USA: gemischtes Bild mit beunruhigender Unternote

USA: gemischtes Bild mit beunruhigender Unternote

Einer unserer Redaktoren bereist derzeit Nordamerika und analysiert Land und Leute. Schwerpunkt USA und Kanada. Rund 100 Tage vor der Präsidentenwahl zeigen die USA ein gemischtes Bild mit beunruhigender Unternote. Pessimistische Ökonomen sprechen gar von einem sich abzeichnenden Wirtschafts-Crash auf Grund der desolaten wirtschaftlichen Lage vieler amerikanischer Regionen, Gemeinden und Städte. Zudem bleibt die Arbeitslosigkeit auf einem sorgenerregenden Stand von 8,2 Prozent gemäss offiziellen Statistiken. Diese Statistiken sind aber – da sind sich viele Ökonomen einig – stark geschönt, ja eigentlich verzerrt! Sie berücksichtigen nicht die Millionen von ausgesteuerten Langzeitarbeitslosen, die durch alle sozialen Netze gefallen sind. Auch werden alle Arbeitslosen, die in sogenannten Arbeitsprogrammen und Ausbildungskursen temporär eingebettet sind, nicht berücksichtigt. Wir haben «echte» Statistiken gesehen, die von Arbeitslosenzahlen von 16 bis 18 Prozent sprechen. Viele Arbeitslose melden sich schon gar nicht mehr bei den Ämtern, um deren Auflagen nicht erfüllen zu müssen.
Auf dem breiten Band zwischen Pazifik (Kalifornien) und dem Atlantik (New York) sind zig Städte, Regionen und Bundesstaaten in finanziellen Nöten, können die wichtigsten Alltagsaufgaben nicht mehr erfüllen. Amerika hat – bei genauer Betrachtung des täglichen Lebens – viel vom einstigen Glanz verloren. Land der Hoffnung und der Zukunft? Für viele nur noch Schnee von gestern! Die einst blühende kalifornische Stadt Stockton (150 km östlich von San Francisco, 300 000 Einwohner) ist ein schockierendes Beispiel. Die Stadtbehörden haben in diesen Wochen den Stadtbankrott (Chapter 9) erklärt. 700 Millionen Dollar Nettoschulden und noch genau 5000 Dollar Bares in der Stadtkasse. Beamte, Polizisten und Feuerwehrleute sind ohne Sold und Salär. Der Strom ist abgestellt, und nur dank einer gerichtlichen Verfügung werden die Haupt­strassen usw. noch notdürftig beleuchtet. Der Staat Kalifornien erklärt sich ausserstande, finanzielle Hilfe zu leisten, da er selbst jeden Tag am Staatsbankrott vorbeischeppert. Ein von der Stadt veröffentlichtes Schuldenverzeichnis über 211 Seiten (!) zeigt, dass viele KMU der Stadt Gläubiger sind. Sie werden nicht nur grosse Verluste ausweisen müssen, sondern auch als Steuerzahler der Zukunft ausfallen. Ein Teufelskreis.
Auch weitere Bundesstaaten wie das «Altersheim» Florida stehen vor dem Staatsbankrott. Der Zentralstaat USA muss inzwischen im Jahresrhythmus die Schulden­obergrenze anheben, um über die Aufnahme neuer Schulden seine Rechnungen begleichen zu können. Die USA, Supermacht der vergangenen 60 Jahre, stehen mit über 15 Billionen astronomischen Schulden in der Kreide. Täglich müssen sie an den internationalen Kapitalmärkten 1 bis 2 Milliarden Dollar neue Schulden machen, nur um die Zinseszinsen begleichen zu können. Eine für Finanzleute ausweglose Situation, die sich über kurz oder lang in einem weiteren Rückgang des Dollarkurses manifestieren wird. Grosse Sorgen macht die notleidende Infrastruktur der USA. Sie wurde während Jahrzehnten sträflich vernachlässigt. Hier ein Beispiel: Von den 600 000 Brücken in den USA wurden kürzlich vom Army Corps of Engineers 160 000 oder jede vierte Brücke als nicht mehr sicher oder gar einsturzgefährdet bezeichnet. «Das amerikanische Strassennetz und die Strassen der Innenstädte zerbröseln langsam, aber sicher», lautet eine der traurigen Feststellungen. Geld fehlt auch in den Kassen für soziale Belange. Viele Städte und Gemeinden sind nicht mehr in der Lage, die Pensionsansprüche zu erfüllen. Obwohl Pensionäre ein Leben lang einbezahlt haben, ist kein Geld mehr in den Töpfen vorhanden. Es wurde jahrelang von den Gemeinden und Städten geschändet und verbraucht. Heute fungieren die Pensionsansprüche unter Gläubiger-Guthaben.
Die USA haben derzeit 307 Millionen Einwohner. Erstaunlicherweise gibt es nur gerade neun Städte, die Millionen Einwohner haben. Es sind dies: New York (8,2 Millionen), Los Angeles (3,8), Chicago (3,0), Houston (2,1), Philadelphia (1,5), Phoenix (1,5), San Antonio (1,3), San Diego (1,3) und Dallas (1,2). In 100 Tagen wird ein neuer Präsident gewählt. Vieles spricht dafür, dass mit der Wahl die letzten Tage als Supermacht anbrechen. Denn direkt mit dem Amtsantritt muss der neue (alte?) Mann im Weissen Haus das erste grosse Problem umschiffen, den sogenannten «Fiscal Cliff». Das ist der Spagat zwischen dem Auslaufen von Steuerbegünstigungen bei gleichzeitigem Eintreten von drastischen Etatkürzungen im öffentlichen Haushalt. Es ist die amerikanische Rasenmäher-Methode, die die Wirtschaft ernstlich bedroht! Kurzer Rückblick: Im November 2011 konnte sich das «Super-Komitee», eine Gruppe von Demokraten und Republikanern, nicht über einen Sparplan von 1,5 Billionen Dollar einigen. Kommt keine neue Bewegung in die Diskussion, treten im Januar kommenden Jahres automatische Haushaltskürzungen in Kraft. Per Rasenmäher-Methode werden bis auf wenige Ausnahmen alle Etats gekürzt – im Sozialbereich genauso wie beim Militär. Und das in einer Zeit, zu der auch viele Steuervergünstigungen auslaufen.    •

Quelle: Vertraulicher Schweizer Brief, Nr. 1330 vom 2.8.2012

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