilbevölkerung in diesem überwältigenden Konflikt in einer Spirale der Gewalt gefangen. Seit dem 26. Januar sind fast 3000 Menschen getötet und 2880 verletzt worden. Die tatsächlichen Zahlen sind wahrscheinlich viel höher. In Goma wurden am 27. Januar zwei Krankenhäuser bombardiert, wobei zahlreiche Patienten, darunter Frauen und Kinder, getötet und verletzt wurden. Ich bin entsetzt über die Ausbreitung der sexuellen Gewalt, die schon seit langem ein erschreckendes Merkmal dieses Konflikts ist. Dies wird sich unter den derzeitigen Umständen wahrscheinlich noch verschlimmern. 
  Nach Angaben der Justizbehörden wurden während des Ausbruchs aus dem Muzenze-Gefängnis in Goma am 27. Januar mindestens 165 weibliche Gefangene vergewaltigt. Die meisten von ihnen wurden anschliessend bei einem Brand getötet, dessen Umstände nach wie vor unklar sind. Mein Team prüft derzeit auch zahlreiche Vorwürfe von Vergewaltigungen, Gruppenvergewaltigungen und sexueller Sklaverei in den Konfliktgebieten. Ich bin auch sehr besorgt über die Verbreitung von Waffen und das hohe Risiko der Zwangsrekrutierung und Einberufung von Kindern. […] Seit Anfang Januar sind mehr als 500000 Menschen vertrieben worden. Diese Zahl kommt zu den mehr als 6,4 Millionen bereits Vertriebenen hinzu. […]
  Es ist auch wichtig, die politische Ökonomie dieses Konflikts zu analysieren. Mir ist immer wieder aufgefallen, dass die Bevölkerung im Osten der Demokratischen Republik Kongo furchtbar leidet, während viele der Produkte, die wir konsumieren oder benutzen, z.B. Mobiltelefone, mit Mineralien aus dem Osten des Landes [des Kongo] hergestellt werden. Wir alle sind daran beteiligt. […]
  Die M23, die ruandischen Streitkräfte und alle, die sie unterstützen, müssen den Zugang zu humanitärer Hilfe erleichtern. Die Luft-, Land- und Seewege müssen wieder geöffnet werden, um humanitäre Korridore zu schaffen und die Sicherheit der humanitären Akteure zu gewährleisten. […] Ich begrüsse auch den diese Woche ergangenen Aufruf des Internationalen Strafgerichtshofs an alle betroffenen Parteien, Informationen über die Lage in der Demokratischen Republik Kongo zu übermitteln. Ich wiederhole den Aufruf des Generalsekretärs der Vereinten Nationen an die ruandischen Verteidigungskräfte, jegliche Unterstützung für die M23 einzustellen und sich aus der Demokratischen Republik Kongo zurückzuziehen. Der militärische Weg ist nicht die Antwort auf die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen, die diesem Konflikt zugrunde liegen, einschliesslich der illegalen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen.
  Im Einklang mit dem Grundsatz der Sorgfaltspflicht müssen die Staaten sicherstellen, dass jegliche Unterstützung, ob finanziell oder anderweitig, nicht zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt.
  Die Korruption in den staatlichen Institutionen muss bekämpft werden, die Institutionen müssen effizienter werden, und der soziale Zusammenhalt im Land muss wiederhergestellt werden. […] Das kongolesische Volk leidet seit Jahrzehnten furchtbar. Ich spreche den Opfern, ihren Familien und den Menschenrechtsverteidigern meine volle Solidarität aus.
  Wie viele unschuldige Menschen müssen noch sterben, bevor ein ausreichender politischer Wille zur Lösung dieser Krise vorhanden ist? Alle, die Einfluss haben, müssen dringend handeln, um dieser tragischen Situation ein Ende zu setzen.»

Quelle: https://www.ohchr.org/fr/statements-and-speeches/2025/02/hc-turk-drc-risk-escalation-throughout-sub-region-has-never-been vom 7.2.2025

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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