Jetzt ist alles wieder klar: La Suiza exista!

Jetzt ist alles wieder klar: La Suiza exista!

«Alphörner statt Hellebarden» – der Knüller an der Expo Milano

von Heini Hofmann

An der Weltausstellung 2015 in Mailand war das Alphorn-Rekordkonzert das grösste Highlight mit weitaus intensivstem Medienecho, womit die an der Expo in Sevilla begangene Nestbeschmutzung klar korrigiert wurde: La Suisse existe – gestern, heute und morgen!

Wer das vor Ort miterleben konnte, war fasziniert: Bei schönstem Sonnenschein zuerst ein Auftritt beim Schweizer Pavillon in der Expo und dann der Exploit auf der majestätischen Piazza della Madonnina vor dem Mailänder Dom mit 425 Alphornbläsern (darunter erstaunlich viele Frauen), dazu Fahnenschwinger, Tambouren und (unbewaffnete) Hellebardisten, alle in Tracht – ein Monsterkonzert der Superlative mit Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. Die Schweiz krönte die Expo 2015 mit dem publikumswirksamsten Highlight.

Psychedelisches Klangerlebnis

Eine klangtechnisch idealere Freilichtbühne als den Domplatz in Mailand hätte man kaum finden können: In Front die himmelstrebende Fassade des gotischen Bauwunders, rechteckig um den Platz angeordnet ebenfalls monumentale Prachtbauten. In dieser nur zum Himmel hin geöffneten Freiluft-Konzerthalle erzeugten die 425 Kultinstrumente aus den Schweizer Bergen eine noch nie in dieser Dichte erlebte, im wahrsten Sinne des Wortes archaisch-psychedelische Klangsäule.
Also ein ähnlicher Outdoor-Klangeffekt, wie er in der Schweiz – nicht in der Tonalität, aber bezüglich Intensität – wohl nur bei einem Ereignis zu erleben ist, nämlich wenn an der Basler Fasnacht um punkt 4.00 Uhr morgens alle Lichter erlöschen und es heisst «Morgestraich – vorwärts marsch!» und sich aus allen Gassen und Strassen der gesamten Innerstadt gleichzeitig Trommelschläge und Piccolotöne in einer dichten Klangsäule himmelwärts erheben. Der allerhöchste Genuss solch dichter Klangerlebnisse wäre wahrscheinlich nur von hoch oben aus einem Fesselballon möglich.
In Mailand, gegenüber dem Dom, überblickte von einer kolossalen Reiterstatue herab König Vittorio Emanuele II. das Geschehen. Er, der Re cacciatore, sah wohl nur deshalb grossmütig-wohlwollend auf die vielen Schweizer herab, deren Vorfahren seinem Nachnachfolger 1906 aus dem königlichen Jagdrevier drei Steinkitze gestohlen hatten, weil dadurch das Steinwild alpenbogenweit bis heute erhalten blieb, womit die Straftat retrospektiv zur Guttat mutierte …

Positive Signale mit Wirkung

500 Jahre nach der verlorenen Schlacht bei Marignano hat nun also am 26. September 2015 erneut ein Schweizer Kontingent die Lombardei heimgesucht, diesmal allerdings in friedlicher Absicht, mit Alphörnern statt Hellebarden, mit Musik statt Waffen. Noch nie vorher gab es ein Konzert im Ausland mit derart vielen Alphornisten. Weil unser Nationalinstrument nicht nur unverwechselbar, sondern auch bodenständig und dadurch echt und vertraut wirkt, generiert es Sympathie und Goodwill für unser Land, ein in den momentan schwierigen Zeiten willkommener Effekt.
Mit diesem gigantischen Alphorn-Event wollten die Organisatoren im Rahmen der Expo Milano nicht nur Italien, sondern die ganze Welt auf vier wichtige Marksteine der Eidgenossenschaft aufmerksam machen: 500 Jahre Neutralität (Marignano/Mailand, 1515), 200 Jahre Friede und Unabhängigkeit (Wiener Kongress, 1815) und – mit Blick in die Zukunft – 725 Jahre Schweiz (2016) sowie Eröffnung des mit 57 km längsten Eisen­bahntunnels der Welt (Gotthard, 2016).

«Tü-ta-too» – «Post-au-too»

Beide Konzerte – an der Expo und auf dem Domplatz – begannen mit der Ouvertüre zur Oper «Wilhelm Tell» von Gioachino Rossini, einem der grössten italienischen Komponisten, der mehrere seiner Werke in der Mailänder Scala uraufgeführt hat. Aus dem Andante dieser Ouvertüre stammt der berühmte Dreiklang mit der Tonfolge cis-e-a in A-Dur, bekannt seit 1923 als «Tü-ta-too»-Ohrwurm aus dem Signalhorn der gelben Schweizer Postautos.
Wenn vor Engnissen auf Passstrassen der Postautochauffeur diesen Dreiklang ertönen lässt, applaudieren die ausländischen Touristen, und Schweizer Reisende erinnern sich an frühere Schulreisen. Denn dieser Dreiklang ist mehr als ein Verkehrssignal, er ist eine Art technischer Bet-Ruf, der, gleich wie das Alphorn, heimatliche Gefühle weckt.
Neben Rossinis «San Gottardo» kamen noch zwei weitere Stücke zur Uraufführung, nämlich «Expo Milano» und «Die Schlacht von Marignano». Der Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde, der nur noch die formellen Hürden nehmen muss, dürfte gesichert sein. Das ist aber der ganzen Alphornfamilie weniger wichtig als der persönliche Stolz jedes einzelnen, zum Gelingen mit beigetragen zu haben.

Logistische Parforceleistung

Das Verrückte an dieser Geschichte: Alle 425 Alphornbläser und -bläserinnen konnten vor den beiden Konzerten in Mailand nie gesamthaft proben. Wohl gab es in verschiedenen Landesteilen für alle Teilnehmer obligatorische Generalproben in grösseren Verbänden. Doch die beiden Konzerte in Mailand waren dann Feuerprobe und Liveauftritt in einem. Aber es hat perfekt funktioniert, weil alle ihr Bestes gaben – diszipliniert im Auftritt und stark im Ton.
Und ebenso erstaunlich die Organisation: Aus allen Kantonen der Schweiz zusammengewürfelte Trachtenleute, begleitet von Bundesrat Ueli Maurer im Kühermutz, zeigten der Welt, wozu eine Willensnation an deren Basis fähig ist. Im Verbund mit den Schweizer Ikonen Alphorn, SBB und PostAuto reisten sie an einem Tag (etliche mussten dafür vor vier Uhr morgens aufbrechen) mit viel Goodwill und einem gesponserten Znünisäckli zum Monsterkonzert in Mailand und abends mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fröhlich wieder nach Hause – ohne einen Zwischenfall.

Zur Nachahmung empfohlen

Auch die Idee für diesen einfach gestrickten, aber überaus effizienten Wertschöpfungsanlass kam nicht aus Touristiketagen, sondern von der Basis. Initiant war das Alphorn-Ensemble Engiadina St. Moritz mit Hans Peter Danuser, dem früheren Kurdirektor von St. Moritz.
Das Patronat oblag Karin Niederberger aus Malix, der Präsidentin des Eidgenössischen Jodlerverbandes, und für die Projektleitung zeichnete Christian Durisch aus Chur verantwortlich, erfahren bezüglich Auslandexpedition (2008 «Graubünden in Berlin» – mit über 300 Alpziegen). Dass der Assessore alla Cultura (Stadtrat für Kultur), der in Mailand die Schweizer Hornisten begrüsste, Filippo del Corno hiess, war wohl nur das Tüpfchen auf dem i eines durchdachten Markenmanagements …
Kurz: Diese friedliche, vom Engadin aus angestossene Schweizer Demo «Alphörner statt Hellebarden» an der Weltausstellung in Mailand hat, bei minimalem Kostenaufwand und breit abgestützter Freiwilligenarbeit, weltweit mit Abstand das grösste Medienecho ausgelöst und könnte vielleicht Fingerzeig dafür sein, dass man sich – auch bei zukünftigen Landes- und Weltausstellungen – wieder vermehrt auf eigene Grundwerte besinnt. Sie wirken nachhaltiger als manch intellektuell-gekünstelter Sauglattismus. Statt «La Suiza no exista» heisst es jetzt international wieder «La Suisse existe – mehr denn je!»    •

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