«Zur inneren Haltung des Bläsers kommt die Kraft und das Gleichgewicht hinzu»

«Zur inneren Haltung des Bläsers kommt die Kraft und das Gleichgewicht hinzu»

Zu Besuch in einer Alphornwerkstatt

Ein Gespräch mit Josef Stocker, Kriens

tsh. Wer gerne in Berggebieten wandert, kennt die langgezogenen, weichen und warmen Töne des Alphorns. Seinen Klang aus weiter Ferne von den Bergen tragen wir tief in der Seele mit. Das Echo dieser Klänge, das von den Felswänden widerhallt, lässt Kräfte sammeln auch in schwierigen Lebenslagen.

Horninstrumente wurden seit frühester Zeit im Alpenraum und auf allen Kontinenten gespielt. Das Alphorn gilt als das schweizerische Nationalinstrument schlechthin, obwohl es nicht in der Schweiz erfunden wurde. Die ältesten Aufzeichnungen über das Alphornspiel in der Schweiz führen auf das 16. Jahrhundert zurück. Ursprünglich war das Alphorn das Instrument der Hirten. Da sein Klang kilometerweit hörbar ist, nutzten sie es, um am Abend das Vieh auf den weiten Alpweiden anzulocken. Auch beruhigten sie die Kühe beim Melken mit Alphornklängen. Jodeln und Jauchzen dienten dem gleichen Zweck. Daher sind Jodel und Alphornmusik nahe verwandt und haben sich gegenseitig beeinflusst. Alphornklänge drücken Gefühle wie Trauer, Freude, Ruhe und Frieden oder Temperament aus. So konnte das Alphorn bestimmte Signale übermitteln, wie z.B. eine Botschaft für die Geliebte im Tal, die ebenfalls mit einer Melodie antwortete, oder eine Mitteilung, dass ein Tier vermisst werde oder eine Gefahr drohe. Das Alphorn ist für das Spiel in der freien Natur geeignet, wo sich der Ton erst richtig entfalten kann. Allein das Alphorn ist so klanggewaltig, um ein ganzes Alpental mit seinen Klängen zu erfüllen.
Die Zuschrift von Prof. Alfred de Zayas erinnerte mich an die Alphornklänge meiner Jugendzeit und weckte in mir die Neugier herauszufinden, wie ein Alphorn heute gebaut wird und ob es dazu – wie früher – einen krumm gewachsenen Baum braucht.
Ich besuchte Josef Stocker in Kriens, der seit über 30 Jahren in seinem Schreinerei-Betrieb den Alphornbau von Grund auf studiert und entwickelt hat. Seit seiner Pensionierung baut er die Alphörner in kleinen Werkstätten bei seinem Wohnhaus. Er nahm sich viel Zeit und erzählte mir von seinem enormen Wissen, seinen jahrelangen Erfahrungen und seiner Faszination für den Alphornbau.

Zeit-Fragen: Sie sind Schreiner von Beruf, Herr Stocker, und wie kamen Sie dazu, Alphörner zu bauen? Das braucht ja sicher eine Spezialausbildung.
Josef Stocker: Ja, eigentlich gibt es keine grosse Spezialausbildung, man muss es selber lernen. Ich habe als Schreiner begonnen, ich hatte einen eigenen Betrieb im Dorf mit Möbeln und Innenausbau. Ich habe Angestellte gehabt, wir haben viel gearbeitet, wie das Schreiner so machen.
Da kam etwa 1973 ein Angestellter des Kiosks bei der Pilatusbahn vorbei und zeigte mir dieses etwa 20 cm lange Alphorn aus Karton, das sie dort als Souvenir verkauften. Die Touristen hätten aber nach längeren und nach Holzinstrumenten gefragt, und nun suche er nach einem Schreiner, der ihm Holzrohre mit einer konischen Bohrung herstellen könne. Das interessierte mich, und dann baute ich eine Schablone und lieferte ihm diese Rohre. Er baute dann in seinem Keller die kleinen Alphörner fertig; er bekam so Freude, dass er immer grössere Instrumente baute, 50 cm, dann 1 m lang, bis ihm seine Werkstatt zu klein wurde. Ich lud ihn dann zu uns in die Schreinerei ein, wo er mit uns arbeiten konnte; doch er war kein Schreiner, er war ein Bastler, und bald überliess er uns die ganze Produktion. Wir haben aber viel gelernt von ihm; das war meine Anlehre.

Konnte man mit diesen 1-Meter-Alphörnern spielen?
Nein, nein, vielleicht einen Ton kann man herauspressen: es braucht etwa eine Länge von 2 Metern, bis man anständig 5 bis 6 Töne hervorbringt. Dann haben wir uns gesagt, wenn wir kleine Alphörner herstellen können, dann sollte es uns auch gelingen, richtige zu bauen. Vom Souvenirhorn stellten wir um auf das richtige Horn.Und dann haben wir getüftelt, bis es gegangen ist; immer wieder geübt, gemessen und geschaut; so hat sich das entwickelt.

Ich habe gelesen, dass Alphörner aus Arven- oder Fichtenholz gefertigt werden.
Arvenholz nehmen die Bündner. Ich verwende immer einheimisches, einjähriges Fichtenholz, das verfügt über eine gute Resonanz. Das langfasrige Holz gibt einen ausgezeichneten Klangkörper her, der sehr lange tönt. Ich nehme Bäume aus höheren Lagen, wo sie langsamer wachsen. Hölzer mit schmalen Jahrringen ergeben hellere Töne.

Konnten Sie denn Alphorn spielen? Ich denke, das ist eine Voraussetzung.
Nein, noch nicht. Ein guter Schreiner kann eben mit Holz umgehen, der kann alles machen aus Holz, auch jede Form. Die richtige Verarbeitung und Präzision machen 90% der Klangqualität eines Alphorns aus. Das war gut, wir konnten immer wieder blasen und merkten, wo die Töne fast von selbst und richtig kommen.
Dann kam Martin Christen aus Hergiswil, der blies die Hörner und unterstützte uns.
Ich erinnere mich: Sein Vater, Robert Christen, war Alphornbauer in Hergiswil; wir hörten gerne zu, wenn er seine Hörner einstimmte. Jeden Samstagabend spielte das Alphorntrio Christen – Grossvater, Vater und Sohn – und kündete mit seinen Klängen den Sonntag an. Hat Martin Christen das Handwerk auch gelernt?
Nein, er war Kaminfeger, aber er spielte wie ein Weltmeister. Er kam oft und half uns viel bei der Entwicklung der Töne.
Wir begannen dann bald, alles maschinell zu machen. Ich habe nie ein Horn geschnitzt, so wie es damals üblich war. Ich habe eine Bildhauermaschine gekauft von einem Herrgottsschnitzer in Einsiedeln, der altershalber aufhörte. Dann wurden wir von der Konkurrenz angegriffen, dass unsere Alphörner nicht von Hand und folglich nicht mit Liebe hergestellt würden. Wir arbeiteten aber weiter mit Freude am Schreinerhandwerk und entwickelten eigens Maschinen und Werkzeuge für den Bau eines Alphorns. Wir waren aber nur die ersten, die sie maschinell herstellten, heute entstehen praktisch alle so. Heute hat bald jeder Schreiner eine CNC-Maschine, mit der man Bögen schneiden kann. Da können Sie in 3D die Arbeiten eingeben, ein Modell abtasten und dann einprogrammieren oder müssen selber ein Programm entwickeln.

Arbeiten Sie mit einem solchen Programm?
Nein, ich habe damals mit Formenbau begonnen und dann die Formen in Emmenbrücke giessen lassen aus Messing oder sogar Bronze, und jetzt kann man nur die Formen hinlegen und daneben die Holzteile, und dann kann man kopieren und fräsen. Das ist eine grosse, umgebaute Maschine, die hätte hier in meinen kleinen Werkstätten keinen Platz. Als ich den Schreinereibetrieb nach meiner Pensionierung einstellte, übergab ich meine Maschine und das ganze Werkzeug einem Schreinerkollegen in Kleinwangen; er macht jetzt die Vorfabrikate für mich.

Die Hornform stellt auch er her? Das würde mich interessieren, wie die entsteht.
Mit dieser Maschine werden aus dicken Brettern die Rohteile zugeschnitten, geleimt und dann auf die nötige Dicke ausgefräst. Der Schallbecher vorne besteht aus 2 Hälften, die dann verleimt werden. Das hat den Vorteil, dass ich mehr in der Richtung des gewachsenen Holzes arbeiten kann. Dadurch wird das Horn widerstandsfähiger bei der Bearbeitung mit der Maschine. Nach der Schleifung und Lackierung ist davon nichts mehr sichtbar. Die Form muss stimmen; es muss eine Trompetenform sein; der Konus hier drin, das ist nicht ein genauer Kegel, das ist ein wachsender Kegel, er hat immer einen Multiplikator statt einer Addierung. Es wird nicht 1, sondern 1,046 gröber. Das ist genau berechnet, dann stimmen die Hörner ganz genau.
Im Internet können Sie die Arbeitsschritte in der Fernsehsendung für die Schule, die 1994 bei uns aufgenommen wurde, genau sehen: www.videoportal.sf.tv unter «Kulturelle Eigenheiten: Warum ist das Alphorn so lang?»

Ist der braune Ring vorne am Hornbecher als Zierde gedacht, oder beeinflusst er den Ton?
Der ist aus Birnbaum und dient der Verstärkung; er wird gedrechselt und dann mit dem Becher verzinkt. Das ist auch speziell: das haben die Zimmermänner entwickelt für die Verbindung von allen Massivhölzern, für den Brückenbau, für alles, was statisch ist.

Wird das Peddigrohr zur Verzierung um das Rohr gewickelt?
Auch, aber nicht nur. Das Umwickeln mit geteiltem Peddigrohr dient der Stabilität und sichert auch die notwendige Spannung im Rohr. Denken Sie an einen alten Besenstiel, den man mit Draht umwickelt, damit er länger hält.
Ein weiteres Problem waren die Übergänge: Damit das Alphorn besser transportiert werden kann, wird es in drei Teilen gefertigt, die mit Metallbuchsen zusammengesteckt werden. Diese müssen sehr fein geschliffen sein, damit im Innern das Holz so genau aufeinander passt, dass der Ton nicht unterbrochen wird. Ich habe mich auch viel mit mechanischer Arbeit befasst und konnte deshalb ohne zusätzliche Dichtungsringe selber eine Lösung finden.

Das Alphorn ist ein Naturton-Instrument. Können Sie mir das genauer erklären?
Wir kennen bei uns zwei grundverschiedene Tonsysteme: Die gleichschwebend temperierte Tonleiter und die Naturtonleiter. Die Tonleiter der temperierten Stimmung mit 12 gleichmässigen Tonschritten pro Oktav wird seit Johann Sebastian Bach in der klassischen- und Unterhaltungsmusik verwendet. Das Alphorn ist ein Blasinstrument ohne Ventile, deshalb lassen sich darauf die Töne der Naturtonleiter spielen. Die Tonschritte der Naturtonleiter sind physikalisch konstant, werden jedoch nach oben immer enger. So ist der Abstand der untersten beiden Töne eine ganze Oktav, dann folgen ein Quint-, ein Quartabstand usw. Die von unseren temperierten Hörgewohnheiten am stärksten abweichenden Töne sind die charakteristischen Naturtöne: «fa», «la» und «b». Aus diesem Grund kann man die Naturtonleiter, z.B. auf einem Klavier, nicht spielen. Das Alphorn wird meist solo, im Duett oder Trio gespielt.

Aus welchem Grund sind Ihre Alphörner alle gleich lang?
Das ist wichtig, die Stimmung ist einheitlich gestimmt, Form und Grösse sind gleich, dann haben wir die richtigen Töne. Wenn jemand vor 10 Jahren ein Horn bei mir gekauft hat, kann er in einer Gruppe mit neueren Hörnern sofort zusammenspielen.
Die Länge des Rohrs, in dem sich die Luftsäule bildet, bestimmt die Tonart, in der das Alphorn gestimmt ist. Das hier sind Fis-Hörner, ihre Länge beträgt 3,40 m, und ein geübter Bläser kann 16 Naturtöne darauf spielen. Beim mehrstimmigen Spiel können nur Alphörner mit der gleichen Tonart zusammenspielen. Sie finden in der Fachliteratur nirgends vermerkt, wie lang ein Horn sein muss, damit der gewünschte Ton herauskommt. Aber ich kann es physikalisch berechnen und nachmessen: 340 Meter Schallausbreitung pro Sekunde, geteilt durch die Alphornlänge, 3,40 m, ergibt den Grundton von 100 Hertz. Durch die Erfahrung, die ich gesammelt habe, kann ich schauen, ob es auch wirklich stimmt. Ich habe die Töne auch ausgemessen mit dem Frequenzgerät, da kann man die Töne genau vergleichen. Das Tüfteln hat mich immer fasziniert: Ich habe auch längere Hörner gebaut; zuerst 14 m lang und dann 47 m mit einem Schallbecherdurchmesser von 82 cm. Damit habe ich den Weltrekord gemacht.

Wirklich? Wie tönt dieses Horn?
Unheimlich, sehr tief. Es braucht ordentlich mehr Luft. Das normale Horn hat 16 Töne; wenn ich das Alphorn in der Länge verdopple, dann habe ich 32 Töne. Bei einem Horn von 14 m habe ich 64 Töne und beim 47-Meter-Horn etwa 171 Töne. Das heisst, es gibt immer zwischen den Tönen noch einen Ton. Das Spielen wird dadurch immer anspruchsvoller.

Inzwischen spielen Sie selber Alphorn?
Ja, das muss man schon. Ich probiere die Hörner aus, schon wegen der Klangfarbe. Sehen Sie, wenn Sie eines wie dieses haben mit starker Struktur, mit einer starken Holzmaserung, dann ist es ein wenig bockbeinig, das hat einen anderen Klang.

Worauf achtet ein Interessierter beim Alphornkauf?
Er spielt es selber, oder ich frage ihn, welches Instrument er bis jetzt gespielt hat. Wenn er sagt Posaune, dann passt dieses stark strukturierte Holz: Der Bass klingt dann stark, er kann mehr powern. Wenn er aber sagt Waldhorn, dann suche ich ihm ein ganz fein strukturiertes. Er kann es dann ganz fein spielen.

Wie entsteht ein Ton im Alphorn?
Das Instrument ermöglicht eine lange, schwingende Luftsäule und dient als akustischer Verstärker. Der Mensch erzeugt die Töne durch seine vibrierenden Lippen und seinen Atmungsapparat. Die Lippen sind wie die Saiten bei einer Gitarre oder Geige; die Saitenlänge bestimmt man, wenn man auf die Lippen eine Spannung gibt und mittels Zwerchfelldruck die Atemluft durchbläst. Durch die unterschiedlich stark vibrierenden Lippen wird die Luftsäule im Rohr in Schwingung gebracht: je stärker die Lippenspannung, desto schneller die Schwingungen und desto höher der Ton, je schwächer die Lippenspannung, desto tiefer der Ton. Die Kunst des Alphornblasens besteht darin, die Lippen rasch und sicher in solche Spannungen zu versetzen. Dabei ist die Atemtechnik wichtig: Wir müssen einen gleichmässigen Druck erzeugen können, damit man ganz langsam die Luft ausstossen kann. Erst dann gibt es einen gleichmässigen Ton.
Und dann kommt noch die innere Haltung des Bläsers hinzu, die Kraft und das Gleichgewicht, damit Klänge gebildet werden können, die tragen, die so typisch sind. Er sucht den Einklang mit der Natur, auf einem Berg oder am Waldrand.
Und jetzt stecke ich ein Horn zusammen und spiele Ihnen draussen im Garten ein Solo.

Darauf freue ich mich und bedanke mich für das lehrreiche Gespräch.    •

 

Das Alphorn: ein Instrument des Friedens
von Prof. Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas

Das Alphorn ist ein traditionelles Holzinstrument, das bei den Bewohnern der Gebirgsregionen der Schweiz und auch sonst in den Alpen sehr beliebt ist. Es ist ein Horn aus Naturholz, hergestellt aus massivem Weichholz, im allgemeinen einer Fichte (Rottanne) und mit einem abnehmbaren, kelchförmigen Mundstück versehen, zumeist aus edleren Harthölzern. Seine Geschichte ist nicht restlos klar, einige Gelehrte glauben, es stamme vom römisch-etruskischen Lituushorn.
Es scheint, dass das Alphorn seit dem Mittelalter in dörflichen Gemeinschaften als Sig­nalinstrument genutzt worden ist, vor allem in gebirgig-hügeligem Gelände, das es erlaubte, akustische Botschaften ins Tal hinunter oder hinauf zum benachbarten Berg zu übermitteln, zum Beispiel Feuerwarnungen oder die Ankündigung bestimmter Ereignisse, was manchmal das Läuten der Kirchenglocken ersetzte. Im Unterschied zu Blechinstrumenten, die dazu neigen, scharf oder schrill zu tönen, erzeugen Holzinstrumente weichere Töne, die sich für Kriegszwecke nicht eignen. Im Gegensatz zur Trompete, den Posauen oder den Trommeln kann das Alphorn als Instrument für den Frieden bezeichnet werden.
Eine traditionelle Schweizer Melodie, der Ranz des Vaches (Kuhreihen), Lockrufe, um das Vieh einzutreiben, wird oft auf dem Alphorn gespielt, und Rossini verwendete das Thema tatsächlich in der Ouvertüre zu seiner Oper über den legendären Schweizer Helden Wilhelm Tell. ­Johannes Brahms entnahm einer Alphornmelodie, die er einmal während eines Ferienaufenthaltes auf der Rigi mit Blick auf den Pilatus hörte, Inspiration für das Horn in der Einführung zum vierten Satz, Adagio, seiner ersten Symphonie.
Quelle: Société des écrivains des Nations Unies à Genève. United Nations Society of Writers, ­Geneva. Sociedad de Escritores de las Naciones Uniddas, Ginebra. Ex Tempore. Revue littéraire internationale. An International Literary Journal. Revista literaria internacional.
Volume XXI – Dezember 2010. S. 34.

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