Bertelsmann scheitert bei Übernahme von Kommunalverwaltungen

Bertelsmann scheitert bei Übernahme von Kommunalverwaltungen

Pilotprojekt «Würzburg integriert» brachte keine Einsparungen

von Thomas Schuler

München. Im Rathaus in Würzburg gibt man sich wortkarg. Sprecher Georg Wagenbrenner bestätigt den Eingang eines Kündigungsschreibens des ehemaligen Partners Arvato (Bertelsmann). Über die Gründe, die dazu führten, will er jedoch ungern sprechen. Es geht um das Projekt «Würzburg integriert», mit dem die Stadt mehrere Millionen Euro an Verwaltungspersonalkosten einsparen wollte. Oberbürgermeister Georg Rosenthal (SPD) werde die Öffentlichkeit zu einem späteren Zeitpunkt informieren, heisst es knapp. Die Botschaft: Das Thema ist unwichtig; es solle jedenfalls nicht mehr jene Bedeutung haben, die ihm seine Vorgängerin Pia Beckmann (CSU) gab, als sie vor drei Jahren bei einem eigens angesetzten Empfang euphorisch davon sprach, dass Würzburg mit diesem einzigartigen Projekt die modernste Verwaltung in ganz Deutschland erhalte.
Arvato steuerte alle Verwaltungsabläufe über eine zentrale Internet-Plattform, auf die die Bürger auch von zu Hause Zugriff haben. Ziel war es, alle Dienstleistungen über nur eine Anlaufstelle anzubieten. Das Bürgerbüro im Erdgeschoss des Rathauses verfügt über 16 Schalter, die einen Teil der Verwaltungsdienstleistungen bearbeiten, etwa Melde- und Passwesen, Kfz-Zulassungen, Führerschein-Angelegenheiten und Gewerbewesen sowie alle Formalitäten eines Umzugs. Ziel war die papierlose Verwaltung, die 100 Prozent der Abläufe persönlich, telefonisch oder online abwickeln sollte. Soweit die Theorie.
Würzburg wollte auf diese Weise die Vorgaben der EU-Dienstleistungsrichtlinie umsetzen, die zu Koordination und elektronischer Vernetzung zwinge, sagte Professor Rainer Thome. Der Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik der Universität Würzburg begleitete das Würzburger Projekt und sagte beim Start 2008: «Endlich wird der Bürger von der unsinnigen Teilung von Behördenabläufen befreit. Alle Daten werden nur mehr einmal erfasst, gespeichert und bearbeitet. Das ist eine Revolution.»
Aber der Jubel von Thome hielt nicht lange an. Nach dem Wechsel an der Rathausspitze im April 2008 beklagte er, man stehe dort nicht mehr hinter dem Projekt. Der Wissenschaftler zog sich deshalb Ende 2008 zurück und sagte, er engagiere sich gerne wieder, wenn man es im Rathaus ernst meine. Es blieb bei seinem Fernbleiben. Aus «Würzburg integriert» wurde «Würzburg blockiert» und «Würzburg frustriert», wie das Projekt von Kritikern genannt wird. Das Bürgerbüro wird weiter bestehen; aber die Revolution muss warten.
Mit dem Kündigungsschreiben ist das einstige Vorzeigeprojekt der Stadt und des Medienunternehmens Bertelsmann ganz offiziell gescheitert. Bertelsmann wollte sich mit der Übernahme von Verwaltungen einen neuen Milliardenmarkt erschliessen. Würzburg war der ideale Partner, weil die Kommune auf Grund ihrer notorisch schlechten Finanzlage händeringend jedem Versprechen nacheilte, das Einnahmen versprach. Die Bertelsmann-Tochterfirma Arvato versprach während der Laufzeit von 10 Jahren durch Personalabbau Einsparungen in Höhe von 27 Millionen Euro: Von 600 Verwaltungsmitarbeitern sollten 75 Mitarbeiter, die in Ruhestand gehen, nicht ersetzt werden. Die Stadt sollte 10 der gesparten 27 Millionen Euro erhalten, die Projektkosten belaufen sich auf weitere 10 Millionen. Arvato rechnete mit bis zu 7 Millionen Euro Gewinn. Soweit die Pläne. In Wirklichkeit wurde kein einziger Mitarbeiter eingespart; die Stadt erhielt kein Geld. 2011 soll der Vertrag gelöst werden.
Jeder Sachbearbeiter sollte verschiedene Anträge der Bürger in einem einheitlichen digitalen System bearbeiten können. Doch das System von Arvato sei zu «ambitioniert» und «technisch zu komplex», kritisierte Oberbürgermeister Rosenthal, wie die Lokalzeitung «Main-Post» berichtet. Nun herrscht Ernüchterung. Vor einigen Monaten wurde bekannt, dass man im Rathaus über ein vorzeitiges Ende und einen 2011 möglichen Vertragsausstieg diskutiere. Eine Bestandsaufnahme machte Arvato offenbar klar, dass eine Weiterführung keinen Sinn hat, und deshalb schickte Arvato die Kündigung. Damit könnte der Vertrag für das Projekt im Laufe des Jahres aufgelöst werden. Die Kooperation mit Arvato ruht ohnehin bereits «seit längerer Zeit», wie es in Würzburg heisst. Die Hard- und Software von Arvato sei nicht mehr im Einsatz. Im vergangenen Jahr kamen die Stadt und Arvato nach einer gemeinsamen Evaluation überein, «dass es keiner weiteren Kooperation zwischen Arvato und der Stadt Würzburg bedarf», heisst es kryptisch in einem Statement des Büros des Oberbürgermeisters.
Was sind die Gründe des Scheiterns? Während die Stadt der komplizierten Technik die Schuld gibt, führt Arvato-Sprecher Gernot Wolf Probleme ins Feld, die sich mit «der im Jahr 2009 erfolgten Neubewertung» durch die Stadt ergaben. Mit anderen Worten: Die Stadt habe das Interesse an dem Projekt verloren. Pia Beckmann hatte das Projekt zum Wahlkampfthema gemacht und als ihren grossen Erfolg verkauft; folglich hat sich ihr Gegner dagegen ausgesprochen. Das bedeutete allerdings, dass mit dem Wechsel im Rathaus nicht nur die Kandidatin, sondern auch das Projekt ins Hintertreffen geriet. Zumal Arvato das finanzielle Risiko trug, und die Stadt bestimmen konnte, ob Stellen eingespart werden.
Ein Mitarbeiter von Arvato, der ungenannt bleiben möchte, sagt: «Es war ein kleines IT-Projekt. Es hat ihm nicht gut getan, dass die Politik mehr daraus gemacht hat, als es ist, und es für den Wahlkampf nutzte.» Beckmann habe daraus ein bundesweit einzigartig wichtiges Projekt gemacht, mit dem sie ihre Wiederwahl gewinnen wollte. Als sie das nicht schaffte und die Wahl verlor, habe mit ihr auch das Projekt verloren. In diesem Sinn fühlt man sich bei Bertelsmann als Opfer der Politik. «Bei Arvato legen wir erst ein Ei und gackern dann. Hier war es umgekehrt. Jetzt haben wir den Schaden.»
Das Scheitern bedeute allerdings nicht, dass sich Bertelsmann aus diesem Feld zurückziehen werde und die ganze Sparte ­Government Services in Deutschland als gescheitert erklärt. Wolf betont: «Arvato glaubt weiterhin an ein Marktpotential für Dienstleistungen im öffentlichen Bereich, weil wir davon überzeugt sind, dass der öffentliche Bereich mittelfristig verstärkt Aufgaben an private Dienstleister ausgliedern wird.» In Wahrheit hat nicht nur Beckmann das Projekt werbewirksam verkauft. Auch die Manager von Bertelsmann sprachen gerne von «Würzburg integriert», wenn Fragen nach dem Wachstum gestellt wurden.
So sah Rolf Buch, der Vorstandsvorsitzende von Arvato, im Dienstleistungsbereich für Verwaltungen grosses Potential und rechnete vor: In Deutschland seien rund 1,5 Millionen Leute in Kommunalverwaltungen tätig. Bei durchschnittlichen Jahreskosten von 70 000 Euro per Mitarbeiter ergebe sich ein Volumen von 105 Milliarden Euro. Eigene Erhebungen von Arvato ergaben, dass rund 20 Prozent auslagerbar seien. Das entspreche einem potentiellen Markt von 20 Milliarden Euro – so viel wie der gesamte Jahresumsatz von Bertelsmann, betonte Buch. Mittelfristig sollte das Geschäft mit Kommunen eine Milliarde Euro Jahresumsatz generieren.
Das Geschäft mit «Government Services» läuft international: In England steuert Arvato drei Landkreise und hat dazu allein in East Riding nach eigenen Angaben 516 von mehr als 9000 Verwaltungsmitarbeitern übernommen. Diese Mitarbeiter ziehen sogar Steuern ein. In Würzburg dagegen fungierte Arvato nur als Dienstleister und hatte keine städtischen Mitarbeiter oder hoheitlichen Aufgaben übernommen. In Spanien betreibt Arvato in Andalusien ein Notruf-Callcenter und in Barcelona ein Bürgerbüro. In England und Spanien liefen die Projekte erfolgreich, behauptet Arvato. In England herrsche eine Kultur, die Privatisierung im öffentlichen Dienst begrüsse. Das sei in Deutschland grundsätzlich anders. Ihm sei bewusst, dass Outsourcing von Verwaltungsmitarbeitern in Deutschland nicht nur Freunde habe, sagte Buch 2008.
Das Würzburger Projekt war für Bertelsmann als Türöffner in Deutschland gedacht; der Vertrag verpflichtete Würzburg zur Hilfe und Kooperation bei der Suche nach weiteren Kunden. 30 weitere Kommunen seien interessiert, sagte Arvato 2008, darunter auch die Stadt Gütersloh. Doch selbst am Unternehmenssitz der Bertelsmann AG entschied die Stadt sich gegen Arvato. Bislang betreibt Arvato in Deutschland lediglich ein Bürgerbüro in Nordrhein-Westfalen und zieht Inkassogelder in Baden-Württemberg ein. Wie viele Kommunen nach dem Scheitern in Würzburg noch an Outsourcing interessiert sind, ist fraglich. Bei Arvato will man nun mit den restlichen Bewerbern sprechen und versichern, dass der Misserfolg nicht an Arvato und am System liege. Statt den Kommunen den Erfolg eines Vorzeigeprojektes vor Augen zu führen, muss man ihnen nun erklären, warum das Scheitern von «Würzburg integriert» nicht gegen das Zusammenlegen und Ausgliedern und Privatisieren von Behördenleistungen spricht.    •

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