Gemeinschaftswerk zur Erhaltung der Vielfalt einheimischer Obstsorten

Gemeinschaftswerk zur Erhaltung der Vielfalt einheimischer Obstsorten

ev. Wenn wir heute in einen herrlich reifen, knackigen Apfel oder in eine süsse Birne beissen, haben wir kaum eine Vorstellung, wieviel Arbeit und Erfahrung diesen Genuss erst möglich machten. Wohl gehören Früchte, Beeren und Nüsse seit Urzeiten auf den Speisezettel der Menschen und bilden einen wichtigen Teil unserer Ernährung. Aber es war eine enorme menschliche Kulturleistung, «aus dem kleinen sauren Wildapfel eine grossen, süssen Apfel zu züchten» – und das in einer ungeheuren Vielfalt an Formen, Farben, Geschmacksrichtungen und Verwendungsmöglichkeiten. Viele alte Sorten sind mittlerweile in Vergessenheit geraten, und immer wieder werden neue gezüchtet. Die alten Obstsorten stellen aber ein einzigartiges Kulturgut dar: Sie legen Zeugnis ab von traditionellen Anbauspezialitäten, sind aber auch als genetische Ressourcen von unschätzbarem Wert.
Um diesen Wissensschatz und die Vielfalt der in der Schweiz angebauten Obstsorten zu erhalten und weiterhin nutzen zu können, ist im Juni ein neues Nachschlagewerk erschienen: «Früchte, Beeren und Nüsse. Die Vielfalt der Sorten – 800 Porträts». Das von vier Schweizer Experten verfasste Werk wurde unterstützt von Fructus, ProSpecieRara, dem Bundesamt für Landwirtschaft, dem Schweizerischen Obstverband und der Schweizerischen Kommission für die Erhaltung von Kulturpflanzen.
Erstmals wird damit ein grosser Teil der Vielfalt einem interessierten Publikum zugänglich gemacht. Das Nachschlagewerk enthält auf jeweils einer, manchmal zwei Seiten die Steckbriefe von rund 800 Sorten – so von über 280 Apfelsorten, aber auch von Aprikosen, Birnen, Quitten, Kirschen, Zwetschgen sowie Beeren und Nüssen. Mit über 2000 Fotos wunderschön und reich bebildert, erhält der Leser Informationen über Herkunft, Verbreitung, Erntezeit, Lagerung, über Aussehen und Geschmack der Früchte sowie über den Baum, dessen Wuchs und Krankheitsanfälligkeiten sowie allerlei wissenswerte Zusatzinformationen.
In einem einführenden Kapitel erfährt der Leser zudem einiges zur Geschichte des Obstbaues, über dessen wirtschaftliche Bedeutung, darüber, wie sich der Obstbau gewandelt hat und warum die Erhaltung der genetischen Vielfalt wichtig ist.
Im Vorwort weist der Präsident von Fructus, Klaus Gersbach, darauf hin, dass die Schweiz zu Beginn des 20. Jahrhunderts eines der obstbaumreichsten Länder Europas war und bedeutende Mengen exportierte. Mit der Rationalisierung in der Landwirtschaft und der Zunahme der Bautätigkeit mussten viele dieser alten Bäume weichen. Es ist der Initiative zahlreicher Privatpersonen in der ganzen Schweiz und den herausgebenden Organisationen zu verdanken, dass viele dieser alten Sorten gesammelt wurden und erhalten blieben. Erst seit 1999 werden diese Bemühungen mit dem «Nationalen Aktionsplan zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft» (NAP-PGREL) auch vom Bund unterstützt.
Um die Sicherung der Bäume und Obstsorten breiter abzustützen, ist es wichtig, das Wissen darüber zu erhalten und zu verbreiten. Diesem Anliegen wird das vorliegende Werk auf schönste Art gerecht: Es animiert tatsächlich dazu, sich mit der Kultur und der Vielfalt des Obstbaues in der Schweiz zu beschäftigen und diesen Reichtum nicht nur in Wort und Bild, sondern auch mit Geschmacks- und Geruchssinn zu erleben – und für die nächsten Generationen zu pflegen und zu erhalten.     •

Oetwiler Reinette

Herkunft

Oetwil an der Limmat
(Schweiz)

Erntezeit und Lagerung

Anfang Okt.; Jan.

Baum

Wächst mittelstark, bildet eine hoch gebaute bis kugelige, lockerastige Krone.
Blätter auffallend gross. Blüht spät.

Frucht

Gross bis sehr gross, 65–80 mm hoch, 70–95 mm breit, ziemlich variabel in der Form, oft kugelig bis kugel-kegelförmig, teils einseitig überbaut. Kanten und Kelchhöcker breit, mittelstark ausgeprägt. Kelchgrube ziemlich tief, mittelbreit.
Kelch mittelgross, halb offen. Stielgrube mitteltief, mittelbreit, stark strahlig beros­tet. Stiel kurz bis mittellang, bis 25 mm, dick, knopfig. Grundfarbe hellgrün bis gelb, Deckfarbe dunkel- bis orangerot marmoriert, teils auch schwach gestreift. Typisch sind grundfarbige Flecken oder Streifen in der Deckfarbe. Kelchhöhle trichterförmig mit kurzer Röhre. Kernhaus mittelgross, herzförmig, Achse hohl, zerrissen, zu den zerrissenen und ausgeblühten Kernfächern hin offen. Fruchtfleisch gelblich weiss, fest, saftig, süss-säuerlich, aromatisch.

Wissenswertes
Züchtung von Jakob Rueff aus Oetwil an der Limmat um 1890. Soll aus einem
Kern der Goldparmäne oder Goldreinette von Blenheim gezogen worden sein.

Aemli

Synonyme
Landschäftler Weichsel, Hallauer Aemli

Herkunft
Schweiz

Verbreitung
Schweiz

Erntezeit
Spät

Baum
Wächst schwach bis mittelstark, breitwüchsig bis hängend mit dünnen Ästen.
Schrotschussanfällig, neigt jedoch kaum zu Harzfluss. Blüht mittelspät bis spät.

Frucht
Klein, 4,9–5,5 g, flach kugelig bis fast nierenförmig, bauchseitig nur leicht zusammengedrückt, Rückenseite regelmässig gerundet. Stempelseite eben bis leicht eingesenkt. Stempelpunkt mittelgross, in kleinem, engem Grübchen liegend. Stielseite breit, nicht geschultert. Stielgrube flach bis mitteltief, mittelbreit.

Stiel
27–36 mm lang, dick, haftet mittelstark und blutet beim Ausreissen wenig.

Haut
hellrot, leuchtend, matt glänzend, bei Vollreife oft fleckig werdend.

Fruchtfleisch
gelblich weiss, fast transparent, sehr weich, saftig, säuerlich und teils leicht herb, fein aromatisch. Steinlöslichkeit gut. Stein L: 10,1 mm, B: 6,5 mm, D: 8,6 mm (Indizes 100:65:85:132).

Wissenswertes
Die Aemli ist eine alte Schweizer Sauerkirschensorte und wurde aus einer Vielfalt von verwechselbar ähnlichen Typen selektioniert.

Trévoux

Synonyme
Précoce de Trévoux, Frühe von Trévoux

Herkunft

Frankreich, Abstammung unbekannt

Verbreitung
Als Frühsorte da und dort noch anzutreffen

Erntezeit und Lagerung
Mitte Aug.; Mitte Sept.

Baum
Wuchsstärke mittel bis stark, aufrecht. Gute Erträge, wenig schorfanfällig, wenig frostanfällig. Blüht mittelfrüh, diploid, Pollen gut.

Frucht
Mittelgross, 75–95 mm hoch, 60–75 mm breit. Stiel 1,5–3,5 cm, mittellang, mitteldick, Stielgrube eng, tief, häufig strahlig berostet. Kelch offen oder halb offen.
Kelchgrube breit und tief. Haut glatt, Grundfarbe gelbgrün, reif hellgelb mit bis 1/4 orangerot gestreifter bis verwaschener Deckfarbe. Kelchröhre kurz trichterförmig. Kernhaus klein, spindelförmig mit geschlossener Achse. Kleine, hellbraune, teils unterentwickelte Kerne. Neigt zur Bildung parthenokarper Früchte. Fleisch weisslich, halb schmelzend, erfrischend säuerlich, leicht parfümiert.

Wissenswertes
Wurde von einem Obstbauer namens Treyve in Trévoux, 15 km südlich von Lyon, entdeckt. Die ersten Früchte stammen aus dem Jahr 1862.

Bondo

Herkunft
Schweiz, Mutterbaum war Sämling aus Bondo GR, 823 m ü.M.

Erntezeit
Gegen Ende Okt. (Bergell)

Baum
Mittelspät austreibend, mit breiter und runder Form. Ertrag regelmässig hoch. Keine Anzeichen für Krankheitsanfälligkeiten.

Nuss
Mittelgross, ca. 37 mm hoch, ca. 29 mm breit. Dünne Schale, teilweise nicht ganz perfekter Nahtschluss, mässig gefurcht, mehr als 2/3 gefüllt, leicht knackbar (meist von Hand), gut auskernbar. Helle Kerne sehr aromatisch, intensiv nussig, ohne Gerbstoffe, wenig Süsse, eher trocken.

Wissenswertes
Sorte mit zuverlässig hohen Erträgen auch in ertragsschwachen Jahren. Sehr später Laubfall (November).

Fructus

Fructus will die genetische Vielfalt einheimischer Obstsorten für die nächsten Generationen erhalten und die Öffentlichkeit auf deren Werte aufmerksam machen.
Fructus ist verantwortlich für die ­Koordination und Durchführung verschiedener Projekte im Rahmen des Nationalen Aktionsplans (NAP) der Schweiz zur Erhaltung und langfristigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen. Das bisher grösste Projekt war die Gesamtschweizerische Inventarisierung der Obst- und Beerensorten (NAP 02-23), die 2004 abgeschlossen wurde. Über 2000 alte, wenig oder noch nicht bekannte, gefährdete Obst- und Beerensorten konnten für die Erhaltung in Sortensammlungen vermehrt und für die Zukunft abgesichert werden. Diese Sorten sollen nun in den kommenden Jahren nach standardisierten Methoden beschrieben werden.
• Alte Obstsorten suchen, erhalten, vermehren und weitergeben
• Sorten beschreiben und erfassen
• Sortenausstellungen organisieren
• Informieren und beraten
• Exkursionen und Weiterbildungen durchführen
• 4-mal pro Jahr ein informatives Bulletin an die Mitglieder herausgeben
• Pomologien suchen, erhalten und weitervermitteln
• Ernennung einer Obstsorte des Jahres
• Führungen auf dem Obstlehrpfad, beim Infopavillon Süssmost und im Obstsortengarten Höri

(<link http: www.fructus.ch>www.fructus.ch)

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