Gefährliche Zeiten für die Freiheit in den USA

von Andrew P. Napolitano*

«Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.»

Martin Niemöller (1892–1984)

Die Geschichte der menschlichen Freiheit ist lang, mühsam und nicht erfreulich.
  Sie besteht im wesentlichen darin, dass die Regierungen die Gesetze, die zu ihrer Begrenzung erlassen wurden, mit Füssen treten. Es ist der tiefe Konflikt zwischen natürlicher persönlicher Freiheit und den Befehlen des Staates, die mit Gewalt durchgesetzt werden.
  Die Verfassungen totalitärer Länder sind mit Einschränkungen für den Staat gefüllt, aber die Einschränkungen sind zahnlos. Der Staat macht, was er will. Er nimmt die Rechte nicht ernst.
  In liberalen Demokratien – mit Gewaltenteilung und gegenseitiger Kontrolle – wird der Staat theoretisch in die Schranken gewiesen. Doch auch dort sind die Beschränkungen oft Papiertiger. Auch hier nimmt der Staat die Rechte nicht ernst.

  Thomas Jefferson vertrat die Ansicht, dass im Laufe der Geschichte die persönliche Freiheit schrumpft und die staatliche Macht wächst. Er war bekanntermassen der Meinung, dass nur eine Revolution einen echten Neustart bewirken kann.
  Diese ganze Geschichte und Theorie wurde in den vergangenen zwei Wochen deutlich, als die Bundespolizei einen algerischen Doktoranden [Mahmoud Khalil] in seinem Studentenwohnheim an der Columbia University in New York City verhaftete und ihn in ein Abschiebegefängnis in Louisiana brachte. Er ist mit einer gebürtigen Amerikanerin verheiratet, sie erwarten im April ein Kind, und er ist ein Ausländer mit unbeschränkter Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung.
  Letzte Woche hat die Bundesregierung eine libanesische Ärztin [Dr. Rasha Alawieh] am Logan Airport in Boston verhaftet. Sie ist Professorin für Medizin an der Brown University und ebenfalls eine Ausländerin mit unbeschränkter Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung.
  Der Student wurde wegen Verstössen gegen die Einwanderungsbestimmungen angeklagt. Die Ärztin wurde kurzerhand nach Paris und dann in ihre Heimat Libanon abgeschoben.
  In den gegen den Studenten eingereichten Anklageschriften wird ihm keine Straftat oder persönliches Fehlverhalten vorgeworfen, es werden keine Gesetzesverstösse angeführt, und es gibt keine Beweise dafür, dass der Student eine Gefahr für Personen, Eigentum oder die Regierung darstellt.
  Die Zeitungen behaupten, dass US-Aussenminister Marco Rubio der Meinung ist, dass die Anwesenheit dieses Studenten auf dem Campus der Columbia University – angesichts seiner ausdrücklichen Unterstützung für einen palästinensischen Staat – dessen Existenz seit Generationen zur offiziellen Politik der USA gehört – ein wesentliches Hindernis für die Umsetzung der amerikanischen Aussenpolitik darstellt.
  Es wurde keine Anklage gegen die Ärztin erhoben, aber die Regierung liess durchsikkern, dass Bundesbeamte bei der Beschlagnahmung ihres Mobiltelefons feststellten, dass sie bei der Beerdigung von Hassan Nasrallah, dem kürzlich ermordeten Hizbullah-Chef, war. Sie war dort zusammen mit Hunderttausenden, möglicherweise mehr als einer Million anderer Menschen.
  Als sie dazu befragt wurde, erklärte sie nach Angaben der Regierung, dass sie Nasrallahs religiösen Lehren folge, nicht aber seinen politischen Lehren.
  Während die Ärztin in Logan inhaftiert war, erwirkten ihre Anwälte eine Verfügung eines Bundesrichters, die ihre Abschiebung untersagte, bis eine Anhörung vor ihm stattfinden konnte. Die Regierung ignorierte diese Anordnung.

Zahlreiche Rechte sind betroffen

Diese beiden Festnahmen betreffen zahlreiche verfassungsmässig garantierte Rechte, die hier im allgemeinen als selbstverständlich angesehen werden.
  Das erste ist die Meinungsfreiheit (freedom of speech). Aus den Schriften von James Madison – dem Verfasser der Bill of Rights – wissen wir, dass die Gründerväter die Meinungsfreiheit als ein persönliches, individuelles und natürliches Recht betrachteten. Sie ist natürlich auch ausdrücklich im Ersten Verfassungszusatz vor staatlichen Eingriffen und Repressalien geschützt.
  Die Gerichte haben entschieden, dass es alle Personen schützt – unabhängig von ihrem Einwanderungsstatus –, die denken, was sie wollen, sagen, was sie denken, veröffentlichen, was sie sagen, anbeten oder nicht und sich zusammentun, mit wem auch immer sie wollen.
  Wenn die Regierung eine Meinungsäusserung bestrafen kann, die sie oder ihre Freunde und Gönner hassen und fürchten, dann ist der erste Zusatzartikel nutzlos und die Demokratie eine Farce.
  Bei diesen Verhaftungen geht es auch um die Religions- und Versammlungsfreiheit. So wie der Student jede öffentliche politische Äusserung machen kann, die er möchte – ganz gleich, wie beleidigend oder provozierend sie für sein unmittelbares oder entferntes Publikum sein mag –, kann die Ärztin an jeder Beerdigung teilnehmen, an der sie möchte, kann sich mit allen Trauernden ihrer Wahl zusammenschliessen, kann jede Religion annehmen und jedem Prediger folgen.
  Der gesamte Zweck des ersten Zusatzartikels besteht darin, die Regierung aus den Bereichen Meinungsfreiheit, Religion und Versammlungsfreiheit herauszuhalten. Ohne die Treue der Regierung zu diesem Artikel ist Amerika keine Demokratie mehr, sondern eher eine Art konformistische säkulare Theokratie, die die durch die Verfassung geschützten Grundwerte ablehnt – und die sich mit jeder Wahl ändert.
  Von diesen Verhaftungen ist auch das Recht auf ein ordentliches Verfahren betroffen, das allen Menschen durch den fünften Verfassungszusatz garantiert wird. Im Grunde genommen erfordert ein ordnungsgemässes Verfahren eine faire Anhörung vor einem neutralen Schiedsrichter, bevor die Regierung in das Leben, die Freiheit oder das Eigentum eingreifen darf – und bei der die Regierung eine persönliche Schuld nachweisen muss.
  Im Fall der Ärztin verfrachtete das FBI sie nach Paris, bevor die Anhörung stattfinden konnte. Im Fall des Columbia-Studenten verfrachtete das FBI ihn nach Louisiana und missachtete damit die verfassungsmässige Vorschrift, dass alle Personen in dem Gerichtsbezirk – in diesem Fall New York City – vor Gericht gestellt werden müssen, in dem sich das Geschehen abgespielt hat.

Was ist denn hier los?

Durch die eifrige Durchsetzung der Einwanderungsgesetze der Nation ist die Regierung gesetzlos geworden. Jeder, der für die Regierung arbeitet, hat einen Treueeid auf die Verfassung geleistet. Es ist offensichtlich, dass die Bundesbeamten ihren Eid nicht ernst nehmen. Es ist auch offensichtlich, dass die Bundespolizei die Gesetze bricht, mit deren Durchsetzung wir sie beauftragt haben.
  Wenn der Staat zum Gesetzesbrecher wird, wird er selbst zum Gesetz – und die menschliche Freiheit wird mit Füssen getreten.
  Das kann nicht einfach so weitergehen. Wen wird die Regierung als Nächsten holen? 

Quelle: https://judgenap.com/perilous-times-for-personal-liberty/ vom 20.3.2025

(Übersetzung Zeit-Fragen)



* Judge Andrew P. Napolitano ist Absolvent der Princeton University und der University of Notre Dame Law School. Er ist ehemaliger Richter am Superior Court of New Jersey, war leitender Justizanalyst beim Fox News Channel und ist Gastgeber des Podcasts Judging Freedom. Richter Napolitano hat sieben Bücher über die Verfassung der Vereinigten Staaten geschrieben. Das jüngste ist Suicide Pact: Die radikale Ausweitung der präsidialen Befugnisse und die tödliche Bedrohung der amerikanischen Freiheit.

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