Für internationale Beziehungen frei von doppelten Standards und Heuchelei

Für internationale Beziehungen frei von doppelten Standards und Heuchelei

 

Eröffnungsansprache von Dmitri Medwedew vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos am 26. Januar 2011

Herr Schwab, meine Damen und Herren
Vorgestern ist am Internationalen Flughafen Moskau Domodedovo eine Terrorattacke verübt worden, die Dutzende von unschuldigen Menschen getötet hat. Durch die Hand von Terroristen starben Bürger verschiedener Länder: aus Russland, Grossbritannien, Tadschikistan, der Ukraine, Deutschland, Österreich, Kirgistan und Usbekistan. Mehr als hundert Menschen erlitten Verletzungen und liegen nun in Spitälern.
Obwohl das Land in der Vergangenheit schon ähnliche Torturen erlitten hat, war diese Tragödie ein richtiger Schock für die russische Gesellschaft. Sie rief in der ganzen zivilisierten Welt Empörung hervor. Ich habe zahlreiche Briefe, Telegramme und Telefonanrufe von vielen Staatsoberhäuptern und Präsidenten internationaler Organisationen erhalten, die ihr Beileid und ihre Solidarität zum Ausdruck brachten. Ich bin dankbar für Ihr Mitgefühl und die Worte, die ich soeben von Ihnen und weiteren Teilnehmern des Forums gehört habe. Wir trauern gemeinsam um die Toten.
Den Schmerz, den der Verlust der Menschenleben verursacht hat, werden wir lange in unseren Herzen mittragen, aber der Vorfall hat uns nur in unserem gemeinsamen Entschluss und unserer Entschiedenheit bestärkt, wirksame Sicherheitsmassnahmen gegen den internationalen Terror zu finden, und ich denke, das ist äusserst wichtig. Diejenigen, die diese Greueltat begangen haben, indem sie ihre Attacke gegen die Bürger verschiedener Länder richteten, erwarteten, dass das Russland in die Knie zwingen und uns dazu nötigen würde, eine defensive Position einzunehmen; sie glaubten, der russische Präsident würde nicht an diesem Forum teilnehmen. So haben sie Zeit und Ort gewählt, um die Attacke zu verüben. Sie haben sich verrechnet. Russland ist sich seiner Stellung in der Welt, seiner Verpflichtungen gegenüber seinen Bürgern und gegenüber der internationalen Gemeinschaft bewusst und wird sie erfüllen. Deshalb spreche ich heute von diesem Podium.
Terrorismus verneint das wichtigste Recht: das Recht auf Leben. Was immer seine ideologischen Grundlagen sein mögen, er verstösst gegen alle Rechte und Freiheiten, züchtet Furcht und Hass und behindert Anstrengungen, um unsere Welt zu reformieren und zu verbessern. Es ist eine Tragödie, dass Terrorangriffe den Lauf des normalen Lebens, unsere gewohnte Art zu leben, grundlegend verändern und uns bisweilen zwingen, sehr harte Entscheidungen zu treffen, die unser Denken – nicht nur das der Terroropfer, sondern aller Menschen auf diesem Planeten – grundlegend verändern.
Leider ist heute kein Land der Welt vor Terror gefeit. Tatsache ist, dass ein Terrorangriff, ähnlich demjenigen, der vor ein paar Tagen und leider nicht zum ersten Mal Russ­land erschütterte, sich jederzeit und überall auf der Welt ereignen kann. Kein Land ist heute sicher vor Terrorismus. Es gibt keine Universalmethoden, um diese Geissel zu bekämpfen, aber eines ist sicher: Unser Erfolg bei der Bekämpfung dieser gemeinsamen Bedrohung ist abhängig von unserer Solidarität und unseren gemeinsamen Anstrengungen, besonders in einer Zeit, in der unsere Welt durch die Globalisierung sehr viel abhängiger und interdependent geworden ist, als sie das noch vor einiger Zeit war, und wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, den Terrorismus gemeinsam zu bekämpfen. Wir müssen alles tun, was in unseren Möglichkeiten liegt, um, wenn nicht die Ideologie, dann die sozioökonomischen Wurzeln des Terrorismus zu beeinflussen: Armut, Arbeitlosigkeit, Analphabetismus und Verwaistheit, und wir müssen sicherstellen, dass die weltweite Entwicklung stabil, sicher und fair wird. Nochmals aufrichtigen Dank für Ihre Anteilnahme.
Dieses Forum findet zu einem Zeitpunkt statt, zu dem viele Leute über das Ende der globalen Finanzkrise sprechen. Gleichzeitig ist auch klar, dass die Dinge nicht so einfach liegen. Eine Periode superschneller Entwicklung gab Anlass zu Euphorie, aber die Krise hat alle ernüchtert. Wir haben uns mit einem bedeutenden Teil, aber nicht mit allen ihren Symptomen befasst, und solange wir kein neues Wachstumsmodell finden, wird die wirtschaftliche Entwicklung langsamer verlaufen, als wir sie gerne hätten.
Gleichzeitig hat uns in den letzten Jahren nicht nur die Wirtschaft wichtige Lehren erteilt. Die moderne Zivilisation ist technologisch sehr fortgeschritten, zumindest verglichen mit der Welt vor hundert oder zweihundert Jahren. Doch eine einzige natürliche Abweichung oder ein technologischer Irrtum kann ganze Regionen an den Rand einer ökologischen Katastrophe führen und Kontinente voneinander trennen, wie das in den vergangenen Jahrhunderten der Fall war. Der Vulkanausbruch in Island, ein gravierender Unfall auf einer Ölplattform im Golf von Mexiko, die Hitzewelle in Russland vergangenen Sommer, verheerende Fluten und Schneestürme in verschiedenen Teilen der Welt – all das lässt einen über die Fragilität der Menschheit nachdenken.
Ich glaube, dass jeder Aufschub in diesem Bereich gefährlich werden kann. Unser Ziel ist nicht nur ein Abschluss der in die Länge gezogenen Klimaverhandlungen, auch wenn das unerlässlich ist, sondern wir müssen auch ein gemeinsames Überwachungssystem für die Umwelt und gefährdete Lagen und ein allgemeines Warn- und Katastrophenbewältigungssystem schaffen. Russland hat eine solche Initiative vorgelegt, und ich hoffe, unsere Partner stimmen überein, dass diese Massnahmen überfällig sind.
Heute besteht dringender Bedarf an neuen Ideen, welche die Welt zum Besseren verändern können, Ideen, die in Zukunft neue Anforderungen an die Politik stellen und für Regierungen, die Geschäftswelt, die soziale Entwicklung und die Beziehungen zwischen den Staaten zur Norm werden.
Wenn wir von Sicherheit sprechen, so hat Russland vor einiger Zeit eine Reihe von Vorschlägen bezüglich eines neuen Europäischen Sicherheitsabkommens vorgelegt. Ich denke, solche Themen können an verschiedenen Treffen diskutiert werden, und das wäre auch hier am Weltwirtschaftsforum in Davos sinnvoll.
Heute hinken die Handlungen der Politiker, die internationalen Beziehungen und Regulierungsgrundsätze dem Fortschritt immer weiter hinterher. Gleichzeitig glauben gewisse Leute und einige Politiker noch immer an die Phantome des kalten Krieges und werden von ihrem primitiven Machtstreben mitgerissen. Aber genau in dieser Zeit nutzt ein beachtlicher Teil der Weltgemeinschaft, nahezu eine Milliarde Menschen – denken Sie einmal nur über diese Zahl nach –, zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit soziale Netzwerke; obwohl sie auf verschiedenen Kontinenten bleiben, kommunizieren sie direkt miteinander. Das ist erstaunlich.
Die moderne Welt wird flacher, wie sie sagen, formale Grenzen und Hindernisse werden eingeebnet. Das weltweite Netz hat die Bildung von Gemeinschaften von Menschen gefördert, die in verschiedenen Ländern leben, aber durch gemeinsame Ziele oder Ideen vereint werden, und keine nationale Regierung kann behaupten, auf solche Gemeinschaften einen grossen Einfluss zu haben. Vielleicht ist das auch besser so. Die Geschäftswelt hat ähnliche Veränderungen erfahren.
Dennoch haben diese Vorgänge auch eine gefährliche Seite: Sie können zu einem sehr wichtigen Werkzeug für Extremisten werden, die ethnischen oder religiösen Hass schüren, für Drogendealer, Waffenhändler und Terroristen. Diese Probleme nehmen ebenfalls zu, und man kann sie unmöglich ignorieren.
Zugleich muss diese universale Vernetztheit zu einem mächtigen Antrieb für die wirtschaftliche Entwicklung werden, und alle Versuche, diese Bande zu durchtrennen, etwa die Einschränkungen des freien Zugangs zum Internet oder der Verbreitung von Innovationen, werden die Welt in die Stagnation führen – ich denke, das realisiert heute jedermann. Russland wird keine Initiativen unterstützen, welche den freien Zugang zum Internet gefährden, eine Freiheit, die auf Grundwerten und dem Recht gründet.

Kollegen

Unsere Aufgabe ist, jede Gelegenheit wahrzunehmen, um unsere neue Welt in eine Welt umzuwandeln, die für die überwiegende Mehrheit der Bürger gerechter ist, eine Welt, in der Erfolg durch Talent und harte Arbeit anstatt durch familiären Hintergrund bestimmt wird, eine Welt, in der Milliarden von Menschen direkt miteinander kommunizieren können, eine Welt, in der die Menschen keine Angst vor der Regierung haben und internationale Beziehungen frei sind von doppelten Standards und Heuchelei, eine Welt, in der es einfacher und wirksamer sein wird, zusammenzuarbeiten, gemeinsam zu arbeiten. Heute, wo in vielen Ländern eine neue Generation von Führungskräften an die Macht gekommen ist, Politiker, deren Ansichten sich nach dem kalten Krieg gebildet haben, können wir unsere Träume zusammen diskutieren und realisieren, wir sind dazu bereit – und wenn ich «wir» sage, dann meine ich Russ­land. All das sollte uns dazu antreiben, uns auf ein grösseres Mass an Transparenz und Koordinierung hinzubewegen. Ich bin überzeugt, dass die positiven Tendenzen in den Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten, wie sie Herr Schwab gerade vermerkt hat, ein gutes Beispiel für neue Grundsätze und Lösungsansätze in der internationalen Politik sind.
Nebenbei möchte ich Sie daran erinnern, dass unser Parlament gestern den neuen Start-Vertrag abschliessend ratifiziert hat. Um eine solche Welt aufzubauen, müssen wir uns auf eine Reihe wohlbekannter Prinzipien verlassen, von denen wir einige manchmal vergessen. Es gibt vier Grundsätze, die ich im folgenden aufführen möchte.
Der erste ist eine strategische, langfristige Herangehensweise zur Bewältigung von Problemen. Einfache und oft populistische Lösungen stellen sich in 90 von 100 Fällen als falsch heraus, und manchmal erweisen sie sich als schlechteste aller möglichen Optionen. Ein anschaulicher Fall diesbezüglich ist ein Trend, alle wirtschaftlichen Probleme durch Verstaatlichung, auch die Verstaatlichung von Finanzinstituten, zu lösen.
Im Zuge der Finanzkrise erwogen viele Staaten dieses Vorgehen, und viele von ihnen wählten diese Option, darunter auch Staaten mit einer hochentwickelten liberalen Wirtschaft. Wir verfügen in Russland nicht über eine genügend entwickelte Wirtschaft, aber wir haben nicht auf diese Option zurückgegriffen, und ich denke, wir haben das richtige getan. Ich bin zuversichtlich, dass sich Lösungen für Krisen in den meisten Fällen durch den Einsatz des privaten Sektors finden lassen, und auf lange Sicht ist das der effektivste Weg, die Dinge zu bewältigen.
Zweitens ist es lebensnotwendig, realistisch zu sein und im Rahmen der eigenen Mittel zu leben. Während der Krise sind viele Blasen geplatzt, nicht nur Finanzblasen, sondern auch Blasen von Illusionen und Selbstzufriedenheit. Ich denke, wir sehen ein, dass keiner von uns vor dem Entstehen neuer Blasen gefeit ist. Das Recht auf Risiko ist Teil einer freien Wirtschaft, aber dieses Recht sollte sich mit entsprechender Verantwortung die Waage halten. Unternehmen, Privatpersonen oder Wissenschaftler sollten das Recht auf exzessives Risiko haben – natürlich innerhalb vernünftiger Grenzen –, aber Staaten und die ganze internationale Gemeinschaft können kein Recht auf überhöhtes Risiko haben.
Die gegenwärtige Realität in vielen entwickelten Staaten ist so, dass sie mit Problemen der Staatsverschuldung, Haushaltsdefiziten und ungeachtet all dessen mit einem Widerstand gegen die Einschränkung der Ausgaben konfrontiert sind. Eine Situation voller neuer globaler wirtschaftlicher und politischer Krisen. Übrigens war die gestrige Rede zur Lage der Nation des Präsidenten der Vereinigten Staaten diesbezüglich ein deutliches Zeichen: Es war die Rede von einem Einfrieren der Haushaltausgaben während fünf Jahren. Das ist eine ernste Massnahme.
Drittens stehen wir vor der Frage der weltweiten Partnerschaft und des richtigen Wegs, sie zu gestalten: Ganz egal, wie schwierig es ist, die Praxis der individuellen oder beschränkten Gruppeninteressen aufzugeben, es muss getan werden. Die Gründung der G-20-Staaten, ich sage das ganz offen, ist ein bedeutender, gewaltiger Schritt vorwärts. Je grösser die Zahl der Länder, die um den Tisch sitzen, desto schwieriger ist es auf der einen Seite, einen Konsens zu erreichen, desto mehr Zeit erfordert es, aber auf der anderen Seite sind die am Ende verabschiedeten Entscheidungen viel erfolgreicher. Ich hoffe, die G-20-Staaten haben das gezeigt.
Wir sind bereit, alle Instrumente einzusetzen, die uns zur Verfügung stehen, aber die Wirksamkeit der Arbeit im Rahmen der G-20-Staaten muss erweitert werden. Es ist entscheidend, von allgemeinen Diskussionen, auch wenn sie faszinierend sind, zur Umsetzung spezifischer Aufgaben zu kommen. Es liegen viele solcher Aufgaben vor uns, und wir haben auch schon vieles erreicht, so haben wir zum Beispiel Wege zur Entwicklung von Weltfinanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank beschlossen. Das ist gut, aber es gibt noch vieles, was wir noch nicht erledigt haben.
Ein Thema möchte ich hier erwähnen: Ich bin überzeugt, dass die alten Prinzipien zur Regulierung von geistigem Eigentum nicht mehr funktionieren, insbesondere wenn es um das Internet geht. Hier droht die Gefahr des Kollapses des ganzen Systems des Rechtes an geistigem Eigentum, und ich bin deshalb der Meinung, dass diese Frage in die Agenda des nächsten G-20-Gipfels aufgenommen werden sollte. Wir sollten der internationalen Gemeinschaft neue Lösungen vorschlagen, Lösungen, die in Form internationaler Konventionen formuliert sein sollten. Russland wird seine Vorschläge weiterentwickeln.
Zugleich sollten wir neue Bündnisse auf Führungsebene entwickeln. Es ist wichtig, dass die BRIC-Gruppe, wie sie von Ökonomen vor einiger Zeit gestaltet worden ist, heute enorme Glaubwürdigkeit und den Status einer wirklich effizienten Organisation erlangt hat. Auf jeden Fall beabsichtigen wir, unsere Bemühungen in dieser Form auszuweiten. In diesem Jahr wird Südafrika der Gruppe beitreten, und sie wird zu BRICS [Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika] werden. Es sind Länder, die jede Chance haben, die Führer der globalen Entwicklung zu werden und die Verantwortung für diesen Prozess auf sich zu nehmen. Ich glaube, eine der Ideen könnte sehr bald umgesetzt werden: der Einbezug der Währungen der BRICS-Staaten in den Währungskorb der Sonderziehungsrechte des IWF.
Und schliesslich ist der vierte Aspekt die Vielfalt. Die Tatsache, dass in der Welt verschiedene ökonomische Modelle von Marktwirtschaften koexistieren, ist ein Vorteil. Die Krise hat gezeigt, dass selbst jene Modelle, die perfekt zu sein schienen, erschüttert wurden und bedeutende Verluste erlitten. Eine Welt, in der nur eine – egal welche – Form existiert, steckt voller Risiken, während eine Welt der vielen Formen fähig ist, solche Risiken zu kompensieren und Möglichkeiten bietet, sich auf neue Herausforderungen einzustellen.
Ein paar Worte zu Russland. Russland wird sehr oft kritisiert. Manchmal ist die Kritik wohlverdient, und manchmal ist sie absolut ungerechtfertigt. Russland wird gerügt für den Mangel an Demokratie, für autoritäre Tendenzen und die Schwäche des Rechts- und Justizwesens. Wir sind heute so, wie wir sind. Ich möchte sagen, dass Russland tatsächlich vor vielen Schwierigkeiten steht, wenn es um die Einführung von Rechtsstaatlichkeit, um die Schaffung einer effizienten und modernen Wirtschaft geht. Russland ist in grösserem Ausmass mit dem Übel des Terrorismus konfrontiert gewesen als viele andere. Russ­land hat viele soziale Probleme zu meistern, obwohl wir in den letzten Jahren viel davon erfolgreich gelöst haben. Schliess­lich ist Russ­land, das heisst alle Entscheidungsträger in Russland, nicht immun gegen gewöhnliche Fehler. Aber es ist entscheidend, eine offensichtliche Tatsache zu verstehen: Im öffentlichen Leben Russlands, in unserer Gesellschaft, finden wichtige Veränderungen statt, wir entwickeln uns und bewegen uns vorwärts. Vor allem unser Kampf gegen die Korruption, die Modernisierung des Rechtswesens und des Strafvollzuges – auch wenn wir in diesen Bereichen noch keine gewaltigen Erfolge erzielt haben – sind reale Schritte zur Verbesserung des Investitionsklimas und der Lebensqualität in Russland. Wir haben mit unseren Anstrengungen noch keine hervorragenden Ergebnisse erreicht, aber wir sind ganz entschlossen, durchzuhalten. Wir lernen und wir sind bereit, auf freundschaftlichen Rat zu hören – was wir aber nicht brauchen, ist Schulmeisterei. Wir sollten zusammenarbeiten.
Die Gefühle der Menschen, ihre soziale Selbstachtung, sind vielleicht der wichtigste Indikator dafür, wie erfolgreich ein Land sich entwickelt. Die feste Überzeugung der Menschen, dass sie in einem demokratischen Staat leben, das Vorhandensein eines Dialoges zwischen Regierung und Bürgern, sind entscheidende Zeichen für eine moderne Demokratie, direkte Demokratie. Die Qualität und Wirksamkeit dieser Demokratie hängt nicht nur von politischen Verfahren und Einrichtungen ab, sondern auch davon, ob Regierung und Zivilgesellschaft bereit sind, aufeinander zu hören. Es genügt nicht, persönliche Freiheit zu haben; wir haben die Freiheiten gegenseitig zu respektieren. Dieser Grundsatz gilt auch für die Beziehungen zwischen demokratischen Staaten.
Ich bin auch überzeugt, dass Demokratie sich durch ökonomische Modernisierung weiterentwickelt. Eine einfache Wirtschaft, die auf Rohstoffen basiert, vermag die Verbesserung der Lebensqualität nicht sicherzustellen, vor allem nicht für die Zukunft, und ist daher nicht in der Lage, die Nachhaltigkeit unserer Demokratie zu gewährleisten. Um die Gefahr des Populismus zu meiden, sollte Demokratie eine sichere Grundlage in einer gut entwickelten Gesellschaft haben, einer Gesellschaft unabhängiger und frei denkender Menschen.

Liebe Freunde

Die Strategie und die Grundsätze der Modernisierung, die ich umrissen habe, stimmen völlig mit dem überein, was ich gerade gesagt habe. Ich möchte nun ein paar Worte dazu sagen, welche neuen Möglichkeiten die Modernisierung trotz einiger Schwierigkeiten für erfolgreiche Geschäftsführung in Russ­land schafft. Um der Kürze willen liste ich zehn Punkte auf.
Erstens habe ich vor kurzem ein Programm zur Privatisierung bedeutenden Staatseigentums lanciert – das grösste seiner Art in den letzten Jahren. Ich habe eine präsidiale Verordnung erlassen, auf der die Liste der strategischen Unternehmen in Russland um ein Fünftel verringert wurde. Anteile im Wert von Dutzenden von Milliarden Dollars an führenden Banken, im Infrastruktur- und Energiesektor werden im Laufe der nächsten drei Jahre privatisiert werden. Haushaltseinnahmen sind für uns kein Ziel an sich, obwohl das natürlich wichtig ist, aber die Hauptsache ist, die Unternehmen effizienter zu machen und das Wettbewerbsumfeld für die Geschäftstätigkeit in unserem Land zu verbessern. Daher haben wir führende, global tätige Banken in die Durchführung dieser Privatisierung einbezogen.
Zweitens werden wir demnächst einen speziellen Staatsfonds einrichten, der mit Hilfe gemeinsamer Investitionen in die ökonomischen Modernisierungsprojekte in Russland die Risiken mit ausländischen Investoren teilen wird.
Drittens erwarten wir einen grossen Gewinn aus der Entwicklung des Finanzsektors in unserem Land. Ich wiederhole deshalb heute vor Ihnen, dass wir keine neuen Steuern für den Finanzsektor einführen werden, sondern im Gegenteil mit Beginn am 1. Januar dieses Jahres die Steuer auf den Verkauf von Staatspapieren abgeschafft haben, wenn es um die Durchführung einer langfristigen Investition geht. In diesem Bereich verfolgen wir eine etwas andere Linie als unsere Partner, auch als die G 20.
Wir werden keine neuen Beschränkungen auf Kapitalbewegungen einführen, aber wir werden alles tun, um den Finanzinstituten das breitestmögliche Spektrum an Möglichkeiten zu bieten. Das ist das Ziel unseres Projektes, Moskau als internationales Finanzzentrum zu entwickeln, das nicht nur zum Nukleus des russischen Finanzsystems, sondern auch zum Katalysator für die Entwicklung der Finanzmärkte in der ganzen postsowjetischen Region, und ich hoffe auch in Zentral- und Osteuropa werden wird. Die ersten praktischen Schritte in diese Richtung haben wir bereits getan.
Ich hoffe insbesondere, dass dieses Jahr ausländische Unternehmen damit beginnen, Kredite und Kapital auf dem russischen Rubelmarkt aufzunehmen. Dieses Projekt ist von globaler Bedeutung und eines der Hauptinstrumente, um Russland in die Weltwirtschaft zu integrieren. Lassen Sie mich ergänzen, dass wir bestrebt sind, unser Rechtswesen für die Unternehmen des Finanzsektors, die im Moskauer Finanzzentrum operieren werden, effektiver zu machen.
Viertens sind wir dabei, grosse neue Märkte mit üblicher Regulierung zu entwickeln, die Investoren ein attraktives Umfeld bieten. Russland ist seit langem bereit, der WTO beizutreten. Ich hoffe, wir werden diesen Prozess in diesem Jahr endlich abschliessen. Alle meine Partner haben mir das versprochen. Der nächste Schritt wird für Russland der Beitritt zur OECD sein. Schliesslich sind wir dabei, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit der Europäischen Union zu bilden, der auf den Prinzipien der unteilbaren Sicherheit, der Personenfreizügigkeit, der Kapital- und Güterverkehrsfreiheit und einer Reihe gemeinsamer technischer Standards basiert.
Vor kurzem haben wir mit Weissrussland und Kasachstan eine Zollunion gebildet und bewegen uns rasch in Richtung Einrichtung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes mit diesen Ländern, ähnlich dem Vorbild der EU. Das sind alles wichtige Entwicklungen. Sie stehen nicht in Widerspruch zueinander, ich hoffe, dass sie sich vielmehr gegenseitig ergänzen und unterstützen. Letztlich bewegen wir uns vorwärts auf die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, der sich vom Atlantik bis zum Pazifik erstreckt, einem riesigen Markt, von dem alle profitieren.
Fünftens bemühen wir uns weiter um die Entwicklung neuer Möglichkeiten für Investitionen in innovative Unternehmen und Projekte. Ich initiierte ein Gesetz, das es Universitäten erlaubt, Unternehmen zu gründen und dazu geistiges Eigentum zu nutzen. Dieses Gesetz ist nun bereits in Kraft, und es sind schon rund 1000 solcher Firmen registriert worden. In diesem Jahr wird auch eine Gesetzgebung in Kraft treten, die die Realisierung einer Projektfinanzierung erleichtert.
Das Skolkowo-Innovationszentrum ist unser grösstes Projekt in diesem Bereich. Dutzende von grossen und kleinen Unternehmen, die an verschiedenen Orten in ganz Russland eingetragen sind, werden sich dieses Jahr an dem Projekt beteiligen und alle in den Genuss besonderer Fördergelder kommen. Ich bin sicher, dass wir im Laufe der kommenden Jahre die Entstehung neuer globaler Handelsnamen erleben werden, die aus Russland auf den Markt kommen, und die Beteiligung ausländischer Unternehmen, innovativer ausländischer Unternehmen an diesen Anstrengungen wird unseren Möglichkeiten zusätzlich Schub verleihen.
Sechstens wird das umfangreiche Energieeffizienz-Programm, das wir angestossen haben, neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen. Ich habe klare quantitative Zielvorgaben gesetzt, und in vielen russischen Regionen sind nun Pilotprojekte im Gange. Alle neuen Projekte müssen den neuesten Energieeffizienz-Anforderungen genügen. Diese Standards sind entweder bereits gesetzt oder werden bald in Kraft treten.
Angesichts des bedeutenden Platzes, den Russland im Energiesektor einnimmt, ist es ebenfalls unerlässlich, diesen Sektor zu einer der wichtigsten, treibenden Kräfte der Innovation zu machen. Das ist der Grund, warum wir unsere Modernisierung durch die Beförderung globale Partnerschaften voranzutreiben suchen, die auf dem Austausch von Vermögenswerten basieren. Nebenbei werden diese Partnerschaften Schlüsselfaktoren der Energiesicherheit sein, die wir vor fünf Jahren am G-8-Gipfel in St. Petersburg deklarierten. In diesem Bereich sind heute in Davos grosse Geschäfte abgeschlossen worden, so wie vor einiger Zeit an andern Orten, und ich hoffe, dass auch die neuen Bündnisse, die Rosneft Oil Company aufbaut, in diesem Bereich für den Schritt vom Wort zur Tat stehen.
Siebtens werden wir den Technologie-Transfer voll nutzen, um unsere Industrie zu modernisieren. Joint ventures und Technologieaustausch sind in allen Sektoren wichtig, auch im Verteidigungssektor, und ich bin sicher, dass wir einen neuen Grad an Vertrauen hinsichtlich der gemeinsamen Sicherheit in der Welt schaffen werden; deshalb begrüssen wir auch die Entscheidung, ein russisch-französisches Konsortium für den Bau von Mistral-Helikopterträgern zu begründen.
Achtens sind wir daran, ein umfassendes Programm zur Entwicklung von Breitband-Internet in ganz Russland zu realisieren, und wir sind so weit, dass wir die Möglichkeit zur Führung jedes rechtmässigen Geschäftes, das davon Gebrauch machen will, anbieten können. Das wichtigste Projekt im öffentlichen Sektor, an dem ich ebenfalls arbeite in diesem Bereich, betrifft die Integration der Banken und der öffentlichen Versorgungsbetriebe in den Gebrauch universaler Kreditkarten. Die Entwicklung elektronischer Zahlungssysteme und elektronischer Systeme im öffentlichen Beschaffungswesen und im Bereich der öffentlichen Versorgungsbetriebe wird ein praktischeres Umfeld für gewöhnliche Bürger und auch für Unternehmen schaffen, ganz zu schweigen davon, dass damit auch ein wirksames Instrument zur Bekämpfung der Korruption in Russland zur Verfügung stehen wird.
Neuntens sind wir gewahr, dass erfolgreiche Modernisierung das Ergebnis von Dutzenden von Millionen persönlicher Erfolgsgeschichten sein wird, dem Erfolg unserer eigenen Bürger und von Hunderttausenden von erfolgreichen Firmengeschichten von Unternehmern und Spezialisten aus aller Welt. Die Quelle der Stärke und Fähigkeit eines jeden Landes, in der modernen Welt eine ökonomische Führungsrolle zu übernehmen, liegt in den begabten und gebildeten Menschen mit Wissen, Imagination und einem Durst nach schöpferischer Tätigkeit.
Ich hoffe, dass im Laufe des nächsten Jahrzehnts Tausende junger Wissenschaftler, Ingenieure, Beamte und Berufsleute aus anderen Bereichen ihren Masterabschluss und ihr Doktorat an den besten Universitäten der Welt erreichen werden und dann weiterfahren und Schlüsselpositionen in russischen Unternehmen, der öffentlichen Verwaltung, in Erziehung und Wissenschaft übernehmen. Unsere Aufgabe besteht darin, Russland zu einem attraktiveren Ort für die hellsten Köpfe der Welt zu machen. Ich denke, wir haben uns ein realistisches Ziel gesteckt, wenn wir Tausende der besten Wissenschaftler und Ingenieure der Welt dafür gewinnen wollen, nach Russland arbeiten zu kommen. Wir brauchen diesen Zuzug an ausländischen Spezialisten vor allem, um die besten Verfahrensweisen zu lernen und ein fruchtbares Umfeld für die kreative Tätigkeit unserer eignen Spezialisten zu schaffen. Deshalb sind wir bereit, den einseitigen Schritt der automatischen Anerkennung von Diplomen und Abschlüssen der Spitzenuniversitäten der Welt zu gewähren, und arbeiten derzeit daran. Ich möchte auch anmerken, dass wir die Einwanderungsbestimmungen für hochqualifizierte Spezialisten, die nach Russland kommen, vereinfacht haben. Unternehmerkreise wollten, dass ich das tue, und ich habe es getan.
Zehntens haben wir mit der Durchführung von Infrastrukturprogrammen begonnen, insbesondere, da wir als Gastgeber grosser internationaler Sportanlässe gewählt worden sind. Das ist nicht nur ein Wunsch unserer Sportfans, sondern eine echte Gelegenheit, um unsere Infrastruktur zu verbessern, und es war genau unser Ziel, unsere Infrastruktur für unser Volk, unsere Unternehmen und für den Handel angenehmer zu machen. Alle diese Projekte werden auf der Basis von Public-Private-Partnership durchgeführt werden. Sie werden uns dabei unterstützen, einzelne Regionen zu entwickeln, und werden Menschen aus aller Welt die Gelegenheit bieten, Russ­land zu sehen und zu erkennen, dass Russland trotz derzeitiger Schwierigkeiten ein offenes Land ist, das bereits Teil der Weltgemeinschaft geworden ist.
Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie mit meiner Liste vielleicht gelangweilt habe, aber ich hoffe, dass die von mir genannten zehn Punkte an den Sitzungen, die morgen der Modernisierung unseres Landes gewidmet si nd, gemeinsam mit den hier anwesenden Mitgliedern der russischen Regierung eingehender diskutiert werden können.
Abschliessend kann ich nur auf meine Worte zu Beginn zurückkommen und sagen, dass alle unsere Anstrengungen zur Wiederbelebung und Entwicklung der Weltwirtschaft umsonst sein werden, wenn wir nicht Terrorismus, Extremismus und Intoleranz überwinden und wenn wir nicht alle unsere Kräfte vereinen, um diese grösste Geissel der Menschheit ein für allemal zu beseitigen.
Ich möchte wiederholen, dass ein Erfolg bei dieser Aufgabe in Isolation nicht zu erreichen ist, sondern die Zusammenarbeit aller Länder erfordert durch einen breit abgestützten öffentlichen Dialog mit der Zivilgesellschaft und Expertenkreisen, die eine wichtige Rolle bei der Förderung einer Erziehung und Kultivierung der Werte der Toleranz und des Verständnisses zwischen den verschiedenen Gruppen der Gesellschaft übernehmen können.
Leider bin ich gezwungen, meine Teilnahme am Forum in Davos abzukürzen und werde heute abend nach Moskau zurückfliegen, sobald diese Sitzung vorbei ist. Ich danke für Ihr Verständnis.    •
Quelle: eng.kremlin.ru/news/1684
(Übersetzung Zeit-Fragen)

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