Konstruktivismus: Ein Angriff auf das Leistungsprinzip

Konstruktivismus: Ein Angriff auf das Leistungsprinzip

von Willi Villiger, Reallehrer, Eggenwil AG*

Als erkenntnistheoretischer Ansatz prägt der Konstruktivismus die Geisteswissenschaften nunmehr seit drei Jahrzehnten. Seine Kernaussage lautet: Die Welt ist ein Konstrukt des menschlichen Geistes. Eine vom Geist unabhängige Wahrheit lässt sich nicht nachweisen, sondern «Wirklichkeit» ist immer abhängig vom Betrachter, und sie wird in dessen je unterschiedlich beschaffenen persönlichen Geisteswelt je individuell aufgebaut.
Auf der Grundlage dieser Überzeugung glauben gewisse Leute, beliebig neue Wirklichkeiten erschaffen zu können. So konstruieren die Sozialingenieure der Political correctness ihre «Schöne neue Welt», indem sie den Menschen vorschreiben, wie diese zu denken, zu reden und zu fühlen haben; und auf ebenderselben Grundlage konstruieren die Autoren des Lehrplan 21 mittels des überfachlichen Zieles «Gender Mainstreaming» den neuen, geschlechtsneutralen Menschen, der sein Geschlecht selber de-konstruieren und neu konstruieren können soll; auf derselben Grundlage beruht auch das «Programm zur Förderung alternativer Denkstrategien» (PFADE), ein sogenanntes Sozialkompetenzprogramm für die Volksschule, welches, – bereits vielerorts eingeführt, – die Persönlichkeit der Schüler manipuliert, ohne dass diese sich wehren können.
Mit dem Lehrplan 21 ist der konstruktivistisch geprägten Pädagogik nun der ganz grosse Wurf gelungen. Statt wie vom Bildungsrahmenartikel gefordert, einfach die Stoffprogramme, also die Lerninhalte, zu harmonisieren zwecks Erleichterung der Mobilität der Bevölkerung, wurde die Gelegenheit von der Classe pédagogique beim Schopf gepackt und ein kompletter Umbau der Volksschule aufgegleist. Lehrerbildung und Lehrerweiterbildung, Lehrmittel und Unterricht können nun zentral – an der lästigen föderalen Struktur des Landes vorbei – auf Einheitskurs getrimmt und zudem OECD- und EU-kompatibel gemacht werden.
Welches sind nun diese Neuerungen?
Diverse Bildungs-Gurus durchziehen momentan die Lande mit wohlklingenden Slogans wie: Schule der Zukunft: «Potentialentfaltung statt Belehrungskultur» – oder: «Von der Belehrungsanstalt zur Lernwerkstatt». Man riecht den Braten: Offensichtlich scheint der Stachel im Fleisch dieser antiautoritär gesinnten Lehrer-Belehrer das Wörtlein «Belehrung» zu sein. Trotzdem belehren sie uns – durchaus nicht antiautoritär – mit den sogenannt neuesten Ergebnissen der Hirn- und Unterrichtsforschung! Dies aber ist bloss alter Wein in neuen Schläuchen, denn die Forderungen der «Neuen Lernkultur» sind die klassischen Ideale der alten Reformpädagogik, von Summerhill bis Odenwald. Fratton, ein Schweizer Bildungsunternehmer, formuliert vier pädagogische Urbitten von Kindern: «Bringe mir nichts bei», «Erkläre mir nicht», «Erziehe mich nicht» und «Motiviere mich nicht».
Entsprechend lauten die didaktischen Leitsätze des pädagogischen Konstruktivismus folgendermassen: Lernen ist ein selbstgesteuerter Prozess. Daher bestimmt der Schüler idealerweise eigenverantwortlich seine Lerninhalte, seine Lernziele, sein Lerntempo und seine Lernmethoden, denn nur was er eigenmotiviert erarbeitet, vernetzt und in seiner Geisteswelt konstruiert hat, wird er später wieder abrufen können, so die Theorie. Aus diesem handlungs- und anwendungsorientierten Unterricht ergibt sich die Kompetenzen-Orientierung, von der sowohl im Lehrplan 21 als auch in der aktuellen Berufsbildung die Rede ist. Der Lehrer sollte diesen Konstruktionsprozess möglichst nicht stören, ihm wird lediglich die Rolle eines Coaches zugebilligt, der im Hintergrund die Lernprozesse seiner Schüler begleitet. Faktenwissen wird sekundär, im Vordergrund steht der Erwerb von Kompetenzen (wobei davon unterschiedlichste Definitionen kursieren); Noten widerspiegeln nicht mehr in arithmetischer Weise den Leistungsstand und werden abgelöst durch Portfolios; homogene Klassen werden nicht mehr angestrebt und ersetzt durch integrierte oder altersdurchmischte Lerngruppen, in denen alle sich auf ihren je individuellen Lernwegen befinden, ihre Arbeitsstationen abarbeiten und auf den Kompetenzrastern ihre Häkchen setzen.
Kommt das gut?
Fratton, der vom grünen Ministerpräsidenten mit dem Komplettumbau der baden-württembergischen Schule beauftragt wurde, gab bei der Landtagsanhörung zum Besten: «… keine Ahnung, was dabei herauskommt, aber schön falsch ist auch schön»! Wir hingegen glauben sagen zu können: Das kommt nicht gut, und zwar aus folgenden Gründen:
Didaktische Monokultur: Der Lehrplan 21 nimmt ausdrücklich «eine veränderte Sichtweise auf das Lernen und Lehren» für sich in Anspruch, eben den Konstruktivismus; wer jedoch eine einzige Sichtweise zum didaktischen, alleinseligmachenden Dogma erhebt, erzeugt eine Bildungs-Wüste und beschneidet zudem die Methoden- und Unterrichtsfreiheit der Lehrer aufs Massivste, nicht zuletzt durch die obligatorischen neuen Lehrmittel.
Konstruktivismus produziert Schulversager: Selbstentdeckendes und selbstgesteuertes Lernen setzt einen hohen Grad an Selbständigkeit und Disziplin voraus. Es ist wohl die anspruchsvollste Art zu lernen. Schwächere Schüler sind daher oft permanent überfordert beim Erarbeiten der vorgelegten Lernumgebungen. Ihrem Bedürfnis nach Strukturen und oft auch nach Beziehung entspräche die umsichtige Anleitung und Belehrung durch einen verantwortungsvollen Lehrer im gemeinschaftlichen Klassen-Unterricht weitaus besser.
Leistung gleich Arbeit durch Zeit: Wenn man bei dieser Formel die Zeit weglässt, hat man zwar noch die Arbeit, jedoch entfällt die Leistungsmessung. Genau dies geschieht, wenn man die Schüler in ihrem individuellen Lern-Tempo durchs Schuljahr dümpeln lässt. Auf diese Weise wird effizientes Arbeiten aus unseren Schulen verbannt. Ausserdem hat das selbständige Erarbeiten anstelle eines strukturierten Vermittelns durch einen Lehrer ebenfalls einen gewaltigen Zeitverlust und damit einen ebenso grossen Leistungsabbau zur Folge: In den letzten Jahren sind in allen wichtigen Fächern zahlreiche Unterrichtsinhalte gestrichen worden.
Lehrerbildung: Dass jungen Lehramtsanwärtern fünf Jahre ihres Lebens abgeknöpft werden, nur damit sie anschliessend zwei Fächer auf der Sekundarstufe 1 unterrichten dürfen, halte ich für masslos übertrieben. Man fragt sich ausserdem, wozu eine so lange Ausbildung, wenn diese Lehrer dann in den Schulstuben gar nicht unterrichten dürfen, sondern bloss noch in etwa die Arbeit jener netten «Senioren im Schulzimmer» verrichten dürfen, nämlich ein bisschen coachen? Wird die Lehrerbildung in Zukunft dazu dienen, den Lehrerberuf zu entprofessionalisieren, die traditionelle Lehrerrolle zu diffamieren und das Lehrerhandwerk des erfolgreichen Unterrichtens aus ideologischen Gründen zu zerstören?
Der Mythos vom «Edlen Wilden»: Rousseaus Überzeugung, dass der Mensch grundsätzlich gut sei und nur die Gesellschaft ihn schlecht mache, mündete in seine Forderung nach einer Erziehung frei von Zwängen. Seither geistert dieses sozialromantische Phantom in den Köpfen der Reformpädagogen umher. Zwar befinden sich vor allem die Kleineren in einer Entwicklungsphase, in der eine wunderschöne, natürliche Wiss- und Lernbegierde zu beobachten ist, jedoch geht diese Phase entwicklungsbedingt vorbei und die Kehrseite ist immer sichtbar: Der Hang zur Trägheit. Wer nicht lernt, sich in Selbstdisziplin zu üben, wird es schwer haben, dies später noch zu lernen. Unsere Jugend, die täglich viele Stunden vor den Bildschirmen verbringt und das Leben und zunehmend auch die Schule vornehmlich als Spass-Anlass versteht, ist in den letzten Jahren um diese Erfahrung betrogen worden: nämlich Sinn zu erfahren und Disziplin zu lernen. Disziplin und Selbstbeherrschung aber sind zivilisatorische Leistungen und für das menschliche Zusammenleben unverzichtbare Tugenden. Wer das Leistungsniveau der Volksschule hauptsächlich abhängig macht von einer bloss phasenweise vorhandenen Eigenmotivation der Schüler, der darf sich nicht wundern, wenn die Resultate am Schluss zu wünschen übrig lassen.    •

*Referat gehalten an der Deligiertenversammlung der Schweizerischen SVP 2013

Quelle: Homepage SVP, Bildungspolitik

Mit Konstruktivismus das Lernen verhindern

ds. Konstruktivismus ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche philosophische Strömungen. Die meisten und besonders die radikaleren Ausprägungen gehen davon aus, dass der Mensch nicht in der Lage ist, die Realität objektiv zu erkennen, und jeder seine eigene Wirklichkeit konstruiert.
Auf die Schule übertragen, heisst das: Das Kind soll möglichst viel selbst entdecken, damit es seine eigene Wirklichkeit ungestört entwickeln kann. Es konstruiert sich selbst und ist für seine Entwicklung weitestgehend selbst verantwortlich. Lehrer und Erzieher werden zu Begleitern einer Entwicklung, die durch das Kind selbstgesteuert wird. Der Lehrer wird zum Coach, Lernbegleiter und Moderator. Das Kind muss die Welt nicht mehr verstehen, es reicht, wenn es sich darin zurechtfindet und bewegen kann. Angestrebtes Verhalten rückt in den Fokus.
Der konstruktivistische Ansatz wurde mit den Reformen der letzten 20 Jahre in vielen Schulen bereits weitgehend umgesetzt. Die Inhalte wurden zugunsten einfacher Handlungskonzepte, sprich Kompetenzen, abgebaut. Die Folge: Immer mehr Schüler benötigen Stütz- und Fördermassnahmen. Sie können am Ende ihrer Schulzeit kaum richtig lesen und schreiben und verfügen über keinerlei Wissen über geschichtliche Zusammenhänge. Der Lehrplan 21 schreibt diese Entwicklung fest.
Mit der Relativierung aller Werte und Erkenntnisse entzieht sich der Konstruktivismus der rationalen Auseinandersetzung. Er gaukelt Toleranz vor und baut eine Welt nach seinen Vorstellungen, in der kein Widerspruch geduldet wird.
Auf einem solchen Schrott soll unsere Volksschule gebaut werden?
Das kann doch nicht wahr sein!

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