Die Forderung nach einem Smartphone-Verbot an Schulen findet immer mehr Zuspruch. Der Ulmer Psychiater Manfred Spitzer geht noch weiter und prangert die schädliche Wirkung digitaler Medien an.
Die Länder setzen bei der Schulentwicklung auf Digitalpakt, Medienkompetenz und Tablets. Ihr schadet nur unseren Kindern, kritisiert das Bündnis Humane Bildung [siehe Kasten]. Die mehr als 70 Experten aus Pädagogik und Medizin warnen eindringlich davor, im Bildungssystem weiterhin auf Digitalisierung zu setzen, und fordern einen Kurswechsel zum Wohl der körperlichen und geistigen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Zu dem Bündnis gehört auch Manfred Spitzer, Neurowissenschaftler und Psychiater an der Uni Ulm. Im Interview erklärt Spitzer, warum Medienkonsum blind machen kann, Tech-Konzerne uns abhängig machen und digitales Lernen Bildungsungerechtigkeit erzeugt.
Dirk Grupe: Herr Spitzer, Österreich will Smartphones an Schulen verbieten, das Bündnis für Humane Bildung fordert das auch für Deutschland. Aber ist ein Verbot nicht übertrieben?
Manfred Spitzer: Das wurde vor wenigen Jahren noch so gesehen, mittlerweile hat sich aber einiges geändert. Australien will Smartphones für Kinder unter 14 Jahren sogar ganz verbieten, und das finde ich richtig. Denn die gesundheitlichen Schäden durch Smartphone-Nutzung, gerade bei Kindergarten- und Grundschulkindern, sind durch die medizinisch-wissenschaftliche Forschung gut belegt.
Welche Schäden sind das denn?
Der Konsum von Bildschirmmedien führt zum Beispiel zu Kurzsichtigkeit. Und je jünger die Kinder sind, desto grösser ist dieser Effekt. Weltweit haben wir schon jetzt 1,4 Milliarden Kurzsichtige. Und im Jahr 2050 wird die Hälfte der Weltbevölkerung kurzsichtig sein, also 4,8 Milliarden. Kurzsichtigkeit ist wiederum ein Risikofaktor von vier weiteren Erkrankungen des Auges, nämlich Grauer Star, Grüner Star, Makuladegeneration und Netzhautablösung. Und das sind die vier wichtigsten Ursachen von Erblindung im Alter. Wenn also die Regierung in Baden-Württemberg sagt, wir brauchen mehr iPads im Kindergarten, dann heisst das, wir haben in einigen Jahrzehnten Hunderttausende mehr Blinde.
Das Smartphone, heisst es, schade auch dem Sozialverhalten der Kinder, stimmen Sie dem zu?
Ja klar, die Kinder mobben sich gegenseitig. Vor allem aber sitzen die Kinder allein vor dem Smartphone, und die anderen rundherum auch. Es gibt schon Versuche in Schulen, völlig auf das Smartphone zu verzichten, mit sehr positiven Ergebnissen für das Miteinander. Die Kinder begreifen, dass ihnen die Nutzung eigentlich nicht guttut, aber weil es eben alle machen, machen sie es auch. Das ist völlig aberwitzig.
Neben Smartphones sind Tablets in Schulen ein Thema, in Bayern soll bis 2028 jeder Schüler eines haben. Entsteht dadurch endlich Bildungsgerechtigkeit?
Nein, alle Untersuchungen dazu zeigen, dass die Digitalisierung von Schulen vor allem den schwachen Schülern schadet. Die Bildungsungerechtigkeit, die wir in Deutschland haben, wird durch die Digitalisierung also nicht geringer, sondern grösser.
Warum das?
Politiker von links bis rechts behaupten, der Zugang zur Bildung führe über ein digitales Endgerät, damit alle das Wissen dieser Welt immer bei sich tragen und alle etwas lernen. Das Problem ist nur, dass die schwachen Schüler mit ihrem Endgerät alles Mögliche machen, aber eben keine bildungsbezogenen Aktivitäten. Die starken Schüler dagegen sind neugierig und werden tatsächlich noch ein bisschen schlauer. Die Bildungsgerechtigkeit wird durch digitale Endgeräte an Schulen also nicht besser, sondern schlechter. Und die digitale Industrie fördert diese Entwicklung.
Sie sprechen von den grossen Tech-Konzernen?
Richtig. Google, Facebook, Amazon und Co. sind die reichsten Firmen der Welt. Und die berieseln uns täglich mit der Botschaft: Digital macht schlau, digital ist toll, digital ist die Zukunft. Deswegen müssten wir so früh wie möglich digital anfangen. Dies wird durch Fakten nicht untermauert, sondern stellt Lobbyismus dar.
Aber inwieweit wirkt diese Botschaft auf die Kinder?
Die neuesten Zahlen der Postbank-Studie zeigen, dass die durchschnittliche Nutzung digitaler Medien von Kindern und Jugendlichen pro Woche bei 72 Stunden liegt. Das sind zehn Stunden am Tag, mit Smartphones, Spielkonsolen, Videos etc. Das heisst, in zehn Stunden der wachen Zeit unserer nächsten Generation überlassen wir die Inhalte den reichsten Firmen der Welt. Und denen geht es weder um die Bildung noch um die Gesundheit unserer Kinder, sondern um ihren Profit. Das ist unverantwortlich und der eigentliche Skandal. Wir opfern die Gesundheit der nächsten Generation dem Gewinn von ein paar Milliardären. Das ist doch Wahnsinn.
Aber können wir nicht auch von der Digitalisierung in der Bildung profitieren, Pisa und andere Tests an Schulen fallen schliesslich bei uns schon lange schlecht aus?
Aber sie fallen wegen der Digitalisierung schlecht aus und nicht trotz der fehlenden Digitalisierung. Das ist der Punkt.
Lässt sich das belegen?
Ja. Eine Untersuchung in mehr als 50 Ländern, die bei Pisa mitmachen, hat nachgeforscht, wie sich die Pisa-Daten innerhalb von zehn Jahren verändert haben. Das Ergebnis: Je mehr die Länder für die Digitalisierung ihrer Schulen pro Schüler ausgegeben haben, desto schlechter wurden die Leistungen der Schüler in den Ländern. Es gibt also eine negative Korrelation zwischen den Ausgaben der Länder für Digitalisierung von Schulen und dem Erfolg der Schüler. Das heisst: Die Digitalisierung von Schulen schadet dem Lernen der Schüler.
Aber warum genau verschlechtert Digitales die Schulleistung?
Das ist ganz simpel. Digitale Medien lenken masslos ab. Sie führen dazu, dass sich die Schüler nicht konzentrieren können, sondern dauernd abgelenkt sind. Und wegen dieser Dauerablenkung lernen sie weniger.
Aber müssen wir an Schulen nicht auch einen Schwerpunkt auf Medienkompetenz legen?
Medienkompetenz ist ein Wort, das suggeriert, dass es eine allgemeine Fähigkeit zum Umgang mit Medien gibt. Aber diese allgemeine Fähigkeit gibt es nicht. Sie brauchen keine Kompetenz zum Googeln, damit sie gut googeln können. Was es vielmehr braucht, ist Vorwissen. Wenn sie zum Beispiel etwas über Ming-Vasen wissen wollen, müssen sie schon vorher etwas darüber wissen. Wenn sie gar nichts wissen und googeln Ming-Vasen, dann lernen sie auch nichts. Es ist unser Vorwissen zu Sachverhalten, das uns befähigt, Medien zu nutzen, um mehr über diese Sachverhalte zu lernen. Noch einmal: Eine allgemeine Kompetenz, die ich haben kann, um Medien besser zu nutzen, gibt es nicht. Ich muss den Knopf zum Ein- und Ausschalten kennen, aber das ist ziemlich trivial.
Und wie eigne ich mir Vorwissen an?
Am besten funktioniert Lernen, indem ich jemanden frage, und der erklärt es mir dann. Das ist im Grunde seit der Erfindung der Schulen so. Die Sumerer haben die Schrift erfunden. Und als die Schrift erfunden war, wurde klar, dass die Gesellschaft besser funktionieren würde, wenn alle schreiben und lesen könnten. Also haben sie vor 6000 Jahren angefangen, Lesen und Schreiben Kindern im Alter von etwa 6 Jahren beizubringen, indem ein Lehrer mit fünf bis sieben Schülern zusammensitzt. Und der Lehrer erklärt, wie es geht, die Schüler machen es dann, und fragen nach. So hat Schule angefangen, und so funktioniert es bis heute am besten.
Also analog vor digital, das Buch vor dem Internet?
Bücher sind gut, sie lenken weniger ab als digitale Medien, wo man immer weiter klickt und klickt, und nach fünf Stunden klicken hat man nicht wirklich was gelernt. Ich meine, aus evolutionärer Sicht sind Menschen kulturelle Wesen, und zur Kultur gehört eben auch die Weitergabe von kulturellem Wissen. Und diese Weitergabe funktioniert von Mensch zu Mensch. Der eine macht es vor, und der andere macht es nach. Das sind die Eltern, die Peers, die Geschwister, die Lehrer. Das ist seit 100 000 Jahren so und klappt sehr gut. Und natürlich kann man auch Gitarre spielen lernen mit YouTube-Videos. Aber ein guter Gitarrenlehrer ist eben besser.
Weil wir soziale Wesen sind?
Ja, weil wir soziale Wesen sind und weil wir voneinander und miteinander am besten lernen können. Ich leugne keineswegs, dass bildungsfernen Ländern, wo es keine Schulen und kein Geld für Lehrer gibt, YouTube-Videos helfen können. Aber hierzulande nutzen gerade die, die ungebildet sind, die digitalen Medien nicht für Bildung, sondern vertun ihre Zeit mit Computerspielen, Instagram und anderen Aktivitäten, die viel Zeit kosten und das Lernen verhindern.
Die Geister scheiden sich auch an der Künstlichen Intelligenz, eröffnet sie in der Schule aber nicht auch Chancen?
Nein. Um denken zu lernen, muss man selbst denken. Wenn sie sagen, «ChatGPT, schreib mir einen Aufsatz über den Wassergehalt der oberhessischen Blutwurst», dann denken sie eben nicht selbst. Schreiben ist ja vor allem eine Denktätigkeit, weil unsere Gedanken oft nicht linear und nicht einmal sprachlich sind. Wenn wir unsere Gedanken verschriftlichen, dann ist das eine Denkleistung. Und sie lernen ja auch nicht Fussballspielen, indem sie sich Fussball im Fernsehen anschauen. Sie müssen schon selbst spielen! Das Gehirn ist wie ein Muskel, es wächst mit der Benutzung.
Bei Erwachsenen ist das Gehirn ausgewachsen und das Smartphone allgegenwärtig. Aber welche Rolle spielt ihre Vorbildfunktion für die Kinder?
Eine grosse Rolle. Kinder machen das, was ihre Eltern machen. Und die Eltern müssen sich nicht wundern, wenn die Kinder viel am Smartphone hängen, wenn es die Eltern auch tun. Eltern müssen wissen, dass sie Vorbild für ihre Kinder sind, und zwar in jeder Hinsicht.
Die Politik sitzt zwar nicht mit auf dem Familiensofa, kann sie trotzdem etwas tun?
Die Politik sollte vor allem ihren Digitalpakt 2 [siehe Kasten unten] rasch beerdigen, denn der ist mittlerweile ein Anachronismus sondergleichen. In unseren Nachbarländern werden digitale Medien gerade wieder aus den Schulen entfernt – mit gutem Grund. Wir brauchen keinen Digitalpakt 2. Was wir brauchen, ist das Gegenteil.
Also zurück zum analogen Lernen an den Schulen?
Ja, natürlich. Digital am besten erst gar nicht einführen.
Noch weitreichender sind Verbote, wir sprachen von Österreich und von Australien, das Smartphones bei Kindern bis 14 Jahren ganz verbieten will. Ist das nicht doch zu viel des Guten, und lässt sich das überhaupt kontrollieren?
Ich halte es für einen richtigen Schritt. Wir verbieten ja auch Kinderpornographie und Drogen.
Und wer kann denn kontrollieren, was jemand zu Hause macht?
Kein Mensch kann das kontrollieren, aber wir verbieten es trotzdem. Wenn der Staat die frühe Smartphonenutzung verbietet, stärkt er den Eltern den Rücken. Denn wenn die Kinder dann ein Smartphone zu Weihnachten wollen, können die Eltern sagen, «du, das ist verboten, das gibt es nicht.» Manche behaupten, man könne so etwas nicht verbieten, das sei ein Ausdruck von Meinungsfreiheit. Dem möchte ich entgegnen: Wenn Kinder zehn Stunden am Tag manipuliert werden, dann hat das nichts mit Freiheit zu tun. Das Argument ist fadenscheinig. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern gibt es daher den gemeinsamen Aufruf, dass Kinder bis ins junge Erwachsenenalter unbeschadet durch digitale Medien aufwachsen sollten. Das ist besser für ihre körperliche, geistige und gesundheitliche Entwicklung. •
Erstveröffentlichung: Schwäbische Zeitung vom 13.3.2025;
https://www.schwaebische.de/regional/baden-wuerttemberg/kindern-samartphones-zu-verbieten-finde-ich-richtig-3403588;
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung
Manfred Spitzer ist Neurowissenschafter und Psychiater. Er ist Professor für Psychiatrie an der Universität Ulm und seit 1998 ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, an der er auch die Gesamtleitung des 2004 dort eröffneten Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) innehat, das sich vor allem mit Neurodidaktik beschäftigt. In seinen Publikationen setzt sich Spitzer kritisch mit der Digitalisierung an den Schulen auseinander. Seine Kritik begründet er unter anderem darin, dass Heranwachsende aufgrund ihrer Gehirnentwicklung noch nicht in der Lage seien, verantwortungsvoll mit digitalen Medien umzugehen oder mit ihnen zu lernen, und weist auch auf negative gesundheitliche Auswirkungen hin. Manfred Spitzer publizierte erfolgreich verschiedene Bücher. 2023 erschien «Künstliche Intelligenz. Dem Menschen überlegen – wie KI uns rettet und bedroht».
ep. Das Bündnis für humane Bildung – aufwach(s)en mit digitalen Medien ist ein Zusammenschluss von Bürgerinnen und Bürgern, die sich für eine humane und demokratische Bildung in allen öffentlichen Bildungseinrichtungen einsetzen. Es tritt dafür ein, dass alle Kinder und Jugendlichen in den Schulen persönlich unterrichtet und betreut werden, unabhängig von Sozialstatus und Finanzkraft der Eltern. In seiner Kritik stehen deshalb auch Begriffe wie «digitale Bildung» oder «digitaler Unterricht», hinter denen keine pädagogischen Konzepte stünden, wie sie vorgeben, sondern der Einsatz von Medien(-technik) im Unterricht und die dazu technische Konzepte für die Automatisierung, Standardisierung und Kontrolle von Unterricht zum Ziel haben.
ep. Im Dezember 2024 haben sich in Deutschland Bund und Länder auf eine Fortführung des «Digitalpakts Schule» verständigt und damit Weichen für den Digitalpakt 2.0 gestellt. Dieser soll bis 2030 insgesamt fünf Milliarden Euro für die Digitalisierung von Schulen bereitstellen, die jeweils zur Hälfte von Bund und Ländern übernommen werden. In einer gemeinsamen Erklärung haben sie die entsprechenden Eckpunkte vorgelegt. Die neue Massnahme baue auf dem DigitalPakt Schule (2019–2024) auf, schreiben sie, und verfolge das Ziel, die digitale Bildungsinfrastruktur in Deutschland weiter auszubauen und nachhaltig zu nutzen. Die drei geplanten Handelsstränge sollen dem «Ausbau der digitalen Infrastruktur», einer «digitalisierungsbezogenen Schul- und Unterrichtsentwicklung» und der «Qualitätsentwicklung in der digitalen Lehrkräftebildung» dienen. In seiner Begründung erklärte Bundesbildungsminister Özdemir: «Die Bildung unserer Kinder entscheidet über die individuellen Lebenschancen jedes Einzelnen, aber auch über die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes.» Er stellt die Forderung an die Schulen, die Kinder damit auf eine Welt vorzubereiten, die digital geprägt sei.
Dieser Schritt in den Schulen Deutschlands (und die entsprechende Argumentation) befremdet gerade in einer Zeit, in der viele Länder Konsequenzen aus den negativen Folgen digitaler Bildungskonzepte ziehen – darunter wichtige frühere Vorreiter. Sie kehren zurück zu analogen Lernprozessen, bei denen die Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern und analoge Lehrmittel wieder zum entscheidenden Agens im Lernprozess werden sollen (und digitale Medien höchstens als situationsangepasstes Werkzeug eingesetzt werden). Diese Rückbesinnung und die Akzeptanz dessen, was unabhängige Studien und verantwortungsbewusste Bildungspolitiker zu den Faktoren erfolgreichen Lernens seit längerem festhalten, wäre den Kindern und Jugendlichen Deutschlands (und anderer Länder) zu wünschen.
Quelle: Gemeinsame Erklärung. Bund und Länder stellen Weichen für Digitalpakt 2.0.;
https://www.bundesregierung.de/breg-de/ aktuelles/digitalpakt-2-0-2325422
ep. Maya Graf, Ständerätin (Grüne Partei) des Kantons Baselland, reichte im Dezember 2024 in der kleinen Kammer des eidgenössischen Parlaments einen Vorstoss ein, in dem der Bundesrat gebeten wird aufzuzeigen, wie er Kinder und Jugendliche vor übermässigem und schädlichem Konsum von Soialen Medien schützen kann (Postulat 24.4592, Kinder und Jugendliche vor schädlichem Konsum von sozialen Medien schützen).
Sie fragte, wie sich der Bundesrat zu einem Smartphone-Verbot an Schulen stellt. Wie stellt er sich zu einem Verbot des Zugangs zu Medienplattformen wie TikTok oder Instagram für Unter-16jährige?
Ihre Anfrage begründete die Ständerätin durch wissenschaftlich erhärtete Anzeichen, dass das Smartphone nicht nur die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen negativ beeinflusse, sondern auch deren psychische Gesundheit beeinträchtige und ihre Konzentrations- und Lernfähigkeit massiv reduziere. Sie verweist auf die Forschungen von Jonathan Haidt und Jean Twenge, die aufgezeigt hätten, dass seit der Einführung von Smartphones die Anzahl von Jugendlichen mit Depressionen, Angstzuständen und Suizidgedanken deutlich angestiegen seien. Zudem würden auch Beratungsinstitutionen wie die Pro Juventute in ihren Empfehlungen klare Regeln zu Bildschirmzeit abgeben. Graf weist auch darauf hin, dass die australische Regierung bereits ein Verbot des Zugangs zu Plattformen wie TikTok und Instagram für Unter-16jährige beschlossen habe. Andere Länder wie Italien und Frankreich hätten schon seit 2018 an ihren Schulen ein Verbot oder Einschränkungen des Smartphonegebrauchs eingeführt. In den Niederlanden gelte es seit September 2024 für alle Schulstufen. (In ihrer Aufzählung fehlt China, das bereits 2023 umfassende Einschränkungen im Zugang zu digitalen Medien und zum Computerspielen erlassen und damit eine Vorreiterrolle beim Schutz von Kindern und Jugendlichen übernommen hat.1)
Maya Graf führt auch die positiven Auswirkungen solcher Massnahmen auf das Lernverhalten und das soziale Miteinander der Schülerinnen und Schüler an und verweist auf die Forschungen des Gehirnforschers Prof. Dr. Manfred Spitzer, die einen Zusammenhang zwischen permanenter Verfügbarkeit von Smartphones im Klassenzimmer und mangelndem Lernerfolg, fehlendem nachhaltigem Lernen und fokussiertem Denken nachweisen. Die Verwendung von Social-Media-Portalen und Computerspielen würde zudem durch ständige Anreize zum Multitasking suchtgenerierendes Verhalten und Aufmerksamkeitsdefizite fördern. Darüber hinaus führe die hohe Bildschirmpräsenz zu Schlafmangel und Gesundheitsschäden. Als weiteren Punkt, der ein Smartphone-Verbot an Schulen und ein Verbot des Zugangs zu Medienplattformen wie TikTok oder Instagram für Unter-16jährige nahelege, führt Frau Graf die negativen Auswirkungen auf die körperlich-geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen an, die zudem weniger lernen würden, Konflikte zu lösen oder persönliche Beziehungen aufzubauen.
Fazit: Die Ständerätin würde mit ihrem Vorstoss in der Bevölkerung vielerorts auf Erleichterung und Zustimmung stossen, wird doch die Problematik der übermässigen Verweildauer in den digitalen Medien und die mit den (Un-)Sozialen Medien verbundenen Risiken für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung zunehmend diskutiert. So befürworteten in einer Meinungsumfrage des Forschungsinstituts Sotomo über 80% der Befragten ein Handyverbot an Schulen. Ein Verbot von Tik-Tok wurde von zwei Dritteln der Befragten befürwortet. Auch parteipolitisch fand das Handyverbot breite Unterstützung, speziell bei der SP, der SVP und den Grünen. Für interessierte Leserinnen und Leser sei auf die beiden kürzlich erschienenen, umfassenden Artikel zum Thema in Zeit-Fragen verwiesen.2 Die immer wieder angeführte Behauptung, die negativen Auswirkungen der Nutzung sozialer Netzwerke auf die psychische Gesundheit junger Menschen sei umstritten, darf heute nicht mehr als Argument angeführt werden. Dieses Scheinargument wird im allgemeinen als Diskussionsverhinderer eingebracht, denn die Faktenlage ist schon lange wissenschaftlich geklärt. Das Ziel verantwortungsvoller Politik muss es sein, die heranwachsende Generation vor den Gefahren und den negativen Folgen digitaler Medien zu schützen. In seiner Stellungnahme vom 26. Februar 2025 zeigt sich der Bundesrat bereit, die Situation in einem Bericht genauer zu analysieren. •
1 Zeit-Fragen Nr. 23, 31. Oktober 2023, https://www.zeit-fragen.ch/archiv/2023/nr-23-31-oktober-2023/vom-wert-der-worte-oder-wenn-worte-werten
2 Zeit-Fragen Nr. 4, 18. Februar 2025, https://www.zeit-fragen.ch/archiv/2025/nr-4-18-februar-2025/mobiltelefone-verantwortung-und-schutzpflicht
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