Emotionen statt Sachgehalt

Emotionen statt Sachgehalt

ab. Seit Beginn der Unruhen in Nord­afrika beherrschen Emotionen die täglichen Nachrichtensendungen und füllen auch seitenweise die Printmedien. Sie ersetzen Sachlichkeit und Realitätsgehalt. Einmal sind es Jubel­tiraden, in der nächsten Minute weht der Wind aus der Panik-Industrie. Der sich-informieren-wollende Bürger fühlt sich wie in einer hochtourig laufenden Wäschetrommel, in der es nur noch eines gibt: geistig aussteigen und Sachlichkeit suchen. Wir leben doch nicht mehr im Zeitalter der Magier und Propheten. Hat die Menschheit sich nicht Medizin und Technik erobert? Wissenschaftliches Denken insgesamt? Es ist noch nicht lange her, seit eine ganze Studentengeneration staunte und sich freute über die faszinierenden Bilder aus dem Elektronenmikroskop.
Als nun in Fukushima das Dreifach-Unglück mit Erdbeben, Tsunami und AKW-Gau geschah, da ging die politische Emo-Bearbeitung gerade nochmals los. Alles wurde durch Panik grün! Wieso muss eigentlich der ganze staatstragende Parteiapparat zuerst auf Grün umgebaut werden, bevor der Bürger in der Sache mitdenken darf? Und das gleich in beiden Ländern, in Deutschland und in der Schweiz? Der deutsche CDU-Umweltminister Röttgen – auf einmal sehr neu-grün – erklärte sehr rasch nach Beginn der Katastrophe: «Unternehmen, die sich ausserhalb dieses Konsenses stellen, werden das Schicksal der Dinosaurier erleben und aussterben.» Eine Durchsage an die deutsche Wirtschaft sollte das wohl sein. In der Schweiz mit der direkten Demokratie muss man etwas differenzierter zu Werke gehen. Aber auch hier fallen die neu-grünen Parteivertreter auf, und zwar ganz anders als die echten Ökologen, die nachhaltig und zäh ihren eigenen Teil zu einer wirklichen Verbesserung der Lebensbedingungen auf diesem Planeten leisten. Von Vorarlberg und Stuttgart her kam gar eine Klage-Androhung an die Schweiz wegen Beznau und Mühleberg, die von den Schweizer Neu-Grünen merkwürdig gelassen aufgenommen wurde. Freuen sie sich darauf? Um dann mit einer neu-grünen Regio Bodensee die Schweiz auflösen zu können? Und warum wochenlang solches Hin-und-her-Wogen, statt dass die Abteilung IX an der ETHZ der Nation erklären darf, was eigentlich ansteht?
Um so mehr freut man sich, dass nun in der NZZ vom 6. Mai im Beitrag «Vernachlässigte Brennelement-Lagerbecken» und im Kommentar «Politisches Restrisiko» mit wohltuender Bodenhaftung dargelegt wird, wo angesetzt werden müsste. Pirmin Bischof, CVP-Nationalrat und Verwaltungsrat des AKW Gösgen, hatte am dritten Tag nach Beginn des Unglücks in Fukushima gesagt: «Die Welt ist nicht mehr die gleiche wie vorgestern. Mit den Ereignissen in Japan stellen sich für die Schweizer Kernkraftpolitik ganz wesentliche Fragen, es werden alle alten Fragen neu aufgerollt. Da bin ich mir nicht sicher, ob wir alle in der Politik bisher die richtigen Gewichte gesetzt haben. Wir haben auf die Steuern geschaut, auf ­politische Erwägungen. Man hat zu Recht auch über die Endlagerfrage gesprochen, aber zuoberst auf die Agenda gehört die Sicherheit der Bevölkerung, das gilt für die neuen Bewilligungen, aber auch für die alten Werke.» Eine wohltuend ehrliche Stimme, die gerade deshalb auch Beachtung verdient.
Wohltuend auch, dass im NZZ-Kommentar «Politisches Restrisiko» von dsc. angemerkt wird, dass die «Belehrung» des Landes durch die politischen Parteien bisher nicht gerade ein Kompetenzausweis war und dass andere Grundlagen gelegt werden müssen. Ein neues Menschheitsproblem dieses Ausmasses braucht etwas mehr wissenschaftliche Grundlage und internationales Sich-Abstimmen. Wer auf die Schnelle neue Parteianteile hinauffahren will, riecht unangenehm nach Machtstreben auf Kosten eines Unglücks.
Inzwischen wird in Stuttgart die neue Regierung inthronisiert. Kretschmann präsentiert sich als seriösester Linkskatholik, gleichzeitig auch als «Lichtgestalt» und Hoffnungsträger mit lauter «Sonne im Herzen». Wenn es denn so wäre – dann könnte es der Menschheit nicht schaden. … Scherbelnd klingt nur nach, dass die vor der Wahl der Bevölkerung versprochene Volksabstimmung je nach Abstimmungsresultat in eine unverbindliche Volksbefragung hätte umdefiniert werden sollen. Da die versprochene Volksabstimmung unter Hinweis auf die Schweizer Staatsform der direkten Demokratie erfolgte, wird diese politische Pirouette auf der Schweizer Seite noch längere Zeit einen unangenehmen Nachklang haben. Soll Kretschmann das ideologische Bindeglied zwischen Röttgen und einer neu-grünen CVP sein? Eine zu bildende neu-grüne Internationale in Kern-Europa? Oder die Schweiz mit grünem Wind in die EU holen, damit es leichter geht als mit der Kavallerie-Drohung?     •


Quellen:
–    «Verhandlungen über Stuttgart 21», in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.04.2011, Seite 2
–    «Wir haben Sonne im Herzen», in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom
1. Mai 2011, Seite 2,3
–    «Feindbild Röttgen»/«Der Umweltminister ist der Mann der Atomwende. Die Konservativen in der Partei und in der Industrie bringt er damit zur Weissglut», in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom
1. Mai 2011, Seite 33.
–    «Vernachlässigte Brennelement-Lagerbecken» und «Politisches Restrisiko», in: Neue Zürcher Zeitung vom 6. Mai 2011, Seite 9.

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