Miko Peled lässt den Leser in berührender und aufwühlender Weise an seinem persönlichen «Weg nach Palästina» teilhaben.* Seine eigene Geschichte ist in seiner Schilderung eng verwoben mit der israelischen Politik und den Kriegen gegen das palästinensische Volk und die arabischen Nachbarstaaten, die er aus persönlicher Sicht in seine Autobiographie einbaut. Mit der dauernden und zunehmenden Unrechtspolitik der israelischen Regierung, der Polizei und der Armee gegenüber der palästinensischen Bevölkerung lernt der Autor sich schon in seiner Familie auseinanderzusetzen und dann in seiner Dienstzeit in der Armee. Aber erst als seine dreizehnjährige Nichte Smadar 1997 durch zwei palästinensische Selbstmordattentäter getötet wird, beschliesst er, seinem Leben eine Wende zu geben: «Ihr Tod zwang mich zu einer schonungslosen Untersuchung meiner zionistischen Überzeugungen, der Geschichte meines Landes und der politischen Situation, die die Selbstmordattentäter, die sie getötet hatten, motiviert hatten.» (S. 18) Miko Peled nimmt an seinem Wohnort in Kalifornien Beziehung zu palästinensischen Mitbürgern auf, erfährt von ihren schmerzhaften Erlebnissen mit den israelischen Besatzern und erlebt mit Erstaunen die Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die sie ihm entgegenbringen. Im Gespräch von gleich zu gleich entsteht gegenseitiges Vertrauen, und die alle Beteiligten bewegende Frage nach einem Zusammenleben in Frieden keimt auf.
Vorbild der Eltern
Miko Peled wurde 1961 in Jerusalem geboren, als viertes Kind einer «sehr bekannten zionistischen Familie», bei der Politiker und Generäle ein- und ausgingen (S. 37). Als Kind wurde er «mit Patriotismus und dem Glauben an die zionistische Sache imprägniert», und es drängte ihn, «ein Held und ein grosser General wie mein Vater zu werden» (S. 63). In seiner Familie bekam er jedoch auch ein grosses Stück Mitmenschlichkeit mit. Sein Vater, Matti Peled, war zwar «ein grosser General», der in den israelisch-arabischen Kriegen von 1948, 1956 und 1967 massgeblich beteiligt war, aber er begann mit der Zeit, vieles in Frage zu stellen, was die israelische Armee und der Staat den Palästinensern antaten. 1968 trat Mikos Vater aus der israelischen Armee aus, studierte die arabische Sprache, wurde Professor für arabische Sprache und Literatur und gründete 1973 mit Uri Avnery und anderen Friedensaktivisten den Israelischen Rat für Israelisch-Palästinensischen Frieden, der sich bereits damals für direkte Gespräche Israels mit der PLO und für die Rechte der Palästinenser einsetzte.
Das mitmenschliche Fühlen und den Gerechtigkeitssinn seiner Mutter schildert Miko Peled anhand eines eindrücklichen Beispiels. Als ihr nach dem Krieg von 1948 von der israelischen Armee ein schönes Haus angeboten wurde, dessen palästinensische Eigentümer vertrieben worden waren, weigerte sie sich: «Ich sollte in das Haus einer Familie einziehen, die vielleicht in einem Flüchtlingslager lebte? Die Wohnung einer anderen Mutter? Kannst du dir vorstellen, wie sehr sie ihr Zuhause vermissen müssen?» Diese Geschichte erzählte sie dem kleinen Miko viele Male und fügte hinzu, dass sie sich für die Israelis schämte, die mit geplünderten Teppichen und Möbeln wegfuhren (S. 44).
Soldat in der israelischen Armee und Karateschüler
Wie alle jungen Israelis (Männer und Frauen) wurde Miko Peled mit 18 Jahren (1980) für mehr als zwei Jahre Dienst in der Armee (IDF) eingezogen. Obwohl sein Vater die Besatzung des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens inzwischen für falsch hielt, war der junge Miko «als entschiedener Zionist dennoch sicher, dass Israel eine Armee haben musste». Er dachte, er könne zu einer «moralisch sauberen Armee» beitragen und gleichzeitig gegen das Unrecht protestieren, das die IDF beging. Die brutale Realität in einem Sondereinsatzkommando beschreibt der Autor schonungslos, aber dank einer Knieverletzung konnte er seine Ausbildung in einer Sanitätstruppe abschliessen, wo er Zeit hatte, «wieder zu Atem zu kommen und die Dinge sorgfältig zu durchdenken» (S. 111). Er verzichtete auf das rote Barett der Elite-Kampftruppen und wurde Ausbildner für Sanitäter: «Sehr wohl dagegen mochte ich den Gedanken, Leuten beizubringen, wie man Leben rettet.» (S. 112)
Schon als Gymnasiast hatte Miko seine Liebe zu Karate entdeckt: Er war damals «fasziniert von den strengen Anforderungen sowohl der Karate- als auch der militärischen Kampfausbildung». Er fügt hinzu: «Aber wie ich dann herausfand, besitzt Karate im Gegensatz zum Militär [gemeint ist die israelische Armee] eine starke, kompromisslose moralische Grundlage.» (S. 121) Karate vertrete, «wie alle traditionellen Kampfkünste, eine Philosophie des Mitgefühls und der Gewaltlosigkeit» (S. 122). Miko Peled wählte den gewaltlosen Weg und liess sich zum Karatelehrer ausbilden. Nach zwei Jahren in London, wo er seine Freundin Gila heiratete, zogen sie nach Tokio. Mit seinem dortigen Lehrer reiste das Paar schliesslich 1987 nach Kalifornien, wo sie eigentlich nur zwei Jahre bleiben wollten, aber sie wurden dort heimisch und gründeten ihre Familie. In San Diego eröffnete Miko Peled sein erstes Dojo (Karate-Studio).
Den Standpunkt des «anderen» verstehen
Sehr eindrücklich sind die Konsequenzen, die Miko und einige seiner Angehörigen nach dem Tod seiner Nichte Smadar durch ein Selbstmordattentat zogen. Sein Schwager Rami, Smadars Vater, beteiligte sich am «Forum der Familien der Hinterbliebenen», wo sich palästinensische und israelische Familien treffen: «Die Botschaft des Forums war einfach: Wenn Eltern, die ihre Kinder verloren hatten, sich hinsetzen und miteinander reden konnten, konnte das auch jeder andere. Es gab einen Partner für den Frieden, und Frieden war möglich.» (S. 150) Der Familie Peled war jedoch klar, dass es ausser dieser persönlichen Ebene auch eine politische Umkehr bräuchte, um ein friedliches Zusammenleben in Palästina zu ermöglichen. Mikos Schwester Nurit, Smadars Mutter, forderte gemäss «New York Times» vom 9. September 1997 die israelische Regierung auf, «das Blutbad zu beenden» und klagte die Regierung Netanyahu an, sie habe «unsere Kinder für ihren Grössenwahn geopfert – für ihr Bedürfnis, zu kontrollieren, zu unterdrücken und zu herrschen. […] Sie wollen den Friedensprozess töten und dann den Arabern die Schuld geben.» (S. 151)
Der Zusammenbruch des palästinensisch-israelischen Friedensprozesses in den Jahren 2000/2001 – herbeigeführt von den israelischen Gegnern eines Friedens um Ariel Sharon, der danach zum Ministerpräsidenten gewählt wurde – und der Tod seiner Nichte bewogen Miko Peled, aktiv zu werden. Er erfuhr von einer jüdisch-palästinensischen Dialoggruppe in San Diego und nahm Kontakt mit ihr auf. Beim ersten Treffen dachte Miko (der in Jerusalem geboren und aufgewachsen war!): «Das ist das erste Mal, dass ich an einem Ort bin, wo Juden und Palästinenser als Gleiche zusammen sind. […] Die Tatsache, dass wir hier miteinander reden und uns dabei in die Augen sehen konnten, machte einen enormen Unterschied.» (S. 163) Es war nicht einfach für den Sohn eines «erfolgreichen» israelischen Generals, die Geschichte aus dem Blickwinkel der Palästinenser zu hören: dass Israel zum Beispiel im Krieg von 1948 nicht der «David» gewesen sei, der sich gegen einen arabischen «Goliath» verteidigt habe (S. 167f). Für Miko war «das einzige, was stärker als dieser Mythos war, Vertrauen […]. Ohne dieses Vertrauen wären wir nie vorangekommen. In unserer Gruppe ging es nicht um gegenseitige Anklagen, sondern darum, zuzuhören und persönliche Geschichten zu erzählen.» So erfuhr der Israeli, dass die Geschichtsversion der Palästinenser oft das diametrale Gegenteil dessen war, was er für richtig gehalten hatte.
Der Schritt nach Palästina
Über die Freundschaft mit dem aus Israel vertriebenen Nader, der nach 50 Jahren Exil endlich einen Pass erhielt, mit dem er «wenigstens als Tourist» (!) in seine Heimatstadt Nazareth reisen konnte, bot sich Miko Peled die Gelegenheit, ihn und seine Familie dort zu besuchen. Mit seiner Frau Gila zusammen fuhr er mit einem Auto mit israelischem Nummernschild von Jerusalem nach Nazareth. Er schildert, wie es ihm dabei ging: «Wenn jemand mich gefragt hätte, ob ich Angst vor Arabern hatte oder davor, eine arabische Stadt […] zu besuchen, hätte ich gesagt, ‹Nein, natürlich nicht. Warum sollte ich?› Schliesslich war ich ein aufgeschlossener Mensch, oder etwa nicht?» Auf seiner ersten Reise nach Palästina erkannte er, «wie tief verwurzelt meine Angst in Wirklichkeit war» (S. 187). Als sie in Nazareth mehrmals Passanten nach dem Weg zum Haus von Naders Onkel fragen mussten, war es Miko und Gila sehr unbehaglich zumute. Entgegen ihrem Vorurteil merkten sie aber, dass viele ihnen gerne helfen wollten und ihnen das Gefühl gaben, willkommen zu sein (S. 189).
Nach diesem Erlebnis wollte Miko seine Angst «ein für alle Mal loswerden. Wenn es jemals Frieden geben sollte, musste es vollständiges Vertrauen geben, und das kann nur durch Menschen hergestellt werden, die wenigstens ihre Hände über die Mauer der Angst strecken, wenn sie die Mauer schon nicht einreissen können.» Bei seinen Reisen im Westjordanland besuchte Miko unter anderem ein Spital, für das er mit Nader und dem Rotary Club von San Diego eine Spende von Rollstühlen organisiert hatte. Dabei erfuhr er nicht nur von den vielen unrechtmässig eingesperrten und getöteten oder verwundeten palästinensischen Männern und Frauen, sondern er machte auch Bekanntschaft mit den abstrusen israelischen Sicherheitsverordnungen, die es «unmöglich [machten], mit der anderen Seite in Kontakt zu treten, ohne gegen das Gesetz zu verstossen» (S. 191). Trotzdem stellte er sich den israelischen Kommandanten in den Weg und wies sie auf die «brutale, illegale Besatzung» hin, die sie durchsetzen wollten.
Noch weit schwieriger war es, in den Gaza-Streifen zu gelangen und für die dortige Bevölkerung Hilfsprojekte der amerikanischen Rotarier zu organisieren. Die menschenunwürdigen Zustände in Gaza berührten den Autor zutiefst: «Die Situation im Gaza-Streifen ist so schlimm, dass Israels Herrschaft über das Westjordanland daneben fast wie ein Idyll aussieht. Die Beschränkungen der Reise- und Bewegungsfreiheit sowie des Warenimports und -exports durch Israel, zusammen mit der kompletten Kontrolle der Besatzungsmacht über Land und See haben einen Belagerungszustand geschaffen, der eineinhalb Millionen Menschen, darunter 800 000 Kindern, buchstäblich die Luft abschnürt.» (S. 221f.)
«Frieden zwischen den Israelis und den Palästinensern ist möglich»
Dies nur einige von den vielen persönlichen, geschichtlichen und politischen Einblicken in dieser eindrücklichen Autobiographie. Das letzte Kapitel, «Hoffnung auf Frieden», widmet der Autor der Jugend. Während er Karatekurse in Ramallah durchführte, sprach er mit den Jugendlichen auch über das Unrecht der Besatzung und ermutigte sie, ihren Weg daraus ohne Gewalt zu finden (S. 277). Und er schildert die heftigen Diskussionen mit seinem Schwager zur seit Jahrzehnten anstehenden Lösung des Nahostkonflikts: Ein Staat, zwei Staaten, drei Staaten? (S. 310ff.) Im Epilog zeigt Miko Peled auf eindrückliche Weise, wie weit er durch die intensiven Beziehungen mit palästinensischen Mitmenschen über seine zionistische Sichtweise hinausgewachsen ist: «Heute sehe ich meine wichtigste Rolle darin, für den Widerstand gegen das zionistische Regime in Palästina zu schreiben und zu sprechen – und aktiv daran teilzunehmen. Frieden zwischen den Israelis und den Palästinensern ist möglich, sobald wir uns ausserhalb des Paradigmas des zionistischen Staates begeben, eines Staates, der zu Unrecht als der ‹jüdische Staat› bezeichnet wird. […] Die Palästinenser, die ursprünglichen Bewohner, die zu Opfern eines kolonialistischen Siedlerstaates gemacht wurden, sind die rechtmässigen Besitzer des Landes. Anzuerkennen, dass dies die Lage ist und dass sowohl die Palästinenser als auch die Israelis frei und in Frieden in einem Staat leben können müssen, der sie beide repräsentiert und in dem dieselben Gesetze für alle gelten, ist meiner Überzeugung nach der erste Schritt. Bevor das durchgesetzt ist, haben wir keines der Probleme in Palästina gelöst.» (S. 326) •
* Miko Peled. Der Sohn des Generals. Reise eines Israelis in Palästina. 1. deutsche Auflage 2016
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