Anhörung der Schweizerischen Offiziersgesellschaft vor der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates

Anhörung der Schweizerischen Offiziersgesellschaft vor der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates

 

A. Vorbemerkung

Im Namen der Schweizerischen Offiziersgesellschaft [SOG] danken wir Ihnen für die heutige Einladung nach Bern. Wir nehmen gerne die Gelegenheit wahr, einige Bemerkungen zum Armeebericht vom 1.10.2010 und dem Zusatzbericht vom 28.3.2011 anzubringen.
Die hier anwesende Delegation der SOG setzt sich aus Brigadier Denis Froidevaux, Vizepräsident, und Oberst i Gst Hans Schatzmann, Präsident, zusammen.
Bei der Schweizerischen Offiziersgesellschaft handelt es sich um eine von VBS und Armee unabhängige Organisation. Sie repräsentiert rund 23 000 aktive und ehemalige Offiziere und damit eine Mehrheit des Offizierskaders der Armee.
Wenn wir heute vor Ihnen sprechen, tun wir dies nicht nur im Namen der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, sondern im Namen aller Milizorganisationen. Die Miliz­organisationen sind sich in bezug auf die Eckwerte der Weiterentwicklung der Armee einig und vertreten diesbezüglich eine einheitliche Auffassung.

B. Armeebericht 2010/Zusatzberichte 2011

1. Einleitung

Mit dem Armeebericht 2010 liegt für die Weiterentwicklung der Armee ein in vielen Bereichen taugliches Grundlagendokument vor, mit dessen Risikoanalyse wir weitgehend einig gehen.
Nicht einverstanden sind wir jedoch mit verschiedenen Aussagen, vor allem zur Miliz, im Standbericht und den daraus gezogenen Schlüssen zu Leistungsprofil, Armeebestand und Budget. Diese Schlüsse sind nicht die Konsequenzen einer umfassenden Lagebeurteilung, sondern dienen dem Bundesrat dazu, seine am 28.11.2008, also lange vor dem Sicherheitspolitischen Bericht und dem Armeebericht, gefassten Sparbeschlüsse umzusetzen.
Diese autoritativen und sachlich kaum begründeten bundesrätlichen Vorgaben sind die Hauptschwäche des Armeeberichts. Wir fordern das Parlament auf, im Rahmen der Behandlung des Armeeberichts diese gefährlichen Vorgaben zu korrigieren. Als Grundlage dafür dient insbesondere der Zusatzbericht vom 28.3.2011.
Die heutige Anhörung lässt es nicht zu, auf die vielen Details der verschiedenen Berichte einzugehen. Statt dessen beschränken wir uns auf einige Punkte, die uns besonders wesentlich scheinen.

2. Allgemeine Wehrpflicht und Milizsystem

Wir begrüssen es sehr, dass der Bundesrat auch künftig an der Allgemeinen Wehrpflicht und am Milizsystem festhalten will. Zu diesen beiden Eckpfeilern unseres Wehrsystems gibt es für uns keine Alternativen. Sie sind auf die Verhältnisse und Möglichkeiten des Landes zugeschnitten und haben sich bewährt.
Nur die Allgemeine Wehrpflicht garantiert den Qualitätsstandard der Milizarmee. Wir brauchen die Besten, und die kommen nicht automatisch freiwillig. Eine Auslese, wie sie etwa das Modell der Freiwilligenmiliz vorsieht, würde die Armee dieser wesentlichen Stärke berauben. Aber auch die Bindung zum Volk würde leiden, blieben doch gewisse Kreise einer solchen Armee von Freiwilligen von Anfang an fern. Die kollektive Sicherheit soll aber auch künftig die Aufgabe aller und nicht bloss einzelner bleiben.
Wir fordern Sie auf, alles zu tun, um das Prinzip der Allgemeinen Wehrpflicht durchzusetzen und das Milizsystem zu stärken. Dazu gehören auch die rasche Änderung des Zivildienstgesetzes und die Wiedereinführung der Gewissensprüfung.

3. Durchdiener

Der Armeebericht geht einlässlich auf die Durchdiener ein, welche bei verschiedenen Politikern und Experten als eigentliches Wundermittel gesehen werden. Dem ist nicht so, im Gegenteil. Das Parlament hat im Dezember 2007 eine Parlamentarische Initiative, welche die Verdoppelung des Durchdieneranteils auf 30% anstrebte, mit guten Gründen abgelehnt.
Die SOG ist dezidiert der Meinung, dass eine solche Erhöhung nicht opportun, ja sogar schädlich ist. Die Verdoppelung des Durchdieneranteils widerspricht der Milizvorgabe, wonach das Milizkader führt, erhöht den Anteil an stehenden Truppen und gefährdet längerfristig unser bewährtes Wehrmodell. Weil der Durchdiener nach der Absolvierung seiner Dienstpflicht keinen Wiederholungskurs leistet, entspricht jeder zusätzliche Durchdiener einer Einbusse von sechs Angehörigen des Einrückungsbestandes eines WK-Verbandes. Bei einer Verdoppelung des Durchdieneranteils fallen mithin bis zu 20 aktive Bataillone weg.
Ein grosses Bedürfnis, die Militärdienstpflicht am Stück zu leisten, scheint bei den Rekruten nicht zu herrschen. Die heute möglichen 15% werden gerade erreicht. Künstliche Anreize helfen hier nicht weiter, sondern schaffen nur neue Ungerechtigkeiten.
Wir bitten Sie daher, die Idee der Erhöhung des Durchdieneranteils nicht weiter zu verfolgen.
Der Armeebericht 2010 gibt die Vor- und Nachteile objektiv wieder.

4. Armeeaufträge

Die Aufgaben und Aufträge der Armee sind in der Bundesverfassung und im Militärgesetz festgeschrieben. Aus den drei Teilaufträgen Verteidigung, Unterstützung der Behörden und Friedensförderung ergibt sich, dass die Armee nach dem Willen des Souveräns, der die verfassungs- und gesetzmässigen Rahmenbedingungen für die Armee definiert hat, ein flexibles und multifunktionales Instrument sein soll. Sie ist weder eine reine Territorialverteidigungs­organisation noch eine blosse Hilfspolizei noch eine Interventions­truppe für das Ausland. Sie soll kämpfen und – im Verbund mit anderen Sicherheitsorganisationen – schützen und helfen können.
Primär ist eine Armee für die Verteidigung da. Kein anderes sicherheitspolitisches Instrument ist in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen. Nur die Armee kann einer militärischen Konfrontation begegnen. Dem­entsprechend sind Organisation, Ausrüstung und Ausbildung der Armee auf die Verteidigungsaufgabe auszurichten. Denn eine zum Verteidigungskampf befähigte Milizarmee kann flexibel eingesetzt werden. Sie kann nicht nur militärisch kämpfen, sondern dank ihrer zivilen Fähigkeiten auch die Behörden unterstützen und Beiträge zur Friedensförderung leisten. Umgekehrt geht es jedoch nicht. Im Armeebericht selbst ist nachzulesen, dass sich in modernen Konflikten die Grenzen zwischen Schutz- und Verteidigungsaufgaben verwischen. Ohne hier weiter auf Details eingehen zu wollen, bitten wir Sie, uns im Grundsatz zu folgen.

5. Leistungsprofil und Bestände

Die im Armeebericht 2010 für die einzelnen Aufträge vorgesehenen Bestände entsprechen nicht den verfassungs- und gesetzmässigen Anforderungen an die Armee. Geht man, wie der Bundesrat es tut, bezüglich Bestand und Kosten (Bestand 80 000 Angehörige, Budget maximal 4,4 Milliarden Franken) von fixen Zahlen aus, erweist sich das Leistungsprofil als ungenügend. Mit 22 000 AdA (wovon 7000 für die Wirkung in der Luft) kann die Schweiz ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur bewaffneten Neutralität nicht mehr glaubwürdig nachkommen.
Aber auch die 35 000 AdA, die der Armeebericht für die Unterstützung der zivilen Behörden vorsieht, reichen nicht aus, wenn man den Bedarf, den nur schon der Schutz lebenswichtiger Objekte erfordert, seriös ermittelt. Die Durchhaltefähigkeit ist hier so wenig berücksichtigt wie der personelle Aufwand, den eine Situation mit mehreren Brennpunkten auslöst.
Wir sind sehr froh, dass die Sicherheits­politische Kommission des Ständerates im vergangenen Herbst die Initiative ergriffen und vom VBS weitere Abklärungen in Form des Zusatzberichts vom 28.03.2011 verlangt hat. Dank dieses Zusatzberichts hat das Parlament die Möglichkeit, verschiedene Armeemodelle zu diskutieren.
Der Zusatzbericht zeigt auf, dass die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Modelle zwar stark variiert, die finanziellen Unterschiede der verschiedenen Varianten aber vergleichsweise gering sind. Die Grösse der Armee bzw. der Armeebestand beeinflusst somit den Finanzbedarf der Armee nicht wesentlich. Dementsprechend soll sich der Armeebestand zuallererst an den geforderten Leistungen und nicht an finanziellen Überlegungen orientieren.
Ausgehend von den geforderten Leistungen erwarten die Schweizerische Offiziersgesellschaft und alle anderen Milizorganisationen vom Parlament, dass es auf der Grundlage des Zusatzberichts vom 28.3.2011 die Abbaupläne des Bundesrats bzw. das bundesrätliche Armeemodell ablehnt. Der Ständerat hat hier bereits ein klares Zeichen gesetzt.
Wir fordern Sie auf, sich statt dessen für eine leistungsfähige Milizarmee mit einem aktiven Bestand von mindestens 120 000 Angehörigen einzusetzen. Nur dieses Modell, welches im übrigen nach wie vor eine massive Reduktion des aktuellen Armeebestandes bedeutet, vermag die verfassungsmässigen Aufträge innerhalb der geltenden sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen zu erfüllen.
Diese Variante verfügt gegenüber den anderen Modellen über genügende operative Fähigkeiten und eine wesentlich bessere Durchhaltefähigkeit. Gleichzeitig ist diese Erhöhung der Kapazitäten mit vergleichsweise geringen Mehrkosten verbunden.
Hinzu kommt, dass das Modell mit 120 000 Armeeangehörigen die wirkungsvolle Umsetzung des Milizsystems und damit auch die effiziente Ausschöpfung des Milizpotentials ermöglicht. Gerade dieser Aspekt ist uns aus militärischen, aber auch aus staatspolitischen Überlegungen äusserst wichtig.
Das Modell mit 120 000 Armeeangehörigen bedingt, wie die anderen Varianten auch, dass alle Verbände mit dem nötigen robusten Material ausgerüstet werden. Nur so lässt sich etwa bei der Infanterie, welche auch in der Armee der Zukunft das Gros der Truppen stellen wird, das erforderliche Minimum an Multifunktionalität sicherstellen, welches zur Bewältigung der verschiedenen Bedrohungen und Risiken notwendig ist.

6. Finanzen

Das von uns geforderte Modell einer voll ausgerüsteten Milizarmee mit einem aktiven Bestand von mindestens 120 000 AdA bedingt ein entsprechendes Budget. Die Zahlen sind im Zusatzbericht vom 28.3.2011 transparent und nachvollziehbar ausgewiesen.
Daraus geht hervor, dass die Variante mit einem Bestand von 120 000 Angehörigen ein jährliches Budget von 5,3 Milliarden Franken bedingt.
Wir erwarten, dass das Parlament der Armee genügend Mittel spricht, nachdem im Bereich der Verteidigung seit Jahren einschneidende finanzielle Einsparungen vorgenommen wurden. Dieser Negativtrend hat dazu geführt, dass die Schweiz im Vergleich zu den meisten europäischen Ländern am wenigsten für die Verteidigung ausgibt. Die Armeeausgaben der Schweiz betragen lediglich noch etwa 0,8% des Bruttoinlandprodukts.
Das ist deutlich weniger, als die vergleichbaren europäischen Länder für ihre Armeen ausgeben.
Um sicherzugehen und zu verhindern, dass der Armee in Zukunft nicht wieder das nötige Geld fehlt, hat das Parlament einen konkreten Budgetrahmen von mindestens 5 Milliarden Franken zu sprechen. Wir bitten Sie daher, den schwammigen Beschluss des Ständerats zu korrigieren und sich für ein konkretes Armeebudget von jährlich 5,3 Milliarden Franken auszusprechen. Dabei handelt es sich um eine moderate Erhöhung, stiege doch der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandprodukt von derzeit 0,8% lediglich auf 0,9%.
Zum Schluss sei daran erinnert, dass die Schweiz völkerrechtlich verpflichtet ist, ihren Luftraum zu schützen. Ohne «Tiger»-Teil­ersatz wird sie diesen Auftrag in absehbarer Zeit nicht mehr erfüllen können. Wir ersuchen Sie, weiterhin für die rasche Beschaffung eines neuen Kampfflugzeugs zu sorgen und sich im Sinne des Ständerats für eine Sonderfinanzierung für den «Tiger»-Teilersatz, aber auch für die Beschaffung der fehlenden Ausrüstung auszusprechen.

C. Schlussbemerkung

Die Schweizerische Offiziersgesellschaft und die anderen Milizorganisationen beurteilen den Sicherheitspolitischen Bericht 2010 und den Armeebericht 2010 in bezug auf die personellen und finanziellen Vorgaben äusserst kritisch. Einzig der Zusatzbericht vom 28.3.2011 stellt unter den vorliegenden Berichten einen Lichtblick dar.
Wir ersuchen Sie, die im Zusatzbericht dargestellte Variante mit einem Bestand von 120 000 Angehörigen und einem jährlichen Budget von 5,3 Milliarden Franken weiterzuverfolgen und dem Nationalrat einen entsprechenden Bundesbeschluss zu beantragen.
Bitte bedenken Sie, dass die Armee die einzige strategische Reserve ist, über die unser Land in Krisenzeiten verfügt. Das Volk setzt grosses Vertrauen in die Armee. Dieses Vertrauen darf nicht durch weitere konzeptlose Abbaumassnahmen enttäuscht werden.
Vielmehr haben Bundesrat und Parlament ihre Verantwortung gegenüber Land und Leuten wahrzunehmen und der Armee die benötigten Mittel zur Erfüllung ihrer Aufträge zu geben. Sicherheit hat nicht nur ihren Wert, sondern auch ihren Preis.    •

Quelle: www.sog.ch

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