Den Bürgerkrieg nicht verlängern

Den Bürgerkrieg nicht verlängern

von Richard N. Haass*

Ich habe die Entscheidung der USA, in ­Libyen militärisch zu intervenieren, nicht unterstützt. Es gab keinen überzeugenden Beweis dafür, dass ein grossangelegtes Massaker oder ein Genozid wahrscheinlich war oder unmittelbar bevorstand. Nichtmilitärischen Strategien hat man nie eine wirkliche Chance gegeben. Es war alles andere als einleuchtend, dass eine militärische Intervention erfolgreich sein würde, wenn die Kosten durch die begrenzten amerikanischen Interessen gerechtfertigt sein sollen.
Aber wir sind heute da, wo wir sind. Was also sollten die Vereinigten Staaten in Libyen von jetzt an tun?
Amerikanische Politiker stehen vor einem bekannten aussenpolitischen Problem: Es besteht nämlich ein grosser Graben zwischen den erklärten Zielen der USA und den Mitteln, die sie bereit sind, für deren Realisierung aufzuwenden. Die Ziele sind anspruchsvoll: das libysche Volk schützen und ein Nachfolgeregime herbeiführen, von dem man annimmt, dass es dem gegenwärtigen vorzuziehen wäre. Aber die Mittel sind beschränkt, da der Präsident klar danach trachtet, dass die amerikanischen Partner in der Nato die ­militärische Hauptrolle übernehmen, und er hat die Beteiligung amerikanischer Bodentruppen ausgeschlossen.
Immer wenn eine solche Diskrepanz zwischen Zielen und Mitteln besteht, hat eine Regierung zwei Wahlmöglichkeiten: sie kann entweder die Ziele zurückschrauben oder die Mittel erhöhen. Die Regierung Obama hat bisher zumeist die letztere Möglichkeit hervorgehoben. Die Flugverbotszone war rasch um zusätzliche Luftoperationen erweitert worden, die darauf ausgelegt waren, die ­libyschen Regierungskräfte zu zersetzen. Das erwies sich als unzureichend, um der Gefechtslage eine entscheidende Wende zugunsten der Regimegegner zu geben.
Nun besteht ein offensichtliches Interesse, die Oppositionsstreitkräfte zu bewaffnen. Ich würde von diesem Schritt abraten. Wir können uns der Agenda der Opposition nicht sicher sein – sowohl gegenüber dem libyschen Volk als auch gegenüber verschiedenen US-Interessen, auch nicht bezüglich der Terrorismusabwehr. Auch steht noch nicht fest, welche Elemente der Opposition mit welchen Zielen letztlich dominieren werden. Waffen, die einmal übergeben wurden, können für irgendeinen Zweck eingesetzt werden. Schlechte Lagen können sich immer verschlimmern.
Der einzige Weg, um die Ersetzung der aktuellen libyschen Regierung mit etwas nachweislich Besserem zu gewährleisten, wäre der Einsatz von Bodentruppen, die bereit wären, vor Ort zu bleiben, um die Ordnung aufrechtzuerhalten und nach der Absetzung der Regierung funktionsfähige Strukturen aufzubauen. Wie wir in Afghanistan und im Irak erlebt haben, sind das einzige, was bei einer solchen strategischen Linie feststeht, ihre menschlichen, wirtschaftlichen und militärischen Kosten. Die US-Interessen in ­Libyen rechtfertigen eine derartige Investition unsererseits einfach nicht. Und es ist offenkundig alles andere als sicher, dass irgend­eine Partei ausserhalb über beides verfügt, den Willen und die Kapazität, Bodentruppen in einem Umfang einzusetzen, dass sie militärisch wahrscheinlich etwas Entscheidendes bewirken könnten.
Es besteht wenig Grund zur Annahme, dass die libysche Opposition die libysche Regierung in absehbarer Zeit besiegen wird. Ihr scheinen der notwendige Zusammenhalt und die Fähigkeit dazu zu fehlen. Die Kombination von Flugverbotszone, Bombardierungen und Bewaffnung könnte allerdings den Effekt haben, die Voraussetzungen der beiden Parteien anzugleichen und den Bürgerkrieg zu verlängern, was im Verlauf zu mehr zivilen Opfern führt. Das wäre ein ironisches Ergebnis einer Intervention, die humanitäre Ziele hätte unterstützen sollen. Die libysche Regierung mag zusammenbrechen, aber eine Strategie kann nicht auf dieser Hoffnung basieren.
All dies spricht dafür, die unmittelbaren Ziele amerikanischer Aussenpolitik zurückzuschrauben und humanitären gegenüber ­politischen Zielen den Vorrang zu geben. Damit einher ginge das Durchführen oder Unterstützen einer diplomatischen Initiative, um die Umsetzung der Resolution 1973 des Uno-Sicherheitsrates und, was am allerwichtigsten ist, einen Waffenstillstand zu erreichen. Ein begrenzter Waffenstillstand ist aber vermutlich unrealistisch. Was ebenfalls Voraussetzung wäre, um die Unterstützung der Opposition zu gewinnen, wäre eine Reihe politischer Bedingungen, die eventuell bestimmte politische Reformen und einen gewissen Grad an Autonomie für bestimmte Gebiete umfasst. Sanktionen könnten erhöht oder aufgehoben werden, um Akzeptanz und Compliance zu beeinflussen. Muammar Gaddafi könnte im Amt bleiben, zumindest vorläufig. Das Land könnte tatsächlich für einige Zeit aufgeteilt werden. Eine internationale Truppe könnte vor Ort wohl erforderlich sein, um den Frieden zu erhalten.
Ein solcher Ausgang würde von einigen belächelt. Aber es würde den Bürgerkrieg beenden und viele Menschen am Leben erhalten, die andernfalls umkommen würden. Es würde ein Fenster für politische Reformen öffnen und mit der Zeit womöglich zu einer neuen Regierung ohne Gaddafi führen. Die Vereinigten Staaten könnten diese Zeit nutzen, um mit Libyern in der Opposition zu arbeiten, und darüber hinaus die Errichtung nationaler Institutionen unterstützen – ohne die zusätzliche Belastung andauernder Kampfhandlungen.
Ein Kompromiss, ein ausgehandelter Ausgang wäre auch gut für die Vereinigten Staaten, weil es ihnen erlauben würde, ihre Ressourcen – wirtschaftlich, diplomatisch, militärisch und politisch – anderswo zu konzentrieren. Für die Interessen der USA in der Region sind Ägypten, Syrien, Bahrain, Saudi-Arabien, der Irak, Jordanien und Iran weit wichtiger als Libyen. Die Vereinigten Staaten müssen Ressourcen auch für andere Teile der Welt reservieren (dabei kommt einem die koreanische Halbinsel in den Sinn), für mögliche notgedrungene Kriege, für militärische Modernisierung, die für ihre Stellung im Pazifik von zentraler Bedeutung ist, und für den Defizitabbau.
In der Aussenpolitik geht es um Prioritäten. Die Vereinigten Staaten können nicht alles überall tun. Diese Überlegungen wurden als Gründe angeführt, sich einer militärischen Intervention in Libyen zu enthalten; heute werden sie als Gründe dafür vorgebracht, die Intervention zu begrenzen, und zwar sowohl bezüglich dessen, was sie erreichen will, als auch hinsichtlich dessen, was sie von den Vereinigten Staaten erfordert.     •
*     Richard N. Haass ist Präsident des Council on
Foreign Relations. Diese Stellungnahme basiert auf einer Aussage, die er am 6. April vor dem Senatsausschuss für auswärtige Beziehungen machte.

Quelle: Huffington Post vom 6.5.2011
(Übersetzung: Zeit-Fragen)

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