Grossraubtiere können nicht die Aufgaben der Jäger ersetzen

Wildtiere sind auch eine Nahrungsreserve

Interview mit Marco Giacometti *

Zeit-Fragen: Was sind die Aufgaben eines Jägers?
Marco Giacometti: Die Jagd war schon immer die Nutzung einer Ressource, die früher überlebensnotwendig war. In der Gegenwart ist das nicht mehr in diesem Ausmass der Fall, sondern es ist eher eine Freizeitbeschäftigung, jedoch immer noch mit einer Verwendung des erlegten Tiers, entweder für die Ernährung oder für andere Produkte, wie zum Beispiel Felle. Heute kommt noch eine weitere Aufgabe dazu, nämlich die Regulierung von Wildtieren, damit diese unserer intensiv genutzten Landschaft keinen Schaden zufügen, also um Wildschäden zu verhindern. Das ist eine neue Dimension, die es früher nicht gab. Dennoch bleibt die Nutzung ein wichtiger Aspekt für den einzelnen Jäger. Es ist auch eine Aufgabe für das Gemeinwohl, die nicht, wie manche behaupten, durch Grossraubtiere erledigt werden könnte. Die Leistung für die Allgemeinheit und für die Kulturlandschaft besteht darin, dass fein abgestimmt und situationsbezogen Probleme gelöst werden, die von Grossraubtieren auf so grosser Fläche in einem Kulturland wie der Schweiz nicht übernommen werden können. Das ist völlig illusorisch.

Wie wird man Jäger?
Zuerst muss man sich bei den kantonalen Behörden melden. Man absolviert einen Kurs, in dem man die wichtigen und nötigen Grundlagen erlernt. Danach muss man eine theoretische und praktische Prüfung bestehen, besonders auch im Bereich der Waffen, für die Sicherheit der Umwelt und der Menschen und natürlich der Tiere, vor allem unter dem ­Aspekt des Tierschutzes. Wenn man die Prüfung bestanden hat, kann man ein Patent lösen und in den verschiedenen Kantonen zur Jagd gehen, andererseits kann man sich auch an einer Revierpacht in den Revierkantonen beteiligen. Die Jagd beinhaltet auch eine wichtige gesellschaftliche Komponente. Man muss mit den Menschen, die bereits in einem Gebiet jagen, Kontakt aufnehmen, und man muss sich finden, denn Jagd ist auch eine Absprache unter den einzelnen Jägergruppen.

Bietet die Jagd nicht auch eine Einnahmequelle für den Jäger?
Unter dem Strich ist Jagd in der Schweiz immer ein Verlustgeschäft. Dessen ist sich der Jäger bewusst. Jägerinnen und Jäger überweisen den Kantonen und Gemeinden zur Ausübung der Jagd nicht unerhebliche Geldbeträge. Der ganze finanzielle Aufwand und besonders der zeitliche Aufwand übersteigen bei weitem die Einnahmen durch das Wildfleisch. Wir haben in der Schweiz keine Berufsjäger wie bei den Fischern. Dort gibt es beides. Berufsfischerei und Sportangler. Bei den Jägern gibt es nur die Freizeitjagd. Ich verwende bewusst das Wort Freizeit und nicht Hobby. Hobby ist aus meiner Sicht von der Form richtig, aber es macht den Eindruck, dass man sich unvorbereitet daran beteiligen könnte. Freizeitjagd ist von daher besser, weil das heisst, dass man die Jagd nicht während der Dienstzeit ausübt. Man geht ausgebildet auf die Jagd und mit voller Verantwortung.

Inwieweit kann ein gesunder Tierbestand eine Nahrungsreserve darstellen?
Heute in der modernen Gesellschaft sieht man Wildtiere ein wenig abstrakt als Elemente der Landschaft und Natur, die einen Eigenwert haben und schon deshalb als solche geschützt werden müssen. Man weiss, sie sind da und gehören auch dorthin. Ihre Bedeutung geht auch noch weiter, sie sind ein Teil dieses Kreislaufs, der sich in unberührten Landschaften konfliktfrei selbst reguliert. Aber bei einer vielfach genützten Landschaft kommt es bei einer Selbstregulierung immer wieder zu intensiven Schäden. Unsere Gesellschaft ist nicht bereit, dies zuzulassen. Man muss es regulieren wie auch in anderen Bereichen. Die Wildtiere stellen auch eine Reserve als Nahrungsmittel dar, in der Schweiz eher eine kleine Reserve in Anbetracht der hohen Bevölkerungszahl. Aber es ist nicht auszuschliessen, dass man sie wieder einmal brauchen wird. Während des Zweiten Weltkriegs hat die Jagd in bestimmten Situationen dazu beigetragen, dass in Not geratene Familien mit der Jagd einen wichtigen Zustupf erhalten haben. Wir werden aber nicht vom Wild allein leben können, wenn es – was wir natürlich nicht hoffen – wieder einmal zu einer Krisensituation kommen wird.

Welche Gefahren gehen von den Grossraubtieren aus?
Wenn Grossraubtiere, Luchs und Wolf, sich in unserer Kulturlandschaft unkontrolliert vermehren und ausbreiten, erleiden ihre Hauptbeutetiere in unserer dicht besiedelten Landschaft einen massiven Einbruch. Wildtiere kommen bei uns gleichsam in «Inseln» vor. Die Grossraubtiere sind im Vorteil, sie sind viel beweglicher als Paarhufer, die vielfach zwischen Autobahnen und Agglomerationen gefangen sind. Weniger häufige Wildtiere wie am Boden brütende Vögel kämen mit in den Sog dieser Übernutzung, und dadurch entsteht ein gewaltiges Problem in bezug auf die Biodiversität. Deshalb muss man in einer Kulturlandschaft die Ausbreitung der Grossraubtiere der Situation angemessen vernünftig regeln, anstatt eine Gruppe zu bevorzugen und einer unkontrollierten Entwicklung zuzuschauen.

Was geschieht bei uns, wenn der Wolf in Rudeln auftaucht?
Wir müssen uns nicht vorstellen, dass man bei uns den Wolf im Rudel sehen kann, wie man das in den Weiten von Sibirien oder von Nordamerika kennt. Dort trifft man Gruppen von 5 bis 10 Wölfen an, die hinter einem Bison herrennen. Das wird bei uns so nicht der Fall sein, denn seine Beutetiere sind bei uns deutlich kleiner, und daher ist der Wolf in der Lage, auch alleine Beute zu schlagen. Das grösste Beutetier bei uns ist der Rothirsch. Kälber und schwache Jungtiere kann ein Wolf auch alleine töten. Wenn Rudel entstehen, brauchen viele Wölfe Nahrung. Das würde den Druck auf die Beutetiere natürlich massiv erhöhen. Darum wird der Wolf in den europäischen Staaten, Deutschland und Österreich, als das weit problematischere Tier angesehen als der Luchs, und das spüren wir auch in der Schweiz. Der Wolf macht mehr Sorgen als der Luchs.

Was sollte jetzt auf politischer Ebene geschehen?
Aus unserer Sicht wäre es gut, wenn der Ständerat die Arbeit, die in den letzen drei, vier Jahren auf verschiedenen Ebenen von Kantonen und dem Bund und vom Nationalrat geleistet wurde, analysieren und würdigen und die Vorlagen aus dem Nationalrat übernehmen würde. Die aufgegleiste Version des Nationalrats geht auch in die Richtung, die der Bundesrat vorsieht: Ein pragmatischer Umgang mit den Grossraubtieren.
Vielen Dank für das Gespräch.    •

*     PD Dr. vet. med. Marco Giacometti ist habilitierter Tierarzt und Privatdozent an der Universität Bern, seit 2004 Geschäftsführer von Jagd Schweiz und Leiter der Medienstelle Wildtier und Umwelt.


Sollen Bär, Wolf und Luchs in der Schweiz leben?

Da ich selber in den Bergen (Engelberg) aufgewachsen bin, kann ich mir nicht vorstellen, mit wilden Tieren zusammenzuleben. Wir besassen selber eine Alp mit Kühen, Ziegen, Schafen, Muttersau mit Ferkeln, Hühnern und Kleintieren usw.
Wird Nahrung für andere Tiere knapp?
Ich kann doch auch nicht einen Hund frei laufen lassen und denken, dass er sich sein Fressen selber holen kann. Die Murmeltiere haben ein gutes Alarm­system, und von den Gemsen hoch in den Felsen gibt es auch nicht mehr viele. Was sollen sie denn fressen? Wer gibt ihnen etwas?
Gefahr für Menschen
Auch heute noch sind Kinder viel alleine unterwegs. Gerade wenn die Erwachsenen zu Hause heuen, kommt es vor, dass die Kinder dem Älpler das Mittagessen bringen müssen (habe ich letzten Sommer selber gesehen). Was macht dann ein Kind, wenn es von einem Wildtier angefallen wird? Gerne erwarte ich eine ehrliche Antwort von einem Befürworter der Einsetzung von Wolf, Bär und Luchs in der Schweiz.
Monika Ruckstuhl, 79 J., verwitwet, Bäuerin im Ruhestand, 7 Kinder, 15 Grosskinder, Schlossrued AG


Quelle: Standpunkt EDU. Christlich-politische Monatszeitung. Offizielles Organ der Eidgenössischen Demokratischen Union EDU Nr. 3, März 2011

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