Vom Widerspruch zum aufrechten Gang

Vom Widerspruch zum aufrechten Gang

von Anton Friedrich

Die zunehmende Bedeutung von Volksbefragung, Volksinitiative und Volksentscheid im Euro-Raum für die Gestaltung politischer Entscheidungen durch den Souverän, also die wahlberechtigte Bevölkerung eines Landes, kann an einigen Beispielen exemplarisch dargestellt werden.

Island ist ein hervorragendes Anschauungsbeispiel als Alternative zur Bankenrettung auf Kosten der Steuerzahler. Die Isländer haben die gängige Praxis im Euro-Raum nicht nur kritisiert, sondern sie haben in zwei Volksabstimmungen mit der eindeutigen Mehrheit der Wahlbevölkerung ihre Regierung dazu gezwungen, bereits beschlossene Sozialisierungen der Bankenschulden zu verhindern. Der diplomatische Frost zwischen Island einerseits und Grossbritannien und den Niederlanden andererseits, deren Banken nun für ihre Schulden selbst haften müssen, lässt die Mehrheit der Isländer kalt. Frostig ist es oft auf Island, aber die heimischen Geysire wärmen von innen. Ein Beispiel, das Schule machen sollte.
Die Österreicher haben sich in einer Volksbefragung mit grosser Mehrheit dafür ausgesprochen, die Wehrpflicht und den Zivildienst beizubehalten. Die Beteiligung an der Abstimmung lag mit 50% der Bevölkerung deutlich über den Erwartungen. Nur 40% waren für ein Berufsheer und einen zivilen Freiwilligendienst. 60% der Abstimmenden haben für die Erhaltung der Wehrpflicht gestimmt. Den Verfechtern eines Berufsheeres (SPÖ, BZÖ, Grüne und Team Stronach) wäre es schwergefallen, sich über das Votum des Volkes hinwegzusetzen. Obwohl die Volksbefragung rechtlich nicht verbindlich ist, haben sich alle Parteien verpflichtet, das Votum des Volkes zu respektieren. Ob der Ausgang dieser Volksbefragung bereits von Relevanz für die Nationalratswahlen im Herbst ist, wird von Gegnern und Befürwortern der allgemeinen Wehrpflicht verständlicherweise sehr unterschiedlich beurteilt. Die Rolle des bisher in Kanada lebenden Milliardärs Frank Stronach, der eine Zeitlang als Retter der Adam-Opel-Werke in Deutschland galt, ist nach seiner Rückkehr nach Österreich eher zweideutig. Einerseits empfahl das Team Stronach den Ausstieg aus der allgemeinen Wehrpflicht, andererseits orientieren sie sich an dem französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulles, an seiner Version von einem Europa der Vaterländer. Den Vertrag von Lissabon will das Team Stronach zwar nicht kündigen, aber eine weitere Zentralisierung in Europa verhindern. Der Euro und der ESM werden zwar kritisch hinterfragt, aber keine realen Alternativen aufgezeigt. Frank Stronach muss die Karten erst noch auf den Tisch legen: Will er eine Agenda 2013 light für Österreich, oder will er raus aus dem Euro?
In Irland hat der Kollaps des aufgeblasenen Immobilienmarktes das ganze Land an den Rand des Ruins gebracht. 2008 platzte die Blase. Viele Iren wurden wohnungs- und arbeitslos. Die Regierung in Dublin verordnete dem Land einen rigiden Sparkurs auf Kosten der Steuerzahler und Sozialhilfeempfänger. Und heute? Die irische Wettbewerbsfähigkeit steigt, und Irlands Wirtschaftsleistung ist 2012 doppelt so stark gewachsen wie im Euro-Raum insgesamt. Nun empfehlen Goldman Sachs und andere wieder Investitionen in Irland, zumal der Internationale Währungsfond erwartet, dass Irland 2013 zu den Spitzenreitern des Wirtschaftswachstums in Eu­ropa zählen und sich damit erfolgreich gegen die Konjunkturflaute stemmen wird. Irland hat aus Sicht seiner Regierung schlechte Erfahrungen mit EU-Referenden gemacht und steht nicht im Verdacht, Grossbritannien ermuntert zu haben, das britische Volk zu befragen. Die irische Regierung hat gerade die rotierende EU-Präsidentschaft übernommen. Aber das irische Volk, der keltische Tiger, ist zurück. Jetzt muss er nur noch springen.
Die Briten wollen in einem Referendum darüber abstimmen, ob sie in der EU bleiben wollen oder nicht. Der britische Premierminister David Cameron sagte in seiner Grundsatzrede zu Europa, das britische Volk müsse eine «klare Wahl» haben und begründet dies mit der «wachsenden Frustration» der Briten über die EU: «Es wird Zeit, dass das britische Volk zu Wort kommt … Britannien ist immer eine europäische Macht gewesen und wird dies immer bleiben … Ich bin kein Isolationist.» Gleichwohl müsse Britannien sein Verhältnis zur EU neu verhandeln. In einer ersten Stellungnahme hielt sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sehr bedeckt, als sie sagte, man müsse «immer im Auge haben, dass andere Länder auch andere Wünsche haben». Der deutsche Aussenminister Guido Westerwelle schlug dagegen scharfe Töne an: «Nicht alles muss in oder von Brüssel entschieden werden, aber eine Politik des Rosinenpickens wird nicht funktionieren.» Die Herren José Manuel Barroso, Präsident der EU-Kommission, und Herman van Rompuy, EU-Ratspräsident – die sich sonst immer sehr wortreich äussern –, sie schweigen. Selbst der in den Medien stets omnipräsente EU-Parlamentspräsident Martin Schulz bringt nichts zustande ausser «ein gefährliches Vorbild». Die Sprecherin der Kommission, die eigentlich Gralshüter der europäischen Einigung ist, wehrt alle Journalistenfragen kategorisch ab. Dies sei ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der EU. Sie wollte weder auf Camerons Kritik eingehen, noch wollte sie öffentlich erklären, wie das Austrittsverfahren der Briten nach Artikel 50 des EU-Vertrages abläuft. Brüssel mauert und spielt auf Zeit: Auch wenn die Briten für den Austritt aus der EU stimmen, soll dies nur mit der Zustimmung aller 26 anderen Mitgliedsstaaten möglich sein. Und solche Verhandlungen sollen über viele Jahre in die Länge gezogen werden. Wird das die Briten in die Knie zwingen? Wohl kaum, wenn man einen Blick in die britische Geschichte wirft.
In Deutschland haben engagierte Bürger am 21.1.2013 eine Volksinitiative für den ESM-Austritt gestartet, die dem Bundestagspräsidenten Lammert zugestellt wurde. Die Volksinitiative beruft sich auf Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes, wonach alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird. Die Unterzeichner berufen sich zusätzlich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) vom 12.9.2012. Hiernach ist die Entscheidung über den ESM nicht in erster Linie eine juristische, sondern eine politische Frage, also eine des Willens des Volkes. Der Deutsche Bundestag hat am 7.6.2002 in namentlicher Abstimmung der Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene zugestimmt. Die Begründung für die Volksinitiative ist im Internet unter: <link http: www.volksinitiative-esm-austritt.de>www.volksinitiative-esm-austritt.de  dokumentiert. Alle deutschen Staatsbürger, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und wahlberechtigt sind, haben das Recht, diese Volksinitiative zu unterschreiben. Sie ist gültig, wenn sie von 400 000 wahlberechtigten Bürgern unterschrieben wird. Eine mögliche Kündigung des ESM-Vertrages hat das BVG ausdrücklich festgestellt
Der Wunsch nach stärkeren Beteiligungsrechten der Bürger ist in den letzten Jahren stetig gewachsen und könnte dazu dienen, die Kluft zwischen Bürgerwillen und Politikerhandeln zu verringern. Auf Ebene der Bundesländer wurden die Beteiligungsrechte der Bürger deutlich ausgebaut und erfolgreich realisiert. Zusätzliche Beteiligungsrechte bringen für den Bürger mehr Verantwortung bei der Entscheidung wichtiger Sachfragen. Sie stärken sein Interesse und sein Engagement für eine verantwortliche Willensbildung. Dies belebt die Demokratie und wirkt der Politikverdrossenheit entgegen. Durch neue direkte Beteiligungsrechte wird das parlamentarisch-repräsentative System der Demokratien ergänzt und Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes mit Leben erfüllt: «Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen … ausgeübt.» (Hervorhebung durch den Verfasser)    •

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