«Es ist gut bekannt, wer die Krise in der Ukraine wie auslöste»

«Es ist gut bekannt, wer die Krise in der Ukraine wie auslöste»

Rede des Aussenministers Russlands Sergej Lawrow an der 25. Sitzung des UN-Rats für Menschenrechte, Genf, 3. März 2014

Sehr geehrter Herr Vorsitzender!
Im vorigen Jahr wurde Russland erneut in den UN-Rat für Menschenrechte gewählt. Wir danken für die Unterstützung aller jener, die für uns ihre Stimme abgaben. Wir sehen das als Anerkennung des konstruktiven Beitrags unseres Landes zur multilateralen Zusammenarbeit.
Der Schutz der Menschenrechte wird zu einer Priorität der internationalen Agenda angesichts von in der globalen Entwicklung nicht nachlassenden Faktoren der Instabilität und einer Ausweitung von Risiken und Konflikten in verschiedenen Regionen. In einem bedeutenden Ausmass stehen diese Prozesse im Zusammenhang mit der andauernden Herausbildung eines neuen polyzentrischen Weltsystems. Russland geht konsequent davon aus, dass es in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen notwendig ist, alles Mögliche zu tun für die praktische Sicherung der Rechte und Freiheiten der Person und die Achtung der menschlichen Würde.
Die Menschenrechte sind eine zu ernste Frage, um aus ihnen «Wechselgeld» für geopolitische «Spiele» zu machen, um sie dazu zu nutzen, den eigenen Willen anderen aufzudrängen, und um mit ihnen Operationen für einen Machtwechsel durchzuführen. Die gesamte vorhandene Erfahrung zeigt, dass eine letzten Endes auf einen Machtwechsel hinauslaufende Einmischung unter dem Vorwand des Schutzes der Zivilbevölkerung zum gerade gegenteiligen Resultat führt. Sie vergrössert die Leiden der Zivilbevölkerung und entzieht dieser das grundlegendste Menschenrecht, nämlich das Recht auf Leben.
Alle inneren Krisen müssen durch einen Dialog aller politischen Kräfte, aller ethnischen und konfessionellen Gruppen im verfassungsmässigen Rahmen und unter Achtung der internationalen Verpflichtungen gelöst werden, darunter auch nicht zuletzt der Verpflichtungen bezüglich des internationalen humanitären Rechts, des Schutzes der Menschenrechte und der Rechte der nationalen Minderheiten. Dabei ist die entschlossene Abgrenzung gegenüber Extremisten von prinzipieller Wichtigkeit, denn diese versuchen mit illegalen Mitteln, die Situation unter ihre Kontrolle zu bringen, und schrecken dabei nicht vor Gewalt und offenem Terror zurück.
Die dargelegten Vorgehensweisen zur Beilegung von Konflikten sind sowohl in Syrien als auch in der Ukraine sowie in jedem anderen Land anwendbar.
Es ist gut bekannt, wer die Krise in der Ukraine wie auslöste. Einige unserer Partner bestritten die absolut legitimen Handlungen der gesetzlichen Macht, schwenkten um zur Unterstützung von Antiregierungsauftritten und ermunterten ihre Teilnehmer, welche zu aggressiven Gewalthandlungen übergingen. Es folgten Erstürmungen und Inbrandsetzungen von Verwaltungsgebäuden, Überfälle auf die Polizei, Plünderungen von Waffenlagern, Verhöhnungen von offiziellen Personen in den Regionen und grobe Einmischungen in die Angelegenheiten der Kirche. Das Zentrum Kiews und viele Städte in der West­ukraine wurden von bewaffneten Nationalradikalen unter extremistischen, antirussischen und antisemitischen Losungen in Beschlag genommen.
Am 21. Februar – nach fast dreimonatiger Unordnung und Gesetzlosigkeit – wurde ein Abkommen zwischen dem Präsidenten der Ukraine und der Opposition erzielt, welches auch die Aussenminister Deutschlands, Polens und Frankreichs unterzeichneten. Die politische Führung verzichtete auf die Verhängung des Ausnahmezustandes und zog die Sicherheitskräfte von den Strassen ab. Die Opposition erfüllte keinen einzigen Punkt. Illegale Waffen wurden nicht abgegeben, die öffentlichen Gebäude und die Strassen Kiews wurden nicht vollständig geräumt, und die Radikalen kontrollieren weiterhin die Städte. Anstatt der versprochenen Schaffung einer Regierung der nationalen Einheit wurde die Bildung einer «Regierung der Sieger» verkündet.
Das Parlament der Ukraine fasste Beschlüsse, welche die Rechte der sprachlichen Minderheiten beschränken, entliess die Richter des Verfassungsgerichts und besteht auf der Einleitung eines Strafverfahrens gegen sie. Es werden Forderungen erhoben, die Verwendung der russischen Sprache zu beschränken und sogar unter Strafe zu stellen, unbequeme politische Parteien zu verbieten und Lustrationen durchzuführen. Das heisst, die «Sieger» wollen die Früchte ihres «Sieges» für eine Attacke auf die Rechte und Grundfreiheiten des Menschen nutzen.
Das alles rief Empörung in den östlichen und südlichen Gebieten der Ukraine und in der Autonomen Republik Krim hervor, wo Millionen Russen leben und keine Wiederholung eines solchen Szenariums bei sich wollen. In einer Situation mit ständigen Drohungen von Gewaltanwendung durch die Ultranationalisten, welche das Leben und die Interessen der Russen und der gesamten russischsprachigen Bevölkerung gefährden, wurden Selbstschutzorganisationen gegründet, die bereits Versuche der gewaltsamen Einnahme von Verwaltungsgebäuden auf der Krim und die Einfuhr von Waffen und Munition auf die Halbinsel unterbinden konnten. Es gibt Informationen über die Vorbereitung von neuen Provokationen, darunter auch gegen die Schwarzmeerflotte auf dem Territorium der Ukraine.
Unter diesen Bedingungen wandten sich die gesetzlich gewählten Behörden dieser Autonomen Republik an den Präsidenten Russlands mit der Bitte um Unterstützung bei der Wiederherstellung der Ruhe auf der Krim.
In voller Übereinstimmung mit der russischen Gesetzgebung wandte sich der Präsident Russlands im Zusammenhang mit der ausserordentlichen Situation in der Ukraine, der Bedrohung des Lebens von russischen Staatsbürgern, unserer Landsleute, sowie des Personals der Schwarzmeerflotte der Russischen Föderation in der Ukraine an den Föderationsrat mit dem Ersuchen um Erlaubnis für den Einsatz der Streitkräfte auf dem Territorium der Ukraine bis zur Normalisierung der gesellschaftspolitischen Lage in diesem Land.
Der Föderationsrat gab dem Ansuchen statt, welches, so hoffen wir, die Radikalen ein wenig zur Vernunft bringt. Ich wiederhole, es geht um den Schutz unserer Bürger und Landsleute, um den Schutz des wichtigsten Menschenrechts – des Rechts auf Leben.
Diejenigen, welche die Lage als Aggression zu interpretieren versuchen, drohen mit allen möglichen Sanktionen und Boykotten. Das sind dieselben Partner, welche konsequent und beharrlich die ihnen nahestehenden politischen Kräfte zu Ultimaten und zur Verweigerung des Dialogs, zur Ignorierung der Befürchtungen des Südens und Ostens der Ukraine und letzten Endes zur Polarisierung der ukrainischen Gesellschaft ermunterten. Wir rufen dazu auf, eine verantwortungsvolle Position einzunehmen, geopolitische Überlegungen hintanzustellen und die Interessen des ukrainischen Volkes an oberste Stelle zu setzen. Notwendig ist die Umsetzung der im Abkommen vom 21. Februar festgelegten Verpflichtungen, darunter auch der Beginn der Verfassungsreform unter Teilnahme und voller Berücksichtigung der Meinung aller Regionen der Ukraine für eine nachfolgende Abstimmung in einem gesamtnationalen Referendum.
Ein realer Fortschritt bei den Aktivitäten der internationalen Gemeinschaft im Bereich der Menschenrechte kann nur auf Grundlage einer gleichberechtigten Zusammenarbeit, eines sich gegenseitig achtenden Dialogs und der Stärkung des Vertrauens zwischen den Staaten geschehen. Gerade ihnen kommt als Garanten der Gesetzmässigkeit auf ihrem Territorium die Hauptverantwortung für die Wahrung der Menschenrechte zu.
Um effektiv zu sein, müssen die solidarischen Bemühungen zur Förderung und den Schutz der Menschenrechte unter unbedingter Einhaltung der allgemein anerkannten Normen und Prinzipien des Völkerrechts erfolgen, in erster Linie der UN-Charta, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und anderer grundlegender Dokumente, die im Rahmen der Uno, der OSZE und des Europarats angenommen wurden.
Dabei verfügt kein einziges Land oder eine Ländergruppe über ausschliessliche Vollmachten zur einseitigen Schaffung von gewissen neuen «Verhaltensnormen», die sich nicht auf eine universelle Grundlage stützen. Das Aufdrängen von eigenen Interpretationen menschenrechtlicher Standards kann nur die interkulturellen und interreligiösen Widersprüche verstärken, riskiert die Entstehung eines Zivilisationskonflikts und unterwandert die Bemühungen zur Schaffung eines nachhaltigen Systems für die globale Entwicklung.
In letzter Zeit wurden in mehreren Staaten die Anhänger von ultraliberalen Positionen vehement und äusserst aggressiv aktiv, welche allgemeine Freizügigkeit und Hedonismus predigen und die Neufestlegung der moralischen und sittlichen Werte, die allen Weltreligionen gemein sind, fordern. Solche Handlungen sind für die Gesellschaft zerstörerisch und höchst verderblich für die Erziehung der heranwachsenden Generation. Die Kinder müssen vor Informationen geschützt werden, die ihrer Psyche Schaden zufügen und ihre Würde herabsetzen. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass die Bestimmungen des Internationalen Pakts über bürgerliche und menschliche Rechte die Möglichkeit vorsehen, auf gesetzlichem Wege die Rechte und Freiheiten im Interesse des Schutzes der Gesundheit und der Sittlichkeit der Bevölkerung sowie der gesellschaftlichen Sicherheit und Ordnung einzuschränken.
Wir treten konsequent für die Berücksichtigung der kulturellen und historischen Besonderheiten verschiedener Völker ein und betonen die Wichtigkeit der Resolution des UN-Menschenrechtsrats, in der bestätigt wird, dass ein tieferes Verständnis und die Achtung der traditionellen Werte zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten beitragen.
In der weiteren Arbeit des Rats halten wir die Wahrung der Aufmerksamkeit gegenüber allen Rechtskategorien für wichtig – den zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten sowie auch dem Entwicklungsrecht.
Wir halten die Stärkung und Entwicklung der normativen Rechtsbasis im Menschenrechtsbereich für notwendig. Zu diesem Zweck legen wir in der laufenden Sitzung des Rats den Resolutionsentwurf «Die Ganzheit des Gerichtssystems» zur Prüfung vor und hoffen auf seine Unterstützung.
Die stürmische Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien erfordert grosse Aufmerksamkeit gegenüber den Folgen der fast unbegrenzten Möglichkeiten des Zugangs zur Information und des Informationsaustauschs. Die vor kurzem aufgetauchten Fakten werfen ernste Fragen auf, konkret über die Angemessenheit der Sicherheitsinteressen gegenüber der Einmischung in die Privatsphäre der Menschen und das Ausmass der Kontrolle der Medien durch den Staat.
Das Thema der Menschenrechte im Rahmen des Internets muss nicht nur im Kontext der Freiheit des Wortes betrachtet werden, sondern auch vom Standpunkt der Achtung von anderen Rechten, wie etwa die Unantastbarkeit der Privatsphäre und das Recht auf geistiges Eigentum. Wir erwarten, dass mit der Annahme der Resolution der Uno-Generalversammlung 68/167 «Das Recht der Unantastbarkeit der Privatsphäre im digitalen Zeitalter» die praktische Ausarbeitung von genauen Verhaltensregeln in diesem Bereich beginnen wird.
Im heurigen Jahr wird die internationale Staatengemeinschaft den 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs begehen und im nächsten Jahr den 70. Jahrestag des Sieges über den Nazismus und der Einrichtung des Nürnberger Militärgerichtshofs. Diese Daten dienen als Mahnung daran, zu welchen furchtbaren Folgen der Glaube an die eigene Ausschliesslichkeit und die Missachtung der grundlegenden Moral- und Rechtsnormen führen kann.
Entschlossen und gemeinsam muss Versuchen entgegengetreten werden, die Nazis und ihre Handlanger zu rechtfertigen und zu heroisieren, die Denkmäler für die Befreier Europas von der «braunen Pest» zu schänden. Auf breite Ablehnung in der Welt der menschenverachtenden Ideologie stiess die von der überwältigenden Mehrheit der Uno-Mitglieder unterstützte Resolution der Generalversammlung 68/150 «Kampf gegen die Heroisierung des Nazismus und anderer Praktiken, die zu einer Eskalierung der modernen Formen des Rassismus, der Rassendiskriminierung, der Fremdenfeindlichkeit und der mit ihr verbundenen Intoleranz führen».
Vor einer Woche setzte die internationale Gemeinschaft diesen schändlichen Erscheinungen ihre Verpflichtung gegenüber den hohen Prinzipien der Olympischen Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte entgegen. Die Sportlerinnen und Sportler aus 88 Ländern schenkten der Welt ein Fest, das die gegenseitige Offenheit, eine Atmosphäre der Freundschaft, des Vertrauens und der Toleranz demonstrierte und zur Stärkung der humanitären Kontakte beitrug.
In der Konzeption der Menschenrechte ist ein mächtiges Vereinigungspotential enthalten. Würde, Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Toleranz gegenüber anderen sind dazu berufen, das gegenseitige Verständnis und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten und Völkern zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung und des Wohlergehens der gesamten Menschheit zu stärken.    •

Quelle: Aussenministerium der Russischen Föderation. Offizielle Seite. Dokumente und Beiträge des Aussenministeriums der Russischen Föderation vom 3.3.2014

«Die Menschenrechte sind eine zu ernste Frage, um aus ihnen ‹Wechselgeld› für geopolitische ‹Spiele› zu machen […] und um mit ihnen Operationen für einen Machtwechsel durchzuführen.»

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