Die Schweiz ist ein Grasland

Weisse Konsummilch aus grünem Raufutter

Die Schweiz ist ein Grasland

von Heini Hofmann

Kaum mehr vorstellbar: Die Schweiz war einst bis hinauf zur Baumgrenze bewaldet. Heute dominiert das Grasland. Rund 80 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche von 1,5 Millionen Hektaren sind von Wiesen und Weiden bedeckt. Jedoch: Ohne die Arbeit der Bauern wäre der Urzustand in wenigen Jahrzehnten wieder Realität!

Umweltbedingungen wie Bodenbeschaffenheit und Klima begünstigen in unserem Land den Futterbau und sind für Graswuchs nachgerade optimal. Ganz abgesehen davon, dass es im Jura, in den Voralpen und im eigentlichen Berggebiet kaum Alternativen gibt zu futterbaulicher (und forstwirtschaftlicher) Nutzung.
Deshalb werden hier aus grünem Gras weisse Milch und rotes Fleisch produziert. Und weil sich dieser Prozess von Gras und Heu zu Milch und Butter im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie abspielt, tangiert er sowohl Produzenten als auch Konsumenten.      

Schweizer Milch = Raufuttermilch

Die Gesamtfläche Helvetiens lässt sich grob in drei Kuchenstücke einteilen: 30 Prozent unproduktive Fläche, 30 Prozent Wald und Gehölz sowie 40 Prozent landwirtschaftliche Nutzfläche. Von letzterer sind rund vier Fünftel Graslandvegetation (Kunst- und Naturwiesen sowie Alpweiden), woraus pro Jahr 8 bis 10 Millionen Tonnen Raufutter (als Heu berechnet) resultieren.
Gräser, Klee und Kräuter werden von den Grasfressern unter den Nutztieren zu hochwertigen Nahrungsmitteln wie Fleisch und Milch veredelt. Das sind schweizweit rund 1,6 Mio. Rinder (davon über 700 000 Milchkühe), 430 000 Schafe, 66 000 Ziegen und 51 000 Pferde. Würden sie mit Kraftfutter (z.B. Getreide, Soja) gefüttert, wären sie Nahrungskonkurrenten des Menschen. Im Schnitt ernähren sich unsere Milchkühe zu drei Viertel von Raufutter und nur zu einem Viertel von Kraftfutter. In gewissen Ländern ist das Verhältnis gerade umgekehrt.
Daher gilt Schweizer Milch als Raufuttermilch. Um den Nährstoffbedarf zu decken, benötigt eine Milchkuh rund 100 kg Grünfutter oder etwa 15 kg Heu pro Tag (dazu 50 Liter Wasser). Und weil auf Schweizer Wiesen weder Insektizide gegen Schädlinge noch Fungizide gegen Pilze eingesetzt werden dürfen, hat die Milch unserer Kühe auch noch einen Qualitätsvorteil.

Veredlungswunder Milchkuh

Im Gegensatz zum Rind besitzt der Mensch (aber auch Pferd und Schwein) nur einen Drüsenmagen. Die Kuh dagegen verfügt über einen mehrhöhligen Wiederkäuermagen, bestehend aus drei Vormägen (Grasmagen Pansen à 150 Liter, Netzmagen Haube à 8 Liter und Blättermagen à 11 Liter) sowie einem Drüsenmagen (Labmagen à 15 Liter).
Deshalb ist die Milchkuh ein wahres Veredlungsphänomen, was hier gezeigt sei am Beispiel Mittelland bei intensiver Bewirtschaftung: Eine durchschnittliche Kuh frisst in einem Jahr den Raufutterertrag einer halben Hektare Wiese und generiert damit 5500 Liter Milch – eine fast übertierliche Leistung. Denn daraus kann ein Käser zum Beispiel 100 Appenzellerlaibe à 5 kg oder 38 kg Butter oder rund 30 000 Joghurts herstellen.
Diese wundersame Verwandlung von Gras in Milch erfolgt in mehreren Schritten: Im Pansen wird das Gras aufgeweicht und mit Hilfe von Bakterien bearbeitet. Zu wenig zerkleinertes Material befördert der Netzmagen zurück ins Maul zum Wiederkäuen. Der Blättermagen entzieht dann dem Futterbrei Wasser, während sich im Labmagen die eigentliche Verdauung vollzieht. Im Darm schliesslich werden Nährstoffe aus dem verdauten Brei ins Blut überführt, das sie zum Euter transportiert, wo sich aus Wasser und Nährstoffen die Milch bildet.

Der Kreislauf der Nährstoffe

Das Prinzip Geben und Nehmen gilt auch für die Nutzung landwirtschaftlicher Ressourcen. Zielsetzung des Bauern muss daher sein: geschlossener Nährstoffkreislauf und ausgeglichene Nährstoffbilanz. Denn Gräser, Klee und Kräuter entziehen dem Boden Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphor oder Kalium. Grasfressende Nutztiere nehmen diese auf, scheiden jedoch den Grossteil davon im Kot und Harn wieder aus. Dieser Kreislauf schliesst sich durch das Ausbringen der natürlichen Dünger Mist und Gülle.
Allerdings verlassen 10 bis 20 Prozent der Nährstoffe diesen Kreislauf als Milch und Fleisch. Sie werden ersetzt durch wenig Kraftfutter und Handelsdünger. Zudem erübrigt die Fähigkeit der Kleearten, Stickstoff aus der Luft zu fixieren, eine intensive Stickstoffdüngung, wie sie im ausländischen Kunstfutterbau (= angesäte, reine Grasbestände) gang und gäbe ist.
Auch Kühe sind Feinschmecker und fressen am liebsten junge, saftige Wiesenpflanzen mit hohem Gehalt an Energie, Eiweiss, Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen. Und weil unsere Milchkühe wenig Kraftfutter erhalten, sind sie doppelt auf qualitativ hochwertiges Raufutter angewiesen. Dies führt automatisch zu einer Gratwanderung zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Intensivieren und Extensivieren.

Vielfältige Wiesentypen

Weil unsere Nutztiere Leistung erbringen müssen und man Kraftfutter sparsam einsetzen will, stammt der Hauptanteil des Raufutters von mittel und sehr intensiv bewirtschafteten Wiesen. Werden letztere vier- bis sechsmal gemäht oder beweidet, dominieren bald einmal Arten, die gegen häufigen Schnitt oder Biss resistent sind, nämlich Raigräser, Wiesenrispengras, Wiesenfuchsschwanz, Weissklee und Wiesenlöwenzahn.
In mittel intensiv bewirtschafteten Wiesen finden sich Knaulgras, hochwüchsige Kräuter wie Wiesenkerbel und Bärenklau sowie Rotklee und Luzerne in Kunstwiesen. Im Ackerbaugebiet bildet die angesäte Kunstwiese die Grundlage der Rindviehfütterung und ist zugleich wichtiges Glied in der Fruchtfolge, indem sie Unkräuter und Pflanzenkrankheiten zurückdrängt und die Bodenstruktur verbessert.
Was dem Laien besser gefällt, sind wenig intensiv oder gar extensiv bewirtschaftete Wiesen.
Typisch für erstere ist die Fromentalwiese mit Wildblumen und spätem erstem Schnitt. Ihr Ertrag ist tief, der Nutzen für die Biodiversität aber gross. Wichtigstes Beispiel einer extensiv bewirtschafteten Wiese mit nur ein bis zwei Schnitten pro Jahr ist die magere, ungedüngte Trespenwiese an trockenen Sonnenhängen. Sie ist die artenreichste Pflanzengemeinschft.

Wo sind die Blumen geblieben?

Infolge intensiver Bewirtschaftung sind artenreiche, blühende Heuwiesen besonders im Mittelland rar geworden. Doch gerade sie wären es, die auch gefährdeten Pflanzen und vielen wildlebenden Tieren (Insekten, Vögel usw.) Lebensraum bieten und zudem die Landschaft zieren und dem Auge, auch jenem der Touristen, eine wahre Weide bieten.
Damit die Pflanzen solcher Blumenwiesen versamen können, dürfen sie erst spät gemäht werden, was bedeutet, dass Futterertrag und Qualität tief sind. Und weil zudem die Gesellschaft gespalten ist (Billigprodukte versus paradiesische Verhältnisse) und die ausländische Konkurrenz grossflächiger, rationeller und daher günstiger produzieren kann, gerät der Bauer zwischen Hammer und Amboss.
Um Ökonomie und Ökologie, das heisst volle Milchkannen versus Blumensträusse, wieder in Einklang zu bringen, hat sich in der Landwirtschaft in den letzten Jahren einiges getan. Diese Quadratur des Zirkels nennt sich abgestufte Bewirtschaftung der Wiesen eines Betriebes, von intensiv (Raufutter für Leistungstiere) bis wenig intensiv (Futter für Jungvieh, Galttiere, Schafe oder Pferde). Solche Schaffung neuer naturnaher Lebensräume funktioniert dank Abgeltungen und langfristig wohl nur, wenn auch das Konsumentendenken mitzieht.

Wiesen im Vergleich

Wie unterschiedlich die Erträge verschiedener Wiesentypen am gleichen Standort sind, zeigt dieses Beispiel:
Auf einer Hektare (10 000 m²) Wiesland im Talgebiet lassen sich auf einer intensiven Gras-Weissklee-Wiese mit fünf Schnitten 12 400 Liter Milch produzieren, auf einer extensiven, blumenreichen Heuwiese bei bloss zwei bis drei Schnitten jedoch nur 6600 Liter. Dieses Gefälle gilt auch für Berggebiete, nur dass dort Futter- und Milchertrag generell tiefer sind.    •

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