Interview mit Nationalrat Jakob Büchler
thk. Die Wehrhaftigkeit der Schweiz, wie wir sie aus der Geschichte kennen, bildet die Grundlage für die Souveränität unseres Kleinstaates, der sich, umgeben von Grossmächten, über Jahrhunderte hat behaupten können. Selbst in einer sehr grossen Bedrohungslage, wie sie während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland bestanden hat, war das oberste Ziel, die Souveränität und Unabhängigkeit des Landes zu erhalten und wenn nötig mit Waffengewalt zu verteidigen. Bundesrat Obrecht brachte mit den Worten «Wir Schweizer werden nicht zuerst ins Ausland wallfahrten gehen» das zum Ausdruck, was die Menschen im Land ebenfalls empfunden haben und was der feste Wille der überwiegenden Mehrheit des Schweizer Volkes gewesen ist: Keine Anpassung und Anbiederung an die Grossmacht, damals das «Grossdeutsche Reich». Und heute? Heute stehen wir wieder vor der Frage: Wollen wir unsere Souveränität und Unabhängigkeit verlieren, uns den Mächtigen anpassen und uns ihnen unterwerfen, oder verteidigen wir unsere Freiheit und Unabhängigkeit, also unsere Souveränität, gegen Einfluss- und Übernahmeversuche von aussen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln, im äussersten Notfall auch mit Waffengewalt? Damit das möglich ist, brauchen wir eine schlagkräftige und abschreckende Armee, und zwar eine Milizarmee. Welche Bedeutung die Frage einer fähigen Verteidigungsarmee hat, legt Nationalrat Jakob Büchler, Präsident des Vereins «Für eine sichere Schweiz» mit nahezu 400 000 Mitgliedern, im folgenden Interview dar.
Zeit-Fragen: Welche grundsätzliche Aufgabe hat unsere Armee?
Jakob Büchler: Die Schweizer Armee hat grundsätzlich die Aufgabe, die Verteidigung unseres Landes und den Schutz der darin lebenden Bevölkerung sicherzustellen. Dieser Auftrag ist in der Verfassung festgeschrieben und im Gesetz klar definiert. Und diese Aufgabe gilt es, auch in Zukunft wahrzunehmen und weiterzuführen. Die Initiative zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht, deshalb «Unsicherheits-Initative» genannt, möchte genau an diesen zentralen Grundsätzen Veränderungen vornehmen, und das kann nicht akzeptiert werden. Die Sicherheit von Land und Volk wäre somit in keiner Weise mehr gewährleistet.
Wo liegen die heutigen Bedrohungen für unser Land?
Die Bedrohungen für unser Land sind eigentlich viel grösser, als das Volk gemeinhin annimmt. Zum Beispiel der «arabische Frühling» in Ägypten oder auch in Syrien hat gezeigt, wie schnell relativ stabile Staaten aus den Fugen geraten, und es besteht immer die Gefahr, dass das auch auf andere Länder übergreift, sogar in Europa. Unsere Schweizer Armee hat keine Verbündeten im Verteidigungsfall. Wir müssen unsere Sicherheit also selbst organisieren und bereitstellen. Das Schweizer Volk weiss, dass wir grundsätzlich in einem sicheren Land leben. Aber das kann sich, wie wir aus der Geschichte wissen, sehr schnell ändern. Wenn die Sicherheit gefährdet ist, müssen wir die Möglichkeit haben, schnell zu reagieren, um diese wiederherstellen zu können. Das kann nur mit unserer grössten Sicherheitsreserve, nämlich unserer Armee, geschehen. Deshalb müssen wir in Friedenszeiten unserer Armee Sorge tragen, damit wir auch in schlechteren Zeiten für alle Eventualitäten gewappnet sind.
Es gibt die Theorie der sogenannten Aufwuchsphase, man merke rechtzeitig, wenn es brenzlig werde, und könne dann die Armee entsprechend aufstocken.
Das ist absolut unrealistisch. Wir dürfen uns nicht einbilden, dass wir in zivilen wie auch militärischen Notsituationen die Armee innert Wochen oder auch Monaten, auch nicht in ein oder zwei Jahren aufstocken können. Zum Vergleich: Eine Lawinenverbauung muss im Sommer aufgestellt werden, damit sie im Winter wirksam wird. Wir müssen ständig eine militärische Grundausrüstung und -versorgung sicherstellen. Wir müssen auch den Ernstfall üben können. Das geht nicht mehr, wenn dieser schon eingetreten ist. Deshalb ist es elementar wichtig, auch in guten Zeiten gut gerüstet zu sein. Jede Versicherung wird in guten Zeiten für schlechtere abgeschlossen, damit man im Notfall den Schutz hat. Genau das Gleiche gilt für die Sicherheit, für die Armee.
Dazu kommt noch, dass Freiheit und Sicherheit immer eng zusammengehören. Wenn wir unsere Freiheit erhalten wollen, brauchen wir auch ein funktionierendes Sicherheitssystem, besonders in guten Zeiten.
Neben der Sicherheit hat die Armee auch eine weiterreichende Bedeutung für unser Land.
Die Milizarmee in der Schweiz ist unser Erfolgsmodell. Jeder Schweizer Bürger ist Bürger und auch Soldat. Wenn er in die Armee einrückt, bringt er sein Wissen und sein Können als Bürger mit in die Armee. Davon kann die Armee enorm profitieren. Das gilt aber auch umgekehrt für die Wirtschaft. Wenn der Soldat oder der Offizier zurück ins Zivilleben geht, bringt er sehr viel an Wissen aus der militärischen Ausbildung mit in das Berufsleben. Das sind Synergien, die sich gegenseitig unterstützen und unsere Wirtschaft stärken. Das müssen wir erhalten.
Wir sind ein neutrales Land. Das Volk will diese Neutralität. Das ist festgeschrieben in der Bundesverfassung. Wir können es uns nicht leisten, irgendwelche Verbündete im Verteidigungsfall anzurufen. Wir sind weder EU- noch Nato-Mitglied. Wir wollen es auch nicht sein. Das Volk will an der Neutralität festhalten. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht. Das heisst, wir wollen und müssen unsere Sicherheit selber organisieren.
Was würde geschehen, wenn wir keine Milizarmee mehr hätten?
Wenn wir die Miliz nicht mehr haben, dann haben wir eine Ghettoisierung der Armee. Wir haben dann nur noch Berufssoldaten, die sich nur noch mit dem Militär beschäftigen und vom Berufs- und vom zivilen Leben immer weniger Ahnung haben. Das ist ein riesiger Nachteil sowohl für die Armee als auch für die Wirtschaft. Weiter ist die heutige Armee ein Abbild der Schweizer Bevölkerung mit den vier Landessprachen, mit unseren Kantonen und der Regionalität unseres Landes. Das ist für unser Land sehr wichtig. Das hilft gegenseitig bei der Lösung von schwierigen Aufgaben. Das muss geschützt und erhalten bleiben, damit man das auch in Zukunft weiterführen kann. Der Zusammenhalt in der Armee hat sehr viel mit dem Milizsystem zu tun. Wir wollen keine Berufsarmee. Die Armee verlöre die Basis zum Volk und zur Wirtschaft. Das möchte die Schweizer Bevölkerung nicht.
Die verschiedenen Sprachregionen wären in einer Berufsarmee kaum mehr vertreten.
Ja, es ist wichtig, dass wir die Vielfalt der Schweiz auch in der Armee abgebildet haben. Das gibt den guten Zusammenhalt und das Verständnis sowohl für die Romandie, die französischsprachige Schweiz, das Tessin, die italienischsprachige Schweiz, wie auch für die deutschsprachige Schweiz und die rätoromanischsprachige Schweiz. Hier trifft man sich und arbeitet zusammen. Jeder, der einmal Militärdienst geleistet hat, hat davon selbst profitiert. Man hat Leute aus allen Landesteilen kennengelernt, man hat gelernt, zusammen Aufgaben zu lösen. Das ist gerade für unsere jungen Leute wichtig. Die Armee ist eine Lebensschule, die jeden sowohl im Berufsleben als auch im Zusammenleben in der Gesellschaft weiterbringt. Das sind sehr grosse Vorteile, und die möchten wir auch weiterhin so erhalten. Das Schweizer Volk hat das schon mehrmals zum Ausdruck gebracht. Eine Berufsarmee ist nicht mehrheitsfähig.
Bis jetzt hat sich das Milizsystem ausgezeichnet bewährt. Gibt es einen Grund, das zu ändern?
Die Geschichte hat gezeigt, dass wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten mit unserem System gut gefahren sind. Klar, wir haben Veränderungen in der Armee vorgenommen, die nicht alle nur positiv waren. Kursänderungen sind wichtig und nötig, aber sie müssen sich an der Realität orientieren und nicht an einem wie auch immer gearteten Wunschdenken. Wir werden auch in Zukunft die Sicherheit in unserem Lande selbst organisieren müssen, auch innerhalb des Landes, in den Kantonen, über die Polizeikorps, die in einer ausserordentlichen Lage sehr schnell am Anschlag sind. Wenn es darum geht, die Sicherheit über einen längeren Zeitraum landesweit zu gewähren, dann müssen die Armee und der Zivilschutz, den ich als genauso wichtig einschätze, sehr schnell zum Einsatz kommen können, um hier zu unterstützen.
Die Politik hat in der Geschichte die Bedrohungslage der Schweiz immer wieder falsch eingeschätzt. Gibt es heute ähnlich Parallelen?
Ja, ich sehe gewisse Parallelen, vor allem auch in dem Punkt, dass die Politik nicht mehr bereit ist, die nötigen finanziellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Man geht davon aus, die Schweiz ist sicher, unsere Sicherheit ist gewährleistet, und man fragt sich dann, ob es noch weitere Rüstungsprogramme brauche. Natürlich braucht es diese. Es ist falsch, in guten Zeiten zu glauben, die Sicherheit sei gewährleistet, deshalb brauche es weniger Mittel für die Armee. Ich habe immer dafür gekämpft, dass man ein Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukt) für die Verteidigung ausgibt. Leider sind wir hier im Vergleich zu anderen Ländern weit davon entfernt, nämlich bei 0,8% und damit hinter Österreich. Die Schweiz tut gut daran, in dieser Frage Klarheit zu schaffen. Selbst unsere Bundesregierung, unsere Regierung in Bern, glaubt, dass die Armee für ein Trinkgeld zu haben sei. Das ist nicht meine Meinung. Wir brauchen mindestens 100 000 Soldaten, auch in der Zukunft. Wir brauchen die nötigen finanziellen Ressourcen, um diese Sicherheit und die Ausrüstung der Soldaten zu gewährleisten.
Was brauchen wir also für unsere Sicherheit?
Eine gut ausgerüstete und ausgebildete Milizarmee. Eine Berufsarmee ist für normale Zeiten viel zu gross und für den Ernstfall viel zu klein. Was machen wir mit 30-, 50- oder gar 80 000 Mann in Friedenszeiten? Die sind jeden Tag da und brauchen eine Arbeit. Heute sind gleichzeitig etwa 4000 bis 5000 Soldaten im Einsatz, ohne Rekruten und Berufsoffizieren. Nach drei Wochen gehen die Soldaten wieder zurück und stehen ihren Betrieben, also der Berufswelt und damit unserer Wirtschaft wieder zur Verfügung. Aber, wenn sie Zehntausende von Soldaten haben, die unterhalten werden und denen Aufgaben gegeben werden müssen, dann wird das sehr schwierig und wirkt sich negativ auf die Moral und Motivation der Menschen aus. Es kostet viel zu viel, alleine die Personalkosten würden uns davonlaufen und auch den Betrieb und die Ausrüstung gefährden, weil das nicht zu finanzieren ist. Nein, eine Freiwilligen-Miliz wird nicht funktionieren. Das gibt es nirgends auf unserem Globus. Entweder hat man eine Berufsarmee oder eine Milizarmee. Alles andere geht nicht. Solange das im Bereich der Übungen ist, mag es vielleicht mit eine Freiwilligen-Armee möglich sein, aber im Ernstfall wird niemand kommen. Dann haben wir ein grosses Problem. Ich kämpfe dafür, dass wir in unruhigen Zeiten mit einer gut ausgerüsteten und gut ausgebildeten Milizarmee unsere Sicherheit gewährleisten können. Etwas anderes kann für unser Land nicht in Frage kommen, deshalb ist die «Unsicherheits-Initiative» klar abzulehnen.
Herr Nationalrat Büchler, vielen Dank für das Gespräch. •
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