Offener Brief an Bundesrat Didier Burkhalter, Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern

Offener Brief an Bundesrat Didier Burkhalter, Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern

23.6.2011, Presseversand
Stellungnahme der Leitenden Ärztinnen und Ärzte am UniversitätsSpital Zürich zu einem DRG-Moratorium (DRG = Diagnosis Related Group, sog. Fallkostenpauschale)

Sehr geehrter Herr Bundesrat Burkhalter
Wir Leitenden Ärztinnen und Ärzte am UniversitätsSpital Zürich (USZ) wenden uns gegen die Einführung der DRG-Fallpauschalen zum 1.1.2012 und sprechen uns für ein DRG-Moratorium aus.
Hierfür gibt es eine Reihe von schwerwiegenden und stichhaltigen Gründen:
Die Hauptargumente für die Einführung der DRGs, nämlich Kosteneinsparungen und Qualitätsverbesserung, werden inzwischen nicht einmal mehr von der Geschäftsführung der Swiss-DRG AG aufrechterhalten. Es wird sogar von dieser Seite – die hoffentlich zuverlässig Bescheid weiss – von einer initialen Kostensteigerung gesprochen. Diese Kostensteigerung ist vorwiegend durch die notwendige Neuschaffung von Stellen im Bereich der Verwaltung und die entsprechenden Hard- und Softwareanschaffungen bedingt. Sie kommt nicht den Patienten zugute.
–    Die als Besonderheit der Schweiz immer wieder hervorgehobene Begleitforschung zur DRG-Einführung findet bisher nicht statt. Damit ist das Hauptargument für einen Schweizer Sonderweg und eine kontrollierte Einführung der DRGs in der Schweiz nicht mehr gegeben. Die Begleitforschung müsste mindestens ein Jahr vor Beginn der DRGs einsetzen, um sinnvoll zu sein. Auswirkungen lassen sich nur feststellen, wenn die Ausgangsbedingungen bekannt sind. Dies ist bisher nicht der Fall. Damit entfällt ein zentrales Argument für eine Einführung der DRGs zum 1.1.2012.
–    Die ärztliche Weiterbildung ist bisher konzeptionell im DRG-System überhaupt nicht berücksichtigt und verankert. Sie kann nicht – wie aktuell geplant – über individuelle Verhandlungen der einzelnen Spitäler mit den Kassen gewährleistet werden, da es für die ärztliche Weiterbildung schweizweit ein einheitliches Konzept und einheitliche Richtlinien gibt. Diese einheitlichen Richtlinien sind nicht durch individuelle Lösungen ersetz- oder austauschbar.
–    Durch die DRGs wird ein erhöhter Verwaltungsaufwand notwendig, der ärztliche Ressourcen bindet und damit die Zeit am und für den Patienten weiter limitiert. Der Verwaltungsaufwand wird steigen, die Zeit, die für die Patienten aufgewendet werden kann, wird auf pflegerischer und ärztlicher Seite sinken. Das ist für eine gute Patientenversorgung kontraproduktiv.
–    Die Schweiz wird durch die DRGs einen Verlust von Innovationsmöglichkeiten in der Medizin erleben. Innovationen werden sich nur verspätet in Fallpauschalen abbilden lassen. Insbesondere innovative Spitäler wie die Universitätsspitäler werden einen Verlust an Qualität und innovativer Spitzenmedizin zu verzeichnen haben. Sie können somit ihrer eigentlichen Aufgabe, der Weiterentwicklung der Medizin, nicht mehr in vollem Umfang gerecht werden.
–    Die DRGs verzerren die Bedingungen zugunsten von privaten Anbietern. Dem durch Gesetze entgegenzuwirken, wird z.B. in Zürich bereits versucht. Gleichzeitig legen die DRGs jedoch Festpreise für Leistungen unterschiedlicher Qualität fest. Dies entspricht einer sozialistischen Planwirtschaft und keiner Wettbewerbssteigerung.
–    Die einzigen übrigbleibenden Argumente, die für die Einführung der DRGs sprechen, sind diejenigen der Transparenz und der Vergleichbarkeit von medizinischen Leistungen. Brötchen, die gleich viel kosten, schmecken aber noch lange nicht gleich gut. Eine einheitliche Preisfestsetzung sagt nichts über die Qualität der Leistungen aus.
Wir Leitenden Ärztinnen und Ärzte am UniversitätsSpital Zürich fordern daher eine Rückkehr zur Vernunft und Besinnung. Statt des Beharrens auf offensichtlich unbrauchbaren Entscheidungen sollten effiziente, leistungsgerechte, transparente und sinnvolle Lösungen gesucht werden. Es sollten Lösungen gesucht werden, die nicht den Verwaltungsaufwand und die Bürokratie steigern, sondern den Patienten und damit Steuer- und Krankenkassenbeitragszahlern zugute kommen. Es wurden hier Entscheidungen über die Betroffenen – nämlich die Patienten – hinweg getroffen, die im höchsten Grad undemokratisch sind. Mit einem Moratorium zur Einführung der DRGs fordern wir daher auch die Festlegung einer Obergrenze für die Verwaltungskosten. Der Einfluss von Bürokraten auf medizinische Entscheidungen, auf Behandlungsnotwendigkeiten und sinnvolle Therapien muss begrenzt werden. Ethische Überlegungen müssen im Vordergrund stehen, nicht monetäre Interessen und Gewinnmaximierung. Das ethisch verantwortbare Patientenwohl ist jedoch bei der Planung der DRGs offensichtlich in den Hintergrund getreten.
Wir Leitenden Ärztinnen und Ärzte am UniversitätsSpital Zürich fordern ausserdem vor einer Einführung der DRGs die Klärung der Frage, wie die ärztliche Weiterbildung berücksichtigt und verankert werden kann und die Klärung der Stellung der UniversitätsSpitäler mit ihren Innovationsmöglichkeiten für die Medizin. Ein Vorbote der Entwicklung ist sicher die avisierte Einsparung von 48 Millionen Franken am UniversitätsSpital Zürich. Wir fordern eine Klärung der Fragestellungen für die Begleitforschung und eine Etablierung einer solchen Forschung. Zudem fordern wir, dass auch öffentlich eingeräumt wird, dass DRGs nicht zu einer Kosteneinsparung führen werden. Wir sprechen uns also im Sinne der eigentlichen Aufgabe eines Gesundheitssystems, nämlich der Heilung von Kranken, für ein DRG-Moratorium aus.

Mit freundlichen Grüssen

PD Dr. David Holzmann, Pfaffhausen; Prof. Dr. ­Dominik Straumann, Zürich; Prof. Dr. Jean-Claude Fauchère, Gockhausen; PD Dr. Gabriela Studer, ­Uerikon; Prof. Dr. Philippe Gertsch, Bäch; Prof. Dr. Jürg Hafner, Zürich; Dr. Roman Kocian, Pfaffhausen; PD Dr. Urs Schanz, Dübendorf; Prof. Dr. Hans Jung, Zürich; PD Dr. Stefan Hegemann, Zürich; Prof. Dr. Huldrych Günthard, Zürich; Prof. Dr. Reinhard ­Dummer, Zürich; Dr. Walter Künzi, Zürich; Prof. Dr. Thomas Pfammatter, Zürich; Prof. Dr. Beat Müllhaupt, Ennetbaden; Prof. Dr. Roger Lehmann, Zürich; PD Dr. Christoph Thalhammer, Hersberg; PDDr. Oliver Distler, Zürich; PD Dr. Stephan Segerer, Illnau; Dr. Pius Brühlmann, Küsnacht; PD Dr. Urs Schwarz, Küsnacht; PD Dr. Daniel Schmid, Zollikon; PD Dr. Dominique Bettex, Zürich; Prof. Dr. Barbara Buddeberg, Zürich; PD Dr. Marc Husmann, Zürich; Prof. Dr. Peter Schmid, Oberwil; PD Dr. Michael Müntener, Zürich; Prof. Dr. Dr. Jens Funk, Zürich; Prof. Dr. Georg Noll, Zürich; Prof. Dr. Paul Schneider, Zürich; Prof. Dr. Barbara Ballmer-Weber, Winterthur; Prof. Dr. Alexander Huber, Küsnacht; PD Dr. Nicolas Müller, Zürich; Prof. Dr. Dr. Gerhard Rogler, Zürich; Prof. Dr. Thomas Fehr, Zürich; Dr. Didier Schneiter, Zürich; PD Dr. Emanuela ­Keller, Kilchberg; PD Dr. Nicole Ochsenbein-Kölble, Zürich; Dr. Peter Steiger, Gossau/ZH; Dr. ­Christoph Nöthiger, Zürich; Prof. Dr. Johann Steurer, Zürich; Prof. Dr. Peter Bauerfeind, Erlenbach; Prof. Dr. Christoph Schmid, Uster; PD Dr. Marco ­Zalunardo, Uster; PD Dr. Romaine Arlettaz, Feldmeilen; Prof. Dr. Rosmarie Caduff, Luzern; Prof. Dr. Mario Lachat, Hinteregg; Prof. Dr. Spyridon Kollias, Erlenbach; Prof. Dr. Christian Ruef, Andelfingen; Prof. Dr. Annette Böhler, Zürich; Dr. Stephan Regenass, Basel

Warum ist das E. coli HUSECO41 so bösartig?

Das neu erfundene Coli-Bakterium EHEC hinterlässt eine grausame Bilanz. Nebst den Todesfällen auch im jüngeren Teil der Bevölkerung resultiert ein weiterer Tiefschlag für die Medizin: Die Überlebenden bleiben zu einem grossen Teil nierengeschädigt. Sie brauchen zwei neue Nieren oder lebenslängliche Dialyse.

     Am 30. Juni 2011 publiziert das «New England Journal of Medicine», das zu den führendsten Fachzeitschriften in Innerer Medizin gehört, eine Untersuchung, wonach ein US-Forscher an einem abgeschwächten Impfstamm von Yersinia pestis (KIM D27) verstorben ist (Artikel von Wun-Ju Shieh vom CDC1). Er war am 13. 9. 2009 gestorben.

     Auffallend: Der Stamm wurde genetisch manipuliert, so dass er beim Tier zusammen mit einem Eisensalz (Eisendextran) tödlich wirkt. Der 60jährige Forscher mit dem Namen Malcom J. Casadaban hatte eine Eisenspeicher Krankheit (Homochromatose) und starb an diesem Impfstamm im Spital trotzt Wiederbelebungsversuchen innert 13 Stunden.

     Dieser Eisen-Binder-Rezeptor befindet sich auch im E. coli HUSECO41 mit den Genmarkern irp2 und fyuA (siehe dazu den Artikel von Professor Helge Karch2 et al. im The Lancet vom 23. 6. 2011). Wie der Forscher sich ansteckte, bleibt unklar. Der KIM-D27-Stamm gilt als nicht infektiös im Gegensatz zum Yersinia Stamm CO92. Diese zwei gefundenen Gene stammen vom Y. pestis und machen den E. coli virulenter, gefährlicher.

     Das hätte die Menschheit nicht gebraucht.

Quellen: New England Journal of Medicine,
30. Juni 2011; The Lancet, 23. Juni 2011;
Der Spiegel, 30. Juni 2011; ferner 21. September 2009 und 15. Januar 2008.

MMWR, 25.2.2011, 60 (7), Seite 201ff.

Leiter des Instituts für Hygiene der Universität Münster

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