Neue Atomkraftwerke

Neue Atomkraftwerke

zf. Auf militärischem Gebiet scheint es nie eine Geldknappheit zu geben, um die bis dato unvorstellbarsten Waffensysteme zu entwickeln. Im zivilen Bereich sieht es – noch – anders aus. Unsere besten Köpfe, die sich für eine gemeinwohlorientierte, allen Menschen dienende Technik einsetzen, brauchen die Unterstützung, die ihnen gebührt. Politisch motivierte Übungen im «Technologie-über-Bord-schmeissen» helfen dabei nicht weiter, statt dessen sind offene, an sachlichen Lösungen orientierte Initiativen gefragter denn je.
Das Interview zu den neuen Atomkraftwerken aus der Zeitung «Die Welt», erschienen im Jahr 2008, zeigt, wie die Orientierung an Emotionen im politischen Umfeld zu Denk- und Handlungsblockaden führte – und so bedenkenswerte Vorhaben bislang nicht ernsthaft weiterverfolgt wurden.

«Die Welt»: Es gibt heftige Proteste gegen die Atommülltransporte nach Gorleben. Wie sicher ist die Endlagerung von strahlenden Abfällen im Salzstock?

Hermann Josef Werhahn: Die richtige Auswahl geologischer Formationen kann hier gewiss für lange Zeiträume grosse Sicherheit gewährleisten. Man darf aber nicht vergessen, dass auch in einem Salzstock die Castor-Behälter nach einigen tausend Jahren durchgerostet sein könnten. Und das wäre recht unangenehm.

Sie können demnach die Kritik der Gorleben-Gegner verstehen?

Die bisherigen Systeme der kerntechnischen Industrie sind nur Zwischenschritte und keinesfalls für die Ewigkeit gemacht. Hier müssen viel strengere Massstäbe als bisher angelegt werden. In diesem Punkt stimme ich den Kritikern zu.

Doch Sie sind kein Atomkraftgegner. Sie haben sich seit Jahrzehnten für die Nutzung der Kernenergie stark gemacht?

Das stimmt, aber für eine andere Technologie, als sie heute zum Einsatz kommt. Bei der von Professor Rudolf Schulten im Forschungszentrum Jülich entwickelten Kugelbett-Reaktortechnik gäbe es das heutige Endlagerungsproblem nicht.

Warum?

Bei dieser Technik kommen keine Brennstäbe zum Einsatz, sondern sandkornkleine Panzerkörner. Das sind nadelkopfgrosse Kernbrennstoffe, die von einer diamantharten Hülle aus Siliziumkarbit umgeben werden. Diese Körnchen kommen – ähnlich wie Rosinen ins Brötchen – in eine etwa handgrosse Grafitkugel. Die Haltbarkeit dieser Keramikhülle um den Kernbrennstoff – und später den Atommüll – wird von den Experten mit mindestens eine Milliarde Jahre angegeben. Damit wäre das Endlagerungsproblem gelöst. Auch der Betrieb der Kernkraftwerke wäre von seinen heutigen Risiken befreit.

Doch die Entwicklung der Technologie, von der Sie jetzt sprechen, ist in Deutschland bereits vor Jahren eingestellt worden. Wie konnte dies geschehen, wenn sie der gewöhnlichen Reaktortechnik doch so überlegen sein soll?

Das war eine dramatische Fehlentscheidung, die 1986 unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in Nordrhein-Westfalen getroffen wurde. Neun Wochen nach dem Unglück hatte sich der damalige Ministerpräsident Johannes Rau entschlossen, seine bis dahin sehr positive Beurteilung dieser Technologie aufzugeben und, dem Druck einer verunsicherten Bevölkerung folgend, die weitere Entwicklung der Kugelbett-Reaktortechnologie ganz und gar zu stoppen.
 

Aus heutiger Sicht erscheint das schwer nachvollziehbar. Die mit grossen Restrisiken behafteten Reaktoren der zweiten Generation, wie sie hierzulande bis heute im Einsatz sind, durften weiter betrieben werden. Und eine neue, sicherere Technologie wurde gestoppt?

Es war eben eine politisch motivierte Fehlentscheidung. Offenbar glaubte man, der Bevölkerung den Unterschied zwischen einer veralteten und einer innovativen Kerntechnik nicht klarmachen zu können. In jenen Tagen hatte Herr Rau vor, die in Nordrhein-Westfalen entwickelte Kugelbett-Technik dem russischen Generalsekretär Gorbatschow zu präsentieren. Doch wenige Tage danach wurde in Düsseldorf der Ausstieg gepredigt.

So ist das Know-how dieser Technologie nicht nach Russland, dafür aber später nach China und Südafrika gelangt?

Das ist richtig. Das Forschungszentrum Jülich hat diesen beiden Ländern Know-how zur Verfügung gestellt. In Peking ging der Prototyp eines Kugelbett-Reaktors vor drei Jahren in Betrieb. Die entstehende Wärme nutzen die Chinesen unter anderem zur Veredelung von Kohle. Die Südafrikaner wollen mittelgrosse Kernkraftwerke mit einer Leistung von 150 Megawatt bauen. Sie werden dabei von englischen, amerikanischen und von japanischen Firmen unterstützt.

In Frankreich werden Kernreaktoren der vierten Generation entwickelt, die sicherer sein sollen als die heute in Betrieb befindlichen. Ist das in puncto Sicherheit eine Alternative zur Kugelbett-Technologie?

Die Kugelbett-Technologie ist von Hause aus vielfach sicherer als jede herkömmliche Reaktortechnik – auch wenn diese durch Nachrüstungen weiter verbessert wird. Die Kugelbett-Technologie ist von Anfang an für Standorte in Ballungsgebieten vorgesehen worden. Das war nur deshalb möglich, weil diese Technologie inhärent sicher ist. Ein Kugelbett-Reaktor kann aus natürlichen Gründen nicht durchbrennen.

Warum?

Man hat sowohl in dem Forschungsreaktor in Jülich als auch in dem neuen Reaktor in Peking dramatische Experimente durchgeführt. In Gegenwart von wichtigen Zeugen hat man alle Sicherheitsvorkehrungen und Kühlungen des Reaktors ausgeschaltet. Jeder andere Reaktor auf der Welt hätte in einer solchen Situation ein schreckliches Debakel erlebt. Sowohl in Jülich als auch in Peking ist natürlich nichts passiert, weil diese Technik von sich aus vollkommen sicher ist. Je höher die Temperatur im Reaktor wird, um so schwächer ist die Reaktionsrate. Das bezeichnen Fachleute als negativen Temperaturkoeffizient. Laien sagen, hier gibt es naturgegebene Sicherungen, die keine apparativen Sicherungen benötigen.

Kugelbett-Reaktoren könnten also auch innerhalb von Chemieanlagen betrieben werden?

Genau. Das ist ja eben ein Clou dieser Technologie. Mithilfe der im Reaktor gewonnenen Wärme könnte man kostengünstig Wasserstoff oder Alkohol produzieren. Wenn man das in grossem Umfang machen und eine Wasserstoffwirtschaft etablieren will, geht das nur mit Kugelbett-Reaktoren.

Und wie sieht es mit der Sicherheit von Kugelbett-Reaktoren bei Terroranschlägen aus?

Der Kugelbett-Reaktor ist nicht nur idiotensicher, er ist auch schurkensicher und sogar raketenfest. Was würde passieren, wenn man eine Rakete in eine Anhäufung aus einer Milliarde Kügelchen schiesst? Die Kugeln und die Panzerkörner würden auseinanderfliegen und den Drücken ausweichen, einige dabei sicher auch beschädigt. Doch die diamantharten Panzerkörner darin blieben unversehrt. Diese Sicherheit ist unübertrefflich.

Wie lange reichen denn die Weltvorräte an Thorium im Vergleich zum Uran?

Thorium findet sich in Monazit-Lagerstätten. Die Vorräte würden ausreichen, um alle Kernkraftwerke der Welt mehrere hundert Jahre zu betreiben.

So lange dürften die Uranvorkommen nicht reichen.

Das ist richtig. Mit Thorium kann man Kernkraftwerke mindestens zehn Mal so lang betreiben als mit Uran. Aber auch Uran ist überreichlich im Meerwasser nachgewiesen.

In den USA gibt es einen neuen Präsidenten, der wahrscheinlich neue Wege beim Thema Energie einschlagen wird. Sehen Sie dort auch eine Chance für die Kugelbett-Technologie?

Bislang hat in den USA noch kein Präsident daran gedacht, sich vom Erdöl zu verabschieden. Doch dies könnte sich jetzt bei Barack Obama ändern. Ich erwarte den Beginn einer neuen Ära.

Und was könnte sich an der deutschen Energiepolitik verändern?

Die Volksparteien könnten für die Kernreaktoren der Zukunft Bedingungen formulieren, die so streng sind, dass sich auch ängstliche Naturen nicht mehr sorgen müssten. Ein Punkt ist die bereits erwähnte Versicherbarkeit. Dann liesse sich die politische Aussage «Umsteigen statt aussteigen» glaubwürdig vertreten.

Könnten Sie damit auch einen Grünen überzeugen?

Warum nicht. Für mich sind dies grüne Kernreaktoren. Sie sind völlig anders zu beurteilen als die heutigen Kernkraftwerke.    •

Quelle: Die Welt vom 15. April 2008,
Autor: Norbert Lossau

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