Arthur Bill – Abschied von einem grossen Schweizer

Arthur Bill – Abschied von einem grossen Schweizer

«Zu einem sinnvollen Dasein gehört auch das Dasein für andere: Für die Geliebten und die Nächsten, aber auch für die bedürftigen Fernen und Fernsten. Wenn diese zu Nächsten werden, dient dies dem Frieden auf Erden.»

Arthur Bill

lb./eg. Am vergangenen 5. April verschied im hohen Alter von 95 Jahren Arthur Bill. Er war ehemaliger Leiter des Kinderdorfes Pesta­lozzi in Trogen und ehemaliger Delegierter des Bundesrates für Katastrophenhilfe im Ausland. Arthur Bill hat mit seinem Lebenswerk wichtige Grundlagen für das humanitäre Wirken der Schweiz im In- und Ausland mitgeprägt. Seine Aufgaben hat er verantwortungsbewusst und als aufrechter, engagierter Mitbürger wahrgenommen. Er hinterlässt der heutigen Generation ein Erbe, dem es Sorge zu tragen gilt.
Arthur Bill selbst sah die Gründe für sein lebenslanges, intensives humanitäres Wirken bereits in seinem Elternhaus angelegt. Am Schicksal von Vater und Mutter, beides Verdingkinder, hatte er erlebt, wie man nach einer belasteten Kindheitssituation den Weg in ein erfülltes Erwachsenenleben finden kann. Auch das Wirken Albert Schweitzers wurde für ihn zu einem wichtigen Wegweiser im Leben. Arthur Bill wählte den Beruf des Primarlehrers. Wie er einmal erzählte, war ihm bei dieser Aufgabe vor allem die erzieherische Tätigkeit wichtig, und es war ihm ein Anliegen, sich für benachteiligte Kinder einzusetzen. Er füllte seinen Beruf als Lehrer in einem kleineren Dorf mit ganzem Herzen aus. Hier lag, wie er selber sagte, der Anfang seiner humanitären Verpflichtung.
Bald zog der Zweite Weltkrieg auf. Wie die meisten Männer seiner Generation setzte sich Arthur Bill selbstverständlich für den Erhalt der Freiheit und der Unabhängigkeit unseres Landes ein. Er stand als Militärpilot, später als Staffelkommandant, dann als Regimentskommandant im Einsatz und musste im Aktivdienst schwierigste Gefahrensituationen meistern. Die bewaffnete Neutralität war für ihn eine der Grundvoraussetzungen für das uneingeschränkte humanitäre Wirken unseres Landes. Die Erlebnisse während des Krieges und die Erleichterung darüber, durch den Einsatz von Soldaten unser Land vor Schlimmerem bewahrt zu haben, liess bei ihm den Entschluss reifen, nun etwas für den Wiederaufbau in den vom Krieg versehrten Ländern zu tun. Das weitere Wirken Arthur Bills stand fortan im Zeichen dieses Entschlusses.
Schon während des Krieges hatte der Schweizer Philosoph Robert Corti in der Monatsschrift DU die Idee eingebracht, ein Kinderdorf zu gründen. Es sollte ein Ort sein, in welchem Kriegswaisen sich von den Schrecknissen des Krieges erholen konnten. Die Idee war weiter, dass Kinder, deren Väter gegeneinander gekämpft hatten, zu einer friedlichen internationalen Zusammenarbeit erzogen werden sollten. Das Kinderdorf sollte zum Sinnbild schweizerischen humanitären Engagements werden und war von der Schweizer Bevölkerung mitgetragen. Arthur Bill beteiligte sich von Beginn an am Aufbau des Kinderdorfes. Aus den Anfängen wurden dann mehr als 25 Jahre, in denen er gemeinsam mit seiner Frau Berta und seinen vier Töchtern im Pestalozzidorf wirkte. Bereits nach kurzer Zeit übernahm er es, die Schule aufzubauen, dann wurde er Dorfleiter. Vielen Kindern und Jugendlichen, die einige Jahre im Pestalozzidorf verbringen konnten, war er ein wegweisendes Vorbild.
Anfang der 70er Jahre stellte sich für Arthur Bill eine neue Herausforderung. Er wurde vom Bundesrat für den Aufbau des Schweizerischen Katastrophenhilfekorps (heute: Schweizerisches Korps für Humanitäre Hilfe SKH) angefragt. Bereits zuvor war er nebst seiner Tätigkeit im Kinderdorf verschiedentlich weltweit in Krisen- und Kriegsgebieten tätig gewesen und hatte Erfahrungen mit humanitärer Hilfe vor Ort gesammelt. Arthur Bill tat sich mit dem Entscheid, vom Kinderdorf wegzugehen, nicht leicht und blieb zeit seines Lebens mit Trogen verbunden. Fortan widmete er sich als Delegierter des Bundesrates dem Aufbau und der Führung des Schweizerischen Katastrophenhilfekorps (SKH). Das war in den Jahren von 1972 bis 1981 und später nochmals von 1986 bis 1988. Unter der Devise «Neutralité et solidarité» wollte man durch Wiederaufbau, Transporte, Nahrung usw. Ländern helfen, die von Kriegen, Armut und Naturkatastrophen bedrängt waren. In sorgfältiger und umsichtiger Aufbauarbeit entwickelte Arthur Bill eine erste Konzeption für den Einsatz des SKH, das 1975 startbereit war. Er nahm das typisch schweizerische Milizprinzip auf, und viele Schweizer und Schweizerinnen stellten sich für den freiwilligen Einsatz in Notsituationen zur Verfügung. Nach seiner Pensionierung wurde Arthur Bill angefragt, als Sonderbeauftragter des Eidgenössischen Departementes des Äusseren (EDA) Namibia auf dem Weg in die Unabhängigkeit zu begleiten. Im Alter von 74 Jahren wurde er dann zum zweiten Mal pensioniert.
Mit 80 Jahren begann Arthur Bill seine Lebensgeschichte in drei Büchern aufzuschreiben. In seiner bescheidenen, humorvollen und weitblickenden Art gibt er darin Einblick in ein tätiges Leben und ein Stück Schweizer Geschichte, das er massgeb­lich mitgestaltet hat. Im Laufe seines Lebens erhielt Arthur Bill zahlreiche Ehrungen im In- und Ausland und wurde zweimal zum Ehrendoktor ernannt. Bis ins hohe Alter nahm er regen Anteil am Geschehen in unserem Land und in der Welt. Immer blieb er seinem humanitären Engagement treu und entwickelte Pläne und Visionen zur Lösung anstehender Probleme. Gerne erzählte Arthur Bill aus seinem Leben und gab sein Wissen und seine Erfahrungen der nächsten Generation weiter. Eine Begegnung mit ihm bleibt unvergessen. Angerührt durch seine Herzlichkeit, seinen Charme, seine Nachdenklichkeit, seinen Humor und seine tiefe Mitmenschlichkeit verabschiedete man sich reicher, als man gekommen war. Im Gespräch nahm er alle Fragen ernst und gab das weiter, was er selber mit den Menschen auf der ganzen Welt erlebt hatte. Schwierigkeiten und Probleme stellten für ihn Herausforderungen dar, die er so löste, wie es ihm Martin Buber anläss­lich eines Besuches im Pestalozzidorf in jungen Jahren geraten hatte:
«Man soll nicht versuchen, die Schwierigkeiten sofort zu erledigen, unter den Tisch zu wischen oder gar unter den Teppich zu kehren. Man muss die Schwierigkeiten ernst nehmen, ja sagen dazu, sich mit ihnen befassen, ergründen. Denn Schwierigkeiten sind Stufen zur weiteren Entwicklung.»
Mit Arthur Bill verliert die Schweiz und verliert die Welt einen Menschen, der sich konkret und tätig dafür eingesetzt hat, dass die Völker ihr Leben in gegenseitiger Achtung und Würde gestalten. Er hat in seinem Leben das verwirklicht, was uns allen als mitmenschliche und staatsbürgerliche Pflicht gerade in der heutigen Zeit obliegt. Es ist an uns, sein Erbe weiterzutragen und in seinem Sinne zu wirken.•

«Nicht die Schwächen suchen, sondern die Stärken anerkennen, ist im Erziehungsbereich wie auch auf dem Felde der internationalen Beziehungen ein vielversprechender Weg.»

Arthur Bill

Ein Dorf für die leidenden Kinder

von Walter Robert Corti

«Der kommende Frieden stellt alle Willigen vor gewaltige Aufgaben. Nicht nur gilt es, zerstörte Städte und Landschaften wieder aufzubauen. Man wird einen grotesken Friedhof von Systemtrümmern, Lehrwracken, Weltanschauungsruinen aufräumen müssen. […] Was wir hier vorschlagen, möge als freundliche Anregung dienen. Zerstreut im ganzen Lande stehen Militärbaracken, die oft recht wohnlich eingerichtet sind. Ein grosser Teil von ihnen wird mit dem Kriegsende zu neuer Verfügung freiwerden. Würde man sie auf einem klimagesunden und übersonnten Areal zusammenstellen, ergäben sie insgesamt wohl ein stattliches Dorf. Ein weltoffener, eminent praktischer Architekt meinte, dieser Dorfbau liesse sich technisch ohne weiteres bewältigen. Auch für die Ortswahl wären wir um Vorschläge nicht verlegen. So könnten vielleicht mehr als 8000 Kinder Aufnahme finden, Waisenkinder, Krüppelkinder, Kinder, die der völligen Verwahrlosung und dem Tode entgegen gehen. […] Dass die Kinder kommen werden, ist auch gewiss. Es wird ihnen geholfen, sie werden genährt und gekleidet, sie schlafen in sauberen Betten, haben ihr Zimmer mit ihren eigenen Sachen. Sie gehen in die Schule, sie spielen zusammen, leibseelische Einheit übt sich in den schönen Methoden fröhlich-gesunder Rhythmik. Dass sie überhaupt wieder froh werden! […] Die Kinder sind unter sich; nicht erschütternde, mitleids­erregende Ausnahmen unter Geborgenen, nicht in märchenhafte Verhältnisse hineingeschneite Notträger. So verwachsen sie auch nicht in ungesund-schmerzhafter Weise mit den Pflegeeltern, wo sie doch wieder später in harte und ganz und gar andere Verhältnisse zurück müssen. […] Wir müssen zu den Dingen hin, um ihre Ordnung kennenzulernen, müssen die Ordnung des Geistes und des Herzens erhellen. Bauen wir eine Welt, in welcher die Kinder leben können. Wir sind mit ihnen wieder Lernende, das ganze Dasein ist ja eine unaufhörliche Schule. Eines hilft uns immer aus allem lähmenden Streit und lässt uns weder verzagen noch ermatten: die liebende Ehrfurcht vor dem Leben.»

Corti, Walter Robert. Ein Dorf für die leidenden
Kinder. In: DU. Schweizerische Monatschrift. Nr. 8. August 1944. S. 50ff.

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