«Den Bedürfnissen der Menschen in humanitären Krisen gerecht werden»

«Den Bedürfnissen der Menschen in humanitären Krisen gerecht werden»

Interview mit DEZA-Direktor Botschafter Manuel Sager

Zeit-Fragen: Sie waren in Jordanien. Welchen Eindruck bringen Sie von dort mit?

Manuel Sager: Je näher man an den Konflikt im Nahen Osten und im besonderen an den Konflikt in Syrien herankommt, um so komplexer wird das Bild, das man erhält, und zwar nicht nur über die politische, sondern vor allem auch über die humanitäre Lage.

Wo und wie haben Sie das gesehen?

Ich hatte die Gelegenheit, zwei Flüchtlingslager zu besuchen, ein syrisches und ein palästinensisches. Im syrischen Lager stellt die Versorgung der Menschen mit dem Nötigsten eine grosse Herausforderung dar: Gibt es genügend sauberes Wasser, sind genügend Nahrungsmittel vorhanden, stehen jetzt im Winter genügend Kleider zur Verfügung?
In Jordanien ist es zu dieser Jahreszeit genauso kalt wie hier. Ich hatte es mir wärmer vorgestellt, aber das ist nicht der Fall. Die Menschen frieren dort. Allein die Flüchtlinge mit den elementaren humanitären Grundbedürfnissen zu versorgen, ist ein riesiges Problem.

Wie bewältigt das Jordanien?

Das ist der andere Aspekt: Die Belastung für Jordanien und dessen staatliche Strukturen und Institutionen, für das Gesundheitssystem, das Bildungssystem, für das soziale Netz usw. ist enorm. Das System ist durch die rund 600 000 syrischen Flüchtlinge einer sehr grossen Belastung ausgesetzt. Die jordanische Regierung selbst spricht von 1,2 Millionen Flüchtlingen. Es gibt also eine grosse Dunkelziffer. Unser Engagement muss dahin gehen, der jordanischen Gesellschaft zu helfen, mit diesem grossen Flüchtlingselend fertig zu werden.

Wie sieht es im palästinensischen Flüchtlingslager aus?

Wenn Sie dort hinkommen, haben sie den Eindruck, eine grössere Stadt zu betreten. Das Lager Jerash ist unterdessen die viertgrösste Stadt in Jordanien. Hier stehen relativ stabile Bauten, und die Schweiz hat mit der DEZA das ganze Abwassersystem aufgebaut, was sehr zur Verbesserung der Lebensqualität der Flüchtlinge beigetragen hat.

Wo sehen Sie den Schwerpunkt im Engagement der DEZA für das Jahr 2015?

Es gibt verschiedene Schwerpunkte. Einer ist sicher, den Bedürfnissen der Menschen in den verschiedenen humanitären Krisen so gut wie möglich gerecht zu werden. Leider ist in keiner dieser Krisen das Ende unmittelbar in Sicht. Auch in der eigentlichen Entwicklungszusammenarbeit stehen weitere Weichenstellungen an.

Was sind das für «Weichenstellungen»?

Zum ersten Mal sollen dieses Jahr in der wirtschaftlichen Entwicklung auch Ziele zum Schutz der Umwelt und der gerechten Verteilung des Wohlstands für die Menschen formuliert werden. Es wird ein entscheidendes Jahr für die sogenannten «Ziele für eine nachhaltige Entwicklung» – «sustainable development goals» beziehungsweise SDG, die die Milleniums-Entwicklungsziele ablösen. Die Diskussionen an verschiedenen Konferenzen werden potentielle Zielkonflikte und Interessensgegensätze aufzeigen. Diese werden wir lösen müssen.

Auch in Addis Abeba ist eine Konferenz geplant. Was soll hier erreicht werden?

Das ist eine ganz wichtige Konferenz. Es geht um die Finanzierung der SDG. Hier steht die Frage im Raum, wer was zur Entwicklungsfinanzierung beitragen soll. Was sind die speziellen Erwartungen an die Geberländer, an den Norden beziehungsweise an die entwickelten Industrienationen? Was sind die Erwartungen an die Entwicklungsländer selbst, vor allem was die nachhaltige Politik angeht? Wirtschaftliche Entwicklung ist nicht in erster Linie eine Frage des Geldes, sondern vom politischen Handeln abhängig, und zwar sowohl in entwickelten als auch in den Entwicklungsländern. So liegt es in erster Linie an diesen selber, geeignete Rahmenbedingungen für einen leistungsfähigen Privatsektor oder ein transparentes und effizientes Steuersystem zu schaffen, das es ihnen ermöglicht, staatliche Aufgaben zu finanzieren.
Die wirtschaftliche Entwicklung sollte natürlich nachhaltig sein und nicht zu Lasten der natürlichen Lebensgrundlage späterer Generationen erfolgen. Das erfordert neue Technologien, das erfordert Innovation und das muss finanziert werden.

Nach Ihren Ausführungen ist eines sicher, die segensreiche Arbeit der DEZA wird auch in Zukunft für viele Entwicklungsländer und die darin lebenden Menschen von grösster Bedeutung sein.

Ja, die Arbeit der DEZA ist und bleibt wichtig. Es wäre schön, sich eine Welt vorzustellen, in der unsere Arbeit nicht mehr nötig wäre. Die Realität wird aber auf absehbare Zeit leider eine andere sein.

Herr Botschafter Sager, vielen Dank für das Gespräch.     •
(Interview Thomas Kaiser)

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