von Tobias Salander, Historiker
Nach dem Atomunfall in Fukushima haben viele Länder den Ausstieg aus der Atomenergie eingeleitet. So auch die Schweiz. Auf der anderen Seite bleiben Länder wie Frankreich dabei, ihre über 50 Atomkraftwerke im Netz zu behalten. Gleichzeitig spricht viel dafür, dass im Jahre 2006 Peak Oil erreicht wurde, der Rückgang der geförderten Mengen konventionellen Öls, also des Öls, welches relativ kostengünstig zu fördern ist. Das Stichwort Energiewende, hin zu erneuerbaren Energien, ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Ebenso der Begriff Energieautarkie und -souveränität. Vor allem ein föderalistisch aufgebauter Kleinstaat wie die Schweiz sieht sich vor die Frage gestellt, wie die erforderliche Energie sicherstellen, ohne erpressbar zu werden. Die Befreiung von fossilen Energieträgern, die alle aus dem Ausland eingeführt werden müssen, und die Hinwendung zu einer dezentralen Energieversorgung, auch zur Verhinderung drohender Blackouts, ist ein Gebot der Stunde. Und stünde einem föderalistisch aufgebauten Staatsgebilde gut an.
Was in Krisensituationen einem Kleinstaat wie der Schweiz blühen kann, einem Binnenstaat nota bene, der nicht über Meeresanstoss verfügt und schnell umzingelt sein kann, zum einen von einer kontinentaleuropäischen Grossmacht, zum anderen von deren insularen und transatlantischen Gegnern, hat die Geschichte zur Genüge gezeigt. Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg sah sich die Schweiz schnell giftigen Erpressungen ausgesetzt – und nicht nur durch den Nachbarn nördlich des Rheins. Dass sich die Situation heute mit einer kriselnden und deswegen zu allem fähigen EU schnell zuspitzen kann, hat man in den letzten Monaten zur Genüge erleben müssen. Grund genug, einen Blick in die Geschichte zu werfen und die Fragen zu stellen, wie sich die Schweiz im 20. Jahrhundert behaupten konnte. Die Antworten mögen dazu dienen, Schlüsse für das 21. Jahrhundert zu ziehen und alles daran zu setzen, grösstmögliche Energieautarkie zu erlangen – zusätzlich zur Ernährungssouveränität und zum Erhalt einer schlagkräftigen Milizarmee.
Zentral für diese Ausführungen war das Buch von Daniele Ganser «Europa im Erdölrausch» (vgl. Rezension in Zeit-Fragen Nr.1/2 vom 7. Januar 2013), welches eine eigene Schweizer Geschichte des 20. Jahrhunderts mit dem Schwerpunkt Ressourcensicherung beinhaltet.
Die Menschen brauchen zum Leben Energie. Diese setzte sich in der Menschheitsgeschichte, bis auf eine kurze Ausnahme, man kann auch vom «fossilen Intermezzo» sprechen, aus erneuerbaren Energien zusammen. Also aus Sonne und den Produkten der Photosynthese wie zum Beispiel Holz, dann Wasser und Wind, heute auch aus Biomasse, Biogas und Erdwärme. Natürlich führte dies im vorfossilen Zeitalter oft zu grossen Energiekrisen, die sich in Hungersnöten manifestierten: So wurde die Schweiz, die um 1800 etwa 1,6 Millionen Einwohner aufwies, im Jahre 1817 von einer schrecklichen Hungersnot heimgesucht – das Jahr hatte 130 Regentage zu verzeichnen. Erst durch die Nutzung fossiler Brennstoffe konnte die Energie- und damit auch die Ernährungssicherheit verbessert werden. Es waren eben diese fossilen Brennstoffe, die unser Land und viele andere in einen wahren Rausch versetzten und einen ungeahnten Aufschwung in Gang setzten.
Zwar hatte der Aufklärer Johann Jakob Scheuchzer schon im Jahre 1746 Erdölaustritte am Walensee und am Tödi beschrieben, doch so richtig in Gang kam das Geschäft mit dem schwarzen Gold erst im 20. Jahrhundert. Es war die britisch-holländische Erdölfirma Shell, die seit 1906 ihre Ölprodukte auch in die Schweiz verkaufte – 1949 legte die Firma sich dann den einheimischer tönenden Namen «Shell Switzerland» zu. Seit 1923 wurde der Rhein als Transportweg für Öl genutzt, welches via Rotterdam nach Basel verschifft wurde. Shell, heute der grösste Energiekonzern Europas mit einem Gewinn für das Jahr 2011 von 28 Milliarden Dollar, beschäftigte schon früh auch gerne Schweizer Topingenieure. Man nannte sie die «Swiss Gang», Schweizer Erdölgeologen im Dienste von Royal Dutch Shell.
Aber auch die Konkurrenz von Shell, Rockefellers Standard Oil, war in Europa aktiv: Sie gründete in Europa Tochterfirmen, die von den USA gesteuert wurden, aber wie europäische Unternehmen aussahen. In Deutschland war dies die DAPG, die Deutsch-Amerikanische-Petroleum-Gesellschaft. In Italien die Siap, die Società Italo-Americana del Petrolio. Die DAPG und die Siap gründeten dann auf Geheiss Rockefellers für die Schweiz die Pico, die Petroleum Import Cie. Pico wird später umbenannt in Esso Switzerland.
Standard Oil baute in ganz Europa Umschlagszentren an Wasserstrassen, die sie mit ihren Tankern bediente: Rotterdam, Mannheim, Hüningen, Savona und Venedig. Mit Bahnkesselwagen ging es weiter, dann mit Zisternenwagen mit Pferden, schliesslich mit Holzfässern und Kannen.
Die dritte Firma im Bunde war die britische Anglo-Persian Oil Company (Apoc), später BP, die durch einen Einkauf 1927 in den Schweizer Markt einstieg. Damit waren Shell, Esso und BP Hauptakteure auf dem hiesigen Markt. Denn die Schweiz hatte ein Problem: sie musste alles Erdöl importieren!
Die Frage der Energieautarkie bzw. der Energiesouveränität oder eben der fehlenden stellte sich der Schweiz dann drängend im Ersten Weltkrieg. Die Lage war so, dass die Schweiz ihre wirtschaftliche Souveränität nicht halten konnte und sie 1915 verlor. Grund dafür war die britische Seeblockade, die auch die neutrale Schweiz traf. Die Entente verlangte von der Schweiz in flagranter Verletzung des völkerrechtlichen Statuts der Neutralität, dass sich unser Land in die Mauer der alliierten Wirtschaftsblockade einzufügen habe. Ein Ansinnen, welches der Bundesrat klar zurückwies. Aber die Schweiz war schlecht vorbereitet, zumal für einen langen Krieg, man rechnete wie die meisten Länder mit einem kurzen. Kam hinzu, dass man als Binnenland weder über Hochseehäfen noch Schiffe oder gesicherte Zufahrtslinien verfügte! So war die Schweiz erpressbar, und die Entente nutzte diesen Umstand ohne Rücksichten vollumfänglich aus. Eine realpolitische Lehre, die ein Land so schnell nicht wieder vergisst. So wurden 1915 zum Beispiel Petroleum, Kautschuk und Reis von den Alliierten zurückgehalten! Aber schon im Dezember 1914 hatte Frankreich die Ausfuhr von Petroleum an die Schweiz verboten, damit es nicht weiter nach Deutschland gelange – die Folge: in den Schweizer Stuben, nota bene denen eines nicht kriegführenden Landes, wurde es dunkel!
Immerhin liess sich Frankreich dann doch gnädig dazu herab, Kontingente zu bewilligen.
Da die britische Flotte die Meere beherrschte, konnte sie nach Belieben Tanker stoppen, die Fracht für die neutrale Schweiz geladen hatten. So musste der Bundesrat im Mai 1915 ernüchtert feststellen, dass Frankreich und Grossbritannien unser Land in der Hand hätten, dass sie schalten und walten könnten, wie sie wollten. Die Schweiz hingegen habe nicht den Hauch einer Chance und sei vor drei Optionen gestellt: Verhungern, kämpfen oder die Kontrolle der Entente akzeptieren. Die Landesregierung wählte das kleinste Übel, nämlich Variante 3.
So wurde am 26.8.1915 die Société suisse de surveillance économique (SSS), bestehend aus 15 Schweizern, ins Leben gerufen. Im Auftrag von Frankreich und Grossbritannien hatte diese Gruppe den ganzen Import und Export zu überwachen. Mit Aussenstellen in Paris, London, Rom und Washington war die SSS lediglich ein Instrument des alliierten Wirtschaftskrieges und wurde dementsprechend im Volksmund auch mit «Souveraineté suisse suspendue» betitelt: Ausdruck der bitteren Einsicht, dass damit die Schweiz wirtschaftlich nicht mehr souverän war!
Dieser Ablauf zeigt in aller Klarheit, wie ein neutrales Land im Ernstfall, im Krieg, sich nicht mehr nur auf das Völkerrecht berufen kann: Es muss auch in der Lage sein, seinem Anspruch auf Einhaltung des Völkerrechts Nachdruck zu verschaffen. Ja, es hat dazu gemäss Haager Abkommen von 1907 sogar die Pflicht. Dazu gehörte damals wie heute die militärische Landesverteidigung. So hatte die vereinigte Bundesversammlung am 3. August 1914 Ulrich Wille zum General gewählt. Dass die militärische Komponente einen Kleinstaat allein nicht zu schützen vermag, auch wenn die Wehrhaftigkeit Grundpfeiler der Landesverteidigung bleiben muss, zeigte das Beispiel der SSS. Eine umsichtige Vorsorge im Gesamten ist unerlässlich, mithin eine wirtschaftliche Landesvorsorge und ein Energiekonzept. Denn genau so wie die Neutralität ohne Armee nichts ist, ist Bewaffnung ohne Wirtschaftsautarkie kein nachhaltiges Konzept.
Aus diesem Grunde wurde auch in der Schweiz die Suche nach Erdöl aufgenommen. In den Jahren 1916 bis 1919 liessen zwei Firmen, das Stahlwerk Georg Fischer in Schaffhausen und die Firma Sulzer in Winterthur, Sondierbohrungen durch zwei Schweizer Geologen durchführen – doch ohne Erfolg. In späteren Jahren sollte dieser Umstand dann positiv bewertet werden, ersparte er doch der Schweiz allfällige Invasionen, von aussen gesteuerte Putsche und Unruhen, wie dies in erdölproduzierenden Ländern im 20. Jahrhundert gang und gäbe wurde. Dass sich solche Abläufe im 21. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Kriege um Wasser, wie der Ex-Uno-Generalsekretär Kofi Annan prophezeite, nicht im Wasserschloss Schweiz ereignen mögen, muss von der nachwachsenden Generation sichergestellt werden – die Aufgabe der Schulen und Medien muss es sein, der Jugend die Brisanz der Ressourcenfrage, zumal einer von Grosskonzernen zentralistisch gesteuerten, vor Augen zu führen und sie für dezentrale, nachhaltige und kleinräumige Energiedeckung zu begeistern – gerade auch durch die Förderung der naturwissenschaftlichen Fächer in der Schule.
Die Schweiz, Schweden und Irland wurden im Zweiten Weltkrieg nicht besetzt – wohl auch, weil sie keine Ölfelder hatten?
Die Schweiz hatte ihre Hausaufgaben zum Teil gemacht und die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg gezogen: Da Mitte der 30er Jahre nicht mehr zu übersehen war, dass die Zeichen auf Sturm standen und mit einem Krieg gerechnet werden musste, ernannte Bundesrat Hermann Obrecht, seit 1935 Vorsteher des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements, am 1. April 1937 einen Beauftragten für Kriegswirtschaft – mit dem Ziel, Vorräte an lebenswichtigen Rohstoffen und Nahrungsmitteln anzulegen.
Bundesrat Obrecht, der den Ersten Weltkrieg miterlebt hatte, war fest entschlossen, das Überleben der Bevölkerung im Falle einer Hungerkrise zu sichern. Energie wurde damals aus heimischem Holz und aus Wasserkraft gewonnen, Kohle hingegen musste importiert werden, genauso Erdöl, welches im Jahre 1938 lediglich 20% des Energiebedarfs deckte. Damals wurde 30mal weniger Erdöl verbraucht als 1973! Dennoch sah sich die Schweiz auch im Zweiten Weltkrieg wieder mit einer langen Energiekrise konfrontiert.
Am 1. April 1938 wurde gesetzlich geregelt, dass die Kriegswirtschaft nicht im EMD, sondern im Volkswirtschaftsdepartement gesteuert werde – dies aus den Erfahrungen im Ersten Weltkrieg.
Nach der Besetzung Polens und der Mobilmachung der Schweizer Armee wurde vom 4. September 1939 an die Schweiz kriegswirtschaftlich verwaltet. Die Lage war schlicht katastrophal, einmal mehr zeigte sich, dass die Arglist der Zeit zu lange unterschätzt worden war bzw. dass sich ein neutraler Kleinstaat, zumal ohne Meeresanstoss, schwer behaupten kann, wenn Grossmächte eine Würgeschlinge auslegen. Und ähnlich wie im Ersten Weltkrieg war dies eine doppelte.
Nach dem Fall Frankreichs im Mai 1940 war die Schweiz wieder eingekreist, diesmal von den faschistisch gewordenen Nachbarn. Es bestand auch die Gefahr, dass bei einem Sieg der Faschisten die Eidgenossenschaft entlang der Sprachgrenzen zwischen Deutschland, Frankreich und Italien aufgeteilt würde. Um so grösser war der Abwehrwille in unserem Land.
Wie ernst die Lage war, ist einem Bericht des Bundesrates zur Lage der Schweiz nach dem Fall Frankreichs im Mai 1940 zu entnehmen: «Unsere Lage war mit jener in einer Mäusefalle vergleichbar geworden. Es bedurfte unablässiger handelspolitischer und diplomatischer Anstrengungen, um unser Volk vor dem langsamen Hungertode zu bewahren.»
(Quelle: Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement (Hrsg.): Die Schweizerische Kriegswirtschaft: 1939–1948. Bern. Eidgenössische Zentralstelle für Kriegswirtschaft, 1950, S. XV)
Zuallererst sagte der Bundesrat der Inflation den Kampf an und verfügte, die Preise einzufrieren. Damit war aber der freie Markt aufgehoben.
Da Bundesrat Obrecht, erschöpft von der schweren und belastenden Arbeit, einen Herzinfarkt erlitt, oblag es seinem Nachfolger Walther Stampfli, die Kriegswirtschaft weiter auszubauen. Im Jahre 1943 verfügte er bereits über 3600 Mitarbeiter und acht Kriegswirtschaftsämter, unter anderen das Kriegsernährungsamt, das Kriegsindustrie- und Kriegsarbeitsamt, welches wiederum in 19 Sektionen gegliedert war. Eine zentrale Sektion war die Sektion Kraft und Wärme: Sie hatte Kohle und Öl zu beschaffen – ein Ding der Unmöglichkeit, hätte man nicht Gespräche mit dem Deutschen Reich aufgenommen. Wer dies heute unseren Vorfahren zum Vorwurf macht, erweist sich als geschichtslose Person ohne nötigen Sachverstand oder als eine Art «historischer Auftragskiller», der Sachverhalte manipulativ verzerrt mit dem Ziel, die heutige Generation von der eigenen Geschichte abzuschneiden und in ein grösseres Gebilde zu führen – ein Propagandavorgang, der ganz ähnlich damals aus Nazideutschland gegen die Schweiz geführt wurde!
Im August 1939 beruft der Bundesrat als Leiter der Sektion Kraft und Wärme Robert Grimm, seines Zeichens ehemaliger Führer des Generalstreiks von 1918, einstiger Armeegegner, SP-Linksaussen und glasklarer Anti-Faschist. Damit war auch die SP eingebunden.
Nach kurzer Einarbeitungszeit kam Grimm zum Schluss, die Schweiz habe zuwenig Erdöl gebunkert. Und zwar nicht etwa die Privatwirtschaft, die seit 1932 Pflichtlager unterhalten musste, sondern die Armee! Deren Mobilität war damit von Anfang an gefährdet. Die Frage musste offen bleiben, wer da geschlampt hatte. Um diesem Missstand Abhilfe zu schaffen, musste Grimm die Wirtschaftsvorräte beschlagnahmen. Des weiteren verfügte der Bundesrat am 22. September 1939 die Gründung des Vereins «Petrola», welchem die Aufgabe übertragen wurde, Erdölprodukte zu importieren. Nach dem Fall Frankreichs erfolgte dies vor allem aus Rumänien, und zwar mit Donautankschiffen und Kesselwagen auf der Schiene. Zweitwichtigste Lieferanten waren die USA und Guayana.
Der Verbrauch musste sich nun nach den Importen richten, und die waren sehr bescheiden.
Hatte die Schweiz vor dem Zweiten Weltkrieg jährlich 430 000 Tonnen Erdölprodukte benötigt, konnten im Jahr 1940 nur noch 290 000 Tonnen importiert werden; 1941 sank diese Menge auf 99 000, 1944 dann auf den absoluten Tiefpunkt von nur noch 25 000 Tonnen. Dies waren nur noch 6% des Vorkriegkonsums!
Um diese Situation zu handhaben, musste die planwirtschaftliche Schweizer Kriegswirtschaft Rationierungsscheine ausgeben, und zwar nach kriegswirtschaftlicher Dringlichkeit.
So wurde der Verkehr reduziert, der damals lediglich 130 000 Motorfahrzeuge (davon 80 000 Personenwagen, 26 000 Motorräder, 15 000 Lastwagen und 10 000 Traktoren) umfasste – zum Vergleich: Heute verkehren in der Schweiz rund 5 Millionen Fahrzeuge.
Die Motorfahrzeuge wurden in verschiedene Dringlichkeitskategorien eingeteilt – vor allem auch deswegen, weil schon 1941 85% weniger Benzin verfügbar war als noch 1939!
Es galt ab Mai 1940 ein generelles Sonntagsfahrverbot, dann das Traktorenfahrverbot; von den 80 000 Personenwagen durften 60 000 nicht mehr fahren! Was das Benzin anbelangte, gab es von 1941 bis 1945 noch 10 Liter im Monat für Ausnahmeberechtigte wie zum Beispiel Ärzte.
Erfuhr die Mobilität der Bevölkerung eine gravierende Einschränkung, liess sich immerhin zum Teil auf die Eisenbahn umsteigen, fuhr diese doch uneingeschränkt mit dem im Inland produzierten Strom.
1942 musste dann aber die elektrische Raumheizung verboten werden, da zu viele Menschen mit Strom zu heizen begonnen hatten. Auch war die Nutzung von Boilerwasser für das Bad nur am Samstag und Sonntag gestattet.
Fahrzeuge wurden zunehmend auch mit Ersatztreibstoffen betrieben, wie Holzgas, Holzkohle und Karbid.
1942 wurde in Ems die Hovag, die Holzverzuckerungs AG, gegründet, welche das sogenannte Emser Wasser produzierte, einen Biotreibstoff, der zwar mehr kostete als die importierten Erdölprodukte, aber wegen der Mangelsituation subventioniert wurde.
1942 bis 1945 produzierte die Lonza in Basel Paraldehyd, welches aus Kohle gewonnen und als Streckmittel dem Benzin beigemengt wurde.
Die Lonza und die Hovag lieferten bis 1945 Ersatztreibstoffe, die den importierten Treibstoffen zu 50 Prozent beigemischt wurden. Laut Robert Grimm war dies eine enorme Leistung!
Der Wahlen-Plan ordnete die Produktion von industriellem Rapsöl an, welches als Schmiermittel Verwendung finden sollte. Die Pläne aber, wieder nach Erdöl zu suchen, wurden als zu teuer und aus Angst vor einer damit einhergehenden erhöhten Invasionsgefahr fallengelassen!
Da die Kohle knapp wurde, liessen sich viele Wohnungen nicht mehr heizen. Deswegen prägte die Sektion für Kraft und Wärme den Slogan: «Besser eine kalte Wohnung und einen warmen Arbeitsplatz als umgekehrt.» Zur Linderung der Not wurden auch öffentliche Wärmestuben eingerichtet!
Zentral für die Akzeptanz in der Bevölkerung war, dass die Rationierung gerecht durchgeführt werden musste, und das wurde sie auch.
Was gewisse Historiker gerne unerwähnt lassen: Mehr als 50% der Energieversorgung wurde damals durch Kohle sichergestellt. Das Problem, das sich dabei stellte: Diese lebenswichtige Ressource musste vor allem aus Deutschland importiert werden! Benötigte die Schweiz vor dem Krieg 4 Millionen Tonnen Kohle aus dem Ausland, davon 2 Millionen allein aus unserem nördlichen Nachbarland, so liessen sich bis 1945 nur noch 0,2 Millionen Tonnen importieren, und auch dies ging nicht ohne langwierige und zähe Verhandlung mit dem Dritten Reich.
Insgesamt konnte der Bundesrat am Ende des Krieges konstatieren, dass die Kriegswirtschaft soweit gut funktioniert hatte: sowohl eine ins Gewicht fallende Arbeitslosigkeit als auch allfällige Hungersnöte konnten abgewendet werden. Robert Grimm selber hielt fest, dass die Kriegswirtschaft für das Überleben der Schweiz ebenso wichtig gewesen sei wie der Aktivdienst und die militärischen Handlungen.
Die ganze Welt hatte es miterlebt: Die USA blieben Sieger im Zweiten Weltkrieg, weil sie das Land mit den grössten Erdölreserven waren. Öl war die kriegsentscheidende Ressource gewesen. Deswegen begann nach dem Krieg ein wahrer Öl-Bohr-Boom. Allein in den 1950er und 60er Jahren wurden weltweit jährlich etwa 60 000 Bohrungen abgeteuft, und es wurden auch riesige Felder gefunden. Dann aber, seit 1964, begann die Zahl der Neufunde zurückzugehen. Dies trotz besserer Technologie.
Auch die Schweiz wurde in diesen Strudel hineingerissen, vergleichbar vielleicht heute mit dem Fracking-Fieber. Doch heute wie damals verfügte die Schweiz über eine Bremse gegen naturzerstörende und Begehrlichkeiten weckende Aktivitäten: unseren ausgeprägten Föderalismus.
Die vielzitierte Klage des Vertreters des Imperiums, Henry Kissingers, es fehle ihm die eine europäische Telefonnummer, führten die internationalen Energiekonzerne mutatis mutandis auch bezogen auf die Schweiz: Denn wer vergibt in der Schweiz die Konzessionen für die Erdölsuche?
Nicht etwa der Bund, sondern die Kantone kontrollieren die Bodenschätze, auf Grund des sogenannten Bergregals. Das heisst, die Förderfirmen mussten und müssen mit den einzelnen Kantonsregierungen verhandeln, mithin also 26 einzelne Gespräche führen und je andere Verträge aushandeln. Das gleiche gilt heute auch bei der Geothermie. Auch hier genügt es nicht, einfach das Gespräch mit den zuständigen Grundbesitzern zu suchen.
Da die Geologen nun aber den Alpenraum als uninteressant erklärten, stieg das Interesse am Mittelland. Wie sie es sich von anderswo gewohnt waren, wollten die Global player Shell, BP und Esso eine einzige Konzession für das ganze Molassegebiet. Dies war aber in der Schweiz unmöglich, waren und sind doch dafür 17 verschiedene Kantonsregierungen zuständig. Man merke sich: Föderalismus war schon immer auch ein Schutz vor Übergriffen von Grossgebilden, seien es nun Energiekonzerne oder auch politische Gebilde wie die EU, die hinter all den Fusionierungstendenzen von Gemeinden und Kantonen stehen, hinter den Naturpärken und Metropolitanregionen.
Es war nun genau der bewährte Schweizer Föderalismus, der eine grossflächige Erdölsuche in der Schweiz verunmöglichte. Die nachgeborene Generation kann dies nicht genügend verdanken, blieb unserem Land dadurch doch so manches erspart …
Am 2. Mai 1951 reichte Shell bei den besagten 17 Kantonen gleichzeitig Konzessionsgesuche ein. Dies löste ein eigentliches Ölfieber unter den Konzernen aus. Die Konzessionsgesuche der anderen Grosskonzerne folgten auf dem Fuss. Den Kantonen wurde eine 10 bis 15prozentige Beteiligung am Gewinn angeboten – eine wahrlich kümmerliche Summe, verglichen mit den Milliarden-Gewinnerwartungen.
Bemerkenswert sind die Vorgänge um den Kanton Freiburg, auch wegen ihrer Bedeutung für die Frage der nationalen Souveränität im Zusammenhang mit Ressourcen. Die Exekutive Freiburgs verhandelte mit der Firma d’Arcy, welche von BP kontrolliert wurde. Dies alarmierte den Bundesrat und veranlasste ihn einzugreifen: Der Übergriff auf die Kantonshoheit wurde damit begründet, dass die Verhandlungen eine Gefährdung der äusseren Sicherheit, Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz darstellten. Warum? Die Firma BP sei in der Hand der britischen Marine und damit des Staates Grossbritannien. Eine klare Analyse der Besitz- und Machtverhältnisse und ein mutiges und aufrechtes Eingreifen des Bundesrates, welchem noch und gerade heute höchster Respekt gebührt.
Auf den 6. November 1952 lud der Bundesrat die Kantone zu einer Erdölkonferenz nach Bern. Dort gab er bekannt, es dürften keine Konzessionen an ausländische Firmen erteilt werden, da dies die Unabhängigkeit und Sicherheit der Schweiz beeinträchtigen könne.
Doch Fribourg überging dies und wollte der BP-Firma d’Arcy 1954 eine Konzession erteilen. Darauf schritt Bern energisch ein, und Fribourg verzichtete. Fribourg hinterging Bern aber dennoch: Man gründete eine AG, gab dieser die Konzession für den ganzen Kanton, worauf diese einen Werkvertrag mit d’Arcy schloss, womit BP doch beteiligt war. Da aber kein Öl gefunden wurde, verzieh man Fribourg dieses egoistische und souveränitätsgefährdende Vorpreschen.
Die Gesuche der grossen Konzerne führten zu einem Zusammenrücken in der Schweizer Energielandschaft. Man war sich schnell einig, dass man nun beginnen müsse, mit eigenen Mitteln selber Erdöl zu suchen, schliesslich sei man ja kein armes Land. So wurde im Jahre 1953 das Schweizerische Konsortium für Erdölforschung unter Führung des Zementindustriellen Max Schmidheiny gegründet. Geld erhielt das Konsortium von den grossen Schweizer Firmen. Erster Direktor war Professor Werner Niederer, Präsident der Avia, des Verbands Schweizer Importeure von Erdöl. Schmidheiny war beunruhigt über die Abhängigkeit von ausländischen Bezugsquellen und meinte, den Erdölkonzernen sei nicht zu trauen. Das vermutete und noch zu fördernde eigene Öl dürfe nicht aus der Hand gegeben werden, denn die internationalen Konzerne würden in die eigene Tasche wirtschaften. Wie viele Grossindustrielle, die ihrem Land derart verbunden sind, weist die Schweiz heute auf?
Am 24. September 1955 erhielt das oben genannte Konsortium für Erdölforschung dann bereits die ersten Schürfrechte: und zwar auf dem gesamten Gebiet der sechs Kantone, die im Nordostschweizerischen Erdöl-Konkordat verbunden waren. Dies waren Zürich, Bern, Solothurn, St. Gallen, Aargau und Thurgau. So blieb also alles wie geplant in Schweizer Hand.
Im Juni 1959 wurde dann eine Dachgesellschaft mit Schweizer Aktienmehrheit gegründet, welche die Erdölforschung in der Schweiz kontrollieren sollte: die Swisspetrol Holding AG. Konzessionen in der Schweiz gab es fortan nur, wenn man sich als Tochtergesellschaft der Swisspetrol unterordnete. Dieser Sicherungsmechanismus hielt effektiv die grossen Konzerne von der Schweiz fern. Unter dem Motto «Das Schweizer Öl dem Schweizer Volk» konnte man auch Genussscheine der Swisspetrol zeichnen – und im Fall von erfolgreichen Bohrungen wäre man am Gewinn beteiligt worden.
* * *
Der zweite Teil dieser kleinen Schweizer Geschichte unter Einbezug der Energiefrage wird von der Suez-Krise von 1956 über die Ölkrisen von 1973 und 1979 bis hin zu den Golf-Kriegen führen, des weiteren klären, worin im Ölgeschäft der Unterschied zwischen Upstream- und Downstream-Geschäftsbereich besteht und schliesslich die Problematik der Notwendigkeit einer Energiewende vertiefen. •
Literatur: Daniele Ganser: Europa im Erdölrausch. Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit. Zürich 2012. ISBN 978-3-280-05474-1
ts. Der Putsch gegen den demokratisch gewählten iranischen Premierminister Mossadegh durch den MI 6 und die CIA vom August 1953 wurde in der Schweiz mit Argusaugen verfolgt. SP-Ständerat Emil Klöti mag so manchem Eidgenossen aus dem Herzen gesprochen haben, als er darauf aufmerksam machte, dass der Besitz von eigenem Erdöl nicht ungefährlich sei, da er Begehrlichkeiten der Grossmächte wecken könne. Deshalb solle die Schweiz die Suche nach Erdöl in eigenen Händen behalten. Auch die politische Gegenseite, hier in Gestalt von FDP-Nationalrat Paul Kunz, mahnte im März 1953, dass eigenes Öl die Unabhängigkeit und Neutralität in Gefahr bringen könne – wegen des Erdöldursts der anderen Länder. (vgl. Ganser, S. 93f.)
ts. Wer an Deutschlands Geschichte der 30er Jahre denkt, denkt unter anderem an Autobahnen. Wenig bekannt ist: Es war Kölns Oberbürgermeister Adenauer, welcher 1932 die erste Autobahn eröffnete. Allgemeingut hingegen der Fakt, dass Hitler im September 1933 mit dem Bau der Reichsautobahnen begann und bis 1939 bereits 3300 km erstellt hatte. Zu welchem Zweck, ist bekannt.
Die USA kennen Autobahnen seit den 1920er Jahren, aber erst das Interstate-Highway-Gesetz von 1956 brachte den Durchbruch, sprich ein Netz von über 60 000 km Länge.
In der Schweiz ermöglichte eine Steuer auf Treibstoffe den Bau von Strassen und Autobahnen.
1955 wurde die erste Autobahn zwischen Luzern und Horw erbaut, 1960 erhielt der Bund dann die Kompetenzen im Gesetz über das Nationalstrassennetz. Die weiteren Strecken folgten dann Schlag auf Schlag: 1964 Genf–Lausanne, 1967 Bern–Lenzburg, dann die A1 von Genf nach St. Gallen, die A2 von Basel nach Lugano. Das Volk war zufrieden, begrüsste es doch die dadurch ermöglichte höhere Mobilität. Kaum jemand dachte an das Problem der Abhängigkeit von Treibstoffen. Und die Bundeskassen klingelten. Schon 1932 bis 1938 machte die Benzinsteuer 10 Prozent aller Bundeseinnahmen aus. Nachdem 1962 zusätzliche Zollzuschläge und eine neue Steuer auf Mineralölprodukte erhoben worden waren, wurde im Jahre 1968 ein stolzes Sechstel der Fiskaleinnahmen des Bundes durch diese beiden Steuern gedeckt. Die Entwicklung verlief nun fast spiralförmig nach oben: Mehr Geld hiess mehr Strassenbau, dann auch mehr Verkehr, demzufolge mehr Benzin, also wieder mehr Geld und damit mehr Strassenbau und so weiter. 2010 schliesslich spülten die Mineralsteuern 6,2 Milliarden Franken in die Kasse des Bundes. Damit lässt sich mit Fug und Recht behaupten: In der Schweiz ist jede Tankstelle auch ein Steuerlokal! (vgl. Ganser, S. 127ff.)
ts. Was die Rolle des Öls im Zweiten Weltkrieg betrifft, wird diese bis heute stark unterschätzt. Entscheidend für die militärische Durchschlagskraft der USA waren deren Öl-Förderquoten. So wurden 1939 3,5 Millionen Fass pro Tag gefördert, was 60% der Weltförderung ausmachte. 1945 waren es dann schon 4,7 Millionen Fass pro Tag, und dies kam 66% der Weltförderung gleich. Also kann man sagen: Mit den USA kämpfen hiess, genügend Erdöl zu haben – und zu gewinnen!! Für einen Neutralen stellte dies eine grosse Herausforderung dar! (vgl. Ganser, S. 81ff.)
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