Offiziere und namhafte politische Gruppierungen für Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht

Offiziere und namhafte politische Gruppierungen für Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht

von Generalmajor i.R. Dr. Günter Hochauer

Es war bei der Ausmusterung der jungen Leutnante an der Theresianischen Militärakademie in der Wiener Neustadt im Frühherbst des Vorjahres, als der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport, Mag. Norbert Darabos, in seiner Festansprache die allgemeine Wehrpflicht als unverrückbar hinstellte und meinte, «sie sei für ihn in Stein gemeisselt»! Weiters tat er kund, dass «ein Abgehen davon mit ihm nicht in Frage komme». Diese programmatischen und pathetisch vorgetragenen Aussagen wurden sicherlich von der überwiegenden Zahl der Anwesenden mit Genugtuung zur Kenntnis genommen und begrüsst.
Als dann kurz darauf anlässlich der Wiener Landtagswahl der Bürgermeister von Wien, Dr. Michael Häupl, die Abschaffung der Wehrpflicht sichtlich als Wahlkampfgag aufs Tapet brachte, begannen die Querelen. Als braver Parteisoldat – hinter der Kampagne stand das Parteisekretariat der Sozialdemokratischen Partei vor allem in Gestalt der Bundesgeschäftsführerin Mag. Laura Rudas – schloss sich Darabos, getrieben auch von der «Kronenzeitung», unverzüglich der neuen Linie an und propagierte fortan die Abschaffung bzw. Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht und die Umwandlung des Bundesheeres in eine Berufs- und Freiwilligenarmee. Dabei wurde und wird Darabos von namhaften politischen Persönlichkeiten, quer durch die Parteien, aber auch von nicht unmassgeblichen Offizieren des Bundesheeres selbst unterstützt. Letztere vor allem deshalb, weil sie mit der in Österreich praktizierten Form der allgemeinen Wehrpflicht in der Vergangenheit und erst recht seit der bedauerlichen Verkürzung des Grundwehrdienstes von acht auf sechs Monate und dem Wegfall der bislang verpflichteten Milizübungen im Jahre 2004 keinen praktikablen Sinn für die allgemeine Wehrpflicht mehr sahen. Dem gegenüber stehen aber die Masse der Offiziere und namhafte politische Gruppierungen weiterhin für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht, wenn auch in reformierter Form. Der wichtigste militärische Exponent dieser Gruppierung war und ist der Generalstabschef des Bundesheeres, General Mag. Edmund Entacher. Als Generalstabschef ist er vom Gesetz her der erste militärische Berater des Ressortministers, der seinerseits gehalten ist, die Expertise seines Generalstabschefs zu hören und in seine Entscheidungsfindung einfliessen zu lassen. Entacher machte aus seiner Meinung keinen Hehl und vermeinte, dass man eine so gravierende Systemänderung wie die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht gründlich diskutieren müsse und dass es bei den vielen unwägbaren Auswirkungen vernünftiger sei, an dem an sich bewährten derzeitigen Mischsystem aus allgemeiner Wehrpflicht und starker Berufskomponente festzuhalten, als sich in unkontrollierbare riskante Entwicklungen einzulassen.
Von dieser seiner Meinung war Entacher auch in der Folge nicht abzubringen, was letztlich zum Vertrauensentzug durch den Bundesminister führte. Es lag also auf der Hand, den «unbotmässigen» Generalstabs­chef seiner Funktion zu entbinden und zu ersetzen. Da aber eine blosse Meinungsverschiedenheit, wenn auch in einer zentralen Frage der Wehrverfassung, nicht ausreicht, eine Absetzung und Versetzung eines hohen Beamten zu rechtfertigen, mussten auch noch andere «Verfehlungen» konstruiert werden. Jedenfalls wurde er vorläufig von seinen Aufgaben als Generalstabschef entbunden und mit anderen Aufgaben betraut. Es dauerte dann mehrere Monate, bis Entacher endlich einen Bescheid in Händen hatte, der seine Absetzung amtlich machte. Gegen diesen Bescheid ergriff Entacher das Rechtsmittel der Berufung, der letztlich durch die zuständige Aufsichtskommission im Bundeskanzleramt stattgegeben wurde. Somit war die Dienstrechtsverfügung des Bundesministers zur Absetzung Entachers ungültig und war aufzuheben. Nach einer Aussprache mit dem Bundesminister trat dann Entacher Anfang November den Dienst als Generalstabschef wieder an. Wie sich das Verhältnis zwischen Bundesminister und Generalstabschef in Zukunft entwickeln und auswirken wird, ist ungewiss.
In der Sache selbst ist vorerst eine gewisse Beruhigung eingetreten. Eine rasche Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht ist angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse ohnehin nicht mehr zu erwarten, bräuchte es doch als Verfassungsbestimmung dafür eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Wir werden daher wohl noch bis zur nächsten Nationalratswahl 2013 zu warten haben, um eine endgültige Entscheidung zu erleben. Inzwischen beabsichtigt Darabos in Form von drei Pilotprojekten bei drei verschiedenen Truppenkörpern wesentliche Elemente des von ihm angestrebten Berufs- und Freiwilligenheeres mit Beginn 2012 «probeweise» einzuführen, um «Erfolgsergebnisse» für eine nachfolgende generelle Umsetzung vorweisen zu können. Ein Projekt betrifft die Zusammenführung von derzeit nur verstreut liegenden Kaderpräsenzeinheiten (nur Kader- und längerdienende Soldaten) zu einem geschlossenen Verband an möglichst nur einem Standort. Das zweite Projekt betrifft das probeweise Betreiben militärischer Liegenschaften und Einheiten unter Verzicht auf den Einsatz von Rekruten für «systemerhaltende» Tätigkeiten. Das dritte Projekt soll den Nachweis erbringen, dass es möglich ist, Einheiten in Form einer Freiwilligenmiliz mit jährlichen Übungsverpflichtungen aufzustellen. Als Anreiz ist eine entsprechende Prämie vorgesehen. Wie man hört, soll nun der Generalstabschef mit der Durchführung dieser Projekte beauftragt sein. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Zweifel an der Sinnhaftigkeit bestehen allerdings darin, dass dann vom besonderen, allenfalls gelungenen Einzelfall, was aber überhaupt nicht absehbar ist, auf das Allgemeine, auf die Gesamtheit des Bundesheeres geschlossen würde und unter dem Vorwand einer gelungenen «Erprobung» die gesetzlichen Mass­nahmen zur ­Liquidierung der allgemeinen Wehrpflicht eingeleitet werden.
Wie ist das Verhalten General Entachers zu bewerten? Der Vorwurf von Bundesminister Darabos, der Generalstabschef habe sich durch seinen Einwand gegen das sogenannte «Primat der Politik» gestellt, ist absurd. Das «Primat der Politik» bedeutet den Vorrang der Politik vor allen anderen staatlichen Aktionen, die immer nur im Rahmen der politischen Vorgaben, der Gesetze, stattfinden dürfen. Es ist daher wunderlich, wenn Darabos seinem Generalstabs­chef unbotmässiges Verhalten vorwirft, nur weil dieser die geltende Gesetzeslage verteidigt und nicht den gegenläufigen persönlichen Anschauungen des Bundesministers huldigt. Darabos ist es, der das «Primat der Politik» verletzt, wenn er den Generalstabschef für seine gesetzes­treue Haltung massregelt. Eigentlich hätte er mit seinem Ministerium die Aufgabe, die Gesetze zu vollziehen und nicht seine Untergebenen zum Agieren im Sinne einer von einer Parteizentrale angestrebten Verfassungsänderung zu verdonnern. Immerhin ist die allgemeine Wehrpflicht eine Verfassungsbestimmung und so lange zu respektieren, als nichts anderes bestimmt wird. Selbstverständlich darf über die allgemeine Wehrpflicht nachgedacht und diskutiert werden. Durch wen auch immer. Auch Truppenversuche zur Entscheidungsfindung – wie die oben angeführten Pilotprojekte – sind legitim und können vernünftig sein. Aber den Generalstabschef, der vom Gesetz her als unmittelbarer Berater des Bundesministers in militärischen Angelegenheiten bestellt ist, mit disziplinären Massnahmen zu ungerechtfertigtem Gehorsam zu zwingen, geht an die Grenzen des Erträglichen und kann durchaus als Machtmissbrauch qualifiziert werden.
Die Wiedereinsetzung General Entachers in seine bisherige Funktion hat die Entgleisung und das kopflose Reagieren der Ressortführung in diesem Fall klar nachgewiesen. Vom überwiegenden Teil der Angehörigen des Bundesheeres und von breiten Schichten der Bevölkerung wird die Wiedereinsetzung des Generalstabschefs mit freudiger Genugtuung zur Kenntnis genommen. Sie bedeutet nicht weniger als den Sieg einer aufrechten, mannhaften Haltung über politische Gefälligkeiten und stimmt somit zuversichtlich für künftige Herausforderungen.    •

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