von Herbert Klar und Ulrich Stoll
km. Das politische Magazin des Zweiten Deutschen Fernsehens ZDF, Frontal 21, strahlte am 22. September 2015 einen Beitrag über die atomare Aufrüstung Deutschlands aus. Wir dokumentieren diesen Beitrag folgend mit dem Manuskript der Sendung. Wo kurze Ergänzungen notwendig waren, haben wir diese in eckigen Klammern hinzugefügt.
Anmoderation: Vor 25 Jahren hatte Deutschland doppelt Glück. Die USA und die Sowjetunion machten den Weg frei für die Wiedervereinigung und beendeten zugleich den Kalten Krieg. Die Menschen in der ehemaligen DDR und in der alten Bundesrepublik mussten keine Angst mehr haben, dass ihr Land zum nuklearen Schlachtfeld der Supermächte werden könnte. Bis heute scheint der Schrecken des Atomkriegs ganz weit weg. Doch ausgerechnet im glücklich und friedlich vereinigten Deutschland soll jetzt wieder atomar aufgerüstet werden. Herbert Klar und Ulrich Stoll blicken hinter die Gefechtslinien des neuen alten Kalten Krieges.
[Sprecher:] Unter einem Weinberg im Ahrtal ist er versteckt – der frühere atomsichere Bunker der Bundesregierung. Vor 26 Jahren ging Willy Wimmer schon einmal durch diese Schleuse – er vertrat den deutschen Verteidigungsminister bei einem Nato-Manöver unter Kriegsbedingungen: «Im Frühjahr 1989 fand hier die letzte grosse Wintex-Cimex-Übung des Kalten Krieges statt. Und diese Übung wurde nach acht Tagen nuklear. Und bei dieser nuklearen Komponente verlangte man von mir Atomwaffeneinsätze gegen deutsche Städte, gegen Dresden und Potsdam.»
Geübt wurde der Atomkrieg in Deutschland – mit Beteiligung der Bundeswehr. Ziel der Atomschläge: auch Städte in der damaligen DDR. Willy Wimmer, damals Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, war über das Kriegsszenario entsetzt: «Das ist ein absurdes Anliegen, das man da geäussert hat. Einem Deutschen zuzumuten, vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte, Dresden und Potsdam zu bombardieren, mit Nuklearwaffen, das ist ausserhalb jedes Vorstellungsvermögens.»
Wimmer brach für die Bundesregierung das Manöver ab – mit Zustimmung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl.
Bis heute üben deutsche Tornado-Piloten regelmässig mit Attrappen amerikanischer Atombomben. Sie sollen im Kriegsfall diese Bomben ins Ziel lenken. «Nukleare Teilhabe» heisst das im Nato-Deutsch – und das trotz eines Atomwaffenverbots für deutsche Soldaten.
Der Atomwaffensperrvertrag und diese Dienstanweisung regeln eindeutig: Deutschen Soldaten ist es verboten, atomare Waffen einzusetzen. Das wird durch die «Nukleare Teilhabe» unterlaufen.
Oliver Meier, «Stiftung Wissenschaft und Politik», [sagt dazu]: «Der Begriff der Nuklearen Teilhabe bedeutet für die Nato-Atomwaffenstaaten, die ja alle den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben haben, dass sie mitwirken an der Ausgestaltung der Atomwaffenpolitik der USA, indem sie militärische Kapazitäten bereitstellen, die eben die nukleare Abschreckung der Nato unterstützen sollen.»
Hans M. Kristensen, «Nuclear Information Projects», Washington D.C., [ergänzt]: «Im Falle eines Krieges würden die in Deutschland stationierten Waffen auf Anweisung des US-Präsidenten benutzt. US-Kräfte übergeben den deutschen Piloten dann die Atomwaffen. Und diese deutschen Piloten würden dann Ziele mit Atomwaffen angreifen. Das ist ein sehr ungewöhnliches Szenario für einen Staat, der sich verpflichtet hat, nicht über Atomwaffen zu verfügen, weder direkt noch indirekt.»
[Die Sendung blendet einen Werbefilm über die B 61, die taktische US-Atombombe, die auch in Deutschland stationiert ist, ein. Sie hat die vierfache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe.]
Bundeswehrstandort Büchel: Hier lagern seit Jahrzehnten rund 20 amerikanische Atombomben. Um die Friedensbewegung ist es stiller geworden. Pfarrer Rainer Schmid hält eine Mahnwache in Büchel ab, unterstützt von engagierten Bürgern wie Elke Koller.
Elke Koller erfuhr vor 15 Jahren, dass vor ihrer Haustür Atomwaffen stationiert sind. Seither kämpft sie für den Abzug der Nuklearbomben: «Ich habe mich belogen gefühlt, verlassen von den Politikern. Also, das war für mich unbegreiflich, dass man nach Ende des Kalten Krieges hier noch Atombomben hatte.»
2009 versprach die schwarz-gelbe Bundesregierung den Abzug der Atombomben aus Büchel, schrieb es sogar in den Koalitionsvertrag – es war eine Kernforderung der FDP im Wahlkampf.
Guido Westerwelle, FDP, ehemaliger Bundesaussenminister, [sagte] am 20.9.2009: «Wir wollen in der Bundesregierung dafür sorgen, dass Deutschland in den nächsten vier Jahren atomwaffenfrei wird.»
Der Bundestag forderte 2010 mit parteiübergreifender Mehrheit das Kabinett Merkel-Westerwelle auf, sich «im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen».
Doch Kanzlerin Merkel hintertrieb offenbar den Beschluss von Koalition und Bundestag.
November 2009 – US-Botschaft Berlin: Dort trifft Merkels Sicherheitsberater den US-Botschafter. Der Deutsche beruhigt den Amerikaner: Merkel wolle gar keinen Abzug der Atomwaffen.
Der Botschafter berichtet umgehend der US-Regierung in einem vertraulichen Telegramm: «Die Vereinbarung über den Abzug der Atomwaffen sei dem Kanzleramt von Aussenminister Westerwelle aufgezwungen worden … Es mache aber keinen Sinn, einseitig die 20 taktischen Atomwaffen abzuziehen.» (Quelle: WikiLeaks)
Die Atomwaffen blieben in Büchel – bis heute. Wir fragen nach, warum Merkel den Koalitions- und Bundestagsbeschluss nie umsetzte.
Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin, [antwortet]: «Meine Haltung im Koalitionsvertrag 2009 war immer schon so, dass wir aufpassen müssen, was an Folgewirkungen ist. Wir müssen gucken, wenn an anderer Stelle dann Atomwaffen stationiert werden und in Deutschland keine mehr sind, muss man sich fragen: Ist dann eigentlich der Balance und der Sicherheit mehr gedient?»
Ein klarer Bruch des Koalitionsvertrages von 2009.
Willy Wimmer [sagt]: «Das wäre nicht zum ersten Mal, dass die amtierende Bundeskanzlerin sich willfährig erweist gegenüber amerikanischen Überlegungen. Und das dann in so spektakulärer Weise zum Ausdruck bringt.»
[Einblendung] Testabwurf der neuen Atombombe B 61-12 vor wenigen Wochen in Nevada, USA. Die Waffe hat ganz neue Qualitäten. Für Experten steht fest: Das ist eine verdeckte atomare Aufrüstung.
Hans M. Kristensen, «Nuclear Information Projects», Washington D.C., [sagt dazu]: «Diese Waffe lässt sich ins Ziel steuern und ist viel präziser als die Atombomben, die bisher in Deutschland stationiert sind. Es ist eine neue Waffe, denn die USA haben bisher keine lenkbaren Atombomben.»
Büchel: Hier sollen die neuen Bomben stationiert werden. Elke Koller klagte schon erfolglos vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen die alten Atombomben in Büchel. Jetzt fürchtet sie, dass die neuen noch gefährlicher sind: «Man konnte eigentlich davon ausgehen, dass man die alten B 61 nie einsetzen würde, sondern dass sie nur abschrecken sollten. Aber die neuen Waffen, wie sie jetzt geplant sind, die werden ja so konstruiert, dass man sie tatsächlich auch einsetzen könnte. Und das macht für mich die Gefahr eines Atomkrieges sehr viel grösser.»
Nukleare Aufrüstung in Deutschland? Wir fragen nach: «Unterstützt die Bundesregierung die atomare Nachrüstung hier in der Bundesrepublik?»
Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin, [antwortet]: «Wir werden mit den Vereinigten Staaten darüber sprechen. Vielleicht hat das Verteidigungsministerium damit schon begonnen, das weiss ich nicht. Ich werde mich noch einmal erkundigen, und dann werden wir Ihnen zum gegebenen Zeitpunkt die Information geben.»
Die Kanzlerin will etwas mit den USA besprechen, was offenbar längst beschlossene Sache ist – die Stationierung neuer Atombomben in Deutschland. Denn im aktuellen US-Verteidigungshaushalt steht: Die modernen Bomben vom Typ B 61 sollen ab dem 3. Quartal 2015 in die deutschen Tornado-Jagdbomber in Büchel integriert werden, Fachbezeichnung PA-200. Im Klartext: Neue, noch gefährlichere amerikanische Atombomben sollen nach Büchel kommen und würden im Kriegsfall von deutschen Tornados ins Ziel gelenkt.
Im Frontal 21-Interview äussert sich jetzt zum ersten Mal eine Sprecherin der russischen Regierung zur Modernisierung von US-Atomwaffen in Deutschland. Sie sieht darin eine Eskalation im West-Ost-Verhältnis.
Maria Sacharowa, Aussenministerium Russland, [sagt]: «Uns beunruhigt, dass Staaten, die eigentlich keine Atomwaffen besitzen, den Einsatz dieser Waffen üben, und zwar im Rahmen der Nato-Praxis der sogenannten Nuklearen Teilhabe. Das ist eine Verletzung der Artikel 1 und 2 des Vertrages über die Nichtverbreitung von Atomwaffen.»
Auch der konservative Verteidigungspolitiker Willy Wimmer fürchtet, dass die Stationierung der neuen Atombomben die Spannungen zwischen Nato und Russland verschärft: «Die Fragen sind ja: Wofür werden diese Nuklearwaffen eigentlich genutzt? Oder wofür sollen sie dienen? Zum Schutz amerikanischer Einheiten oder im Zusammenhang mit Angriffsoptionen gegenüber der Russischen Föderation? – Das ist eine bewusste Provokation unserer russischen Nachbarn.»
Nukleare Aufrüstung statt Entspannung. •
Quelle: ZDF, Frontal 21 vom 22.9.2015, <link http: www.zdf.de zdf zdfportal blob data.pdf>www.zdf.de/ZDF/zdfportal/blob/40229212/1/data.pdf
2015 ist das Jahr, in dem die Charta der Vereinten Nationen 70 Jahre alt geworden ist. An Aktualität hat sie dabei nie verloren. Aber wer weiss noch, was sie beinhaltet? In der Präambel heisst es:
«Wir, die Völker der Vereinten Nationen
– fest entschlossen,
haben beschlossen, in unserem Bemühen um die Erreichung dieser Ziele zusammenzuwirken.»
Davon hat sich die Welt weit entfernt. Die Politik bewegt sich nicht mehr im Koordinatensystem des Völkerrechts und der Menschenrechte. Und man muss an dieser Stelle sagen: Der «Westen», angeführt von den USA, hat dabei ein sehr grosses Sündenregister.
Schon wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der abtretende US-Präsident Dwight D. Eisenhower gewarnt. Eisenhower sprach am Abend des 17. Januar 1961 im Fernsehen und kam nach allgemeinen Bemerkungen zur Lage der Nation zu seinem Anliegen:
«Wir müssen auf der Hut sein vor unberechtigten Einflüssen des militärisch-industriellen Komplexes, ob diese gewollt oder ungewollt sind. Die Gefahr für ein katastrophales Anwachsen unbefugter Macht besteht und wird weiter bestehen. Wir dürfen niemals zulassen, dass das Gewicht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unseren demokratischen Prozess bedroht.»
Die Mahnung vor dem Militär und der Rüstungsindustrie war vor allem deshalb so authentisch – und für viele Zuhörer so überraschend –, da sie aus dem Munde eines Mannes kam, der fast sein gesamtes Berufsleben in Uniform verbracht hatte, von seinem Eintritt in die Militärakademie West Point 1911 bis zu seinem Abschied aus der Armee 1952 vor seiner Kandidatur für die Präsidentschaft.
Wie bei den Köpfen der Hydra hat sich dem militärisch-industriellen Komplex eine zweite Bedrohung der Menschheit hinzugesellt: ein Marktradikalismus, der die sozialdarwinistische Ideologie des 19. Jahrhunderts – des skrupellosen Strebens nach Vorteil und Überlegenheit und des Kampfes aller gegen alle, in dem der «Stärkere» siegen soll – wiederbelebt hat.
Beiden steht das Recht entgegen, das naturrechtlich begründet ist, der Sozialnatur und Würde des Menschen entspricht und seinen Niederschlag im Völkerrecht, in den Menschenrechten und in vielen Verfassungen der Nationalstaaten gefunden hat. Es ist deshalb kein Zufall, dass der Rechtsbruch Politik geworden ist und sich seit 25 Jahren enorm beschleunigt hat. Die Liste ist lang und reicht bis in die Gegenwart.
Papst Franziskus und seine Vorgänger gehören zu den wenigen «Prominenten», die gegen diese Politik immer wieder Stellung genommen haben. Am 22. September 2011 forderte Papst Benedikt XVI. vor dem Deutschen Bundestag die Einhaltung politischer Ethik: «Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Frieden schaffen. […] Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren, ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers.» Papst Franziskus hat erst vor wenigen Wochen, am 14. September in einem Interview mit dem portugiesischen Radiosender Renascenca, erneut zu den Ursachen der Massenmigration Stellung genommen: «Wir sehen diese Flüchtlinge, diese armen Menschen, die vor dem Krieg, vor dem Hunger flüchten. Aber an der Wurzel gibt es eine Ursache: ein böses, ungerechtes sozio-ökonomisches System.» Das heute dominierende Wirtschaftssystem habe, so der Papst, den Menschen an den Rand gedrängt und statt dessen «den Gott Geld, das Idol der Stunde», ins Zentrum gerückt. Man müsse, so der Papst, an die Ursachen des Phänomens der Massenmigration herangehen: «Da, wo Hunger herrscht, muss man Arbeitsmöglichkeiten schaffen und investieren. Da, wo der Krieg die Ursache ist, muss man sich um Frieden bemühen. Heute führt die Welt Krieg gegen sich selbst».
Speziell sprach der Papst Europa an: «Ich glaube, die grosse Herausforderung für Europa besteht darin, wirklich Mutter Europa und nicht Grossmutter Europa zu sein. Europa hat eine ausserordentliche Kultur, Jahrhunderte der Kultur, und es muss seine Führungsqualität im Konzert der Nationen wiedergewinnen.»
Aber was tut Europa statt dessen? Rüstet es auf für einen nächsten grossen Krieg – weil das Wirtschafts- und Finanzsystem des «Westens» und vor allem der USA wieder einmal kurz vor dem Kollaps steht und wieder einmal der Krieg die «Rettung» bringen soll – koste es, was es wolle? Neue Atombomben in Büchel sind die ganz Europa bedrohende Spitze eines Eisbergs. Der Wahnsinn hat Methode. Deutschland, geführt von seiner Kanzlerin, folgt den Vorgaben aus Washington wie die Lemminge.
Karl Müller
Abgeschlossen in London, Moskau und Washington am 1. Juli 1968
(Stand 7. Oktober 2009)
Die diesen Vertrag schliessenden Staaten, im folgenden als «Vertragsparteien» bezeichnet,
sind wie folgt übereingekommen:
Art. I
Jeder Kernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben und einen Nichtkernwaffenstaat weder zu unterstützen noch zu ermutigen, noch zu veranlassen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder sonstwie zu erwerben oder die Verfügungsgewalt darüber zu erlangen.
Art. II
Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen. […]
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